Kapitel 89 - Ziellos

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Ziellos lief Severus durch die Straßen des kleinen Örtchens Cokeworth, so wie in fast jeder Nacht seit die Sommerferien begonnen hatten. Er war oft Ruhelos und in seinem kleinen, trostlosen Zimmer, das eher einem Abstellraum glich, hatte er ständig das Gefühl von den Wänden erdrückt zu werden. Er musste einfach raus, und nachts fühlte er sich am sichersten. Nachts, durch den Schutz der Dunkelheit war er allein und würde auch nicht zufällig Lily über den Weg laufen. Wo genau sie lebte wusste er nach der Anwendung des Fidelius-Zaubers tatsächlich nicht mehr, was ihn einerseits beruhigte, weil der Zauber offenbar funktionierte und Lily somit in Sicherheit war wenn sie sich dort aufhielt, andererseits haderte er oft mit dieser endgültigen Entscheidung. Auch jetzt fröstelte es ihn bei dem Gedanken, dass er so eine wichtige Verbindung zu Lily gekappt hatte und er zog unwillkürlich seinen Umhang enger um seine Schultern. Es war eine laue Sommernacht, trotzdem trug er seinen Umhang weil er ihn in dieser Stadt voller Muggel daran erinnerte, was er war. Ein Zauberer. Und ein guter dazu, das wusste er, und es erfüllte ihn mit Stolz. Trotzdem überkam ihn ein Gefühl des Unbehagens wenn er daran dachte, dass er genau deswegen das Interesse Voldemorts an seiner Person geweckt hatte. Er wartete jeden Tag darauf von Malfoy Nachricht zu erhalten, wann der dunkle Lord wieder mit ihm sprechen wollte. Dass es geschehen würde war unausweichlich, Malfoy hatte ihn bereits darauf vorbereitet, dass es einen erneuten Auftrag für ihn geben würde. Vielleicht würde er sogar endlich im Kreise der Todesser aufgenommen werden und das dunkle Mal erhalten. Diese Gedanken nahmen ihn so sehr ein, dass er gar nicht bemerkte wo er war. Erst als er direkt davor stand wurde ihm klar, wohin sein Weg ihn unbewusst geführt hatte. Er stand vor dem Spielplatz an dem er Lily zum ersten Mal begegnet war. Ein fast so wichtiger Ort für ihn wie das Haus der Evans oder der Platz unter der Trauerweide am Fluss. Langsam und ohne darüber nachzudenken betrat er den Spielplatz. Sein Blick schweifte umher, nahm alles was er sah in sich auf und ließ die Gefühle zu, die diese Umgebung in ihm auslöste. Sie spendete ihm Trost und viele schöne Erinnerungen blitzten vor seinem inneren Auge auf. Es war ihm nicht möglich hier nicht an Lily zu denken, aber es war in Ordnung. Diesen Moment der Schwäche gestand er sich ein, schließlich waren diese Erinnerungen das einzige was ihm noch von ihr bleiben würde. Nach dem kommendem Schuljahr würde er sie vermutlich nie wieder sehen, dachte er wehmütig und ging weiter über den kleinen Spielplatz. Sanft strich er über die Kette der Schaukel, auf der er und Lily so viele unbeschwerte Momente verbracht hatten und eine unbändige Traurigkeit machte sich wieder in seinem Herzen breit. Auf einmal hatte Severus das Gefühl, dass Lily ganz nah bei ihm wäre und es hatte etwas unbeschreiblich tröstendes. Unsanft wurde er in die Gegenwart zurück geholt, als er plötzlich Schritte näher kommen hörte. Erschrocken sah er sich um und starrte in die Dunkelheit, konnte aber niemanden entdecken. Vorsichtig zog er sich so leise wie möglich in den Schatten eines großen Rhododendron Busches zurück und wartete angespannt ab, wen er gleich erblicken würde.

Eine Weile hatte Lily auf einer der Schaukeln in der Mitte des Spielplatzes gesessen und einfach in die Dunkelheit geblickt, bis sie sich irgendwann wieder regte. Sanft umschloss die kühlen Ketten mit ihren Händen und hatte das tröstende Gefühl, Severus hier an diesem Ort ganz nah zu sein. Sie seufzte traurig und fing an Schwung zu geben. Sofort spürte sie ein Gefühl der Freiheit als das fast vergessene Kribbeln in ihrem Bauch einsetzte. Das unnachahmliche Kribbeln im Bauch, das man spürte wenn man nur hoch genug schaukelte. Geschickt löste sie mit einer Hand ihren Knoten und ihr Langes Haar fiel ihr wellig auf die Schultern hinab, um im nächsten Moment direkt wild in der Luft zu schwingen. Sie schloss die Augen und begann zu lächeln. Wie lange hatte sie das nicht mehr getan? Und wieso hatte sie überhaupt damit aufgehört? Die Anspannung der letzten Tage und der ganze Frust des heutigen Tages fielen Stück für Stück von ihr ab und sie fühlte sich seit langem mal wieder selbst. Fühlte nur sich, den Wind in ihren Haaren und das wohlig aufregende Ziehen in ihrem Bauch, wenn das Gefühl des Fallens eintrat sobald die Schaukel hinab sauste. Sie musste lachen. Sie lachte tatsächlich einfach in die Stille der Nacht hinein.

Unbeweglich stand Severus in seinem Versteck und starrte zur Mitte des Spielplatzes, wo Niemand anderes als Lily auf einer der Schaukeln saß und jetzt langsam begann Schwung zu geben. Was in Merlins Barte machte sie um diese Uhrzeit hier? Wut stieg in ihm auf, weil sie so leichtsinnig war sich nachts alleine auf den Straßen von Cokeworth herumzutreiben. Aber die Wut verflog so schnell wie sie gekommen war, als er bemerkte, wie Lilys Gesichtszüge sich beim Schaukeln allmählich entspannten. Atemlos sah er ihr dabei zu, wie sie ihr Haar öffnete, das ihr unmittelbar um den Kopf wirbelte, während sie immer schneller und höher schaukelte. Er schluckte und trat nervös von einem auf das andere Bein. Es hatte ihn wie ein Schlag getroffen, weil er nicht mit einer Begegnung gerechnet hatte und somit überhaupt nicht darauf vorbereitet gewesen war. Vor wenigen Minuten hatte er selbst die Erinnerungen an sie zugelassen, ja sogar heraufbeschworen, und jetzt stand er hier. Vollkommen machtlos in ihren Bann gezogen und verzweifelt versucht ihr fern zu bleiben. Er war dieser Frau mit jeder Faser seines Körpers hoffnungslos verfallen, und sie jetzt so ausgelassen lachend wie früher zu sehen brachte ihn fast um den Verstand. Ohne es zu wollen trat er aus dem Schatten des Gebüschs, den Blick direkt auf Lily gerichtet. Als sie ihn entdeckte verschwand ihr Lachen und sie zuckte erschrocken zusammen, bevor sie ihn ungläubig anstarrte, während die Schaukel allmählich an Schwung verlor.

Sie sah direkt in die dunklen Augen von Severus, die in diesem Moment tiefschwarz schimmerten und ihr Verstand setzte einen Moment aus. Träumte sie? War sie von der Schaukel gestürzt und lag jetzt eigentlich ohnmächtig auf dem sandigen Boden? Sie blinzelte. Severus war immer noch da, stand immer noch mit fasziniertem Gesichtsausdruck vor ihr und beobachtete jede ihrer Bewegungen. Mit einem Satz war sie von der Schaukel gesprungen, ins Taumeln geraten und hatte sich im letzten Moment noch an Severus fest halten können, der sie ohne zu zögern aufgefangen hatte. Seine Hände lagen auf ihren nackten Armen und sie spürte seine Wärme ganz deutlich auf ihrer Haut. Severus löste seinen Griff und blickte mit einem für sie unergründlichen Ausdruck auf sie hinab. Noch bevor sie etwas sagen konnte, hatten seine Hände sich ihrem Gesicht genähert und fuhren zärtlich mit den Fingern durch ihr Haar oberhalb ihrer Ohren. Ein Kribbeln durchfuhr sie und sie seufzte leise. Augenblicklich trafen seine Lippen auf ihre und das Kribbeln in ihr wurde fast unerträglich. Sie wusste nicht wie ihr geschah und verlor sich vollkommen in dem Kuss und den zärtlichen Berührungen. Auch sie hob ihre Hände an Severus Gesicht und streichelte zart über seine Wangen, während sich ihre Münder leicht öffneten. Ihr wurde schwindelig aber sie wollte um keinen Preis aufhören. Die Küsse wurden drängender und ihre Körper schmiegten sich eng aneinander, während sie alles um sich herum vergaß. Es fühlte sich an, als wären sie zwei Magnete die sich unausweichlich anzogen, was auch immer sie taten. Es schien schier unmöglich dem anderen aus dem Weg zu gehen, da sich ihre Wege doch immer wieder kreuzten. „Lily." Flüsterte Severus atemlos und mit brüchiger Stimme. „Lily... Es tut mir Leid. Das wollte ich nicht, ich..." Er rang nach Worten, während Lily ihn ungläubig musterte. „So fühlte es sich aber nicht an. Als würde es dir Leid tun, oder als wäre es falsch." Erwiderte sie ruhig und Severus schüttelte verzweifelt den Kopf. „Du verstehst das nicht." – „Dann erklär es mir. Ich glaube ich habe ein Recht darauf zu erfahren, warum du dich so merkwürdig verhältst, obwohl da offensichtlich so viel mehr zwischen uns ist." Sagte sie leise und blickte ihm direkt in die Augen, die traurig im Mondschein glänzten. „Ich kann es dir nicht sagen." Antwortete er mit bebender Stimme und begann nervös einige Schritte hin und her zu laufen. „Warum?" Fragte Lily schlicht und hielt ihn am Arm. „Bitte Severus, sprich mit mir. Vielleicht kann ich dir helfen." Flehte sie, aber Severus verzog bloß schmerzhaft das Gesicht und schüttelte erneut seinen Kopf. „Bitte." Flüsterte Lily verzweifelt und suchte nach seinem Blick. Er erwiderte ihn und packte sie sanft aber eindringlich an den Schultern. „Lily. Ich bin gefährlich für dich. Du musst dich in Zukunft von mir fern halten, hast du das verstanden?" Lily blinzelte verwirrt. „Sev, ich..." – „Das hier." Severus machte eine kurze Kopfbewegung in ihre Richtung. „Das hier darf niemals wieder passieren. Ich werde nicht zulassen, dass..." Diesmal fiel Lily ihm ins Wort. „Severus was ist nur los? Wieso Gefährlich? Ich verstehe nicht wieso,..." Sie brach ab und ging einen Schritt zurück, bevor sie mit zitternder Stimme weiter sprach. „Was ist hier los? Was redest du da?" Severus senkte den Blick. „Viel zu viel." Antwortete er resigniert. „Sag mir bitte, was mit dir ist." Versuchte Lily es erneut. „Vielleicht kann ich dir helfen." – „Nein. Nein, niemand kann mir helfen, Lily. Niemand. Und schon gar nicht du." Sagte er und verzog erneut das Gesicht, während seine Augen noch einmal voller Verzweiflung in ihre blickten, bevor er im nächsten Moment verschwunden war. Er war einfach disappariert, dachte Lily und starrte hilflos und wie versteinert auf die Stelle, an der er gerade noch gestanden hatte. Sie verstand die Welt nicht mehr. Die ganze Sache wurde immer komplizierter und sie hatte das Gefühl, dass irgendwas hier vor sich ging, gegen das sie etwas tun musste. Aber was sollte sie tun, wenn Severus sich ihr nicht anvertraute?

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt