Kapitel 137 - Versuch und Trost

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„Was machst du hier?", schallte Mulcibers Stimme höhnisch durch den Schlafsaal und unterbrach damit unsanft Severus Zauberversuche. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.", murmelte Severus schlecht gelaunt und schlug das Buch zu, das auf seinem Schoß lag. Er war einfach nicht mit voller Konzentration dabei, weshalb ihm dieser eigentlich simple Zauber nicht gelingen wollte. „Versuchst du dich wieder an ein paar bösen Zaubern?", fragte Mulciber grinsend und kam beschwingt auf ihn zu. Beherzt griff er nach dem Buch, das Severus ihm sofort wieder entriss. „Fass meine Sachen nicht an.", knurrte er wütend, schlug das Buch wieder auf und blätterte ungeduldig darin. „Was suchst'e denn?" Severus verdrehte genervt die Augen und blickte wütend zu Mulciber, der immer noch vor ihm stand und ihn neugierig musterte. „Wie bereits erwähnt, geht dich das nichts an.", sagte Severus mit fester Stimme, woraufhin Mulciber tatsächlich von ihm abließ und bloß gelangweilt mit den Schultern zuckte, bevor er zu seinem Bett ging und sich geräuschvoll darauf nieder ließ. Argwöhnisch beobachtete Severus, wie er lautstark in seinem Nachtschränkchen wühlte, einen Gegenstand herauszog und sich wieder erhob. „Ich schätze, du bist auch zu beschäftigt, um ein paar Erstklässlern einen kleinen Schrecken einzujagen?", fragte er und sah Severus dabei erwartungsvoll und mit hochgezogenen Augenbrauen an. Severus nickte. „Leider ja.", antwortete er und brachte ein schiefes Lächeln zustande. Er wollte nur, das Mulciber endlich verschwand und er weitermachen konnte. „Bist du heute gar nicht mit deiner Schlammblutfreundin unterwegs?", fragte Mulciber feixend und Severus stöhnte innerlich. Wieso ging dieser Trottel nicht endlich, dachte er, antwortete jedoch nicht. „Bist du mittlerweile zur Vernunft gekommen, oder bist du ihr zu langweilig geworden?" Severus presste die Lippen aufeinander, was seinen Mund zu einem schmalen Strich werden ließ. In seinem Inneren brodelte es, aber er ignorierte Mulciber weiterhin, was ihm seine gesamte Selbstbeherrschung abverlangte. „Sag Bescheid wenn das kleine Schlammblut wieder frei wird, oder du sie verleihen möchtest.", sagte Mulciber und grinste anzüglich. Severus rechte Hand tastete automatisch nach seinem Zauberstab, der neben ihm auf dem Bett lag. „Verschwinde.", knurrte er, aber Mulciber machte immer noch keine Anstalten den Raum zu verlassen. „Was denn? Gegen ein bisschen Spaß mit einem Schlammblut ist nichts einzuwenden, oder? Das siehst du doch offenbar genauso. Und wenn wir ehrlich sind, ist es auch das einzige, wofür dieser Abschaum gut ist.", sagte Mulciber, und noch bevor er richtig zu Ende gesprochen hatte, war Severus bereits aufgesprungen und hielt ihm seinen Zauberstab an die Kehle. Ihre Gesichter waren sich so nah, dass ihre Nasenspitzen sich fast berührten. Mulciber versuchte zurück zu weichen, aber Severus folgte ihm unverzüglich und drückte ihm den Zauberstab noch fester an den Hals. „Noch ein Wort.", flüsterte er unheilvoll und spürte den Hass durch seinen Körper strömen, wie bei einem wilden Tier, das man monatelang in einen Käfig gesperrt hatte, und das jetzt seine Freiheit witterte. Severus hatte Mühe Mulcibers armseliger Existenz kein Ende zu bereiten, aber er riss im letzten Moment zusammen. Seitdem er das dunkle Mal besaß, fiel es ihm noch schwerer seine Gefühle und Empfindungen zu kontrollieren, vor allem wenn es welche von negativer Natur waren. „Bleib locker.", sagte Mulciber und hob beschwichtigend die Hände. „Als guter Freund darf man ja wohl mal fragen, ob man etwas vom Kuchen abhaben darf.", sagte er grinsend und trat noch einen weiteren Schritt zurück. „Ein kleines Stück schadet ja nicht, auch wenn die Zutaten ein wenig... verunreinigt sind. Vor allem wenn der Kuchen so nützlich ist wie dieser.", flüsterte Mulciber provokant und Severus erstarrte. War das eine Anspielung darauf, dass der dunkle Lord die Freundschaft zwischen Lily und ihm duldete, solange Lily ihnen Informationen bezüglich des Ordens lieferte? Aber woher sollte Mulciber wissen... Severus blickte ungläubig in Mulcibers immer noch grinsendes Gesicht. Natürlich. Sein Vater war ein Todesser. Das erklärte auch Mulcibers schon fast freundliches Verhalten in den letzten Tagen. Severus Puls raste und er wusste nicht, was er sagen sollte. Noch bevor ihm etwas passendes einfiel, lachte Mulciber noch einmal leise auf, drehte sich um und ging hinaus. Severus sah ihm nach, unfähig sich zu rühren oder einen klaren Gedanken zu fassen. Eine neue Angst ergriff ihn plötzlich. Was war, wenn Mulciber Lily trotz seiner Warnung näher kam, als ihm und auch ihr lieb war? Was war, wenn das hier sogar ein Test des dunklen Lords war? Mulcibers Vater war ein Todesser, wieso sollte dessen Sohn sich nicht auch schon dem dunklen Lord angeschlossen haben und kleinere Aufträge für diesen erfüllen? Wie hypnotisiert ging Severus zu seinem Bett zurück und ließ sich schwer darauf fallen. Eigentlich hatte er versucht, an seiner Maske zu arbeiten, aber daran war wohl kaum noch zu denken. In seinem Kopf war gerade kein Platz für Maskeradenzauber, auch wenn er dringend damit fertig werden musste, weil er nicht wusste, wann das nächste Treffen anstehen würde. Geistesabwesend fasste er sich an den linken Arm, blickte ins Leere und fragte sich nicht zum ersten Mal, wie er das alles überstehen sollte.

Lily lachte leise und stupste Remus neckend in die Seite. „Ach Remus, das sind wir doch schon hunderte Male durchgegangen.", flüsterte sie und blickte sich kurz in der Bibliothek um. Außer ihnen waren bloß noch ein paar Ravenclaws aus ihrer Stufe hier, die ebenfalls bis zum Umfallen zu lernen schienen. „Ich will es trotzdem nochmal durchgehen.", erklärte Remus und schob ihr auffordernd das Buch entgegen. Augenrollend ergriff sie es und blätterte einige Seiten zurück. Sie fragte Remus noch einmal die gewünschten Kapitel für Verwandlung ab und war nicht verwundert, als er alle Fragen fehlerfrei beantwortete. „Jetzt ist aber Schluss.", sagte sie bestimmend, bevor sie das Buch zuklappte und ein Stück von sich weg schob. „Wir haben für heute genug gelernt." Remus nickte, lehnte sich nach hinten und gähnte herzhaft. „Ja. Vermutlich hast du Recht.", antwortete er und lächelte müde. „Natürlich habe ich das.", sagte sie grinsend, griff nach dem Buch und warf es ihm über den Tisch hinweg zu. Sie lachte leise, als Remus ins Schwanken geriet, das Buch aber gerade noch auffing.

Obwohl sie den ganzen Abend und bis zur Erschöpfung gelernt hatten, waren sie froh, dass sie in ihrem Lernplan ein gutes Stück weiter gekommen waren, und betraten deshalb wenig später gut gelaunt den Gemeinschaftsraum. Lily bemerkte sofort, dass etwas nicht stimmte, als sie James erblickte, der merkwürdig gekrümmt auf dem Boden vor dem Kamin saß. Neben ihm saß Sirius, der den Arm um seine Schultern gelegt hatte und mit leeren Augen vor sich hin starrte. Auch Remus schien zu spüren, dass etwas vor sich ging, denn er beschleunigte seine Schritte und ging direkt auf die beiden zu. Lily folgte ihm durch den, um diese Uhrzeit, leeren Gemeinschaftsraum und hockten sich neben die beiden vor den Kamin. „Mhm, was ist passiert?", fragte Remus mit rauer Stimme und sah besorgt von einem zum anderen. Sirius blickte ihnen mit glasigen Augen entgegen, während James immer noch seinen Kopf auf die angewinkelten Knie gestützt hatte und sie noch nicht mal zu bemerken schien. „James Eltern.", begann Sirius leise und Lily ahnte nicht nur wegen des Tonfalls, dass etwas schlimmes geschehen sein musste. Sirius nannte James nie beim Vornamen. Ein eiskalter Schauer ihr den Rücken hinab und sie ließ sich, fast gleichzeitig mit Remus, auf den Boden neben James gleiten. „Sie haben sich im Urlaub mit Drachenpocken infiziert.", berichtete Sirius tonlos. „James Vater..." Er stockte, schüttelte fassungslos den Kopf und wischte sich fahrig mit der Hand über die Augen. „Er hat es nicht geschafft.", mischte sich jetzt doch James mit brüchiger Stimme in das Gespräch ein und sah zu ihnen auf. Lily erschrak über seine rot geschwollenen Augen und griff nach seiner Hand. „James.", hauchte sie mitfühlend. „Es tut mir so leid.", flüsterte und kämpfte dabei selbst mit den Tränen. Sie mochte die Potters, und es war für sie unvorstellbar, dass Fleamont Potter plötzlich nicht mehr da sein sollte und sie konnte nur ahnen, wie James sich fühlen musste. „Und deine Mutter?", fragte sie vorsichtig und drückte seine Hand noch etwas fester. „Noch im St. Mungos. Aber es sieht nicht gut aus.", erklärte er sachlich, aber mit bebender Stimme. Lily schnürte sich der Magen zu und sie fühlte eine unerträgliche Hilflosigkeit. „Reist du hin?", fragte sie und James schüttelte mit schmerzverzerrtem Gesicht den Kopf. „Darf nicht.", presste er hervor. „Zu ansteckend. Niemand darf hin.", sagte er leise und zog seine Hand von Lilys weg, damit er sein Gesicht in beiden Händen vergraben konnte. Lily sah zu Remus, der mit versteinerter Miene zu James sah und offensichtlich nicht wusste, was er tun oder sagen sollte. Sanft legte sie einen Arm um James Schultern und zog auch Sirius näher an sich heran. Dann streckte sie ihren freien Arm nach Remus aus, der sich ebenfalls an ihre Seite schmiegte. Gemeinsam saßen die vier Freunde vor dem langsam verglühenden Feuer und trauerten zusammen um einen Menschen, der in all ihren Herzen einen Platz gehabt hatte, während sie gleichzeitig um das Leben eines weiteren bangten.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt