Kapitel 151 - Der Mond und seine Schatten

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Einige Wochen waren vergangen und Lily hatte immer noch Momente, in denen sie sich in ihrem Bett verkroch oder erschrak, wenn jemand sie berührte oder unerwartet ansprach. Aber es wurde besser. Der Stress der Prüfungen war nicht ganz unschuldig daran. Denn wenn sie es sich recht überlegte, hatte sie überhaupt keine Zeit an etwas anderes zu denken, als an den Lernstoff, den sie in wenigen Tagen beherrschen mussten. Die Siebtklässler hatten keinen Unterricht mehr, um nur noch Zeit für das Lernen zu haben und somit saß Lily also tagsüber mit Severus in der Bibliothek oder am See, und nachts mit ihren Freunden bis in die frühen Morgenstunden im Gemeinschaftsraum. Sie war müde und aufgeregt, verspürte Freude darüber, es in wenigen geschafft zu haben und war gleichzeitig unendlich traurig, dass ihre Zeit in Hogwarts bald zu Ende war. Aber sie mussten alle nach vorne sehen, auch wenn die Zukunft nicht so kommen würde, wie sie es sich alle noch vor ein paar Jahren ausgemalt hatten. Ein Kampf wartete auf sie, und Lily und ihre Freunde waren fest entschlossen, sich ihm zu stellen. Sich Du-weißt-schon-wem und seinen Anhängern zu stellen und den Frieden zurück in ihre Welt zu bringen. Erschöpft klappte Lily das Buch über Verwandlungszauber des Alltags zu, das sie noch im Bett gelesen hatte und löschte das Licht an ihrem Nachttisch. Die anderen schliefen bereits und Lily lauschte eine Weile ihren leisen Atemgeräuschen. Sie würde ihre Freundinnen schrecklich vermissen, dachte sie traurig und drehte sich zur Seite. Durch das Fenster schien der helle Vollmond und sie dachte an Remus, der gerade in seiner Werwolfgestalt mit James, Sirius und Peter im verbotenen Wald unterwegs war. Es versetzte ihrem Herzen einen Stich wenn sie daran dachte, was aus ihm werden würde, wenn ihre Schulzeit vorbei war und sie fragte sich nicht zum ersten Mal, wieso er keine Hilfe annehmen wollte. Wieso er lieber ein Leben als Aussätziger führen wollte, als sich nach echten Perspektiven für sich umzusehen. Sie seufzte leise, bevor sie sich noch einmal umdrehte und die Decke noch fester um ihren Körper schlang.

Severus blickte in den Himmel. Er wusste, dass er heute noch vorsichtiger sein musste, als sonst. Der Mond schien in seiner vollen Pracht auf die Erde hinab und der Werwolf würde heute Nacht hier umherschleichen, vermutlich samt seiner beschränkten Freunde. Dumbledore hatte Severus gebeten, heute nicht von der heulenden Hütte zu dem Treffen der Todesser zu reisen, weshalb er jetzt über das Gelände schlich, um unbemerkt wieder zum Schloss zu gelangen. Dumbledore hatte ihm eine Art Stein gegeben, mit dem er aus dem verzauberten Ausgangstor heraus gekommen war, um von dort aus zu den anderen Todessern apparieren zu können. Jetzt schlich er im Schutz der Schatten und erschöpft von dem Treffen wieder hinauf zum Schloss. Auf eine unangenehme Weise fühlte er sich bereits den ganzen Weg beobachtet und glaubte, plötzlich die Gestalt von etwas großem wahrzunehmen, die ein Stück von ihm entfernt im Wald stand. Er blieb stehen, zog vorsichtshalber seinen Zauberstab und versuchte etwas in der Dunkelheit zu erkennen. Das Licht des Mondes reichte nicht bis in die Tiefen des Waldes, aber er wusste eigentlich auch so, wer dort stand und sich jetzt langsam in seine Richtung bewegte. „Potter.", knurrte er und ging in Angriffsstellung, während der große Hirsch aus dem Wald heraustrat. Ungefähr einen Meter vor ihm blieb das große Tier stehen und legte argwöhnisch den Kopf zur Seite. „Verschwinde.", fauchte Severus und wollte sich gerade wieder in Bewegung setzen, als der Hirsch einen Satz machte und sich ihm in den Weg stellte. Unwillig blieb Severus stehen und funkelte den Hirsch wütend an. „In Menschengestalt traust du dich wohl nicht dich mir entgegen zu stellen.", stellte Severus verächtlich fest und schüttelte ungläubig den Kopf. „Was willst du?" Wieder neigte der Hirsch den Kopf, bevor er ihn senkte und bedrohlich mit einem seiner Vorderhufe zu scharren begann. Er sah aus wie ein wütender Stier, der sich zum Angriff bereit machte und Severus war sich sicher, dass er genau das auch tun würde. Bevor er jedoch richtig darüber nachdenken konnte, machte der Hirsch einen Satz auf ihn zu und brachte ihn beim Zurückweichen ins Taumeln. Es gelang ihm gerade noch rechtzeitig sich zu fangen und dem Angriff auszuweichen, aber er spürte im gleichen Augenblick einen brennenden Schmerz in seinem linken Unterarm auflodern. Entsetzt starrte er auf den zerfetzten Stoff und die aufgerissene Haut darunter. Kurz unter dem dunklen Mal hatte der Ast eines Gebüsches eine klaffende Wunde hinterlassen, aus der dunkel das warme Blut aus seinen Adern floss und auf den Boden tropfte. Er fluchte, als er erneut nur knapp Potters Angriff ausweichen konnte und feuerte einen Peitschenzauber auf den Hirsch ab. Dieser traf ihn an seiner rechten Hinterflanke und der Hirsch begann unter dem Schmerz des Hiebes zu straucheln, schaffte es jedoch noch rechtzeitig sich abzufangen und drehte sich fast augenblicklich wieder zu Severus um. Der Hirsch starrte ihm wild schnaubend in die Augen, dann wanderte der Blick des Hirsches auf Severus verletzten Unterarm und die großen Augen des Tieres weiteten sich vor Entsetzen. Severus folgte dem Blick und sein Magen krampfte sich zusammen. Das silberne Mondlicht setzte den schwarzen Totenkopf mit der sich windenden Schlange auf Severus hellen Haut perfekt in Szene und Severus drückte sich hastig den Arm an seinen Oberkörper, um ihn vor Potters Blicken zu verbergen. Doch es war bereits zu spät. Potter hatte es gesehen und wich ungläubig einen Schritt zurück. Einen Moment blickten sie sich erneut in die Augen, in denen sich die gleichen Gefühle widerspiegelten. Entsetzen, Angst und eine unbändige Wut auf den jeweils anderen. Sie atmeten beide schwer und keiner von ihnen schien fähig zu sein sich zu rühren, bis eine Stimme die Stille durchbrach. „Mr. Snape, Mr. Potter." Dumbledore stand nur wenige Meter von ihnen entfernt und hob in einer beschwichtigenden Geste die Hand. Wo war er so plötzlich hergekommen, fragte sich Severus und presste seinen Arm noch fester an seinen Körper. Auch Potter reagierte auf die Anwesenheit des Schulleiters und verwandelte sich langsam zurück in seine menschliche Gestalt. Dumbledore beobachtete ihn geduldig dabei, während Severus einfach nur da stand und nicht wusste, wen von beiden er zuerst ansehen sollte. Gegen seinen Willen war er fasziniert von Potters Verwandlung und nicht zum ersten Mal und nicht ganz neidlose fragte er sich, wie Potter und seine Freunde solch einen mächtigen Zauber vollbringen konnten. Aber auch Dumbledore beeindruckte ihn an diesem Abend mehr, als er es sonst schon tat. Mit seiner großen schlanken Gestalt stand er völlig ruhig vor ihnen, aber Severus konnte die Macht dieses alten Mannes fast körperlich spüren, obwohl er nichts anderes tat, als dort zu stehen und sie anzusehen. Severus fragte sich, warum ihm das gerade jetzt auffiel und ihm kam der Gedanke, dass es vermutlich an seiner eigenen Anspannung lag, dass seine Sinne überreizt auf jedes bisschen Magie reagierten. Schließlich hatte er auch Potters Anwesenheit sofort gespürt. Er sah wieder zu Potter, der mittlerweile wieder vollständig zu seiner menschlichen Gestalt zurückgekehrt war und ihm einen hasserfüllten Blick zuwarf, bevor er zu Dumbledore sah, der sie beide in diesem Moment ansprach. „Guten Abend die Herren." Begann er und eine kurze Pause entstand, bevor er weiter sprach. „Dürfte ich Sie bitten, in Ihre Betten zurück zu kehren.", fragte Dumbledore ruhig und ohne jede Regung in seiner Miene, die verraten könnte, was er dachte oder fühlte. „Aber Sir.", rief Potter empört und zeigte aufgeregt mit dem Finger auf Severus. „Wollen Sie ihn nicht fragen, was er hier mitten in der Nacht macht?" – „Mr. Potter, könnte ich Sie nicht das gleiche fragen?", sagte Dumbledore und zog erstaunt die Augenbrauen in die Höhe. „Sie wissen was ich hier mache.", empörte sich Potter erneut, aber ohne Dumbledore damit zu beeindrucken. „Ja. Aber Sie wissen auch, dass ich es nicht ausdrücklich gestattet habe." Potter biss sich wütend auf die Lippe und wandte seinen Blick kopfschüttelnd zu Boden. „Aber wollen Sie nicht wissen, was er hier macht?", fragte Potter erneut und deutete wieder auf Severus. „Schauen Sie sich seinen verdammten Arm an! Er ist ein Todesser!", stieß Potter voller Abscheu aus und ballte wütend die Fäuste. „Sehen Sie sich seinen Arm an!" - „Mr. Potter.", begann Dumbledore langsam und kam einen Schritt auf sie zu. „Bitte überlassen Sie es mir, wie ich mit so einer Situation verfahre und was ich kontrolliere.", sagte er immer noch mit ruhiger Stimme und deutete mit einer Handbewegung Richtung Schloss. „Und jetzt darf ich Sie beide bitten, wieder hinauf ins Schloss und in Ihre Schlafsäle zu gehen." Wütend blickte Potter noch einmal zu Severus, bevor er sich widerwillig und humpelnd in Bewegung setzte. Auch Severus folgte dem Schulleiter und seine Gedanken rasten. Würde Potter Lily was von dieser Begegnung erzählen? Natürlich würde er das. Aber würde Sie ihm glauben? Was wäre, wenn sie seinen Arm als Beweis sehen wollte. Panik stieg in ihm auf und sein Herz begann wie wild zu schlagen. Die Wunde an seinem Arm pochte unheilvoll unter dem noch brennenden Mal. An solchen Abenden, an denen der dunkle Lord seine Anhänger zu sich gerufen hatte, schallte dieser Ruf noch viele Stunden nach den Treffen auf der gezeichneten Haut nach, und mittlerweile hatte Severus sich schon fast daran gewöhnt. Heute jedoch erinnerte ihn das Mal wieder nur allzu deutlich daran, wie dünn das Band zwischen ihm und Lily in Wirklichkeit war. Auch wenn es sich sicher und stark anfühlte, war es auf einer unverzeihlichen Lüge aufgebaut, die wie ein Damoklesschwert über ihnen hing. In der Eingangshalle angekommen, blieb Dumbledore stehen und sah zu Potter. „Mr. Potter, ich wünsche Ihnen eine gute Nacht.", sagte er freundlich und Potter sah einen Moment so aus, als würde er noch protestieren wollen, nickte jedoch schließlich, obwohl ihm sein Widerwillen deutlich anzusehen war. Man konnte unmissverständlich an seiner Miene erkennen, welche Gefühle in ihm brodelten und wie schwer es ihm fiel zu schweigen. Aber offenbar wusste selbst Potter mittlerweile, wann ein Kampf verloren war und er machte sich mit einem wütenden Schnauben, aber ohne weiteren Kommentar schließlich auf den Weg nach oben. Regungslos standen Severus und Dumbledore jetzt alleine in der fast dunklen Eingangshalle und warteten, bis Potters Schritte endgültig verhallt waren. „Sie müssen in Zukunft vorsichtiger sein, Severus.", unterbrach Dumbledore die Stille mit gedämpfter Stimme und musterte ihn ernst, bevor er sanft nach Severus Arm griff und seinen Zauberstab an die Wunde legte. „Woher sollte ich wissen, dass Potter mitten in der Nacht auf dem Schlossgelände umher schleicht.", verteidigte Severus sich, woraufhin Dumbledore erstaunt eine Augenbraue hob. „Ihnen dürfte nicht entfallen sein, dass wir Vollmond haben.", erwiderte Dumbledore und ließ Severus Arm mit der verheilten Schnittverletzung langsam wieder sinken. Severus schwieg betreten. Natürlich hatte er gewusst, dass Potter und seine Freunde hier draußen herumschlichen, aber er hatte nicht damit gerechnet, dass Potter ihn regelrecht abfangen würde. Severus hatte das Gefühl, als hätte Potter gewusst, dass er in dieser Nacht unterwegs sein würde. Aber woher hätte Potter das wissen sollen? „Wieso haben Sie sein Gedächtnis nicht verändert?", fragte Severus mit bebender Stimme und Dumbledores Blick wurde bedauernd. „Können Sie mir garantieren, dass es keine weiteren Zeugen außer Mr. Potter gab? Wenn er dort draußen war, könnte es durchaus möglich sein, dass Mr. Black und Mr. Pettigrew es ebenfalls beobachtet haben. Ich kann nicht auf gut Glück alle ihre Gedächtnisse ändern.", sagte Dumbledore und tiefe Falten zeichneten sich auf seiner Stirn ab. „Ich fürchte, dass wir nichts anderes tun können, als abzuwarten.", fügte er sanft hinzu und Severus spürte die unfassbare Wut, die plötzlich in ihm aufloderte. Dazu mischte sich eine so tiefe Verzweiflung, dass er dachte, sein Herz würde jeden Augenblick zerbersten. „Er wird es Lily erzählen.", sagte Severus heiser. „Ja.", antwortete Dumbledore schlicht und nickte leicht. Severus starrte ihn ungläubig an. „Sie wird mich hassen.", flüsterte er verzweifelt, aber wieder sah Dumbledore ihn bloß mit diesem mitleidigen Blick an. „Irgendwann muss sie es erfahren.", sagte Dumbledore, als würde ihn das alles nichts angehen. Sie schwiegen. Severus fühlte sich wie betäubt. Ihm fiel einfach nichts ein, das er erwidern konnte, ohne das seine Wut ungefiltert aus ihm herausbrechen würde. Es gab auf dieser Welt keine passenden Worte, die die unbändigen Gefühle zum Ausdruck bringen könnten, die in ihm tobten. „Severus.", begann Dumbledore langsam. „Sie dürfen ihr unter gar keinen Umständen die Wahrheit sagen!" Seine Stimme klang eindringlich. „Sie lieben sie.", stellte Dumbledore fest und Severus nickte bekümmert. „Dann schweigen Sie. Nur so können wir sie schützen. Vergessen Sie nicht, dass es das war, worum Sie mich gebeten haben.", sagte Dumbledore und Severus spürte, dass das Gespräch damit beendet war. „Gute Nacht, Severus.", verabschiedete Dumbledore sich leise und Severus blickte ihm wie versteinert nach. Er ließ ihn einfach in seiner tiefen Verzweiflung in der leeren und düsteren Halle zurück. Severus hätte am liebsten geschrien, aber er brachte immer noch keinen Ton hervor. Es war alles vorbei. Diese Erkenntnis traf ihn wie ein Schlag und er sank auf die Knie. Seine Handflächen suchten Halt auf dem kalten Steinboden, über den er sich beugte wie ein geprügeltes Tier, bevor ein tiefes Schluchzen seiner Kehle entrann.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt