Kapitel 131 - Kein Entkommen

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Severus blickte in Dumbledores unergründliche Miene und verspürte auf einmal den absurden Drang, sich seine Ohren zuzuhalten. Wie ein kleines Kind, das nicht hören wollte, was ihm nicht gefiel und glaubte, das Problem auf diese Art lösen zu können. Aber Severus wusste, dass er diesem Gespräch nicht entkommen konnte, egal was er auch tat. Deshalb ergab er sich stoisch seinem Schicksal, saß einfach ruhig da und wartete, bis Dumbledore weiter sprach. „Severus, Sie haben mir erzählt, dass sie Okklumentik beherrschen. Dürfte ich fragen, wie ausgereift Ihre Fähigkeiten sind?", fragte Dumbledore schließlich und Severus runzelte nachdenklich die Stirn. Was sollte er antworten? Er hatte das meiste bloß in der Theorie gelernt. „Würden Sie sich zutrauen, Voldemort Informationen zukommen zu lassen, die Sie von mir erhalten, aber die Sie vorgeblich von Miss Evans bekommen haben?", fragte Dumbledore ernst und musterte Severus forschend. Dieser schüttelte unsicher den Kopf. „Ich weiß nicht, Sir.", antwortete er wahrheitsgemäß und wippte nervös mit seinem Bein auf und ab. „Aber ich denke schon", fügte er hoffnungsvoller hinzu, als er sich fühlte. „Wenn unser Plan funktionieren soll, ist das sehr wichtig. Am besten wäre es, wenn Sie es Voldemort so glaubhaft vortragen, dass er keine Bestätigung durch Ihre entsprechende Erinnerung benötigt.", sagte Dumbledore eindringlich, woraufhin ein kurzes Schweigen in dem großen Büro eintrat. „Und wenn er es mir nicht glaubt?", fragte Severus leise und blickte zu Dumbledore, der seine Stirn besorgt in Falten gelegt hatte. „Das wäre sehr schlecht.", sagte er und Severus verlor mit diesen paar Worten fast seinen gesamten Mut.

Lily saß im Gemeinschaftsraum und las in einem Buch, als Remus durch das Porträtloch hineingeklettert kam. „Gehst du nicht mit den anderen nach Hogsmeade?", fragte sie verwundert, während Remus sich neben ihr auf das Sofa fallen ließ. „Mhm, nein. Ich habe heute keine richtige Lust dazu.", sagte er leichthin und zog ebenfalls ein Buch hervor. Lily betrachtete ihn beim Lesen und musste lächeln. Sie wusste, dass er ihretwegen hier geblieben war. Ihr Verhältnis zu Amber war immer noch mehr als angespannt, weshalb sie nicht mit den anderen hatte mitgehen wollen. Da sie sowieso noch einiges an Schulstoff abarbeiten wollte, hatte sie letztendlich beschlossen im Schloss zu bleiben. Auch Severus hatte zunächst hier bleiben wollen, hatte sich dann aber doch noch spontan dazu entschieden kurz für ein paar Erledigungen ins Dorf zu gehen. Er würde später in der Bibliothek zu ihr stoßen, wo sie sich verabredet hatten.

Severus zog sich seine Kapuze tief in das Gesicht, bevor er sich vorsichtig umsah und dann in die Seitengasse neben den Eberkopf trat. Genau in dem Moment, als der Schatten der Gemäuer ihn verschluckte, tauchte mit dem vertrauten Geräusch eine ebenfalls komplett in schwarz gehüllte Gestalt auf, sah ihn kurz an, griff dann nach seinem Arm und disapparierte mit ihm. „Hoffentlich hat dieses Babysitten hier bald ein Ende.", knurrte Malfoy, sobald sie appariert waren und lief mit großen Schritten voran.
Verwirrt sah Severus sich um. Sie waren nicht wie üblich vor dem großen Anwesen mit dem heruntergekommenen Herrenhaus gelandet, sondern auf einer Art Lichtung. „Komm schon.", flüsterte Malfoy ungeduldig und Severus löste sich aus seiner überraschten Starre, um ihm eilig zu folgen. Während sie einen schmalen Pfad durch einen dicht bewachsenen Wald liefen, ging Severus in Gedanken zum hundertsten Mal das Gespräch mit Lily durch, das vollständig seiner bloßen Vorstellung entsprang, und er war sich mittlerweile sicher, alles genau so darstellen zu können, wie Dumbledore es ihm aufgetragen hatte. Er hatte nächtelang wach gelegen, um die Unterhaltung mit Lily lebhaft in seinen Gedanken zu konstruieren und hatte dies mit so einer Penetranz getan, dass er fast selbst glaubte, dass dieses Gespräch stattgefunden hatte. Trotzdem war er nervös und hoffte, dass der dunkle Lord in seinen Gedanken direkt das finden würde, wonach er suchte, ohne über etwas zu stolpern, das nicht für dessen Augen gedacht war. Nur geübte Legilimentiker konnten den Verstand des Gegenübers gezielt nach Erinnerungen durchsuchen, und Voldemort war zweifellos ein Meister in dieser Kunst des Gedankenlesens. Diese Erkenntnis brachte ihm eine Art Zuversicht, bevor sie wieder einer erdrückenden Angst Platz machte und ihn die Gegenwart zurück holte. Wieso waren sie in diesem Wald? Was wollten sie hier? Noch bevor er ernsthaft darüber nachdenken konnte, waren sie an einer größeren Lichtung angekommen, wo er bereits die große, schlanke Gestalt von Voldemort ausmachen konnte. Seine riesige Schlange glitt neben ihm über den Boden und züngelte leise, aber bedrohlich, als Malfoy und er näher kamen. „Aah, Lucius. Severus. Ihr seid pünktlich.", begrüßte Voldemort sie und bleckte seine spitzen Zähne. „Ja, mein Lord.", antwortete Lucius tonlos. „Gut.", flüsterte Voldemort zufrieden und mehr zu sich selbst als zu seinen Besuchern. „Severus, was hast du mir zu berichten mein treuer Diener?", fragte Voldemort ohne Umschweife und Severus versuchte den Kloß in seiner Kehle hinunter zu schlucken. „Sir, mein Lord. Tatsächlich gibt es einiges zu berichten. Nicht nur über Slughorn. Ich bin an Informationen gelangt, die zwar Dumbledore betreffen, Euch aber nicht minder interessieren werden.", sagte Severus ruhig und sah die Begierde in Voldemorts roten Augen aufflammen. „Dumbledore?", fragte er interessiert und ging einen Schritt auf Severus zu. Die Schlange, die langsam begann ihn einzukreisen, zischte laut und Severus musste all seine Kraft zusammen nehmen nicht zurück zu schrecken. Angestrengt biss er die Kiefer aufeinander und nickte stumm. „Nun, wir können gespannt sein.", sagte Voldemort an seine Schlange gewandt, die als Antwort mehrere aufgeregte Zischgeräusche verlauten ließ, während sie Severus mit ihren großen gelben Augen musterte, als wäre er in diesem Moment ihre bevorzugte Beute. „Du wirst dich gedulden müssen, meine Liebe. Das kommt ganz darauf an, was Severus uns zu berichten hat.", antwortete Voldemort seiner Schlange und Severus lief ein eiskalter Schauer über den Rücken. Seine Hände wurden feucht und er bemühte sich seine Atmung so ruhig wie möglich zu halten, um keinen der Anwesenden seine Angst spüren zu lassen. Die Schlange schien diese jedoch zu riechen, denn sie zog immer engere Kreise um ihn und wandte ihren Blick nicht von ihm ab. „Nun Severus. Ich denke, dass wir uns alle über deine Schilderungen freuen würden.", sagte Voldemort und riss Severus damit aus seiner Erstarrung. „Natürlich, mein Lord.", sagte Severus hastig. „Beginn mit deinem Bericht über Slughorn.", befahl Voldemort und Severus hatte das Gefühl, dass sein vor Aufregung rasendes Herz gleich aus seiner Brust springen würde, wenn es nur noch ein wenig heftiger schlüge. „Sir, kurz nach Weihnachten ist jemand in Slughorns Büro eingebrochen. Das merkwürdige daran war, dass nichts gestohlen wurde. Derjenige scheint dort etwas bestimmtes gesucht zu haben.", erklärte Severus, aber Voldemort schien keineswegs überrascht zu sein. „Woher weißt du das?", fragte Voldemort bloß und jeder Muskel in Severus Körper spannte sich an, um sich auf die folgenden, sorgsam zurechtgelegten Worte vorzubereiten. „Von dem Schlammblut Evans, mein Lord.", sagte Severus, woraufhin Voldemort schlagartig seine Augen zu schmalen Schlitzen verengte. „Ich dachte ich hätte mich klar ausgedrückt, Severus.", sagte Voldemort, wobei Severus Name aus seinem Mund wie ein bedrohliches Zischen klang. Severus blieb ruhig und deutete eine leichte Verbeugung an. „Ja, mein Lord. Das habt Ihr, unmissverständlich." Voldemort kam ein kleines Stück näher, legte den Kopf schief und betrachtete ihn mit einem Blick, der Severus unweigerlich an den seiner Schlange erinnerte. „Darf ich fragen, wieso du dich trotz meiner Anweisungen weiterhin mit einer Hexe unreinen Blutes abgibst?", fragte Voldemort anklagend und mit eisiger Stimme. Severus schluckte. „Mein Lord, ich wollte keineswegs Euren Anweisungen zuwider handeln. Allerdings hat...", er stockte fast unmerklich, fuhr aber schnell fort, damit sein Stocken nicht als Widerwillen, sondern als Abneigung gedeutete werden konnte. „... dieses dreckige Schlammblutmädchen eine Verbindung zu Dumbledore, die von Interesse für Euch und unseren Zweck sein könnte.", erklärte Severus und Voldemort bleckte wieder seine gelben Zähne zu einem schaurigen Grinsen. „Eine Verbindung zu Dumbledore.", wiederholte Voldemort nachdenklich und bedeutet Severus mit einer ungeduldigen Geste seiner Hand fortzufahren. „Mein Lord, Dumbledore hat eine Vereinigung gegründet, die gegen uns kämpft." Voldemorts Augen weiteten sich. „Der Orden des Phönix.", spie er aus, als wäre er zutiefst angeekelt diese Worte aussprechen zu müssen. „Ja mein Lord. Das Schlammblut ist ein Mitglied dieses Ordens und plaudert bereitwillig interne Informationen aus, weil sie mir blind vertraut.", erklärte Severus so höhnisch wie möglich und Voldemort musterte ihn einen Moment eindringlich. „Ich verstehe.", sagte Voldemort gedankenverloren und beobachtete einen Moment die große Schlange, die immer noch um Severus herum glitt. Malfoy stand hinter Severus, weshalb er dessen Gesicht nicht sehen konnte, aber die Anspannung die in diesem Moment auf der Lichtung herrschte, war fast mit Händen zu greifen. „Welche Informationen hast du von ihr?", fragte Voldemort schließlich und blickte ihm wieder unvermittelt ins Gesicht. „Die Information über den Einbruch stammt von ihr. Außerdem hat sie berichtet, dass Slughorn das Gefühl hat, von jemanden verfolgt zu werden. Bereits in den Sommerferien sollen ihm welche Eurer Todesser nachgestellt haben. Jedoch macht Dumbledore sich Sorgen.", berichtete Severus und legte eine kurze Pause ein. „Er sorgt sich, weil er denkt, dass Ihr es geschafft habt Eure Todesser nach Hogwarts zu schleusen. Dieser alte Narr geht nicht davon aus, dass ein Schüler für Euch arbeiten könnte.", sagte Severus verächtlich und Voldemort grinste triumphierend. „Tatsächlich ist Dumbledore ein alter Narr. Seine Vertrauensseligkeit ist schon immer eine seiner größten Schwächen gewesen. Aber das ist gut für uns, Severus. Sehr gut sogar. Es ist gut, dass er Angst hat und nicht weiß, wie wir jemanden von seinen Leuten in Hogwarts verfolgen können. Er ist zu arrogant zu glauben, dass jemand das Schloss noch besser kennen könnte, als er selbst, geschweige denn, dass jemand in der Lage wäre, seine Schutzzauber durchbrechen zu können.", sagte Voldemort und gab ein eisiges Lachen von sich, das Severus bis ins Mark kroch und ihm eine Gänsehaut verursachte. „Das sind in der Tat wunderbare Neuigkeiten, mein treuer Diener.", fügte Voldemort hinzu und klatschte begeistert in die Hände. Dann ging er auf Severus zu und blickte ihm in die schwarzen Augen. „Vielleicht ist deine Verbindung zu dieser unreinen Hexe tatsächlich ganz nützlich.", begann er und Severus atmete innerlich auf. „Meinst du, dass du ihr Vertrauen weiterhin erhalten kannst?", fragte Voldemort und Severus nickte stumm. „Sie ist mir hörig, mein Lord. Seit Jahren rennt sie mir hinterher und lässt nicht locker. Ich habe alles versucht sie loszuwerden, aber als dieses kleine dumme Plappermaul mir von diesem Orden erzählte, habe ich meine Chance genutzt. Vermutlich wollte sie mich damit beeindrucken.", erklärte Severus und lachte verächtlich. Gleichzeitig schämte er sich für diese schamlose Lüge und diese herablassende Beschreibung von Lily, die in keiner Weise auf sie zutraf. Aber er verdrängte den Gedanken und versuchte so viel Hohn und Abscheu wie möglich in seine Worte zu legen und diese Gefühle ebenfalls in seinen Gesichtszügen zu spiegeln. Einen kurzen Moment hielt er den Atem an, während er auf Voldemorts Reaktion wartete, der ihn einfach nur anstarrte. Dann lachte Voldemort wieder und erneut überfiel Severus ein eisiger Schauer. „Ich muss gestehen, dass ich beeindruckt bin von deiner Loyalität. Aber erlaube mir, dass ich dich einer kleinen Prüfung unterziehe, bevor wir den nächsten Schritt gehen.", sagte Voldemort bedächtig und drang ohne Vorwarnung in Severus Gedanken ein. Severus war trotzdem vorbereitet und lenkte seine gesamte Kraft auf die Erinnerungen, die er preisgeben wollte. Die Erinnerungen an Lily, die ihn verliebt anblickte, gepaart mit den Gefühlen von Abscheu und Hass, die allerdings seine jetzigen Gefühle und nicht die für Lily widerspiegelten. Dann das erfundene Gespräch in dem Lily ihm unter dem Mantel der Verschwiegenheit die Informationen aus dem Orden verriet. Es funktionierte. Es funktionierte tatsächlich, dachte Severus aufgeregt im verborgenen, und ein unglaubliches Glücksgefühl durchströmte ihn gegen seinen Willen und erfüllte ihn unmittelbar mit Schrecken, den er schnell zu verdrängen versuchte. Aber Voldemort war schon wieder aus seinem Kopf verschwunden. „Ich habe das Glück in dir gespürt.", begann Voldemort und Severus Blut gefror in seinen Adern. Jetzt war er verloren. Voldemort hatte die Täuschung bemerkt. Seine leichtsinnige Erleichterung hatte ihn verraten. „Das Glück über die Informationen, die du deinem Lord überbringen kannst.", fügte Voldemort mit einem zufriedenen Grinsen hinzu und wandte sich an seine Schlange. „Nagini, meine Teuerste. Ich fürchte du wirst dich fürs erste gedulden müssen.", sagte er fast bedauernd. Die Schlange zischte wütend und zog sich langsam von Severus zurück. Dieser atmete langsam und gleichmäßig ein und aus, um die Fassung zu bewahren und sah Voldemort direkt in die Augen, als dieser ihn wieder ansprach. „Heute ist es soweit, Severus.", sagte Voldemort und Severus Puls begann zu rasen. Voldemort betrachtete ihn einen Moment prüfend, dann legte er den Kopf in den Nacken, schloss die Augen und streckte seine Arme aus, während er einige unverständliche Worte murmelte.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt