Es war bereits später Nachmittag, als Severus und Lily gemeinsam zum Schloss schlenderten, um sich für das Abendessen umzuziehen. In der Eingangshalle angekommen wandte Lily sich glücklich lächelnd an Severus. „Bis später dann.", flüsterte sie und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Auch Severus lächelte. „Ja, bis später.", sagte er und drückte noch einmal sanft ihre Hand, bevor sich ihre Wege trennten. Fröhlich lief Lily die großen Marmorstufen in den ersten Stock hinauf, als sie James bemerkte, der geradewegs auf sie zulief. „Ich dachte wir seien für heute Nachmittag verabredet gewesen?", fragte er und es schwang ein leiser Vorwurf in seiner Stimme mit, obwohl er grinste, als er schließlich vor ihr zum Stehen kam. „Tut mir Leid, James.", sagte Lily entschuldigend und mit denkbar schlechtem Gewissen, weil ihr erst in diesem Moment wieder eingefallen war, dass sie ihn tatsächlich heute Morgen auf den Nachmittag vertröstet hatte. „Wir hätten jetzt noch ein bisschen Zeit bis zum Abendessen.", bot sie ihm an und James überlegte einen kurzen Augenblick. „Okay.", sagte er schließlich und steckte nervös die Hände in die Taschen seiner Jeans. „Sollen wir ein paar Meter gehen?", fragte er und Lily zuckte unentschlossen die Schultern. „Okay. Klar, warum nicht.", antwortete sie und gemeinsam schlugen sie den Weg zurück nach unten ein. „Sollen wir ein bisschen nach draußen?", fragte James, als sie die Eingangshalle erreicht hatten und Lily nickte stumm, obwohl sie bereits den den ganzen Tag draußen verbracht hatte. Eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her und Lily spürte, dass James nicht wusste, wie er anfangen sollte, weshalb sie sich zu sorgen begann. „Ist alles in Ordnung?", fragte sie vorsichtig und James schnaubte leise, bevor er stehen blieb und sich zu ihr drehte. „Lily.", begann er und fuhr sich verlegen durch das strubbelige schwarze Haar, offenbar unschlüssig welche Worte er wählen sollte. Lily stöhnte innerlich, weil sie ahnte worum es ging. Sie hatte keine große Lust auf eine weitere Liebeserklärung, deswegen bedeutete sie ihm mit einer ungeduldigen Geste, fortzufahren. „Also gut.", sagte er und blickte sie mit ernstem Gesichtsausdruck an. „Es geht um Snape.", platzte es aus ihm heraus, woraufhin Lily unwillkürlich die Augen verdrehte. „James..", setzte sie zu einer Antwort an, aber James unterbrach sie unwirsch. „Bitte! Hör mir zu! Nur noch dieses einzige Mal!", bat er, und ein mulmiges Gefühl stieg gegen ihren Willen in ihr auf. Aber sie sagte nichts, sondern starrte ihn weiterhin erwartungsvoll an. Kurz blickte James sich um, bevor er mit gedämpfter Stimme weiter sprach. „Ich habe ihn gesehen. In der letzten Vollmondnacht.", sagte er und Lily zuckte die Schultern. „Und?", fragte sie desinteressiert und runzelte die Stirn. „Nachts. Draußen." Lilys Gedanken begannen zu rasen. Das konnte alles bedeuten, vielleicht hatte er sogar eine gute Erklärung dafür. Aber er hat kein einziges Wort davon erzählt, flüsterte eine leise Stimme in ihrem Kopf und sie biss sich auf die Unterlippe. „Das ist leider noch nicht alles.", sagte James und sein Blick wurde starr. „Ich habe den Beweis gesehen. Auf seinem Arm.", sagte er leise und Lilys Magen krampfte sich zusammen. „Welchen Beweis?", fragte sie bissiger, als beabsichtigt und verriet damit ihre Unsicherheit, für die sie sich unglaublich schämte. Sie müsste Severus vertrauen. Sie dürfte einem James Potter nicht alles glauben, was er ihr erzählte. Aber leider gab es diesen kleinen Teil in ihrem Herzen, der seine Erzählungen nicht im geringsten anzweifelte. Ungeduldig schüttelte Lily den Kopf, sagte jedoch nichts. Sie konnte nicht. Die Worte steckten ihr im Halse fest und sie war zu aufgewühlt, um überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen, der sich zu seinem sinnvollen Satz zusammensetzte. „Ich wollte eigentlich nicht so deutlich werden.", fauchte James und sah unverkennbar wütend aus. „Was glaubst du, was er auf dem Arm hat?", fragte er spöttisch und schüttelte erneut den Kopf, bevor er sich noch näher zu ihr beugte, bis sein Mund ganz nah an ihrem Ohr war. „Das dunkle Mal.", flüsterte er und Lily wich einen Schritt zurück. „Du lügst.", sagte sie etwas zu hastig und mit etwas zu schriller Stimme. James antwortete nicht und Panik brach in ihr aus. Das konnte nicht sein. James musste sich irren. „Warum sollte er dir deinen Arm zeigen?", fragte sie deshalb spitz und reckte ihr Kinn etwas in die Höhe. „Das hat er wohl kaum freiwillig getan.", sagte James sarkastisch und klang gleichzeitig genervt. „Wir haben... naja wir hatten eine kleine Auseinandersetzung und er hat sich seinen Umhang an einem Ast aufgerissen.", erklärte er knapp und wartete mit ernster Miene auf Lilys Reaktion. „Ich denke es war nachts, als ihr euch getroffen habt. Und nachts ist es dunkel. Vielleicht hast du dich einfach nur verguckt.", sagte sie in einem kläglichen Versuch, eine Erklärung für die geschilderte Situation zu finden, wobei sie selbst hörte, wie erbärmlich sie klang. „Lily. Es war Vollmond.", antwortete James und seine Stimme klang plötzlich sanft. „Es tut mir Leid.", fügte er hinzu und sah betreten zu Boden. „Lass mich allein.", sagte sie plötzlich, weil sie einfach nur noch weg wollte. Weg von James. Weg von Severus. Weg von diesen Lügen. Oder weg von der Realität? Sie wusste es nicht. Sie wusste gar nichts mehr, nur, dass sie nicht hier stehen bleiben konnte. James musterte sie besorgt, sagte jedoch nichts. „Geh.", sagte sie erneut und wandte sich ab. „Bist du sicher?", fragte er vorsichtig und legte ihr sanft eine Hand auf die Schulter, die sie stumm wieder hinunter schob, bevor sie sich in Bewegung setzte. „Ja.", sagte sie und drehte sich nicht noch einmal um. Sie fühlte sich plötzlich unendlich müde und erschöpft. Was sollte sie glauben? Severus würde ihr das niemals antun, dachte sie und fragte sich gleichzeitig, ob das wirklich stimmte. Er hegte schon immer ein ungesundes Interesse für schwarze Magie und sehnte sich nach Anerkennung. Er sagte es nie, aber sie wusste, dass er einsam war. Außer ihr hatte er kaum Freunde, oder besser gesagt, gar keine echten Freunde. Bloß Mulciber, Avery und wie die ganzen Möchte-gern-Todesser aus Slytherin noch so hießen. War es nicht naheliegend, dass er sich ihnen anschloss? Nein. Er wusste, dass sie ihm das niemals verzeihen könnte. Aber das dunkle Mal wäre ihr doch schon längst aufgefallen, überlegte sie und ihr Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, als ihr bewusst wurde, wie lange es her war, dass sie Severus Unterarm das letzte mal gesehen hatte. Zu lange, dachte sie und es fröstelte sie, obwohl es immer noch warm war. Sie starrte auf den See, die Hände zu Fäusten geballt und bebend vor Wut und Angst. Severus war kein schlechter Mensch. Er würde nicht so weit gehen, versuchte sie sich zu beruhigen und entspannte sich langsam. Wenn sie nicht zu ihm hielt, wer dann, fragte sie sich und fasste einen Entschluss. Sie würde James nicht glauben. Er war zweifellos schon die ganze Zeit eifersüchtig auf Severus, auch wenn er mittlerweile viel Zeit mit Sophie verbrachte. Sie würde zu Severus halten, denn sie glaubte an das Gute in ihm und würde ihn nicht verraten.
Zur gleichen Zeit saß Severus mit einem Buch vor sich auf dem Tisch im Gemeinschaftsraum, als Regulus Black den Raum betrat. Severus wusste nicht, warum er ausgerechnet in diesem Moment aufgesehen hatte, aber er entdeckte Regulus sofort. Stur lenkte er seinen Blick direkt wieder auf die Seiten vor ihm und starrte auf die Buchstaben, die keinen richtigen Sinn mehr zu ergeben schienen. Mit seiner Konzentration war es vorbei, obwohl Regulus es heute offenbar nicht auf ihn abgesehen hatte. Dieser war direkt an ihm vorbei auf Avery und ein paar andere Slytherin Schüler zugelaufen. Severus hatte es aus dem Augenwinkel beobachtet, und dabei festgestellt, dass die kleine Gruppe über ihn zu sprechen begann. Einer der Slytherins hatte mit einem vielsagenden Kopfnicken auf Severus gedeutet, bevor ein abfälliges Gemurmel ausgebrochen war. Seit Mulciber der Schule verwiesen worden war, war Severus nicht mehr sonderlich beliebt bei den meisten Slytherins. Obwohl er es schon vorher nicht unbedingt gewesen war, hatten ihn die meisten weitestgehend in Ruhe gelassen. Er wusste, dass keiner ihn wirklich mochte, aber trotzdem genoss er es, dass die anderen Angst vor ihm zu haben schienen. Jeder hier wusste, dass Severus Wissen in der schwarzen Magie sehr umfangreich war und dass er sich auch nicht davor scheute, sie einzusetzen. Deswegen ließen zumindest die Slytherins ihn die letzten Jahre in Frieden. Allerdings war es seit Mulcibers Rauswurf bereits zu der ein oder anderen Feindseligkeit gekommen, weil keiner verstehen konnte, warum er immer noch mit Lily Evans zusammen war. Für die Slytherins stand fest, dass Lily sich die Geschichte mit Mulciber ausgedacht hatte und sie sahen es als Hochverrat an, dass Severus dies offenbar nicht glaubte. Aber es war ihm egal was die anderen dachten. Er war froh, dass das Schuljahr bald vorbei war, auch wenn er nicht wusste, was er mit seinem Leben nach Hogwarts anfangen sollte. Er spürte plötzlich ganz deutlich die Präsenz des Briefes aus dem St. Mungos in seiner Tasche, die neben seinen Füßen stand, weil er es immer noch nicht übers Herz gebracht hatte ihn zu vernichten. Es war idiotisch ihn aufzubewahren, aber er konnte nicht anders. Unwillkürlich fragte er sich, wie sehr ihn der dunkle Lord als Todesser in Anspruch nehmen würde. Wie sollte er es Lily erklären, wenn er ständig unterwegs war? Oder wenn er plötzlich weg musste, weil der dunkle Lord ihn zu sich rief? Er versuchte den Gedanken daran zu verdrängen, genauso wie den, dass er vermutlich nicht allzu lange lügen musste, weil Lily sein Geheimnis bald herausfinden würde. Es wunderte ihn, dass Potter offenbar noch nicht mit ihr gesprochen hatte und er spürte eine tiefe Beunruhigung darüber, die von Tag zu Tag anwuchs. Wieso hielt Potter diese Information zurück? Er wusste, dass Potter sich noch einmal an Dumbledore gewandt hatte. Dumbledore hatte es ihm erzählt. Aber auch nicht mehr als das. Hatte Dumbledore Potters Bedenken aus der Welt schaffen können? Der Schulleiter hatte sich sehr bedeckt gehalten, weshalb Severus nicht wusste, wie Potter mittlerweile über die Begegnung in der letzten Vollmondnacht dachte. Frustriert schlug er das Buch zu und stand auf. Es war Zeit für das Abendessen und er hoffte, dass er Lily noch vorher kurz sehen konnte.
Mit weichen Knien durchschritt Lily das große Eichenportal in die Eingangshalle und sah sich um. Sofort erblickte sie Severus, der vor der Flügeltür zur großen Halle stand und auf sie zu warten schien. Sie lächelte gequält, denn in ihren Gedanken hallten James Worte noch laut und unheilvoll nach, auch wenn sie nicht mehr darüber nachdenken wollte. Sie ging auf Severus zu und ihr Bauch begann zu kribbeln, was sie wieder an ihren Vorsatz erinnerte und sie in die Gegenwart zurück holte. Ganz nah vor ihm blieb sie stehen, schlang ihre Arme um seine Taille und lehnte sich an ihn. Überrascht hielt Severus einen Moment inne, bevor er ihre Umarmung genauso fest erwiderte. „Ist alles in Ordnung?", fragte er besorgt in ihr Haar und sie nickte stumm. „Wieso warst du draußen?", fragte er und Lily löste sich verlegen von ihm. „Ich wollte noch einmal das Schlossgelände sehen.", sagte sie und errötete, weil sie ihn anlog. Wieso sagte sie ihm nicht die Wahrheit? Weil sie Angst vor seiner Reaktion hatte? Vielleicht würde er bloß über James Anschuldigungen lachen, ihr seinen linken Unterarm zeigen und sie zärtlich in die Arme schließen, wo sie sich voller Erleichterung an ihn schmiegen konnte. „Wer weiß, wie oft ich das alles noch sehe.", fügte sie schnell hinzu, als sie Severus forschenden Blick bemerkte. Er schwieg einen Moment, dann nickte er und ein sanftes Lächeln umspielte die harten Züge um seinen Mund, was ihm etwas jungenhaftes verlieh. Das sah sie viel zu selten bei ihm. Sie liebte sein Lächeln und würde alles dafür geben, es öfter an ihm zu sehen. „Stimmt.", sagte er und küsste sie sanft auf die Stirn. Sie griff nach seiner Hand und streichelte sanft mit ihrem Daumen über seinen Handrücken. Wie hatte sie an ihm zweifeln können, dachte sie voller Liebe zu ihm und küsste ihn strahlend auf die Wange, bevor sie gemeinsam die große Halle betraten.
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Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und Licht
FanfictionDie Geschichte einer Liebe, die in einem Kampf zwischen Schatten und Licht ausgetragen wird. In einem stetigen Kampf zwischen den verschiedensten Gefühlen, Ängsten und Sorgen, müssen Lily und Severus Entscheidungen treffen, die ihr Leben für immer v...