Zu ihrer Erleichterung stellte Lily fest, dass vor der Bibliothek keine Menschenseele zu sehen war. Ihr Griff um ihren Zauberstab lockerte sich etwas und sie trat nun mitten in den Gang, wo sie sich noch einmal vorsichtig umsah. Als sie auch hier nichts ungewöhnliches entdecken konnte, steckte sie ihren Zauberstab schließlich in ihren Umhang und machte sie sich auf den Weg zum Gryffindorturm. Sie wurde jedoch ruckartig gestoppt, als sie jemand an den Schultern packte und sie um die Ecke in den nächsten Gang schob. Erschrocken drehte sie sich nach der Person um und erstarrte. „Du.", hauchte sie und spürte deutlich die Anspannung, die sich augenblicklich in ihrem Körper ausbreitete. „Hey Evans.", sagte Regulus Black und grinste höhnisch. „Heute Abend ganz allein unterwegs?", fragte er und warf einen verstohlenen Blick über seine Schulter. Sie bemerkte, wie er seinen Zauberstab, den er offenbar die ganze Zeit mit erhobener Hand gehalten hatte, langsam wieder sinken ließ, bevor er sich wieder zu ihr drehte. Lily verspürte Unbehagen über sein merkwürdiges Verhalten und fragte sich, was er von ihr wollte. Und was bei Merlins Barte er mit seinem Zauberstab vorgehabt hatte? Sie unterdrückte ihre langsam aufkeimende Angst und wandte sich, selbstsicherer als sie sich fühlte, zum Gehen. „Guten Abend, Regulus.", sagte sie, wurde jedoch unsanft von ihm aufgehalten, weil er sie in Sekundenschnelle am Arm gepackt hatte. „Nicht so eilig.", grummelte er und drückte Lily ein Stück an die Wand. Sie verfluchte sich dafür, dass sie ihren eigenen Zauberstab schon in ihre Tasche gesteckt und nicht direkt wieder gezogen hatte und überlegte fieberhaft, wie sie sich ohne Magie aus dieser Situation befreien konnte. Aus dieser Position war es unmöglich unbemerkt an ihre Umhangtasche zu kommen, weshalb sie kurzerhand beschloss in die Offensive zu gehen. Sie richtete sich zu ihrer vollen Größe auf, wobei Regulus immer noch ein kleines Stück größer war, und reckte ihm selbstbewusst das Kinn entgegen. „Lass mich sofort los!", sagte sie mit fester Stimme, während ihr die Knie immer weicher wurden und ihr Herz ihr wild bis zum Hals schlug. Wieder sah Regulus sich in dem Gang um. Als hielte er nach jemandem Ausschau, schoss es ihr durch den Kopf, bevor sie versuchte ihm ihren Arm zu entziehen. „Du sollst mich los lassen.", sagte sie erneut und starrte Regulus wütend entgegen. „Nicht so schnell.", wiederholte Regulus in einem Tonfall, der sich eher wie eine Bitte anhörte und sein Verhalten in Lilys Augen plötzlich ziemlich grotesk wirken ließ. Irritiert legte sie den Kopf etwas schief und musterte ihn eindringlich. „Ich möchte einfach nur in den Gryffindorturm gehen, Regulus. Bitte.", sagte sie leise, weil sie sich plötzlich unendlich erschöpft fühlte. Zu ihrer Überraschung nickte Regulus langsam, sah sich ein letztes Mal prüfend um und ließ sie schließlich los. „Gut.", sagte er ruhig und Lily blieb für einen kurzen Augenblick wie angewurzelt stehen, weil sie nicht wusste, ob er sie reinlegte und sie geradewegs in eine Falle laufen würde, wenn sie jetzt fort ging. „Geh schon.", sagte er ungeduldig und Lily griff nach ihrem Zauberstab, den sie in Verteidigungsposition vor ihren Körper hielt, während sie sich vorsichtig von Regulus entfernte, der ihr mit unergründlicher Miene nachsah. Sobald sie sich außer Sichtweite befand, rannte sie los. Sie rannte so schnell sie konnte und kam erst wieder vor dem Gemälde der fetten Dame zum Stehen. Völlig außer Atem nannte sie dem Porträt das Passwort und schlüpfte in die sicheren Mauern des Gemeinschaftsraums.
