Kapitel 86 - Im Schutz der Dunkelheit

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Lily saß an ihrem Schreibtisch in Cokeworth und blickte gedankenverloren aus ihrem Fenster, während die Sonne langsam am Horizont verschwand. Vor einigen Tagen hatten die Sommerferien in Hogwarts begonnen und sie freute sich wieder Zuhause und bei ihren Eltern zu sein. Auch wenn diesen Sommer alles ein wenig hektischer zu ging als gewöhnlich, da Petunia und ihre Mutter bereits eifrig Petunias und Vernons Hochzeit planten, die in wenigen Tagen stattfinden würde. Lily dachte immer noch mit gemischten Gefühlen an diese Hochzeit, freute sich aber von Herzen für Petunia, die vor Glück wie auf einer Wolke zu schweben schien. Deswegen spielte es für Lily auch keine Rolle, dass sie selbst Vernon nicht sonderlich mochte. Wenigstens konnte Petunia mit demjenigen zusammen sein den sie liebte, dachte sie mit leichter Verbitterung, für die sie sich im gleichen Moment bereits schämte. Sie gönnte Petunia ihr Glück, trotzdem schmerzte es sie wenn sie immer wieder daran erinnert wurde was ihr selbst offenbar nicht vergönnt war. Ungeduldig schob Lily diese Gedanken beiseite, weil es einfach nicht in ihrer Natur lag in ihrem Kummer zu versinken und ihn somit über ihr Leben bestimmen zu lassen. Stattdessen schnappte sie sich ihre Feder und eine Rolle Pergament und begann einen Brief an Amber zu verfassen. Seit dem Beginn der Ferien hatten sie sich jeden Tag geschrieben. Heute war Lily allerdings noch nicht dazu gekommen weil sie fast den gesamten Nachmittag damit beschäftigt gewesen war, ihr Kleid für die Hochzeit anpassen zu lassen. Lily würde eine der Brautjungfern sein, deren Kleider von Petunia höchstpersönlich und nach ihren eigenen Vorstellungen ausgesucht worden waren. Deshalb hatte Lily auch keinerlei Einfluss auf den Schnitt oder den Stoff ihres Kleides. „Oder auf die Farbe." Flüsterte Lily missmutig während sie an das bauschige Tüllkleid in dem knalligen Pink dachte, in dem sie einfach nur grässlich aussah. Sie kam nicht umhin sich zu fragen, ob ihre Schwester dieses scheußliche Kleid absichtlich so ausgesucht hatte, oder ob es ihr wirklich für ihre Brautjungfern gefiel. Lily seufzte und berichtete Amber bis ins kleinste Detail, wie sehr sich die Farbe mit dem rot ihrer Haare biss und was sie mit dem Kleid am liebsten anstellen würde. Es tat gut sich seinen Frust von der Seele zu schreiben und sie freute sich bereits auf Ambers Antwort, die mit ziemlicher Sicherheit äußerst humorvoll ausfallen würde. Zufrieden lehnte sie sich in ihrem Stuhl zurück, sobald sie die kleine Pergamentrolle versiegelt und diese an den Fuß ihrer Eule Picaldi gebunden hatte, die direkt mit einem Krächzen in die Nacht entschwunden war.

Zur selben Zeit saß auch Severus an seinem Schreibtisch in Cokeworth und blickte nach draußen. Die einzigen Unterschiede bestanden darin, dass seine Aussicht bloß die gegenüberliegende Hauswand war, anstelle eines hübschen kleinen Vorstadtgartens, und dass er sich vollkommen seinem Kummer hingab, anstatt sich mit irgendetwas abzulenken. Hier im Haus seines Muggel Vaters kamen ihm seine magischen Kräfte manchmal völlig surreal vor und gerade dieses Gefühl ließ ihn jetzt fast vergessen, warum er Lily aus seinen Gedanken verbannen sollte. Das hatte zur Folge, dass er unaufhörlich nur an sie dachte und kaum noch versuchte es nicht zu tun. Nach einer Weile des sinnlosen Grübelns besann er sich jedoch und seine Gedanken schweiften wieder zu seinem Plan, den er bereits seit einigen Tagen schmiedete. Er durfte Lily nicht lieben, nicht mit ihr zusammen sein und musste endlich seine Konsequenzen daraus ziehen. In Gedanken ging er noch einmal alles durch was er zu beachten hatte und dann wartete er. Er wartete bis der letzte Rest des Tageslichts verschwunden war, und zur Sicherheit noch ein wenig darüber hinaus. Es durfte ihn niemand sehen, weswegen der Schutz der Dunkelheit unerlässlich für den Erfolg seines Plans war. Als es seiner Meinung nach Zeit war, stand er langsam auf und ging zu seiner Zimmertür, an der er zunächst mit angehaltenem Atem lauschte. Im Rest des Hauses war alles still und er war sich sicher, dass sein Vater um diese Uhrzeit bereits betrunken in seinem schäbigen Sessel eingeschlafen war. Vorsichtig öffnete er deswegen die alte Holztür und schlich sich auf Zehenspitzen die teilweise schon morschen Stufen hinunter. Als er leise das Wohnzimmer durchquerte fiel sein Blick unwillkürlich auf seinen Vater, der tatsächlich halb liegend, halb sitzend in seinem Sessel versunken war und laut schnarchend schlief. Verächtlich und angeekelt von dem schalen Geruch nach Bier, der von diesem nichtsnutzigen Muggel ausging, verzog Severus das Gesicht. Unbewusst fasste er sich mit seiner rechten Hand an seine Wange, von der unmittelbar und trotz der nur leichten Berührung ein stechender Schmerz ausging. Die dunkelblaue Färbung war bereits in ein grünstichiges Gelb übergegangen und wurde von Tag zu Tag heller. An dieser Stelle hatte die Faust seines Vaters ihn mit voller Wucht getroffen, nachdem er Severus dabei erwischt hatte wie er sich beim lesen eines Schulbuches mit Hilfe seines Zauberstabs Licht gemacht hatte. Sein Vater hatte ihm seinen Zauberstab wegnehmen wollen, aber Severus hatte sich gewehrt und unmittelbar seine Strafe dafür erhalten. Hass erfüllte sein Herz bei dieser Erinnerung und zu seinem Erstaunen begrüßte er dieses Gefühl sogar. Es würde ihm bei dem was vor ihm lag von Nutzen sein und ihm helfen die Kraft aufzubringen, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Er riss den Blick von seinem Vater los und ging zur Tür, die er so lautlos wie möglich öffnete und mit einem großen Schritt in die warme Sommernacht hinaus trat. Zielstrebig ging er die schmuddelige Gasse hinauf und bog an dessen Ende in die nächste, bereits viel freundlicher aussehende Straße ein. Seinen Zauberstab fest in seiner Tasche umklammert ging er auch diese Straße ohne zu zögern bis zur nächsten kleinen Kreuzung hinauf. Es war fast Mitternacht und die Straßen in dem kleinen Städtchen waren um diese Uhrzeit wie gewöhnlich menschenleer, weshalb auch niemandem Severus nächtlicher Spaziergang auffallen würde. Mit jedem Schritt den er dem Haus in dem Lily mit ihren Eltern wohnte näher kam, wurde sein Herzer schwerer. Trotzdem hielt er nicht an. Seine Gedanken komplett auf sein Ziel fokussiert, bog er zügig in die Straße ein in der die Evans wohnten. Seine Schritte verlangsamten sich erst, als er vor dem ihm so vertrauten Haus stand, mit dem er so viele schöne und unbeschwerte Erinnerungen verband. Das würde jetzt vorbei sein, dachte er unglücklich und zog mit zitternder Hand seinen Zauberstab aus seinem Umhang. Voller Schmerz richtete er diesen auf das kleine Haus mit den roten Klinkern und den weißen Fensterrahmen, die trotz der Dunkelheit deutlich hervorstachen. Er schloss die Augen und schluckte den Kloß in seinem Hals hinunter, bevor er all seine Willenskraft zusammen nahm und allen Gefühlen zum Trotz den Zauber sprach, der einen Teil seines Lebens unwiderruflich auslöschen würde. 

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt