Kapitel 150 - Ein Schritt nach dem anderen

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Verschlafen blinzelte Lily gegen das Licht an. Severus und sie mussten eingeschlafen sein, denn die Sonne schien bereits hell in den Krankenflügel hinein. Sie fragte sich gerade, wie spät es wohl war, als eine sanfte Stimme sie ansprach. „Miss Evans, Liebes." Überrascht sah Lily zu der Person auf. Madam Pomfrey stand direkt vor ihr und hatte sich etwas zu ihr hinunter gebeugt, um ihr ins Gesicht sehen zu können. Verlegen strich Lily sich das Haar hinter die Ohren und warf einen schuldbewussten Blick zu Severus, der neben ihr auf dem Boden saß und noch schlief. Sie lächelte Madam Pomfrey zaghaft an, die sich inzwischen wieder aufgerichtet hatte. „Madam Pomfrey.", flüsterte Lily. „Es tut mir Leid, es ist meine Schuld. Er wollte nur kurz nach mir sehen, aber ich wollte nicht, dass er wieder geht.", erklärte sie und spürte, wie sich ihre Wangen unvermittelt röteten. „Ich wollte nicht alleine sein.", erklärte sie schüchtern und warf Severus einen verstohlenen Blick zu. Madam Pomfrey zog eine Augenbraue in die Höhe und sah ebenfalls zu Severus hinüber. „Nun, ich habe ausnahmsweise nichts gesehen.", sagte sie nach einem Moment des nachdenklichen Schweigens und lächelte warmherzig. „Aber bitte wecken Sie ihn, damit er in seinen Schlafsaal gehen kann. Danach können sie frühstücken. Ich habe Ihnen ein Tablet ans Bett gestellt.", sagte sie und ging dann mit einem kurzen Kopfnicken aus dem für Lily abgeteilten Raum. Erst jetzt spürte Lily, wie ihr jeder einzelne Knochen im Körper von der Nacht auf dem unbequemen und kalten Boden schmerzte und sie stöhnte leise, bevor sie sich auf die Knie setzte und sich Severus zuwandte. Sie betrachtete ihn, beobachtete wie sein Brustkorb sich gleichmäßig hob und senkte und streckte eine Hand nach ihm aus. Vorsichtig legte sie ihre Handfläche auf seine Wange und strich zärtlich darüber. Er sah friedlich aus und sie überlegte gerade, ob sie ihn überhaupt jemals so gesehen hatte, als er langsam die Augen aufschlug. Hektisch richtete er sich auf und sah sich um. „Guten Morgen.", sagte Lily grinsend und beugte sich zu ihm hinüber, um ihm einen Kuss zu geben. „Ich muss weg.", murmelte er und Lily lachte leise. „Es ist alles in Ordnung. Madam Pomfrey hat uns schon entdeckt und drückt beide Augen zu.", erklärte sie und griff nach seiner Hand. „Danke.", flüsterte sie und blickte Severus in seine schwarzen Augen, die sie besorgt musterten. „Wie geht es dir?", fragte er mit rauer Stimme und Lily wusste nicht, was sie antworten sollte, denn sie hatte keine richtige Antwort auf diese Frage. Sie wusste nicht, wie sie sich fühlte. Der Schreck saß noch tief, aber sie spürte, dass ihr der Trost und die Nähe von Severus gut getan hatten. „Mach dir keine Sorgen.", sagte sie schließlich und lächelte zaghaft.

Severus spürte ihre warme Hand auf seiner und entspannte sich etwas. Bevor er jedoch etwas erwidern konnte, stand Madam Pomfrey wieder vor ihnen und räusperte sich vernehmlich. „Sie sollten jetzt wirklich besser gehen.", sagte sie mit ernster Miene an Severus gewandt, wobei ihre Stimme nur einen sehr milden Tadel enthielt. Lily und er standen auf und sahen sich verlegen an, bevor er Lily zum Abschied ein schiefes Lächeln schenkte und den Krankenflügel verließ. Alles in ihn sträubte sich dagegen Lily allein zurück zu lassen, aber er wollte Madam Pomfreys Geduld nicht überstrapazieren. Mit jedem Schritt, den er sich vom Krankenflügel und somit von Lily entfernte, fühlte er sich leerer und verlorener. Das schlechte Gewissen zerrte an ihm und versuchte ihn mit aller Macht in die dunklen Tiefen seines Selbsthasses zu ziehen. Lily sollte nichts mit solchen Menschen wie Mulciber oder ihm selbst zu tun haben müssen. Er sollte sie verlassen, aber er konnte nicht. Und genau dafür hasste er sich selbst noch mehr. Weil er sogar zu egoistisch war Lily einfach in Frieden zu lassen und ihr die Chance auf ein gutes und unbeschwertes Leben zu ermöglichen. Er hatte das Gefühl an seiner schieren Verzweiflung zu ersticken und seine Schritte wurden schneller, als könnte er so vor seiner Schuld davon laufen. Er rannte förmlich die noch fast leeren Gänge entlang, bis er vor dem Eingang zu den Räumen der Slytherins zum stehen kam. Er starrte auf die Mauer und sammelte sich einen Moment, bevor er das Passwort sprach und das alte Gemäuer die schwere Eichentür frei gab, durch die er in den Gemeinschaftsraum gelangte. „Snape.", begrüßte ihn Black, aber er beachtete ihn nicht. „Warte!", rief er erneut und lief ihm nach. „Was willst du?", herrschte Severus ihn an, nachdem er abrupt stehen geblieben war und sich nach Black umgedreht hatte. Zu seinem Erstaunen bemerkte Severus, dass Regulus nicht auf Streit aus zu sein schien. Es war, als würde Severus in das gleiche übernächtigte und vor Besorgnis angespannte Gesicht sehen, das ihm in diesem Moment auch in seinem eigenen Spiegelbild entgegen blicken würde. Beide sahen sich einen Moment schweigend an, bevor Regulus sich durchrang die Stille zu durchbrechen. „Wie geht es ihr?", fragte er leise und Severus starrte ihn ungläubig an. „Was interessiert es dich? Und woher weißt du überhaupt..." Severus stockte. „Du wusstest, was er vorhatte.", stellte er fest und sah an Blacks schuldbewusster Miene, dass er recht hatte. Er tastete in seiner Tasche nach seinem Zauberstab, dann dachte er an Lily. Sie würde das nicht wollen. Sie würde nicht wollen, dass er sich in Schwierigkeiten brachte. Aber die Wut loderte zu stark in ihm. Sein Griff um seinen Zauberstab verstärkte sich, bis er sich schließlich doch noch besann und kommentarlos an Regulus vorbei zu seinem Schlafsaal ging.

Gedankenverloren saß Lily vor dem Frühstückstablett und schob das mittlerweile kalt gewordene Toast auf ihrem Teller hin und her, denn obwohl ihr Magen knurrte, hatte sie keinen Appetit. Immer wieder blitzten die Erinnerung des gestrigen Tages in ihr auf und sie dachte schon wieder darüber nach, ob sie jemals vergessen würde, was Mulciber ihr angetan hatte. Sie kannte die Antwort. Sie würde es niemals vergessen, aber sie würde auch nicht zulassen, dass dieses Erlebnis ihr weiteres Leben beeinflusste. Sie durfte Mulciber nicht gewinnen lassen. Das war sie sich selbst schuldig. Es würde nicht leicht werden, aber was war schon leicht. Sie würde ihn vermutlich nie wieder sehen und zumindest dieser Gedanke beruhigte sie etwas. Nachdenklich nahm sie einen Schluck von dem lauwarmen Tee. Er schmeckte süß und sie spürte, wie er ihre müden Lebensgeister wieder weckte. Sie war stark und würde auch das überstehen, dachte sie und schloss Halt suchend ihre beiden Hände um die kleine Tasse, die plötzlich ganz zerbrechlich wirkte. Sie spürte, wie die Sonne ihr Gesicht kitzelte und genoss die Wärme auf ihrer Haut. Auf eine gewisse Weise war es absurd, dass sie einfach so strahlte, als wäre nichts gewesen. Als hätte sich nicht Lilys komplette Welt innerhalb weniger Stunden verändert. Aber so war es doch immer im Leben. Es ging immer weiter, egal wie sehr man wollte, dass die Erde stehen blieb, damit man sich unter seiner Decke verkriechen und verstecken konnte. Die Erde drehte sich immer weiter, und auch Lily würde weiter gehen, auch wenn sie Angst hatte. Nichts war schlimmer als stehen zu bleiben, auch wenn es sich im ersten Moment ganz gegenteilig anfühlte. Irgendwann würde sie froh sein, diese Entscheidung getroffen zu haben. Dessen war sie sich plötzlich ganz sicher und spürte wie eine Last ihr von den Schultern genommen wurde. Sie atmete hörbar die Luft ein und aus, bevor sie den nötigen Mut fasste, ihre Beine aus dem Bett schwang und nach ihren Klamotten griff.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt