Kapitel 46 - Die Weihnachtsferien

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Lily saß im Hogwartsexpress und las in einem Buch, während Amber und Sirius sich leise unterhielten und James und Peter ihre doppelten Zauberfroschkarten tauschten, um ihre mittlerweile ziemlich beträchtlichen Sammlungen zu vergrößern. Es war bereits früher Abend und sie würden jeden Moment im Bahnhof Kings Cross in London einfahren. Lily freute sich auf Zuhause, auch wenn es sie traurig machte, dass Remus über die Weihnachtsferien alleine in Hogwarts bleiben würde. Angeblich waren seine Eltern verreist und James Angebot, ihn und Sirius zu den Potters zu begleiten, hatte er abgelehnt. Die Potters hatten Sirius im letzten Sommer bei sich aufgenommen und er lebte seitdem dauerhaft bei ihnen, weil er vor seiner fanatisch reinblütigen Familie geflohen war. James hatte Remus mehrfach versichert, dass auch er jederzeit herzlich Willkommen war, und auch Lily bot ihm an, mit zu den Evans zu kommen. Aber Remus hatte beide Vorschläge dankend abgelehnt und behauptet, er werde die ruhige Zeit ohne sie in vollen Zügen genießen. Lily war sich jedoch sicher, den wahren Grund für seine Zurückweisung zu kennen. Bald würde wieder Vollmond sein, und nirgendwo sonst wusste Remus seine Mitmenschen mehr in Sicherheit vor ihm als in Hogwarts, weshalb er es vermutlich vorzog sich dort zu verstecken, anstatt Nachhause zu fahren. Und auch Lily musste sich eingestehen, dass Remus eine Vollmondphase nicht bei ihrer Familie verbringen konnte, so lange sie außerhalb von Hogwarts noch nicht zaubern durften. Die Potters hätten Remus eine sichere Umgebung schaffen können, aber letzten Endes war es Remus Entscheidung, und dickköpfig wie er in Bezug auf seine Krankheit war, konnte ihn nichts davon abbringen in Hogwarts zu bleiben. Wenigstens war er in ganz guter Stimmung gewesen als sie abgereist waren, dachte Lily erleichtert. Sie klappte ihr Buch zu und beobachtete aus dem Fenster, wie der Zug jetzt in den Bahnhof einfuhr. Sie fingen an ihre Sachen zusammen zu packen und stiegen schließlich gemeinsam aus dem Zug. Lily sah sich um und entdeckte ihre Eltern am Bahnsteig stehen, die sich angeregt mit Ambers Eltern unterhielten und Lily und Amber fröhlich zu winkten, als sie sie erblickten. Lily verabschiedete sich bei jedem ihrer Freunde mit einer herzlichen Umarmung und als sie gerade bei Sirius angekommen war und ihn an sich drückte, zog sie schon wieder jemand am Arm zurück. „Hey Evans, ich bin jetzt dran." Überrascht sah sie in das grinsende Gesicht von Regulus, der Sirius jetzt ebenfalls in die Arme schloss. Die Brüder hielten sich eine Weile fest und klopften sich aufmunternd auf den Rücken, bevor sie sich voneinander lösten und sich unsicher angrinsten. Lily rührte dieser Anblick, denn sie glaubte zu verstehen, was in diesem Moment in den beiden vor ging. Sie wusste, dass Geschwister, egal wie unterschiedlich sie auch sein mochten und was sie auch für Entscheidungen in ihrem Leben trafen, immer durch ein unsichtbares Band miteinander verbunden waren. Dieses Weihnachtsfest würde vermutlich das erste im Leben der Brüder sein, dass sie ohne einander verbrachten, was den beiden offenbar gerade in diesem Moment schmerzlich bewusst war. Lily beobachtete wie Regulus sich abwandte und mit schnellen Schritten und ohne sich noch einmal umzusehen den Bahnsteig verließ. Sirius lächelte ihm traurig nach und James, der neben Sirius stand und Regulus ebenfalls hinterher sah, legte Sirius tröstend eine Hand auf seine Schulter. Amber, die auf Sirius anderen Seite gestanden hatte, küsste ihn noch einmal liebevoll auf den Mund und strich ihm tröstend durch sein Haar, was er mit einem dankbaren Lächeln beantwortete, bevor sich James und Sirius ebenfalls auf den Weg nach draußen machten. Lily und Amber gingen zu ihren Eltern hinüber, die freudig strahlend ihre Arme ausbreiteten und ihre Töchter herzlich begrüßten. Lilys Vater nahm ihr ihre Reisetasche ab und sie drückte Amber noch einmal zum Abschied einen Kuss auf die Wange. „Richard, Rose, wir sehen uns dann im Sommer!" Sagte Ambers Vater fröhlich und auch ihre Mutter strahlte die Evans an. „Wir haben uns im Sommer zum Grillen verabredet." Fügte Ambers Mutter erklärend für Lily und Amber hinzu und die beiden Freundinnen grinsten sich an. Sie waren glücklich, dass ihre Eltern sich trotz der Unterschiede zwischen Muggeln und Zauberern so gut verstanden und freuten sich bereits darauf, sich in den kommenden Sommerferien zu sehen. Nachdem ihre Eltern noch einige Worte bezüglich der Verabredung gewechselt hatten, verabschiedeten auch sie sich freundschaftlich voneinander, und wenig später saßen die Evans bereits in ihrem Wagen auf dem Weg zurück nach Cokeworth.

Die ersten beiden Tage Zuhause verbrachte Lily damit ihrer Mutter bei den Weihnachtsvorbereitungen zu helfen. Sie schmückten das Haus und den Garten, buken Plätzchen, erledigten Weihnachtseinkäufe und verpackten Geschenke und Lily musste sich eingestehen, dass sie äußerst dankbar war für diese Ablenkung. Immer wieder wanderten ihre Gedanken zu Severus und Remus, die in Hogwarts geblieben waren und es war ihr nicht wohl dabei, dass sie Weihnachten dort allein verbrachten. Für Remus hatte sie bereits ein Päckchen mit einem dicken warmen Schal, einigen von ihren selbst gebackenen Plätzchen und einer großen Tafel seiner Lieblingsschokolade gepackt. Jetzt saß sie an ihrem Schreibtisch, um auch noch ein paar Zeilen an ihn zu schreiben. Als sie den Brief beendet hatte, las sie ihn sich noch einmal kurz durch und legte dann zufrieden ihre Schreibfeder beiseite. Sie blickte aus dem Fenster. Draußen war es bereits stockfinster und sie sah in ihr eigenes Gesicht, dass sich durch das warme, gedämpfte Licht in ihrem Zimmer auf der Scheibe ihres Fensters spiegelte und sie traurig ansah. Sie musste sich nicht fragen, warum sie trotz der eigentlich fröhlichen Weihnachtszeit so niedergeschlagen aussah. Das Paket an Remus erinnerte sie schmerzlich daran, dass an Severus vermutlich niemand denken würde. Sie nahm eine Postkarte in die Hand, die übrig geblieben war und jetzt einsam auf ihrem Schreibtisch lag und betrachtete sie nachdenklich. Auf ihr war ein großer dunkelgrüner Weihnachtsbaum abgebildet und sein Schmuck war in schlichten Rot- und Goldtönen gehalten, die Farben Gryffindors, dachte sie lächelnd und legte die Karte mit dem Motiv nach unten auf den Schreibtisch zurück. Sie sah noch einmal aus dem Fenster, in dem sie wieder nur ihr eigenes Spiegelbild erblickte, und betrachtete sich selbst dabei, wie sie an jemanden dachte, der ihr eigentlich egal sein sollte. Sie nahm die Feder, die sie gerade erst beiseite gelegt hatte, tauchte sie in das noch offene Tintenfässchen und begann zu schreiben.

„Ich wünsche Dir frohe Weihnachten,

und alles Gute für das neue Jahr. L."

Mehr schrieb sie nicht. Mehr konnte sie nicht schreiben. Es war gerade so viel, dass sie leichteren Herzens sein konnte, und noch so wenig, dass es keine Rolle spielen würde, wenn die Karte niemals gelesen würde. Bevor sie es sich anders überlegte, holte sie Picaldi aus seinem Käfig, band ihm das kleine Päckchen und die Karte an sein Bein und streichelte ihm liebevoll über den Kopf. „Das muss nach Hogwarts, mein kleiner. Für Remus und Severus, in Ordnung?" Picaldi schmiegte sich an ihre Hand und ließ ein kurzes Krächzen ertönen, als würde er ihr versichern wollen, dass er seinen Auftrag gewissenhaft ausführen würde. Sie öffnete das Fenster und unverzüglich wehte ein eisiger Wind hinein und ließ sie in ihrem Schlafanzug frösteln. Die große Schleiereule sprang auf das Fensterbrett, stieß sich elegant von diesem ab und segelte so mühelos in die Nacht hinein, als würde sie das Paket unter ihr überhaupt nicht bemerken. Lily schlang ihre Arme zum Schutz vor der kalten Nachtluft eng um ihren Körper und sah Picaldi nach, bis die Dunkelheit ihn vollkommen verschluckt hatte. 

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt