Den nächsten Tag verbrachte Lily größtenteils damit sich müde und niedergeschlagen durch den Unterricht zu quälen. Heute Abend würde der jährliche Weihnachtsball für die sechsten und siebten Klassen stattfinden und den Anfang der Weihnachtsferien einläuten. Ihr selbst war allerdings überhaupt nicht nach feiern zumute, da sie etwas ganz anderes beschäftigte. Sie hatte in den gemeinsamen Unterrichtsstunden mit Severus immer wieder verstohlen zu ihm hinüber gesehen, in der Hoffnung, dass sich ihre Blicke zufällig trafen und sie in seinen Augen deuten können würde, was in ihm vorging. Aber er mied es konsequent auch nur ansatzweise in ihre Richtung zu sehen, und sie konnte es ihm noch nicht einmal übel nehmen. Sie hatte ihn verletzt und man sah ihm deutlich an, dass er in der letzten Nacht kaum Schlaf gefunden hatte. Er war blass und wirkte bereits den gesamten Tag abwesend, als wäre auch er mit seinen Gedanken ganz woanders. Sie seufzte leise und sah zu Remus, der neben ihr saß und sie freundschaftlich in die Seite stupste. „Sprich mit ihm." murmelte er, während er wieder nach vorne zu Bancroft sah und sich eifrig Notizen machte. Lily schnaufte und schrieb ebenfalls lustlos ein paar Dinge auf, die ihr Professor für Verteidigung gegen die dunklen Künste gerade erklärte. „Du siehst müde aus." flüsterte Remus und warf ihr einen kurzen, forschenden Blick zu. „Das liegt vermutlich daran, dass ich kaum ein Auge zubekommen habe." erklärte Lily zerknirscht, woraufhin Remus verständnisvoll nickte. „Mhm, nun, wir müssen heute Abend nicht zu dem Ball wenn du nicht willst." bot er ihr an, doch Lily wehrte ab. „Nein, ich habe dir zugesagt, dass wir zusammen hingehen und das werden wir auch." sagte sie so entschlossen, dass es Remus zum lächeln brachte. „Also ich wäre nicht böse drum. Mir ist auch nicht wirklich nach feiern." flüsterte er und Lily musterte ihn aufmerksam. „Aber wir können doch nicht einfach nicht hingehen." sagte sie unsicher, woraufhin er gleichgültig die Schultern zuckte. „Warum nicht?" fragte er und grinste verschmitzt. „Ich habe einen halben Koffer voll Schokolade und wir haben beide doch immer viel zu wenig Zeit um mal in Ruhe zu lesen. Findest du nicht?" sagte er und Lily lachte leise. „Eigentlich hast du Recht." antwortete sie schließlich und beide grinsten verschwörerisch, bevor sie ihre Konzentration wieder nach vorne richteten.
Gegen seine guten Vorsätze, heute Abend während des Weihnachtsballs in den Räumen der Slytherins zu bleiben, hielt ihn irgendwann doch nicht mehr dort. Eine lärmende Unruhe hatte ihn bereits vor Stunden befallen und ließ ihn keinen klaren Gedanken fassen, weshalb er sich schließlich doch aufraffte nach oben zu gehen. Wenn er sich sowieso auf nichts konzentrieren konnte, konnte er genauso gut auf dem Ball vorbei schauen, dachte er und fragte sich, ob Lily wohl wieder ihr Smaragdgrünes Kleid vom letzten Jahr tragen würde. Der Versuchung sie noch einmal so atemberaubend schön zu sehen, konnte er schlichtweg nicht widerstehen. Langsam lief er durch den Gang vor dem Gemeinschaftsraum der Musik entgegen, die von oben aus der großen Halle bis hier unten in die Kerker zu hören war. Es war bereits später Abend und der Ball schien in vollem Gange zu sein, weshalb er hoffentlich niemandem großartig auffallen würde. Mit gemischten Gefühlen betrat er die Eingangshalle und sah sich vorsichtig um. Hier waren bereits einige Schüler die einen leiseren Ort für ihre Unterhaltungen gesucht hatten, oder sich hier verabschiedeten, um danach in ihre jeweiligen Gemeinschaftsräume zu gehen. Er konnte weder Lily, noch einen ihrer Freunde hier entdecken, weshalb er weiter in die große Halle ging. Dort erblickte er sofort Amber und Black, die in eng umschlungen miteinander tanzten. Severus blieb stehen und konzentrierte sich auf die nähere Umgebung der beiden, weil er Lily dort am ehesten vermutete. Aber sie war nicht zu entdecken. Genauso wenig wie Potter, bemerkte er mit einem merkwürdigen Gefühl im Bauch und drehte mit klopfendem Herzen eine kleine Runde durch die Halle. Er beobachtete wie unzählige Paare miteinander tanzten, lachten und voller Vorfreude auf die bevorstehenden Ferien den Abend genossen. Unwillkürlich und voller Wehmut dachte er daran, wie schön es gewesen wäre, das hier mit Lily zu erleben. Ohne die ganzen Probleme die derweil auf ihren Schultern lasteten. Er stellte sich vor, dass Lily und er anstelle von Amber und Black hier tanzten, obwohl er wusste, dass das niemals passieren würde. Und das nicht nur weil das hier ihr letzter Weihnachtsball in Hogwarts gewesen sein würde.
Angestrengt suchten seine Blicke die große Halle weiter nach Lily ab, aber er konnte sie immer noch nirgendwo entdecken, weshalb er frustriert beschloss wieder hinunter zu den Kerkern und ins Bett zu gehen. Vielleicht war es sogar besser wenn er Lily nicht sah. Oder sie ihn. Er wusste noch nicht einmal was er sagen sollte, wenn er ihr geradewegs in die Arme lief. Diesen Teil hatte sein Verstand wohl erfolgreich ausgeblendet, als er nur daran gedacht hatte wie sehr er Lily sehen wollte.
Mit großen Schritten ging er hinaus und durchquerte die Halle, bevor er eilig die Steinstufen hinab in die Kerker lief. Unten angekommen bemerkte er etwas ungewöhnliches in seinem Augenwinkel und zog reflexartig seinen Zauberstab aus der Tasche. Irritiert blieb er stehen um sich in dem schummrigen Licht umzusehen. Es dauerte einen Moment bis seine Augen sich an die schlechten Sichtverhältnisse gewöhnt hatten, doch dann sah er es. Neben ihm, in einer Nische in der Mauer, stand jemand mit dem Rücken zu ihm und hatte den Oberkörper leicht vorgebeugt. Potter, stellte er erstaunt fest und sah genauer hin. Das unordentliche schwarze Haar und die weißen Turnschuhe waren unverkennbar. Es war definitiv Potter. Aber da war noch jemand. Von seiner Neugierde angetrieben, ging Severus einen Schritt auf ihn zu. Potter stand dort und hielt jemanden fest an sich gedrückt im Arm. Severus hatte das Gefühl, dass ihm der Boden unter den Füßen weggezogen wurde. Lily. Er erkannte ihr rotes Haar selbst hier im Halbdunkeln der Kerker. Sie hatte die Arme in Potters Nacken verschränkt, während sie sich küssten und Potters Hände über ihren schlanken Körper wanderten, der in ein enges, silbernes Kleid gehüllt war. Severus wich noch weiter in den Schatten zurück, unterdrückte einen gequälten Laut aus seiner Kehle und presste sich mit dem Rücken gegen die raue Mauer hinter ihm, um nicht den Halt zu verlieren. Übelkeit stieg in ihm auf und er konnte nicht fassen was er dort sah. Wenn er ehrlich zu sich war, hatte er es schon lange geahnt, aber dass er ausgerechnet so davon erfahren musste, war die reinste Folter für ihn. Es fühlte sich an, als hätte ihm jemand sein Herz gewaltsam aus seinem Leib gerissen und ihn anschließend unbarmherzig in ein tiefes Loch gestoßen. Er fiel und nichts würde in der Lage sein ihn aufzufangen. Er konnte Lilys Gesicht nicht erkennen, weil es von Potters verdeckt wurde, aber in dieser Situation war er fast dankbar dafür. Auch noch Lilys Gesicht sehen zu müssen, während sie sich Potter hingab, wäre zu viel für ihn gewesen. Er wusste, dass er gehen sollte, aber er konnte nicht. Voller Entsetzen betrachtete er weiterhin das Paar, dass vor ihm in der Nische stand und nichts um sich herum zu bemerken schien. Severus hielt den Atem an, als eine von Lilys Händen sich jetzt in Potters Haaren vergrub und gab ihm damit gleichzeitig den nötigen Anstoß, sich endlich aus seiner Starre zu lösen. Er musste hier weg. Mit aller Kraft verdrängte er den Impuls dieses Schwein zu verfluchen und steckte verzweifelt um Selbstbeherrschung bemüht seinen Zauberstab zurück in seinen Umhang, setzte sich lautlos in Bewegung und verschwand.
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Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und Licht
FanfictionDie Geschichte einer Liebe, die in einem Kampf zwischen Schatten und Licht ausgetragen wird. In einem stetigen Kampf zwischen den verschiedensten Gefühlen, Ängsten und Sorgen, müssen Lily und Severus Entscheidungen treffen, die ihr Leben für immer v...