Wie versteinert stand Severus immer noch vor der halb offenen Tür und überlegte, ob er dem dringenden Bedürfnis nachgehen sollte einfach wieder von hier zu verschwinden. Er wusste nicht wieso, aber Lilys Geschenk an Slughorn hatte etwas unbestimmtes in ihm ausgelöst. Es war eine Mischung von so vielen Gefühlen, dass er sie gar nicht richtig einordnen konnte. Zum einen war er zutiefst von Lilys liebevoller Geste gerührt, verspürte aber zeitgleich ein altbekanntes Gefühl, dass sich in sein Herz schlich und sich wie ein zähflüssiges Gift in ihm ausbreitete. Es fühlte sich etwas anders an als sonst, aber im Grunde war es doch nichts anderes als Eifersucht. Diesmal nicht auf einen möglichen Rivalen, sondern auf einen Menschen, dem Lily ein wenig von ihrer Liebe geschenkt hatte. Liebe, die er sich selbst sehnlicher als alles andere auf dieser Welt wünschte. Es war albern, das wusste er, aber er war machtlos gegen dieses starke Gefühl, das stetig in ihm brodelte.
„Aah, Mister Snape." Dröhnte Slughorns Stimme aus dem Raum und Severus sah wie benommen zu ihm auf. Er trat aus dem Schatten des Flures in das Licht des Büros. „Wie schön, dass Sie es einrichten konnten." Sagte Slughorn fröhlich, während Severus unwillig den Raum betrat und vor dem Schreibtisch in der Mitte des Raumes stehen blieb. „Sie wollten mich sprechen, Professor." Begann Severus und hatte Mühe seinen Blick von dem Glas mit dem kleinen Fisch darin abzuwenden. „Wie ich sehe hat mein neuer Freund Francis Ihr Interesse geweckt." Sagte Slughorn voller Stolz und bedeutete Severus sich zu setzen, was dieser tat und anstelle einer Antwort leicht nickte. „Ein Hübscher Zauber, nicht wahr?" Fragte Slughorn und Severus zwang sich ebenfalls zu einem schiefen Lächeln. „Ein Geschenk von einer meiner begabtesten Schülerinnen." Fügte Slughorn hinzu und faltete seine Hände auf seinem Schreibtisch zusammen. „Offenbar sehr begabt." Sagte Severus ungewohnt sanft und betrachtete jetzt ungeniert den Fisch, der fröhlich in seinem Glas umher schwamm und hier und da einen kleinen Salto im Wasser vollzog. In diesem Moment verspürte Severus mehr als jemals zuvor eine große Ehrfurcht vor Lilys außergewöhnlichen Fähigkeiten als Hexe, und er fragte sich nicht zum ersten Mal, wer damit angefangen hatte zu behaupten, dass Muggelstämmige keine richtigen Hexen und Zauberer waren? Und wer konnte das heute noch glauben, wo bereits so viele Generationen mit Muggelstämmigen erfolgreich in Hogwarts ausgebildet worden waren? Wohl niemand der Lily Evans jemals hatte zaubern sehen, dachte er voller Liebe und bemühte sich, seine Aufmerksamkeit wieder auf Professor Slughorn zu lenken, der ebenfalls kurz geschwiegen hatte um den kleinen Fisch beim schwimmen zu beobachten, jetzt aber wieder zu sprechen begann.
„Nun, ich habe sie natürlich nicht deswegen hier her gebeten." Erklärte Slughorn amüsiert und deutete auf das kugelige Glas zwischen ihnen. „Ich habe mich gefragt, wie Ihre Pläne aussehen, nachdem Sie Ihren Abschluss in Hogwarts gemacht haben." Fragte er unvermittelt und Severus zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe. „Um ehrlich zu sein, weiß ich es nicht." Antwortete er, und es entsprach der Wahrheit. Früher hatte er sich viele Gedanken darüber gemacht, was er einmal beruflich machen wollte. Aber in den letzten Monaten, in denen er gedacht hatte, dass es seine wahre Berufung war, dem dunklen Lord zu dienen, hatte er sämtliche Pläne in diese Richtung verworfen. „Das St. Mungos bildet ab dem Sommer einen Zaubertrankmeister aus." Erklärte Slughorn und Severus Gedanken rasten. Er fühlte sich überrumpelt, weil er schlichtweg nicht wusste was er wollte. „Wenn Sie möchten, stelle ich gerne den Kontakt her." Bot Slughorn an, schien jedoch Severus Unsicherheit zu bemerken, die er prompt falsch interpretierte. „Ihre Fähigkeiten in der Zaubertrank-Braukunst sind überragend. Mir fallen nicht viele geeignete Bewerber ein, die die Voraussetzungen für diese Ausbildung im St. Mungos erfüllen." Erklärte Slughorn in vertraulichem Tonfall, was unweigerlich die Frage in Severus aufwarf, ob er Lily die Stelle auch schon angeboten hatte. Mit Sicherheit war Severus nicht seine erste Wahl gewesen, was wiederum zu einer weiteren Frage führte: Warum hatte Lily die Stelle abgelehnt? Denn dass sie die Stelle abgelehnt hatte, war die einzige logische Schlussfolgerung für Severus. Oder hatte Slughorn ihr sie gar nicht angeboten? „Ich würde gerne darüber nachdenken." Sagte Severus schließlich und Slughorn nickte verständnisvoll. „Natürlich mein Guter. Aber Sie sollten sich bis zu meiner kleinen Weihnachtsfeier entschieden haben. Dort könnte ich Sie mit Prof. Dr. Chamberlain, dem Leiter des St. Mungos, bekannt machen." Sagte Slughorn und stand auf. „Es tut mir Leid, aber ich muss jetzt in den Unterricht. Eine Kerkerraum voll wissbegieriger Erstklässler wartet auf mich." Sagte er und begleitete Severus, der mittlerweile auch aufgestanden war, zur Tür. „Haben Sie heute Nachmittag auch noch Unterricht?" Fragte Slughorn neugierig und Severus nickte mechanisch. „Eine Doppelstunde Kräuterkunde." Antwortete er. „Schön, schön. Bekanntlich gibt es ja kaum etwas besseres zum Nachdenken als ein kühles Winterlüftchen." Erklärte Slughorn gut gelaunt und stieß die Tür vollständig auf, um Severus heraus zu lassen. „Oh einen Moment." Rief Slughorn aus, eilte zurück zu seinem Schreibtisch, holte eine Rolle Pergament und reichte sie Severus. „Die Einladung von der ich erzählte." Erklärte Slughorn und Severus nahm die Rolle entgegen. Sie verabschiedeten sich voneinander und Severus machte sich mit einem Kopf voller neuer Gedanken auf den Weg in die Gewächshäuser.
Lily blickte sich kurz um, bevor sie leise die Tür des Jungen Schlafsaals öffnete und lautlos hindurch schlüpfte. Vorsichtig schaute sie sich auch hier um, bis sie eine Gestalt in einem der Betten entdeckte. Leisen Schrittes ging sie durch den Raum und setzte sich vorsichtig an die Kante des Bettes. „Remus. Bist du wach?" Flüsterte sie und die Gestalt regte sich langsam. „Ja." Antwortete ihr eine raue Stimme. „Wie geht es dir?" Fragte Lily besorgt und beobachtete, wie Remus sich unter höchster Anstrengung und leisem Stöhnen aufsetzte. „Bleib liegen." Befahl sie sanft, aber Remus bewegte energisch den Kopf hin und her. „Ich habe genug gelegen." Beharrte er und zog sich seine Decke bis unter das Kinn. „Ist es sehr schlimm diesen Monat?" Fragte Lily und wartete geduldig bis Remus sich zu einer Antwort durchringen konnte. „Ja." Sagte er niedergeschlagen. „Der Vollmond vor der Wintersonnenwende ist immer der schlimmste." Erklärte er heiser und versuchte ein Lächeln zustande zu bringen. Lily blickte ihn traurig an. „Ich wünschte ich könnte dir helfen." Sagte sie leise. „Niemand kann einem Monster wie mir helfen, Lily." Antwortete er resigniert und starrte auf seine Bettdecke. „Das solltest du langsam wissen." Fügte er verbittert hinzu, und klang dabei etwas harscher, als er vermutlich beabsichtigt hatte, denn er sah sie jetzt mit traurigen Augen an. „Es tut mir Leid." Flüsterte er und senkte beschämt seinen Blick. Lily griff nach seiner Hand und drückte sie sanft. „Du musst dich nicht entschuldigen." Sagte sie lächelnd, aber er wehrte ab. „Doch. Das war nicht fair. Du willst nur helfen. Aber im Moment, ich weiß auch nicht..." Lily wartete schweigend, bis er weiter sprach. „Das Ende unserer Schulzeit rückt immer näher und ich..." Seine Stimme brach ab und Lily bemerkte die Tränen, die in seinen Augen schimmerten. Schnell streifte sie sich die Schuhe von den Füßen, krabbelte neben Remus an das Kopfende des Bettes und setzte sich dicht neben ihn. Fürsorglich legte sie ihren Arm um ihn und er schmiegte sich bereitwillig an ihre Schulter, um sich von ihr trösten zu lassen. „Schon gut." Flüsterte sie ihm beruhigend zu und gab ihm einen Kuss auf sein zerzaustes Haar. „Wir finden schon etwas für dich." Murmelte sie und konnte Remus Verzweiflung am eigenen Leib spüren, als sie seinen bebenden Körper hielt und ihn sanft hin und her wiegte, bis er sich irgendwann wieder beruhigt hatte. Sie wusste, dass er zu seinen körperlichen Beschwerden auch immer mehr unter schrecklichen Zukunftsängsten litt. Das Schuljahr war im Sommer zu Ende und die sicheren Mauern von Hogwarts wären dann nicht länger ihr Zuhause. Der einzige Ort an dem Remus nicht ständig das Gefühl hatte, bloß eine Gefahr darzustellen. Hier hatte er die heulende Hütte, in der er sich verkriechen konnte, den verbotenen Wald, in dem er sich unter Aufsicht seiner Animagi Freunde frei bewegen konnte, und vor allem hatte er Dumbledore, der ihm das Gefühl vermittelte, dass niemandem etwas geschehen konnte, so lange er ein Auge auf Remus hatte. Eine Weile saßen sie regungslos nebeneinander und beobachteten schweigend, wie die Sonne langsam am Horizont verschwand. Langsam wurde es für Remus Zeit sich auf den Weg in die heulende Hütte zu machen. Schweren Herzens verabschiedeten sie sich wenig später mit einer festen Umarmung voneinander und nicht zum ersten Mal war Lily erleichtert, dass James, Sirius und Peter ihm heute Nacht wieder beistehen würden, wenn sein ganz persönlicher Dämon ihn heimsuchen würde.
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Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und Licht
FanfictionDie Geschichte einer Liebe, die in einem Kampf zwischen Schatten und Licht ausgetragen wird. In einem stetigen Kampf zwischen den verschiedensten Gefühlen, Ängsten und Sorgen, müssen Lily und Severus Entscheidungen treffen, die ihr Leben für immer v...