Kapitel 121 - Ein schwerer Gang

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Wie zu erwarten lag Severus die gesamte Nacht wach und dachte darüber nach, was er als Nächstes tun musste. Denn egal wie er es drehte und wendete, Lily hatte Recht. Er musste sich Dumbledore anvertrauen. Wenn ihm überhaupt jemand helfen konnte, dann er. Vorausgesetzt, dass Dumbledore ihm überhaupt helfen wollte, dachte er beklommen und versuchte die Panik, die ihn augenblicklich erfasste zu unterdrücken. Im Endeffekt spielte es keine Rolle, ob Dumbledore ihm half, so lange er wenigstens dafür sorgen würde, dass Lily nichts geschah. Sie war unschuldig in die Schusslinie des dunklen Lords geraten und konnte nichts für die Fehler die er, Severus, begangen hatte. Die Erkenntnis, dass ihm alleine deswegen überhaupt keine andere Wahl blieb, als sich dem Schulleiter anzuvertrauen, traf Severus wie ein Schlag. Lilys Lachen kam ihm in den Sinn, der unvergleichliche Duft ihrer Haare, die leuchtend grünen Augen, die ihn glücklich und voller Lebensfreude anstrahlten. Der Gedanke daran, wie sehr er ihr Leben in Gefahr gebracht hatte, schnürte ihm die Kehle zu und er verspürte wieder diesen unbändigen Selbsthass, der ihm seit langer Zeit zu einem vertrauten Begleiter geworden war. Er musste handeln, und das so schnell wie möglich.

Lily sah sich mit einem aufgeregten Kribbeln in ihrem Bauch in der großen Halle um und hielt nach Severus Ausschau. Das Frühstück war gleich vorbei und er war immer noch wie vom Erdboden verschluckt. Sie sah zu Remus, der seelenruhig in sein Marmeladentoast biss und dabei im Tagespropheten las. Sie nahm einen Schluck Tee und überlegte, dass Severus vermutlich einfach noch schlief. Trotzdem verspürte sie eine gewisse Ungeduld, die gar nicht ihrer Natur entsprach, weil sie Severus so schnell wie möglich wieder bei sich haben wollte. Sie wollte jede Minute ihrer unbeschwerten Zeit auskosten, bevor die Ferien vorbei waren und der Schulalltag sie wieder einholen würde. Wenn sie überlegte, wie viel Zeit sie bereits verschwendet hatten, überkam sie eine leise Wehmut, die ihr all die verpassten Momente zuflüsterte. Dafür würden andere schöne Momente kommen, dachte sie entschlossen, auch wenn sie dabei die Angst unterdrücken musste, die unweigerlich in ihr Herz kroch, wenn ihr bewusst wurde, dass immer noch Du-weißt-schon-wer zwischen ihnen und ihrem Glück stand. Sie fühlte sich hilflos und hoffte inständig, dass sie irgendeinen Ausweg finden würden.

Mit einem beklemmenden Gefühl ging Severus direkt nachdem er aufgewacht war und sich angezogen hatte zu Slughorns Büro. Er musste zunächst den Hauslehrer der Slytherins aufsuchen, weil er nicht wusste wie er sonst zu Dumbledore gelangen sollte. Das Büro des Schulleiters war durch einen großen Wasserspeier gesichert, der nur mit dem richtigen Passwort den Weg zu Dumbledores Räumlichkeiten frei gab. Es behagte ihm nicht Slughorn um diesen Gefallen bitten zu müssen und er hoffte einfach, dass dieser ihm keine unangenehmen Fragen stellen würde, auf die er keine Antworten geben wollte.

Nervös blieb Severus vor der Tür zu Slughorns Büro stehen, hielt kurz inne und rang sich schließlich dazu durch beherzt an ihr zu klopfen. Das dumpfe Geräusch hallte laut im Kerkergang wider und Severus wartete unruhig auf eine Antwort, während er sich immer wieder umsah, als könne ihn jemand verfolgen. Hinter der Tür regte sich nichts. Er wartete noch einen Moment, klopfte erneut, und wartete wieder. Aber auch diesmal geschah nichts. Langsam kam ihm der Gedanke, dass Slughorn an einem Sonntag Morgen vermutlich Besseres zu tun hatte, als in seinem Büro zu sitzen und zu warten, dass ein Schüler etwas von ihm wollte. Severus widerstrebte es jedoch zu Slughorns privaten Räumlichkeiten zu gehen und dort nach ihm zu suchen. Er wollte vermeiden, dass Slughorn dadurch die Dringlichkeit von seinem Besuch bei Dumbledore erkannte und womöglich etwas hinein interpretierte, was zu nah an der Wahrheit lag. Slughorn war kein Idiot, auch wenn er sich mit seinem ganzen Gehabe um seinen albernen Club so verhielt. Unruhig trat Severus von einen Fuß auf den anderen und beschloss dann, direkt zum Büro des Schulleiters zu gehen und Slughorn gar nicht erst mit hineinzuziehen. Er sah seine beste Chance darin, Dumbledore irgendwann zufällig zu begegnen, wenn er sich nur lange genug in der Nähe seines Büros aufhielt, weswegen er sich direkt auf den Weg dorthin machte. Wie gewöhnlich nahm er die Abkürzung, die zufällig am Klassenraum für Zaubertränke vorbei führte und hielt noch einmal unauffällig Ausschau nach Slughorn, auch wenn er seinen neuen Plan mittlerweile bevorzugte. Mit einer seltsamen Mischung aus Erleichterung und Enttäuschung stellte er fest, dass sein Hauslehrer sich auch nicht in seinem Klassenraum aufhielt und er setzte seinen Gang fort. Einige Meter weiter kam Severus zu Slughorns Vorratskammer, in der er sämtliche Zutaten für seine Tränke lagerten, und ihm fiel auf, dass die Tür nicht richtig verschlossen war. Abrupt blieb er stehen und sah sich verstohlen um. Er vernahm gedämpfte Stimmen, die aus dem Raum drangen und er trat so nah wie möglich an die Tür heran, lehnte sich an die Wand, wo ein Schatten ihm ein wenig Schutz bot und versuchte angestrengt der Unterhaltung in dem kleinen Raum zu folgen. „Wenn ich es dir doch sage. Man verfolgt mich sogar bis hier nach Hogwarts." Das war Slughorns aufgebrachte Stimme, die mit ihren Worten ein leichtes Unbehagen in Severus auslöste. Slughorn hatte seine wenigen kläglichen Spionageversuche doch wohl kaum bemerken, geschweige denn als bedrohlich empfinden können, dachte er und überlegte zugleich, ob Slughorn tatsächlich seinetwegen so aus der Fassung geriet und was genau ihm Grund dazu gegeben haben könnte. „Wer, glaubst du, verfolgt dich?" Diese Frage kam von Dumbledore, dessen Stimme ruhig und sachlich klang. „Glaubst du, dass es dieselbe Person ist, die dir bereits in den Sommerferien aufgelauert hat?", fragte Dumbledore und Severus Gedanken begangen sich zu überschlagen. Slughorn konnte definitiv nicht ihn meinen, denn er hatte in den Ferien Niemandem aufgelauert. Hatte der dunkle Lord noch jemanden auf Slughorn angesetzt? Aber was zum Merlin wollte er bloß von diesem exzentrischen alten Mann? „In den Ferien waren es definitiv Todesser, Albus.", antwortete Slughorn müde und es trat eine kurze Stille ein. „Es ist ausgeschlossen, dass ein oder gar mehrere Todesser auf das Schlossgelände gelangen. Und das auch noch unbemerkt.", erwiderte Dumbledore nachdenklich und es trat erneut eine kurze Stille ein. „Wir wissen beide, was das bedeutet, Albus.", sagte Slughorn leise. „Ja.", antwortete Dumbledore. „Aber welcher Schüler wäre dazu in der Lage? Glaubst du es war jemand aus deinem Haus?", hörte er Dumbledore fragen und Severus drückte sich bei dessen Worten unwillkürlich noch ein wenig fester an die Wand. „Wieso muss es einer meiner Slytherins gewesen sein?", fragte Slughorn spitz und Severus hörte den Schulleiter leise seufzen. „Das habe ich nicht gesagt.", sagte Dumbledore in einem Tonfall, der keinen Zweifel daran ließ, dass er sich nicht auf solch eine Diskussion einlassen würde. „Was glaubst du hat derjenige in deinem Büro gesucht?", fragte Dumbledore stattdessen und der Zaubertrankmeister schien einen Moment zu überlegen. „Ich kann es dir nicht sagen. Soweit ich es bis jetzt beurteilen kann, fehlt nichts." Wieder trat eine Stille ein, in der Severus jeden einzelnen seiner Herzschläge so laut pochen hören konnte, dass er fast befürchtete, dass die beiden Männer in dem kleinen Raum sie hören könnten. „Ich werde der Sache nachgehen.", erklärte Dumbledore ernst und Severus bemerkte wie die Tür langsam aufgezogen wurde. In wenigen Sekunden würde einer der beiden aus dem Raum kommen und ihn hier entdecken. Ohne darüber nachzudenken trat Severus aus dem Schatten und tat, als hatte er gerade seine Hand erhoben um an der Tür zu klopfen. „Mister Snape.", sagte Dumbledore überrascht und sah ihm direkt in die Augen. „Professor Dumbledore.", brachte Severus in einem einigermaßen überraschtem Tonfall hervor. Slughorn trat an die Tür und begrüßte ihn ebenfalls. „Wollten Sie zu mir, mein Guter?", fragte sein Hauslehrer zwar freundlich, aber doch mit einer Spur Misstrauen in der Stimme, die Severus keinesfalls entging. „Ja.", antwortete Severus. „Also nein. Ich wollte zu Ihnen weil ich..." er stockte und die beiden Männer sahen ihn abwartend an. „Ja?", fragte Slughorn erwartungsvoll. „Ich wollte zu Ihnen, weil ich dringend mit Professor Dumbledore sprechen muss.", sagte Severus und sah zu Dumbledore, der überrascht die Augenbrauen hob. „Zu mir.", sagte er, wobei es nicht wie eine Frage, sondern viel mehr wie eine Feststellung klang. „Allein.", fügte Severus verlegen hinzu und erwartete zumindest eine Frage nach dem Grund. Aber Dumbledore schien nichts ungewöhnliches daran zu finden, dass ein Schüler an einem Wochenende in den Ferien mit dem Schulleiter unter vier Augen sprechen wollte. „Dann unterhalten wir uns wohl besser in meinem Büro weiter.", sagte er bloß, bevor er Slughorn noch einen kurzen Blick zuwarf und sich mit Severus auf den Weg nach oben machte.

Severus fühlte sich schrecklich, während sie die scheinbar endlosen Gänge hinauf in das Schulleiterbüro liefen. Dumbledore plauderte unbekümmert über alle möglichen Dinge mit ihm, aber er hörte kaum zu. In seinem Kopf legte er sich bereits die Worte zurecht, mit denen er dem Schulleiter erklären wollte, warum er ihn so dringend hatte sprechen wollen. Ob Dumbledore danach jemals wieder so unbefangen mit ihm reden würde wie jetzt? Fragte er sich unwillkürlich und er fühlte eine tiefe Beklommenheit, die sich wie ein schwerer Stein auf seine Brust legte und ihn mit der Last seines Geheimnisses, das zusätzlich noch auf seinen Schultern lag, fast zu erdrücken drohte. Jeder Schritt fiel ihm schwer und mit jedem Schritt stieg auch die Aufregung weiter an, die langsam ihren Höhepunkt erreicht haben musste. Wie viel Aufregung konnte ein menschliches Herz wohl ertragen, bevor es zersplitterte? Vermutlich genauso viel wie es an Schmerz ertragen konnte, dachte er verbittert, als Dumbledore gerade die Tür zu seinem Büro öffnete und ihn bat, Platz zu nehmen. Zum ersten Mal kam Severus der schreckliche Gedanke, dass Dumbledore ihn von der Schule verweisen könnte, wenn er erfuhr was er getan hatte. Zu seiner aufgeregten Unruhe mischte sich nun auch noch die ungezähmte Angst sein Zuhause zu verlieren und er musste seine ganze Kraft aufbringen, ruhig auf dem angebotenen Stuhl vor Dumbledores Schreibtisch Platz zu nehmen. Auch Dumbledore setzte sich und Severus wusste, dass der Augenblick der Wahrheit gekommen war. Angespannt presste er seine Handflächen flach auf seine Oberschenkel, damit der Schulleiter das Zittern seiner Hände nicht bemerkte, und auch ein wenig um sich selbst zu beruhigen. Severus atmete tief ein, bevor er in Dumbledores fragendes Gesicht blickte und zu erzählen begann.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt