Kapitel 108 - Francis

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Seit Lily eine engere Freundschaft zu dem Werwolf pflegte, behielt Severus die Mondzyklen genau im Blick. Er wusste, wann der Mond abnahm, wann er zunahm, und wann er in seiner vollsten Pracht am Himmel stand. Deswegen wusste er auch, dass Lupin die nächsten Tage nicht im Unterricht erscheinen würde. Diese Tatsache führte wiederum zu der nicht ganz so selbstlosen Überlegung, ob er sich heute in der Doppelstunde Zaubertränke auf Lupins Platz neben Lily setzen sollte. Er grübelte schon seit einigen Tagen darüber, wie er mehr Zeit in Lilys Nähe verbringen konnte, quälte sich jedoch gleichzeitig mit der Angst, dass sie ihn zurückweisen könnte. Aber wenn er ehrlich zu sich war, was hatte er schon zu verlieren? Wenn er in ihrer Nähe sein wollte, dann musste er irgendwann über seinen Schatten springen. Ansonsten würde mit Sicherheit Potter seine Chance nutzen, oder irgendein anderer dahergelaufener Nichtsnutz, und das musste er auf jeden Fall verhindern. Dieses Argument bewegte ihn schließlich dazu, tatsächlich nach seiner Freistunde hinunter in die Kerker zu gehen und im Klassenraum auf den leeren Platz neben Lily zu zu steuern. Unsicher blieb er vor Lily stehen, die bereits dabei war ihren Kessel aufzustellen. „Hey... Stört es dich wenn ich..." Begann er, brachte es aber einfach nicht über sich den Satz zu beenden. Lily sah überrascht zu ihm auf. „Bitte?" Fragte sie und fast verließ ihn endgültig der Mut. „Darf ich mich auf den freien Platz neben dir setzen?" Fragte er und wartete angespannt auf ihre Antwort, während sie ihn immer noch mit überraschtem Gesichtsausdruck betrachtete. „Klar." Sagte sie schließlich und strahlte ihn an, woraufhin es ihm fast den Atem verschlug. Seine Knie fühlten sich an, als hätte sie jemand mit einem Gummibeinzauber belegt, und das nicht nur weil die Anspannung der letzten Stunden mit einem Schlag von ihm abgefallen war, sondern auch weil Lily sich sogar zu freuen schien, dass er sie gefragt hatte. Wie benebelt von seinem Glück, setzte er sich schnell auf Lupins leeren Platz, als würde ihn ansonsten ein anderer wegschnappen, und begann seine Sachen auf dem Tisch auszubreiten. Von Lilys freudiger Reaktion beflügelt überlegte er, ob sie wohl schon eine Begleitung für den Weihnachtsball hatte. Im Grunde wusste er, dass er sich sowieso niemals trauen würde sie zu fragen. Bestimmt würde sie mit Potter hingehen. Dieser schleimige Vollpfosten hatte sie mit Sicherheit schon gefragt, so unverfroren wie er immer war, dachte Severus frustriert und begann die ersten Zutaten für seinen Zaubertrank zusammen zu suchen. Er versuchte sich auf seine Arbeit zu konzentrieren, notierte sich ab und zu etwas am Rand seines Buches und sah nur gelegentlich zu Lily hinüber, die ebenfalls konzentriert und mit höchster Präzision ihren Trank zubereitete. Severus hatte das dumpfe Gefühl, er müsse die Gelegenheit nutzen und so viel wie möglich mit ihr sprechen. Aber eigentlich genügte es ihm, sie in seiner Nähe zu wissen und die kurzen Momente zu genießen, in denen es sich anfühlte, als wäre alles wieder wie früher. Obwohl er wusste, dass es nicht so war, und vielleicht auch nie mehr so sein würde, war es doch ein schönes Gefühl, es wenigstens glauben zu können.

Die zwei Stunden vergingen wie im Flug und Severus sah überrascht zur Uhr, als Slughorn das Unterrichtende verkündete und gleichzeitig an die Abgabe der Aufsätze über den Euphorie-Trank erinnerte. Routiniert begann Severus seine Instrumente und seinen Kessel zu reinigen und war rechtzeitig fertig, um gleichzeitig mit Lily nach vorne zu Slughorns Pult zu gehen. „Hey Evans." Hörte er eine Stimme hinter sich raunen, bevor sich jemand an ihm vorbei drängte um zu Lily zu gelangen. Diese drehte sich jetzt um und sah Potter fragend an, der jetzt direkt vor ihr stand. „Gehen wir zusammen zum Weihnachtsball?" Fragte er und Severus blieb der Mund offen stehen. Wie konnte dieser Schnösel so unverschämt sein, hier zwischen Tür und Angel danach zu fragen? Gleichzeitig ärgerte er sich, dass er die vergangenen Stunden nicht selbst genutzt hatte sie zu fragen. Weil er ein mieser Feigling war, dachte er wütend und beobachtete wie Lily zu grinsen begann. Wunderbar, sie war sogar glücklich darüber von Potter gefragt zu werden, und er musste das Ganze auch noch mit ansehen. Wie viel Pech konnte ein Mensch eigentlich haben? „Sorry Potter. Aber ich habe bereits ein Date." Antwortete sie fröhlich und Severus starrte sie genauso entsetzt und voller Unglauben an wie Potter. „Aber..." Begann Potter und warf Snape einen unmissverständlichen Blick blanker Wut zu. „Nichts aber." Unterbrach ihn Lily bestimmt und Severus verspürte trotz seiner Eifersucht und Niedergeschlagenheit eine unbändige Genugtuung darüber, dass Potter von Lily einen Korb kassiert hatte. Er lächelte Potter schmallippig an, der sich daraufhin wieder an Lily wandte. „Wer?" Fragte Potter bloß und Severus missfiel seine Dreistigkeit, obwohl er die Antwort ebenso gespannt abwartete. „Ich wüsste zwar nicht was es dich angeht, aber ich gehe mit Remus." Sagte sie ruhig und Potter und Severus atmeten beide gleichermaßen erleichtert auf. Jedoch begnügte nur Severus sich mit Lilys Antwort, denn für Potter schien die Diskussion noch nicht beendet zu sein. „Schon wieder? Ach komm schon, Lily. Er durfte letztes Jahr schon mit dir dort hin." Rief er aus und hörte sich dabei an wie ein Dreijähriger, der von seinen Eltern kein zweites Eis bekam. Er tut so, als wäre Lily ein Gegenstand, dachte Severus mit Missfallen, sagte jedoch nichts, sondern blieb weiterhin mit gleichgültiger Miene hinter den beiden stehen. Die Schlange vor ihnen wurde immer kürzer und sie waren beinahe an der Reihe, als Lily sich wieder leicht zu Potter drehte und ihn wütend anfunkelte. „Und?" Fragte sie provokant, und sie alle drei wussten, dass dies keine Frage war, auf die Potter antworten sollte, wenn ihm sein Leben lieb war. Resigniert pfefferte Potter seinen Aufsatz auf Slughorns Schreibtisch und verschwand ohne ein weiteres Wort aus dem Klassenraum. Lily sah ihm noch nicht einmal nach, sondern gab Slughorn nur lächelnd ihren Aufsatz, welchen dieser mit einem Zwinkern entgegen nahm, bevor sie erhobenen Hauptes zurück zu ihrem Platz ging. Auch Severus reichte dem Zaubertrankmeister seine Pergamentrolle und wollte sich gerade zum Gehen wenden, als Slughorn ihn unerwartet ansprach. „Mister Snape, ich würde Sie bitten nach der Mittagspause in mein Büro zu kommen. Ich habe etwas, dass ich gerne mit Ihnen besprechen möchte." Erklärte Slughorn mit gedämpfter Stimme. „In Ruhe." Fügte er hinzu und Severus nickte, ohne sich seine Verwunderung anmerken zu lassen und machte wortlos dem nächsten Schüler Platz, der hinter ihm stand und darauf wartete, ebenfalls seinen Aufsatz abgeben zu können. Gedankenverloren ging er zu seinem Tisch zurück, wo Lily bereits ihre Tasche schulterte und ihn anlächelte. „Dann bis später mal." Sagte sie und ging an ihm vorbei. „Ja. Bis später." Antwortete er und sah ihr nach, wie sie zügig das Klassenzimmer verließ.

Beim Mittagessen saß Severus vor seinem leeren Teller und grübelte darüber nach, was Slughorn wohl von ihm wollte. Er konnte sich nicht vorstellen, was der alte Zaubertranklehrer unter vier Augen mit ihm besprechen wollte. Aber um das zu erfahren würde er sich wohl bis nach dem Mittag gedulden müssen. Unwillkürlich dachte Severus plötzlich wieder an Voldemorts Auftrag, und sein Magen zog sich krampfhaft zusammen. Er hatte das letzte mal nicht viel berichten können, was dem schwarzen Lord jedoch genügt zu haben schien. Vermutlich nur, weil ihn die Prophezeiung in dem Moment mehr beschäftigt hatte, als das Leben des Hogwarts Professors, überlegte Severus und tippte nervös mit den Fingern auf der Tischplatte. Rastlos stand er auf, durchschritt die große Halle und machte sich auf den Weg hinab zu den Kerkern, wo er am Fuße der Treppe fast mit jemanden zusammen stieß. Überrascht sah er in das Gesicht von Lily, und fragte sich, was sie noch hier unten machte. „Ich musste eine Kleinigkeit erledigen." Erklärte sie fröhlich, als hätte sie seine stumme Frage erraten und fasste ihn sanft am Oberarm, als sie sich an ihm vorbei zwängte. Die Berührung fühlte sich an, als würde sie sich durch seinen Umhang und seinen Pullover in seine Haut einbrennen. Er blieb regungslos stehen und sah ihr sehnsuchtsvoll hinterher, bis sie um die Ecke bog und er sich endlich dazu durchringen konnte, ebenfalls weiter zu gehen. In den Gemeinschaftsräumen der Slytherins tauschte er nur kurz seine Bücher, die er am Vormittag benötigt hatte gegen die Bücher für den Nachmittag aus, und machte sich danach mit klopfenden Herzen zu Slughorns Büro auf. Von weitem sah er bereits Licht aus dem Türspalt scheinen, und einen kurzen Augenblick fühlte er sich zu der Situation im Eberkopf zurück versetzt. Er zwang den Gedanken beiseite und überwand sich dazu, weiter auf die halb offene Tür zuzugehen. Kurz vor ihr blieb er stehen und hob gerade die Hand um anzuklopfen, als etwas ihn innehalten ließ. Auf Slughorns Schreibtisch stand eine Art Glasschüssel mit einer Handbreit klarem Wasser darin. Auf der Wasseroberfläche schwamm ein einzelnes, zart geschwungenes Blütenblatt und Severus erkannte sofort, um was für ein Blatt es sich dabei handelte. Wie oft hatte er die wunderschönen Blütenblätter einer Lilie betrachtet, die er selbst herbei gezaubert hatte, um sie danach im Raum umher schweben zu lassen? Er schätzte es waren hunderte oder gar tausende Male, jedoch hatte er keine Zeit diesen Gedanken weiter zu vertiefen. Denn erst jetzt bemerkte er Slughorn, der reglos hinter seinem Schreibtisch stand und fasziniert beobachtete, wie das Lilienblatt langsam in Bewegung geriet und begann in der Flüssigkeit hinab zu sinken. Wie hypnotisiert verfolgten beide die sanft kreisenden Bewegungen des Blattes im Wasser, die etwas unheimlich beruhigendes an sich hatten. Kurz bevor das Blatt den Boden erreichte, drehte es sich mit einer letzten, schnellen Umdrehung um die eigene Achse und verwandelte sich dann in einen kleinen quirligen Fisch. Severus, wie auch Slughorn bestaunten das rötlich schimmernden Geschöpf, das emsig mit seinen winzigen Flossen zappelte, mit denen es erstaunlicherweise sogar ziemlich schnell voran kam. Munter schwamm der Fisch in dem Glas umher und zog seine Runden durch das klare Wasser, während die beiden Männer ihn immer noch wie versteinert dabei beobachteten. Ohne Zweifel wussten beide, wessen Zauberstab dieser wunderschöne Zauber entstammte. Severus wusste es bereits, seit der das Blütenblatt erblickt hatte und kam nicht umhin, wieder einmal Lilys Zauberkräfte zu bewundern, die so wundervoll zarte Dinge vollbringen konnten, die gleichzeitig so viel Kraft und Stärke demonstrierten. Plötzlich verspürte er Unbehagen darüber, seinen Zaubertranklehrer in solch einer Situation heimlich zu beobachten, wollte aber diesen kostbaren Moment um keinen Preis zerstören. Weniger für Slughorn, als mehr für sich selbst. Er war schlichtweg nicht in der Lage dazu, sich von diesem Symbol zu lösen, das Lilys unvergleichliches Wesen besser einfing, als Worte und Beschreibungen es jemals gekonnt hätten. Unwillkürlich bemerkte Severus, wie Slughorn sich eine Träne der Rührung aus dem Augenwinkel strich, bevor er sanft mit dem Zeigefinger an das Glas fasste und den Fisch mit einem zärtlichen Lächeln betrachtete. „Francis. Ich glaube ich nenne dich Francis." Sagte er zu dem Fisch und schob das Glas vorsichtig an einen Ehrenplatz auf dem großen Schreibtisch, an dem er es jederzeit ansehen konnte.

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Mein besonderer Dank bei diesem Kapitel geht an eine Leserin auf einer anderen Fanfiction Seite, die mich mit ihrem Review an die wundervolle Geschichte von Francis erinnert hat, die ich beinahe vergessen habe.
Deshalb sind Fanfictions sowas besonderes! Sie leben von ihrem Feedback, das neue Anreize und Ideen liefert, soweit man als Autor offen dafür ist. Danke also an jeden, der einen Teil dazu beigetragen hat ♥️ (ihr würdet euch wundern, wenn ich euch sage, dass ich fast aus jedem Kommentar oder jeder Nachricht etwas für meine Geschichte mitnehme)

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt