„Was ist passiert?", fragte Severus besorgt, als er Lilys angespanntes Gesicht sah, das durch dunkle Schatten unter den Augen gezeichnet war. Er saß auf dem Boden des Glockenturms und hatte gerade nach draußen über das Schlossgelände gesehen, bevor er ihre Schritte gehört und sich nach ihr umgedreht hatte. Schwerfällig ließ sie sich neben ihn auf den Boden sinken und lehnte ihren Kopf an seine Schulter. „Ich habe eine ziemlich schlaflose Nacht hinter mir.", sagte sie leise und er legte den Arm um sie. „James Vater ist letzte Nacht an den Drachenpocken gestorben. Und um seine Mutter steht es auch sehr schlecht.", erklärte sie und er hörte deutlich die Trauer in ihren Worten mitschwingen. Ihre Stimme klang heiser, als hätte sie geweint und als er ihr in die Augen sah bemerkte er, dass diese tatsächlich gerötet waren. Sein Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen und er wusste nicht, was er erwidern sollte. Wieso bei Merlins Namen trauerte sie um die Eltern von diesem Idioten? Sie kannte diese Menschen doch noch nicht einmal. Oder doch? Wieder durchzuckte ihn ein allzu bekannter Schmerz und er dachte an die Beerdigung der Prewetts, zu der Lily damals gemeinsam mit Potter gereist war und auf der sie sich sogar ein Gästezimmer mit ihm geteilt hatte. Er presste seine Kiefer aufeinander und richtete seinen Blick wieder auf die Weiten der Highlands, ganz so, als hätten seine Gedanken auf diese Weise mehr Platz um sich zu verstreuen. „Das tut mir Leid.", presste er mühsam hervor und mied dabei ihren Blick. Aus seinem Augenwinkel beobachtete er, wie Lily sich mit ihrem Ärmel durch das Gesicht fuhr, um die Tränen, die über ihre Wange gerollt waren, weg zu wischen. In ihm tobte ein innerer Kampf von Eifersucht und Mitgefühl und er versuchte die dunklen Gedanken zu verdrängen, die unwillkürlich in ihm aufstiegen. Ihn persönlich interessierte das Schicksal der Potters herzlich wenig, aber Lily war es wichtig, und sie war unglücklich, weshalb seine Stimmung ebenfalls getrübt war. Aber was erwartete Lily wohl jetzt von ihm? Sollte er Mitleid mit Potter haben? Das würde ihm schwerfallen, denn immerhin hatte dieser bis jetzt liebende Eltern gehabt und würde von nun an wohl auch alleine zurecht kommen. Das Vermögen, das er erben würde, war vermutlich so beträchtlich, dass er sich nie wieder Gedanken um so etwas banales wie Geld machen musste, dachte Severus und unterdrückte ein verächtliches Schnaufen. Ein anderer Gedanke traf ihn wie ein Blitz und ließ seinen Magen erneut schmerzhaft zusammen krampfen. Würde Lily ihn wohl jetzt für Potter verlassen, weil dieser ihr ein unbeschwertes Leben bieten konnte? Sein Herz wurde ihm unerträglich schwer, während er Lily immer noch fest in seiner Umarmung hielt. Er spürte die Wärme ihres Körpers an seinem und ihre Haare kitzelten ihn sanft am Kinn. Wie konnte diese wundervolle Frau bloß Trost bei jemandem wie ihm finden? Als hätte Lily seine Gedanken gelesen und sein Hadern gespürt, sah sie auf, legte ihre kühle Hand auf seine Wange und küsste ihn. Er verlor sich in den zärtlichen Berührungen und erwiderte ihren Kuss voller Leidenschaft, während er seine Hände in ihren Haaren vergrub. All seine Empfindungen und Gefühle legten sich in diesen Kuss, schalteten sein Denken für einen wohltuenden Moment aus und erfüllten ihn mit einer Woge des Glücks.
Lily zog Severus näher an sich heran. Sie konnte die Verzweiflung in seinem Kuss schmecken, wusste jedoch nicht genau woher diese rührte. Seit Wochen war er irgendwie abweisend und oft launisch. Auch wenn er seine Launen niemals an ihr ausließ, spürte sie, dass er mit etwas zu kämpfen hatte. Zunächst hatte sie gedacht, dass ihn die Ereignisse in Hogsmeade mehr mitgenommen hatten, als er zugab, aber es schien noch irgendetwas anderes in ihm vorzugehen und es verletzte sie, dass er sie nicht an seinem Kampf teilhaben ließ. Jedoch vergaß sie diese unguten Gefühle zumindest für diesen Augenblick und sie ließ sich einfach von dem Kribbeln in ihrem Bauch leiten. Sie wollte bei ihm sein, und er offenbar bei ihr. Langsam löste sie sich von seinen Lippen, sah in seine schwarzen Augen und legte sanft ihre Hand auf seine Brust. Genau an die Stelle, an der sein Herz wie wild klopfte und ihr zeigte, dass er das gleiche wie sie empfand. Unsicher blickte er sie an und öffnete seinen Mund, um etwas zu sagen. Sie wollte nicht, dass dieser Moment durch Worte seinen Zauber verlor, weshalb sie ihn an sich heranzog und ihre Lippen wieder auf seine legte. Severus hielt überrascht inne, bevor er sich wieder von der Energie zwischen ihnen verführen ließ und Lilys Kuss erwiderte. Leise seufzend schwang sie ein Bein über seine ausgestreckten Beine und zog sich auf seinen Schoß. Sie saß so auf ihm, dass er zu ihr hinaufsehen musste, und strich ihm in einer liebevollen Geste eine Strähne seines langes Haares aus dem Gesicht. Seine Hände fuhren vorsichtig über ihren Rücken und sie schmiegte sich noch enger an ihn. Sie sahen sich tief in die Augen, verloren sich in denen des anderen und gemeinsam in der Zeit.
Wieder berührten sich ihre Lippen und wieder hatte Lily das Gefühl zu schweben. Sie konnte Severus Wärme ganz deutlich spüren und ihr wurde fast schwindelig bei dem Gedanken, wie nah sie ihm war. Sie waren allein, weit weg von allen Problemen und Sorgen und sie fühlte sich frei. Ihr Herz klopfte wie wild und sie streichelte mit einer Hand über Severus Hals, während die andere sanft seinen Oberkörper hinab strich. Severus stöhnte leise, fasste sie an der Hüfte und schob sie sanft von sich herunter. „Lily.", keuchte er und sie blickte ihm irritiert entgegen, als sie genau in diesem Moment Schritte hörten. Erschrocken sahen sie in die Richtung aus der sie gekommen waren und Lily glaubte ihren Augen nicht zu trauen. „Was macht ihr hier?", fragte sie verwirrt an die vier jungen Männer gewandt, von denen einer äußerst griesgrämig dreinschaute, einer sich voller Staunen umsah und zwei sich betreten im Schatten der Ersteren herumdrückten. „Hey Lil, was für eine Aussicht.", sagte Sirius bewundernd und ging auf das große Fenster zu. „Es ist wohl nicht verboten hier zu sein.", antwortete James auf Lilys Frage und sah angesäuert zu Severus, welcher wütend zurück starrte, bevor er weiter sprach. „Ihr seid schließlich auch hier. Und dann noch so..." James stockte. „Allein."
Severus war erleichtert und wütend zugleich. Er wollte Lily nah sein. Er wollte ihr noch näher sein, aber er hatte Angst. Nicht nur vor der Nähe an sich und wegen seiner Unwissenheit darüber, was er tun sollte, wenn sie weiter gehen würden. Sondern vor allem, weil Lily auf gar keinen Fall seinen Arm sehen durfte, was auf Dauer vermutlich unvermeidlich sein würde. Aber wollte sie überhaupt mehr als die Küsse und zarten Berührungen, oder missdeutete er ihre Leidenschaft? War das alles mehr eine verrückte Wunschvorstellung seinerseits? Ständig verfolgten ihn diese Gedanken. Diese Gedanken an Lily, wie sie in seinen Armen lag. Ihr lustvolles Seufzen in seinem Ohr. Aber immer wieder verdrängte er diese Bilder in seinem Kopf mit aller Macht und ließ sie nicht zu, weil er sich schämte. Wie kam er nur auf den Gedanken, dass Lily so etwas mit ihm tun wollte? Und was sollte er tun, wenn sie es doch wollte? Sollte er sie wie gerade einfach beiseite schieben? Wer hätte gedacht, dass er einmal so etwas wie Dankbarkeit für Potter empfinden würde, und dann noch dafür, dass er Lily und ihn in so einem intimen Moment gestört hatte. Durch Potters plötzliches Hereinplatzen hatte es ausgesehen, als hätte Severus die Schritte schon vorher gehört und Lily nur deswegen von sich geschoben. Lily holte ihn in die Gegenwart zurück, in dem sie ihn energisch am Arm packte. Sie war bereits aufgestanden und verschränkte jetzt wütend die Arme vor der Brust. „Was soll das?", fragte sie Potter und blickte zu Lupin, der nur schuldbewusst die Schultern zuckte. „Es ist wohl kaum ein Zufall, dass ihr uns hier oben gefunden habt, oder?", fragte sie jetzt wieder an Potter gewandt und deutete mit einer Kopfbewegung zu dessen Umhängetasche. Was meinte Lily damit? Verwundert betrachtete Severus, der mittlerweile ebenfalls aufgestanden war, wie Lily und Potter sich direkt gegenüber standen und wütend anstarrten. Severus runzelte fragend die Stirn, sagte jedoch nichts. Auch Lily schien nichts mehr sagen zu wollen, denn sie drehte sich zu Severus und lächelte gezwungen. „Sollen wir gehen?" Severus nickte stumm und legte seine Hand auf ihren Rücken, als sie hoch erhobenen Hauptes an ihm vorbei in Richtung Ausgang ging. „Ja. Das ist wohl besser.", sagte er und sie verließen gemeinsam den Turm. „Diese Idioten.", fluchte Lily, während sie die schmale Wendeltreppe nach unten stiegen.
Sie ärgerte sich darüber, dass James sie offenbar über die Karte des Rumtreibers ausfindig gemacht hatte. Auch wenn er ihr wegen seiner Eltern Leid tat, war das kein Grund ihr nachzuspüren. Es machte sie rasend, dass er ihren Trost gestern offenbar wieder missverstanden hatte und nun zu glauben schien, dass er das Recht hatte in ihre Privatsphäre einzugreifen. Wieso konnte er sie und Severus nicht einfach in Ruhe lassen? Hier oben war einer der wenigen Orte, an denen sie Zeit allein und ohne die neugierigen Blicke der anderen verbringen konnten. Am Fuße der Treppe blieb sie stehen und drehte sich nach Severus um, der dicht hinter ihr geblieben war und ebenfalls angehalten hatte. Er lächelte und strich sanft mit seinem Daumen über die kleine Zornesfalte, die sich zwischen ihren hübsch geschwungenen Augenbrauen gebildet hatte. Sie lachte unwillkürlich über diese Geste und schlang ihre Arme um seinen Körper. Er zog sie an sich und drückte ihr einen Kuss auf den Scheitel. „Wir finden schon einen neuen Ort, an dem diese Trottel uns nicht finden.", murmelte er in ihr Haar und Lily nickte bloß, weil sie im Gegensatz zu ihm wusste, dass die Rumtreiber sie überall im Schloss finden würden, wenn sie nur wollten.
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Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und Licht
FanfictionDie Geschichte einer Liebe, die in einem Kampf zwischen Schatten und Licht ausgetragen wird. In einem stetigen Kampf zwischen den verschiedensten Gefühlen, Ängsten und Sorgen, müssen Lily und Severus Entscheidungen treffen, die ihr Leben für immer v...