Die große Halle sah ohne die vier großen Haustische noch riesiger aus als sonst, und trotz der vielen herabhängenden Mistelzweige, dem großen, bunt geschmückten Weihnachtsbaum im hinteren Teil der Halle und den vielen kleineren Bäumen in jeder der Nischen, wirkte sie seltsam trostlos und verloren. Keiner der wenigen Schüler die über die Weihnachtsferien hier geblieben waren, wollte vermutlich freiwillig hier sein und in Severus Augen war diese kitschige und pompöse Dekoration ein Hohn. Ein Schlag ins Gesicht für all die, die hier sein mussten, es nicht wollten und ganz deutlich vorgeführt bekamen, wie ihr Weihnachtsfest in einem anderen Leben ausgesehen hätte. In einem besseren Leben, in einer besseren Welt. Jedoch schien, ganz zu seiner Verwunderung, keiner der anderen Schüler das so zu sehen, sondern eher das Gegenteil schien der Fall zu sein. Sie freuten sich über diesen ganzen albernen Weihnachtskram und empfanden es offenbar als kleinen Trost, eine Art Aufmunterung. Für Severus war Hogwarts von jeher sein Zuhause gewesen, und Weihnachten hier zu verbringen schien ihm immer noch unendlich verlockender als im trostlosen Spinner's End, wo ihn nichts als feuchte Gemäuer, heruntergekommenes Mobiliar und eine Tracht Prügel erwarten würden, aber trotzdem wollte er nicht hier sein. Er dachte an die Weihnachtsfeste bei den Evans. An die ungespielte Herzlichkeit und Lilys strahlenden Augen wenn sie voller Stolz den hellerleuchteten Baum betrachtete, den sie gemeinsam geschmückt hatten, oder wie sie sich vorm Kamin gegenseitig Geschichten vorgelesen und dabei so viele selbst gebackene Plätzchen gegessen hatten, bis ihnen schlecht geworden war. Solche Weihnachten würde es nie wieder geben. Nicht für ihn, dachte er verbittert und blickte sich an dem Tisch um, der in die Mitte der Halle gestellt worden war und an dem jetzt alle Schüler gemeinsam zu den Mahlzeiten saßen. Er sah Lupin lustlos in seinem Essen herumstochern und sich hin und wieder abwesend einen Bissen davon in den Mund stecken. Lupin sah kein einziges Mal auf oder sprach, ganz entgegen seiner Gewohnheit mit jemandem. Severus fand sein Verhalten auf irgendeine Art befremdlich, und er wurde das Gefühl nicht los, dass hier etwas im Argen lag. Lupin war blass und sah angespannt aus als er nun plötzlich aufstand und eiligen Schrittes die große Halle verließ. Es hätte Severus nicht kümmern müssen, und auch nicht sollen, aber irgendetwas in ihm trieb ihn an Lupin zu folgen. Er erhob sich ebenfalls vom Tisch und ging in die Eingangshalle, gerade noch rechtzeitig um zu bemerken, dass Lupin durch die große Eichentür nach draußen schlüpfte. Was in Merlins Namen wollte dieser Lupin abends im Dunkeln auf dem Schlossgelände? Es war heute Nacht kein Vollmond und er hatte somit um diese Uhrzeit nichts dort draußen verloren. Abgesehen davon hatte es in den letzten Tagen durchgängig geschneit und die ganze Landschaft war unter einer dicken Schicht kristallweißem Schnee begraben. Es war dementsprechend kalt und ungemütlich und lud nicht gerade zu einem kleinen Abendspaziergang ein. Lupin hatte noch nicht einmal einen Reiseumhang dabei gehabt, kam ihm jetzt in den Sinn. Irgendetwas stimmte hier nicht, und er würde zu gerne wissen was. Er überlegte einen kurzen Moment, ob er nicht doch lieber in die Kerker hinab gehen sollte, entschied sich jedoch dagegen, da seine Neugierde und der Drang Lupin zu folgen einfach zu groß waren. Leise öffnete er das Hauptportal und schlich ebenfalls hindurch. Die kalte Winterluft, die ihn unmittelbar begrüßte, brannte in seinen Lungen und er atmete einen dichten, weißen Nebel in die Schwärze der Nacht. Er sah sich um. Es war nichts ungewöhnliches zu entdecken und er machte sich Licht mit seinem Zauberstab und leuchtete damit den Boden ab, bis sein Blick an ein paar frischen Fußspuren hängen blieb, die von Lupin stammen mussten. Sie führten offenbar zum See und Severus folgte ihnen mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend. Seine Schritte knartschten laut im tiefen Schnee und durchbrachen die Stille, die gespenstisch über dem Schlossgelände lag. Er setzte seinen Weg unbeirrt fort. Der Himmel war inzwischen etwas aufgeklart und der Mond, der in wenigen Tagen wieder vollständig zu sehen sein würde, erhellte seinen Weg gerade so sehr, dass er jetzt ein paar Meter vor ihm den dunklen See erkennen konnte. Und er entdeckte noch etwas, das ihn innehalten ließ. Eine Gestalt, schemenhaft am Ufer des Sees. Sie ging auf den See zu, immer weiter und weiter, bis das Wasser anfing sanfte Wellen an das Ufer zu schlagen. Lupin, dachte Severus. Lupin ging in das eisige Wasser, aber... „LUPIN!" Rief Severus in die Stille hinein und die Gestalt wirbelte herum. Snape zögerte nicht, er musste es versuchen, musste Gewissheit haben. „Legilimens" flüsterte er mit erhobenem Zauberstab, der genau auf Lupin gerichtet war. Im nächsten Moment schnellten Gedanken durch Severus Kopf, die nicht seine eigenen waren. Er sah jemanden in den See gehen, eisiges Wasser das ihn umschloss, ihm die Luft zum atmen nahm und ihn unbarmherzig in seine Tiefe riss, bereit ihn nie wieder auftauchen zu lassen, und er wehrte sich nicht. Jetzt sah er eine große weiße Scheibe, den Mond. Er spürte eine unbändige Angst und Schmerz breitete sich in ihm aus, tausende und abertausende Nadelstiche die sich durch seine Haut bohrten, dann ein weiterer Schmerz der ihn von innen zu zerreißen schien, das Gefühl als würden sämtliche Knochen in seinem Körper gebrochen werden. Gleichzeitig war da diese Lust zu töten, das Verlangen nach menschlichem Fleisch. Die Schmerzen und das Verlangen verschwanden. Jetzt blickte er in die Gesichter eines Mannes und einer Frau, die Lupins Eltern zu sein schienen. Sie sahen ihn liebevoll an und die Erinnerung verschwamm. Lilys Gesicht tauchte auf, direkt vor seinem. Sie sah ihn lächelnd an und Wärme durchflutete ihn, Glück und Geborgenheit und eine tiefe Liebe zu ihr. Allerdings war es eine andere Art von Liebe als die, die er für sie empfand, stellte Severus erstaunt fest, bevor diese Erinnerung auch wieder verschwamm. Jetzt sah er Potter, Black und Pettigrew, sie lachten. Wieder ein Gefühl des Glücks und ein Gefühl, das er zunächst nicht direkt benennen konnte. Zugehörigkeit. Ein Hirsch, ein großer schwarzer Hund und eine Ratte blitzten auf. Severus spürte einen Schmerz und die Gedanken und Gefühle, die nicht ihm gehört hatten, rissen unverzüglich ab. Der Schmerz in seiner Schulter jedoch war real, dieser Impuls wurde ihm von seinem eigenen Körper gesendet. Er taumelte immer noch, als Lupin erneut „Stupor" Schrie und seinen Zauberstab auf Severus zielte. Diesmal verfehlte er ihn knapp und Severus hatte Zeit sich zu fangen und Lupins nächsten Fluch diesmal mit seinem eigenen Zauberstab abzuwehren. „Wie kannst du es wagen?" Brüllte Lupin wutentbrannt. „Ich? Es wagen? Wie kannst du es wagen, du Narr?" Entgegnete ihm Severus mit drohender Stimme. Lupin, der hüfttief im Wasser stand, bebend vor Kälte und Erregung, starrte ihn für einen Moment fassungslos an. „Du bist ein Idiot, Lupin! Du hast alles was man sich wünschen kann. Wie kannst du es wagen das alles wegschmeißen zu wollen?" Grollte Snape und Lupin stand schweigend im See, offenbar unfähig sich zu bewegen. Er sah aus wie ein kleines Kind, das sich verlaufen hatte und nicht mehr Nachhause fand, und Snape und empfand so etwas wie Mitleid mit ihm. Jedoch nur bis zu einem gewissen Punkt. Er stand zu seinen Worten, Lupin hatte alles was das Leben lebenswert machte. Liebende Eltern, Freunde, Lily... „Du hast wenigstens die Wahl." Sagte Lupin jetzt deutlich leiser und Snape hätte ihn beinahe überhört. Etwas lauter, aber mit heiserer Stimme sprach Remus weiter. „Du bist kein Monster. Du kannst ein normales Leben führen." Snape lachte freudlos auf. „Rede nicht von Dingen von denen du keine Ahnung hast, Lupin!" Lupin schnaufte verächtlich. „Verschwinde von hier, Snape." – „Nein." Antwortete Snape bestimmt. „Du wirst das hier nicht zu Ende bringen." – „Und du willst mich abhalten?" Fragte Lupin aufgebracht und fuchtelte mit seinem Zauberstab umher. Das schwarze Wasser um ihn herum plätscherte bei jeder seiner Bewegungen. Lange würde er nicht dort im eisigen See stehen bleiben können, dachte Snape. „Komm raus, Lupin." Sagte Snape jetzt etwas ungehaltener und Remus sah ihn mit einem unergründlichen Blick an. Es lag eine tiefe Verzweiflung und eine unendliche Traurigkeit darin und es erinnerte Severus an seine eigenen Gefühlen gegenüber seinem Leben. „Lupin... Remus, bitte." Remus rührte sich nicht. Er drehte sich langsam um und kehrte Snape den Rücken zu und Snape wurde wieder wütend. „Du bist ein elender Feigling, Lupin! Rennst vor deinem Leben weg, wie ein ängstliches Häschen vor einem Fuchs. Du WIDERST mich an!" Remus Schultern bebten. „Du hast es gesehen, du hast gesehen was ich bin, was jeden Monat mit mir passiert. Diese Schmerzen wenn ich zu einem blutrünstigen Monstrum werde. Ich ertrage es nicht. Ich ertrage das alles nicht." Lupin schlug mit seiner Faust ins Wasser und schrie. Er schrie während das eiskalte Wasser umher spritzte, schrie seine Wut und Verzweiflung hinaus, während er immer wieder mit beiden Fäusten auf das Wasser einschlug. Snape blieb reglos am Ufer stehen und beobachtete Lupin geduldig, bis dieser sich beruhigt hatte und sich keuchend langsam wieder zu Severus umdrehte. Lupin war jetzt komplett durchnässt und zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub. Kommentarlos streckte Severus seine Hand nach ihm aus. Remus zögerte einen Moment, ergriff sie jedoch und ließ sich von Severus aus dem dunklen Wasser des Sees ziehen.
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Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und Licht
FanfictionDie Geschichte einer Liebe, die in einem Kampf zwischen Schatten und Licht ausgetragen wird. In einem stetigen Kampf zwischen den verschiedensten Gefühlen, Ängsten und Sorgen, müssen Lily und Severus Entscheidungen treffen, die ihr Leben für immer v...