Kapitel 100 - Schwäche

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Lily sah Severus nach wie er den Raum verließ und wusste nicht wie sie sich fühlen sollte. Er war zweifelsohne aufgebracht und sie konnte nur vermuten wieso. Gedankenverloren hievte sie ihre Tasche auf ihr Pult um ihre Sachen besser darin verstauen zu können. „Hey Evans." Rief James ihr zu, während sie gerade den zweiten Riemen an ihrer Ledertasche schloss. Er trat an ihren Tisch heran und schnappte sich schwungvoll ihre Tasche. „Die nehme ich." Sagte er fröhlich und schwang sie zu seiner eigenen Tasche, die bereits lässig über seiner Schulter hing. Lily lächelte verlegen und sah zu Remus, der vielsagend die Augenbrauen hob, bevor er James kopfschüttelnd nach draußen folgte. „Hey Krone, meine Tasche trägst du nie." Rief Sirius ihnen draußen in gespielter Empörung nach, während er versuchte sie einzuholen. „Vielleicht bist du einfach nicht hübsch genug." Seufzte Remus und Lily musste unwillkürlich über Sirius beleidigten Gesichtsausdruck lachen, der noch komischer wurde, als auch Amber entschuldigend die Schultern hob und bemerkte, dass Remus vermutlich Recht habe. „Und ihr nennt euch meine Freunde." Knurrte Sirius missmutig und zog einen regelrechten Schmollmund. Amber grinste und wuschelte ihm durch sein langes schwarzes Haar, was er damit quittierte, in dem er sie an der Hüfte packte und sie über seine Schulter warf. Lachend befreite Amber sich und umarmte Sirius, sobald ihre Füße wieder den Boden berührten. Lily beobachtete die beiden mit einer Spur Wehmut und verdrängte schnell ihre eigenen Gefühle, weil sie keinesfalls missgünstig sein wollte. Sie freute sich für ihre beiden Freunde, und mit Sicherheit würde auch sie selbst irgendwann ihr Glück finden, dachte sie und schloss schnell zu James auf, der der Gruppe immer noch etwas voran lief. „Wie sieht's aus Evans? Lust am Samstag mit nach Hogsmeade zu gehen?" Fragte er unvermittelt und Lily sah ihn verwundert an. „Klar. Wir gehen doch immer nach Hogsmeade." Erwiderte sie, obwohl sie wusste, dass das nicht das war, was er wissen wollte. Jedoch dachte sie, dass es ihm durchaus gut tun würde, ab und an mal seinen Hochmut ablegen zu müssen, und tatsächlich räusperte er sich verlegen, bevor er diesmal deutlich unsicherer fort fuhr. „Nun ja, ich meine eigentlich nur wir beide. Auf ein Butterbier oder so." Lily lächelte. „Klar, warum nicht." Und sie meinte das was sie sagte. Warum sollte sie nicht etwas mit James trinken gehen. Sie mochte ihn und die Zeit mit ihm war meistens unbeschwert und kurzweilig, also genau das, was sie im Moment brauchte. Außerdem musste sie nach vorne sehen. Sie durfte nicht länger an der Vergangenheit festklammern, vor allem wenn diese sie offenbar um jeden Preis los lassen wollte. James strahlte sie an und gemeinsam gingen sie hinunter in die große Halle. Sie hatten gerade das große Eichenportal durchschritten, als Sophie Gallagher, die Lily aus dem Slugclub kannte, eilig auf sie zugelaufen kam. „Hey Lily." Sagte sie heiter und blickte dann zu James, der direkt neben Lily stand und Sophie zur Begrüßung grinsend zunickte. „Hey." Hauchte sie schüchtern und errötete leicht, bevor sie sich schnell wieder Lily zuwandte. „Hallo Sophie." Sagte Lily lächelnd und Sophie zog eine Rolle Pergament aus ihrem Umhang und reichte sie ihr. „Hier, für dich. Hat Professor Slughorn mir gerade gegeben."  Lily nahm die Rolle und wusste ohne hinein zu schauen, was sie beinhalten würde. „Wann?" Fragte sie deshalb bloß, was Sophie zum Lachen brachte. „Diesen Freitag." Antwortete sie und deutete mit einem kurzen Kopfnicken zum Slytherin Tisch. „Severus Snape hat Professor Slughorn wohl nach den Treffen gefragt." Lily starrte sie ungläubig an? „Severus?" Fragte Lily sichtlich verwirrt und bemerkte dabei nicht, wie James genervt die Augen verdrehte. Für ihn war Snape vor allem in diesem Moment ein denkbar schlechtes Thema. Sophie nickte. „Ja. Er hat Slughorn angesprochen weil dieses Jahr noch keines der Treffen stattgefunden hat. Slughorn hatte wohl irgendwelche gesundheitlichen Probleme, aber jetzt möchte er seine regelmäßigen Dinnerpartys wohl endlich wieder einführen." Erklärte sie grinsend und warf einen kurzen Blick über ihre Schulter. „Du, entschuldige bitte. Ich muss wieder los. Wir sehen uns Freitag, ich freue mich." Mit diesen Worten verabschiedete Sophie sich von ihr, schenkte James noch ein schüchternes Lächeln und verschwand zum Tisch der Hufflepuffs, an dem ihre Freundinnen bereits auf sie gewartet hatten. Lily blickte zum Tisch der Slytherins, an dem sie Severus augenblicklich entdeckte. Er saß relativ mittig, zwischen Avery und einem anderen Slytherin, dessen Namen sie nicht kannte. Wieso hatte ausgerechnet Severus sich nach den Treffen erkundigt? Er hasste diese Treffen. Ein kleiner Funken Hoffnung stahl sich unbemerkt in ihr Herz und pflanzte einen winzigen Samen, den es jetzt nur noch zu pflegen galt. Sie würde ihn dort sehen, einen ganzen Abend. Ob er wohl ihretwegen nach den Treffen gefragt hatte? Ihre Gedanken wurden unwirsch von Severus weggerissen, als James ungeduldig an ihrem Ärmel zog. „Lass uns zu den anderen gehen." Sagte er freundlich, ohne dass die Freundlichkeit seine Augen erreichte. Lily blickte ihn forschend an. „Alles in Ordnung?" Fragte sie. „Klar." Antwortete James und lächelte. Sie gingen gemeinsam zum Tisch der Gryffindors und Lily bemerkte nichts von dem vernichtenden Blick, den James jemand ganz bestimmten hinter ihrem Rücken zuwarf.

Severus schaute genau im richtigen Moment auf um Potters Blick zu bemerken, der mit ziemlicher Sicherheit ihm galt. Was wollte dieser arrogante Potter von ihm? Dieser Schnösel hatte doch offenbar jetzt was er wollte. Das, was auch Severus so sehr wollte. Der Unterschied war nur, dass Potter sich nicht zu ihrem eigenen Schutz von ihr fern halten musste, dachte er verbittert und beobachtete wie Potter sich dicht neben Lily auf die Bank am Gryffindor-Tisch setzte. Wut und Verzweiflung lieferten sich einen engen Wettstreit in seinem Inneren und er haderte nicht zum ersten Mal mit seiner Entscheidung, die Seiten gewechselt zu haben. Wenn er sich vorstellte, dass Lily tatsächlich mit diesem Potter zusammen kommen könnte, hatte er das Gefühl den Boden unter den Füßen zu verlieren. Seine Welt würde vollständig farblos werden und er wäre endgültig zu einem düsteren und trostlosen Leben ohne Liebe verbannt. Konnte er das ertragen? Was wäre wenn er sich Lily anvertraute? Lily war stark. Ihr Mut würde ausreichen um trotz der Umstände an seiner Seite zu stehen. Wenn sie wollte. Aber würde sie wollen? Würde er das von ihr verlangen? Empfand sie für ihn das gleiche, was auch er für sie empfand? Oder waren ihre Gefühle bloß freundschaftlicher Natur? Es musste so sein. Er konnte sich nicht vorstellen, dass es anders sein könnte. Was sollte sie an ihm finden? Wieso sollte sie seinetwegen ihr Leben aufs Spiel setzen? In seinem Kopf brummte ein stumpfer Schmerz, während er lustlos in seinem Essen herumstocherte und nichts um sich herum mehr wahr nahm. Ihm war alles egal. Wenn er recht darüber nachdachte, wäre es ihm sogar egal wenn er sterben würde. Das Leben hatte es noch nie gut mit ihm gemeint und würde es vermutlich auch niemals tun. Was also sollte er noch hier. Severus spürte kaum mehr, wie seine düsteren Gedanken ihn immer weiter in die hoffnungslose Dunkelheit zogen, wie giftige Tentakel, die einer nach dem anderen nach ihm griffen, je weiter Lily sich von ihm entfernte. Sie hatte seine Dämonen lange Zeit verjagt, hatte ihm etwas gegeben, dass er nie zuvor erfahren hatte. Er durfte das nicht aufgeben. Er durfte Lily nicht verlieren, und schon gar nicht an Potter. Sein innerer Kampf tobte, während er still da saß und auf seinen Teller starrte. Die große Halle war voller Schüler die lachten, stritten, flüsterten, mit ihrem Besteck klapperten. Aber er hörte nichts davon. Nur Lilys Lachen, das vom Nachbartisch herüber schallte. Als er aufsah konnte er nichts sehen, außer ihrem dunkelroten Haar, das zu einem lockeren Pferdeschwanz gebunden war und sich wie eine pulsierende Ader über ihren Rücken zog. Eine Ader, die als Symbol für das Leben stand. Denn nichts anderes bedeutete Lily für ihn. In vielerlei Hinsicht war sie sein Leben. Und nur ein Narr würde sein Leben kampflos aufgeben, dachte er mit einem neu erwachten Kampfgeist und einige ungewollte Gedanken schlichen sich still und heimlich in seinen Kopf. Gedanken, die er seit über einem Jahr zu verdrängen versuchte. Gedanken, die seine Zukunft in einem nicht ganz so düsteren Licht darstellten und er wusste, dass er sie eigentlich nicht zulassen durfte und sollte. Aber er war schwach und gab ihnen nach.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt