Kapitel 61 - Der Kampf gegen die Angst

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Lilys Genesung schritt schnell voran. Bereits zwei Tage nachdem sie aus dem Krankenflügel entlassen wurde, fühlte sie sich zumindest körperlich wieder vollkommen gesund. Das einzige was blieb war die Angst, die zu ihrem ständigen Begleiter geworden war. Nachts wachte sie oft auf weil sie von düsteren Alpträumen geplagt wurde und nicht mehr zurück in den Schlaf fand. Sobald sie ihre Augen schloss, hörte sie die Stimmen des Überfalls und das Wort „Schlammblutmädchen" hallte ihr in den Ohren, während sie die Angst des Erstickens immer und immer wieder in ihren Träumen durchlebte. Tagsüber ergriff sie oft plötzlich und unerwartet eine tiefe Panik, die sie in diesen Momenten zu übermannen drohte. Sie brach in Schweiß aus und ihr Herz fing unangenehm an zu rasen. Das machte sie hilflos und wütend zugleich. Sie wollte nicht, dass ihr Leben durch diesen Vorfall überschattet wurde und sie kämpfte jeden Tag dafür, dass endlich wieder Normalität in ihren Alltag einkehrte. Sie versuchte gegen die Panik anzukämpfen, versuchte die Dunkelheit, die immer wieder Besitz von ihr ergriff zu vertreiben, aber es kostete sie all ihre Kraft. Nachts, wenn sie wach lag dachte sie oft an Severus. Er hatte ihr einmal ganz ähnliche Gefühle beschrieben, die sie jetzt so oft selbst empfand. Zum ersten Mal verstand sie was es bedeutete, sich hilflos zu fühlen weil ein anderer Mensch durch einsetzen von Gewalt die Macht über einen übernommen hatte. Und was man auch tat, man erlangte sie einfach nicht zurück. Lily war sich sicher, dass Severus der einzige Mensch auf dieser Welt war, der sie verstehen würde. Denn er hatte oft Gewalt erlebt und wusste, an welchem finsteren Ort sie sich momentan befand. Vielleicht hätte er sie aus der Dunkelheit herausführen können, aber seit dem Überfall ging er ihr noch mehr als vorher aus dem Weg und sie hatte ihn immer nur im Unterricht gesehen. Offenbar hielt er sich von ihr fern und es schmerzte sie, weil sie den Grund dafür nicht verstand. Severus hatte ihr Leben gerettet, hatte die ganze Nacht an ihrem Bett gewacht und jetzt tat er so, als würde sie noch nicht einmal existieren. Stundenlang zermarterte sie sich den Kopf, ob sie ihn ansprechen sollte, verwarf den Gedanken jedoch immer wieder weil die Angst zu groß war. Angst sich zu überwinden ihm von ihren Ängsten zu berichten und dann doch zurück gewiesen zu werden. Er machte mit seinem Verhalten deutlich, dass sie getrennte Wege gingen und sich daran auch nichts ändern würde. Es musste einen anderen Weg geben, sie musste ihr Leben alleine wieder in die richtigen Bahnen lenken, sich selbst aus ihren Ängsten befreien. Sie durfte nicht zulassen, dass die Menschen die ihr das angetan hatten weiter über ihr Leben bestimmten und sie fasste sich ein Herz. Siehst von ihrem Buch auf, holte tief Luft und machte den ersten Schritt in ein normales Leben zurück. „Hey Potter!" Rief sie und ihre Freunde blickten überrascht zu ihr auf. Sie saßen alle gemeinsam im Gemeinschaftsraum der Gryffindors, aber ihre Freunde hatten sich mittlerweile daran gewöhnt oder es zumindest akzeptiert, dass Lily in letzter Zeit lieber für sich war und sich nur mäßig bis gar nicht an ihren Gesprächen beteiligte. James sah sie erwartungsvoll an. „Lust mit mir nach Hogsmeade zu gehen?" Fragte sie grinsend und bemerkte, dass Remus und Amber sich einen kurzen Blick zuwarfen. James grinste ebenfalls, und er schien keinesfalls überrascht zu sein, dass sie ihn um ein Date bat. Da war sie wieder, diese typische Potter Arroganz und sie ärgerte sich ein wenig, dass sie ihn gefragt hatte. Aber ein unbeschwerter Tag mit James wäre jetzt genau das, was ihr gut tun würde. „Mit dir immer, Evans." Feixte Potter und Lily musste unwillkürlich Lächeln. „Dann ist es abgemacht." Sagte sie und nahm wieder das Buch zur Hand, in dem sie die ganze Zeit versucht hatte zu lesen. Sie spürte wieder James Blicke auf sich ruhen, während die anderen wieder ihren Unterhaltungen oder anderweitigen Beschäftigungen nachgingen.

Später im Schlafsaal saß Lily auf ihrem Bett und bürstete sich die Haare, als Amber sich neben sie setzte, ihr die Bürste aus der Hand nahm und mit ihr sanft über Lilys langes Haar strich. „Wie es aussieht, geht es dir besser?" Fragte Amber leise, damit Mary und Lauren sie nicht verstanden. Aber das schien unnötig zu sein, da die beiden gerade vollkommen in eine Diskussion über einen Aufsatz den sie für Kräuterkunde schreiben mussten vertieft waren. Lily nickte. „Ja, so geht das nicht weiter. Ich muss einfach nach vorne sehen." – „Und was ist mit Severus?" Fragte Amber vorsichtig während sie eine dicke Strähne von Lilys dunkelrotem Haar nahm und die Bürste sanft darüber gleiten ließ. „Ich verstehe ihn einfach nicht, Amber." Sagte Lily traurig und Amber seufzte, während sie Lilys Haare jetzt zu einem dicken Zopf flocht. „Das ist tatsächlich nicht einfach." – „Nein." Antwortete Lily und drehte sich zu Amber um, nahm ihre Hand und drückte sie dankbar. „Weißt du Lily." Begann Amber. „Ich denke, dass er vielleicht selbst nicht weiß was er möchte. Aber so wie man hört, ist er der schwarzen Magie immer noch sehr zugeneigt." – „Ja." Sagte Lily traurig und Amber legte den Arm um sie. „Du wirst sehen, was die Zeit bringt, Lil." Lily lehnte den Kopf an Ambers Schulter. „Danke." Flüsterte sie und eine Weile saßen sie so da, bis Amber wieder das Wort ergriff. „James mag dich wirklich." – „Ich weiß." Antwortete Lily und seufzte. „Es könnte alles so einfach sein." Amber lachte leise auf und stieß Lily neckend in die Seite. „Ist es Lily. Ist es." Und mit einem dumpfen Aufprall schlug ein Kissen an Ambers Kopf, die sich jetzt lachend zu Lauren umdrehte. „Hey." Rief sie Lauren zu, die herausfordernd grinste. „Ihr macht ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter, das kann ja keiner ertragen." Bemerkte Lauren theatralisch und Mary und Lily kicherten leise. Amber hingegen schmiss das Kissen zurück zu Lauren, die dieses lässig auffing. „Ist das alles was du zu bieten hast, Prewett?" Funkelte sie Amber neckend an, und Amber ließ sich nicht zwei mal bitten. Im nächsten Moment flogen die Kissen zwischen ihnen hin und her und kurze Zeit später ließen auch Mary und Lily sich von Laurens und Ambers Heiterkeit anstecken und stiegen mit in die Kissenschlacht ein. Sie warfen die Kissen so ausgelassen durch den ganzen Raum, bis die Federn umher flogen und sie Tränen lachten. Lily fühlte sich seit zwei Wochen das erste mal wieder frei und glücklich. Viel zu oft vergaßen sie alle, dass sie einfach nur Teenager waren, die die schöne unbeschwerteste Zeit ihres Lebens verbringen sollten, anstatt sich über Zaubererkriege, schwarze Magie und Überfälle auf Muggelstämmige zu sorgen.

Seit Tagen hatte Severus kaum ein Wort mit jemandem gesprochen. Noch weniger als er ohnehin schon sprach. Mulciber und Rosier ging er seit dem Überfall auf Lily aus dem Weg. Es kostete all seine Selbstbeherrschung sich in einem Raum mit diesen elenden Ratten aufzuhalten, ohne ihnen die unaussprechlichsten Dinge anzutun, weshalb er es gänzlich vermied sich in ihrer Nähe aufzuhalten. Er vermied es überhaupt sich in der Nähe von irgendjemandem aufzuhalten. Er blieb lieber für sich und zog sich in seine eigene, dunkle Welt zurück. Manchmal, wenn er zu sehr in der Finsternis versank, ging er hinaus auf das Schlossgelände und hinunter zum See und dachte darüber nach, wie verlockend es wäre seinen Schmerz für immer zu betäuben. Auch heute stand er wieder am Ufer des Sees, sein Umhang wehte im kalten Januar-Wind umher und er stellte sich vor wie es wäre, einfach in das eisige Wasser des Sees zu gehen, bis er ihn unbarmherzig in seine Tiefen zog und ihm seinen Atem raubte, bis er nichts mehr spürte. Aber er konnte nicht, etwas in ihm hielt ihn immer zurück, ließ nicht zu dass er auch nur einen Schritt weiter ging. Er hätte nur in sich hinein horchen müssen um zu wissen, was es war das ihn nicht los lassen wollte, aber diese Gedanken hatte er für immer fest in seinem Inneren verschlossen. Severus stand wieder einmal am See als er hörte, dass jemand näher kam und dicht neben ihm stehen blieb. Er drehte sich nicht um. „Snape." Sagte eine schneidende Stimme, die er sofort erkannte. „Wann hörst du endlich auf diesem Schlammblut hinterher zu weinen und kommst zur Vernunft?" Lucius Malfoy drehte den Kopf zu ihm, aber Severus ignorierte ihn und tat so, als könne er ihn überhaupt nicht hören. „Du bringst uns noch alle um." Presste Malfoy wütend hervor, aber Snape antwortete immer noch nicht. „Wie dem auch sei." Sprach Malfoy resigniert und mit leiser Stimme weiter. Sie standen fast Schulter an Schulter und sahen beide stur auf das Wasser, das direkt vor ihnen lag. „Nächstes Wochenende in Hogsmeade wirst du dich mit mir treffen und mit mir kommen." Bei diesen Worten merkte Snape auf. „Wohin?" Fragte er schlicht und bemerkte das Unbehagen, das Malfoy offensichtlich überkam. „Der dunkle Lord möchte uns sehen." – „Weshalb?" Fragte Snape und Malfoy lachte leise auf, es klang jedoch keinesfalls freundlich. „Das, lieber Snape, hat dich nicht zu kümmern." Für einen kurzen Augenblick verspürte Snape Wut in sich aufkommen. Was bildete sich dieser Malfoy ein? Wenn er jedoch darüber nachdachte, wusste Malfoy den Grund vermutlich selbst nicht und wenn er ehrlich zu sich war, interessierte es ihn auch nicht, warum der dunkle Lord ihn sprechen wollte. Es war ihm egal, so wie so vieles andere ihm ebenfalls egal war. Vermutlich musste er sich daran gewöhnen in Zukunft Anweisungen zu erhalten, dessen Gründe er nicht kannte und vielleicht auch nie erfahren oder gar verstehen würde. „Gut." Antwortete er schließlich und er hatte für einen Moment gedacht, Malfoy erleichtert aufatmen zu hören. Dieser nickte jedoch bloß, zog sich die Kapuze seines Winterumhangs über und machte sich auf den Rückweg, als er stehen blieb und noch einmal zu Severus sah. „Snape?" Snape drehte sich um und sah in Malfoys spitzes, blasses Gesicht mit den wässrig blauen Augen, die Severus eindringlich ansahen. „Schlag dir dieses Mädchen..." Er verzog angewidert den Mund. „...aus dem Kopf. Ich meine es Ernst! Deine dumme Schwärmerei wird dir, und schlimmsten Falls auch mir noch das Leben kosten." Sagte er leise, aber mit einem unmissverständlich drohenden Unterton in der Stimme. „Es hat die Runde gemacht, dass du es warst der sie gerettet hat. Besser wäre es für dich, wenn du eine passende Erklärung für den dunklen Lord parat hättest." Malfoys Stimme klang zwar immer noch drohend, jedoch schwang in ihr deutlich eine Angst mit, die auch Severus deutlich spüren konnte, vermutlich weil auch er diese Angst empfand. „Keine Sorge." Antwortete er. „Ich hatte tatsächlich gute Gründe dafür." Malfoy sah ihm noch einmal in die Augen, überlegte kurz und nickte schließlich ergeben. „Ich hoffe es." Sagte er und machte sich, seine Kapuze tief ins Gesicht gezogen – ob aus Schutz vor der Kälte oder vor dem erkennen werden, wusste Severus nicht – auf den Weg hinauf zum Schloss. 

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt