Lily spürte noch den Kuss auf ihren Lippen, als sie unter Tränen die Stufen hinauf in die Eingangshalle rannte. Der Abend hatte so gut angefangen und sie hätte niemals gedacht, dass er so enden würde. Sie blinzelte gegen die Tränen an, fühlte immer noch das warme Gefühl von Severus Körper an ihrem. Sie hätte alles dafür getan vollkommen in diesem Augenblick versinken zu können, aber sie konnte nicht. Zu schwer lastete das Geheimnis über Severus auf ihr, das nach wie vor ungeklärt war. Wieso war sie bloß so feige und hatte es so lange vor sich hergeschoben? Sie hätte schon längst mit ihm sprechen können. Tränen der Wut und der Enttäuschung rannen ihr über die Wangen, während sie kopflos immer weiter lief. Wieso hatte sie so viel Angst davor ihn zur Rede zur stellen? Vielleicht konnte er den Vorfall in der Nokturngasse ja sogar plausibel erklären und alles wäre wieder in Ordnung. Und wenn nicht? Alleine die Vorstellung, dass Severus etwas mit Todessern zu tun hatte, löste eine tiefe Verzweiflung in ihr aus. Sie beschleunigte ihre Schritte. Völlig außer Atem erreichte sie das Porträt, nannte der fetten Dame das Passwort und kletterte durch das Loch in den um diese Uhrzeit leeren Gemeinschaftsraum. Dort lehnte sie sich erschöpft gegen die Wand und ließ sich auf den Boden gleiten, während sie die Augen geschlossen hielt und sich einfach wünschte, dass alles gut werden würde. „Lily?" Flüsterte eine Stimme sanft und sie spürte, wie sich jemand neben sie setzte. „Was ist passiert?" fragte Remus besorgt, aber Lily brachte zunächst kein Wort heraus. „Severus..." begann sie langsam, nachdem sie einen tiefen Atemzug genommen hatte. „Severus und ich haben uns geküsst." erklärte sie mit brüchiger Stimme und wischte sich unwirsch mit der Handfläche die Tränen aus dem Gesicht, was jedoch zwecklos war, weil unaufhörlich wieder welche nachliefen. „Oh wow. Ich habe mir gedacht, dass Snape vielleicht nicht der beste Küsser ist, aber dass er so schlecht ist." sagte Remus mit gespieltem Erstaunen und Lily musste gegen ihren Willen lächeln. „Ach Remus." sagte sie traurig und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Remus stieß sie freundschaftlich in die Seite, bevor er seinen Arm um sie legte und sie eine Weile einfach nur schweigend da saßen und ihren Gedanken nach hingen. „Willst du mir erzählen was passiert ist?" unterbrach Remus die Stille und Lily zögerte, weil sie nicht wusste was sie antworten sollte. Sie entschied sich für die Wahrheit und rang sich schließlich dazu durch, ihm die gesamte Geschichte über ihre Begegnung mit Severus in der Nokturngasse zu erzählen. Remus hörte ihr zu, ohne sie ein einziges Mal zu unterbrechen, aber sein Gesichtsausdruck wechselte stetig. Zum Schluss starrte er sie mit weit aufgerissenen Augen an, scheinbar unwissend was er sagen sollte. Lily lächelte gequält. „Ich weiß." sagte sie bloß und vergrub ihr Gesicht in ihren Händen, die sie auf ihren angezogenen Knie liegen hatte. „Oh Lily." seufzte Remus. „Ihr müsst unbedingt miteinander reden!" Lily nickte schniefend. „Am besten bevor ihr das nächste mal rum knutscht." sagte er tadelnd mit hochgezogener Augenbraue und Lily funkelte ihn wütend an. „Ich weiß selbst, dass das dumm war. Ich wollte ja auch schon die ganze Zeit mit ihm reden. Aber..." sie stockte. „... du hattest Angst." vollendete Remus den Satz für sie und sie nickte mit verzweifelter Miene. „Ich habe es mir fest für die Weihnachtsferien vorgenommen." erklärte sie und lehnte ihren Kopf an die Wand, den Blick an die Decke gerichtet. Remus atmete hörbar die Luft aus und griff nach Lilys Hand. „Vielleicht gibt es für alles eine Erklärung." sagte er, aber Lily entging der leichte Zweifel keinesfalls, der unüberhörbar in seiner Stimme mitschwang. Sie konnte es ihm noch nicht einmal verübeln, denn sie selbst zweifelte ja sogar an Severus Loyalität. „Du musst das wirklich so schnell wie möglich klären, Lily." drängte Remus erneut und Lily nickte stumm. „Ich weiß." sagte sie leise, wobei eine Menge unausgesprochene Worte zwischen ihnen in der Luft hingen, weil keiner von ihnen sie laut auszusprechen wagte. Sie musste das ganze klären bevor es zu spät war. Bevor Severus zu sehr in die Sache verstrickt war und sie mit in den Abgrund ziehen würde, auf den er vermutlich geradewegs zusteuerte. Gefühlsmäßig war sie bereits verloren, und es wurde auch nicht besser wenn sie Severus immer wieder so nah kam, dass ihr Verstand völlig aussetzte und sie sich danach noch mehr nach ihm sehnte. Wie viel würde sie ertragen um bei ihm zu sein? Wie viel wollte und konnte sie akzeptieren und tolerieren? Sie wusste es nicht, aber dass sie ihre Grenzen aus Liebe zu Severus sich mehr eindeutig benennen konnte machte ihr Angst.
Severus saß zitternd am Ufer des Sees und fühlte nichts als Leere ins sich. Er fror, aber es war ihm egal. Seit Stunden war er hier draußen und ließ sich von seinem unbändigen Schmerz überrollen. Er verstand nicht was passiert war. Der Kuss hatte sich echt und richtig angefühlt. Wieso wies Lily ihn plötzlich so zurück? Hatte sie seinen Kuss nur aus einer Stimmung heraus erwidert? Verführt von der Euphorie, benebelt und überdreht von zu viel Wein in einem überheizten Raum voller Menschen, und die Verlockung des schummrigen Fackellichts in einem Gang, in dem sie völlig ungestört waren? Er war ein Narr zu glauben, dass Lily sich von ihm küssen lassen würde. Wie hatte er sie so bedrängen können? Ob es das war, worüber sie mit ihm sprechen musste? Oder lag ihr Problem ganz woanders? Ein leiser Verdacht schlich sich in seine Gedanken und er vergrub verzweifelt sein Gesicht in den Händen. Natürlich stand noch einiges zwischen Lily und ihm, und es war töricht von ihm gewesen zu glauben, dass sie das alles irgendwie vergessen könnten. Es war doch klar, dass sie nicht für immer so tun konnten als hätte er sie nicht aus einem Gebäude gestoßen, nachdem sie von Todessern bis in die Nokturnengasse gejagt worden war. Aber was sollte er ihr sagen? Wenn er ihr die Wahrheit über sich erzählte, würde ihre zart aufkeimende Freundschaft ohne Zweifel wieder in der Dunkelheit ersticken, die er erneut über sie brachte. Er hasste sich dafür, dass er das alles aufs Spiel gesetzt hatte und er ertrug den Gedanken nicht, dass die Küsse mit Lily vielleicht nur noch als schwache Erinnerungen in seinem Herzen existieren würden, mit denen er sein Leben lang auskommen würde müssen. Es war schlimm sich ständig etwas vorzustellen, das man nicht bekommen konnte. Mit der Zeit lernte man jedoch sich mit seiner Phantasie zu begnügen und baute sich eine kleine Festung aus seinen Vorstellungen, in die man sich immer wieder zurück ziehen konnte, und die wie ein Zuhause für einen wurde. Es war jedoch etwas ganz anderes etwas zu verlieren, das man bereits gehabt hatte. Man konnte sich nicht mehr mit der Erinnerung daran begnügen. Es zerriss einen innerlich. Es war wie eine Sucht, die einen ständig daran erinnerte was man verloren hatte und einen gleichzeitig denken ließ, dass man diese Gefühle um jeden Preis wieder spüren musste um weiter leben zu können. Severus war sich sicher, dass es einen in den Wahnsinn treiben konnte wenn man diesem Zwang nicht nachgab. Er selbst war diesem Zwang erst vor wenigen Stunden erlegen, als er Lily geküsst hatte, weil er sich nicht hatte beherrschen können. Weil er wie ein Kleinkind einem Impuls nachgegangen war, der plötzlich in ihm aufgeflammt war. Und tatsächlich hatte es sich dort in dem Gang angefühlt, als würde er innerlich verbrennen wenn er nichts tat um dieses Feuer zu löschen. Lily zu Küssen war jedoch nicht die Erlösung, sondern das Öl gewesen, dass die Flammen noch mehr anfachte und eine gewaltige Explosion von lang verdrängten Wünschen und Sehnsüchten erzeugt hatte. Ohne es zu wollen, war er dem Menschen den er am meisten auf dieser Welt liebte zu nahe getreten und hatte damit vermutlich jegliche Chance verbaut ihr Vertrauen wieder zu gewinnen. Dessen war er sich sicher. Aber er war sich auch sicher, dass er Lily trotzdem nicht fern bleiben konnte. Er war zu weit gegangen um seine Gefühle noch länger zurück halten zu können. Ihm war allerdings auch bewusst, dass sein Geständnis eine brutale Endgültigkeit mit sich bringen würde, weshalb er das Gespräch mit Lily so lange wie möglich herauszögern würde. Wenn sie nach heute Abend überhaupt noch mit ihm sprach, dachte er traurig und rieb seine eiskalten Hände aneinander. Das Schweigen war besser als den Moment zu erleben, ab den sie ihn für immer hassen würde. Fahrig fuhr es sich durch seine langen Haare und schloss trotz der Dunkelheit um ihn herum seine Augen. Wenn Lily ihn hasste wäre zumindest das Problem gelöst, dass er sich irgendwie aus den Fängen des dunklen Lords befreien musste. Das wäre dann nicht mehr nötig, dachte er resigniert und schlang sich seinen viel zu dünnen Umhang enger um seinen Körper, bevor er sich schließlich aufmachte sich heimlich zurück ins Schloss zu schleichen.
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Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und Licht
FanfictionDie Geschichte einer Liebe, die in einem Kampf zwischen Schatten und Licht ausgetragen wird. In einem stetigen Kampf zwischen den verschiedensten Gefühlen, Ängsten und Sorgen, müssen Lily und Severus Entscheidungen treffen, die ihr Leben für immer v...