Wie gerädert saß Severus vor seinem Frühstück am Slytherintisch und stocherte lustlos auf seinem Teller herum. Er hatte diese Nacht kaum geschlafen, weil ihn die gewöhnlichen Alpträume heimgesucht hatten, die ihn von Woche zu Woche mehr zu quälen schienen. Sie wurden immer grauenvoller und er war kaum noch fähig sie zu ertragen. Schon öfter hatte er darüber nachgedacht sich einen Schlaftrank zu brauen, damit er wenigstens für ein paar Nächte völlig traumlos schlafen konnte. Sein Körper sowie auch sein Geist würden diese Ruhe eigentlich dringend benötigen. Aber er war sich der Gefahren dieser Tränke zu sehr bewusst. Sie konnten schnell abhängig machen, vor allem bei solch einer psychischen Verfassung, in der er sich gerade befand. Eine Verfassung in der er danach lechzte ein wenig Frieden zu finden und seinen Verstand so weit zu benebeln, dass er nicht mehr nachdenken musste. Jedoch war er ebenfalls der festen Überzeugung, dass er diese Erlösung überhaupt nicht verdient hatte und seine Qualen die gerechte Strafe für ihn waren. Er sah hinüber zum Gryffindortisch und entdeckte Lily fast augenblicklich. So wie er sie immer sofort sah, egal wie viele Menschen um sie herum waren. Es war als leuchtete sie alles in ihrer Umgebung aus und als würde ein stetiges Licht von ihr ausgehen. Sein Herz machte einen Sprung und augenblicklich breitete sich die wohltuende Wärme in ihm aus, nach der seine Seele sich ununterbrochen sehnte. Er wandte den Blick erst wieder ab, als eine Eule direkt vor seinem Teller auf dem Tisch landete und ihm auffordernd ihr Bein entgegen streckte. Verdutzt starrte er die Eule einen Moment an, dann nahm er ihr mit zitternden Händen den Brief ab, dessen Siegel er sofort erkannt hatte. In Gedanken bereits bei dem Brief, riss er ein Stück von seinem Toast ab und reichte es der Eule, die es gierig hinunter schlang, bevor sie sich krächzend wieder in die Lüfte erhob und eilig wieder aus einem der Fenster im Dachgewölbe verschwand. Er hielt den Umschlag in seinen Händen, als könnte er jeden Moment explodieren und er war sich nicht sicher, ob er ihn öffnen sollte. Es würde nichts ändern. Es spielte keine Rolle mehr, was dort in dem Brief stand, denn das Ergebnis war nun nicht mehr Teil seiner Zukunft. Selbst wenn er die Stelle im St. Mungos, wider seinen Erwartungen, bekommen hatte, wollte er sich nicht mit dem Gedanken quälen, dass sein Leben vielleicht hätte gut werden können. Denn es würde niemals mehr gut werden. Jetzt, da er ein Todesser war, brauchte er keinen Job mehr um ein Leben mit Lily beginnen zu können, denn es würde kein Leben mehr mit ihr geben, sobald sie hinter sein Geheimnis kam. Es war bloß seine Frage der Zeit, und wenn er ehrlich zu sich war, hatte er genauso viel Angst vor einer Zusage, wie vor einer Absage. Eine Zusage würde sich anfühlen wie ein spöttischer Gruß des Schicksals, das ihn schmerzlich verhöhnte. Er zerknüllte den ungeöffneten Brief in seiner rechten Faust und ließ ihn schnell in den Tiefen seiner Schultasche versinken.
Lily war müde. Nach der Begegnung mit Regulus gestern Abend war sie direkt in ihren Schlafsaal gegangen und hatte sich in ihrem Bett verkrochen. Ihre Freunde hatte sie mit der Ausrede abgewimmelt, dass sie erschöpft sei und früh schlafen gehen wolle. Vor allem Sirius hätte sie nicht in die Augen blicken können, ohne ständig Regulus Gesicht vor sich zu sehen. Sie konnte sich ihren Freunden nicht anvertrauen, weil sie nicht wollte, dass sie schlecht von Regulus dachten. Immerhin war er Sirius Bruder und die beiden hingen so sehr aneinander, wie es so unterschiedliche Geschwister es eben konnten. Auf ihre ganz eigene verschrobene Weise, auch wenn die Rivalität zwischen ihnen immer präsent war. Auf gar keinen Fall wollte sie das über die Jahre immer dünner gewordene Band zwischen den beiden zerstören. Deshalb hatte sie schweren Herzens beschlossen, dass sie diese Begegnung für sich behalten würde. Und auch Severus würde sie nichts davon erzählen. Er wäre ziemlich sicher außer sich vor Wut und sie wollte nicht, dass er sich wegen Regulus Probleme einhandelte. Das war Regulus Gehabe wirklich nicht wert. Trotzdem saß ihr der Schreck, den er ihr bereitet hatte, immer noch tief in den Knochen und sie hatte lange darüber nachgegrübelt, was er eigentlich von ihr gewollt hatte. Sein Verhalten war einfach nur merkwürdig gewesen, aber er hatte sie weder erpresst, noch bedroht oder sonst auf irgendeine Weise bedrängt. Irgendwann in dieser Nacht hatte sie das Grübeln dann aufgegeben, um wenigstens noch ein bisschen Schlaf zu bekommen. Vermutlich würde sie nie erfahren, welcher Grindeloh ihn geritten hatte.
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Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und Licht
FanfictionDie Geschichte einer Liebe, die in einem Kampf zwischen Schatten und Licht ausgetragen wird. In einem stetigen Kampf zwischen den verschiedensten Gefühlen, Ängsten und Sorgen, müssen Lily und Severus Entscheidungen treffen, die ihr Leben für immer v...