Kapitel 102 - Smaragdgrün

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Der Abend fühlte sich an wie eine Ewigkeit, weil sich für Severus alles in einer Art Zeitlupe abspielte. Gleichzeitig verging die Zeit zu schnell und er hatte das Gefühl, dass sie ihm unaufhaltsam durch die Finger rinn. Sein Magen verkrampfte sich bei dem Gedanken, dass er sich gleich schon wieder von Lily verabschieden musste, denn die Ungewissheit würde bleiben. Was wäre danach? Wie würde es weiter gehen? Das schlechte Gewissen kroch wie ein tödliches Gift durch seinen Körper und schloss sich erbarmungslos um sein Herz. Er brachte Lily in Lebensgefahr. Mit Mühe verdrängte er diesen Gedanken und beruhigte sich damit, dass Voldemort nicht hier war und dass er mittlerweile so gut in der Kunst der Okklumentik war, dass keine Gefahr bestand seine Gefühle zu Lily und somit auch sie zu verraten. Niemand musste erfahren, dass er ihre Freundschaft aufleben ließ. Mehr wollte er nicht. Bloß ihre Freundschaft. Das würde ihm genügen, denn es war besser als ohne sie Leben zu müssen. Er wusste, dass sie ihn nie auf die Art lieben würde wie er sie. Damit hatte er sich schon vor langer Zeit abgefunden und es war in Ordnung, oder zumindest würde er es irgendwie ertragen, Hauptsache er konnte bei ihr sein. Wenn nur Potter nicht wäre, dachte er niedergeschlagen und hoffte, dass Lily sich nicht ernsthaft mit ihm einlassen würde. Severus blickte auf, als alle um ihn herum aufstanden und bemerkte, dass Slughorn offenbar das Ende des Abends verkündet hatte. Er stand ebenfalls auf, schob schnell den klobigen Eichenstuhl an den Tisch und wandte sich zum Gehen, als er gegen Lily stieß, die gerade an ihm vorbei gehen wollte. Er blickte geradewegs in ihr lächelndes Gesicht, in ihre smaragdgrünen Augen, die auf eine Art funkelten, die er schon lange nicht mehr bei ihr gesehen hatte. Er fragte sich, wie er es hatte ertragen können ihr so lange fern zu bleiben. Die protestierende Stimme in seinem Kopf wurde leiser, verstummte fast gänzlich, was ihm zu seinem nächsten Schritt verleitete. „Soll ich dich ein Stück begleiten?" Fragte er plötzlich und bereute es im selben Augenblick, als er ihr Zögern und die kleine nachdenkliche Falte auf ihrer Stirn bemerkte. „Ja, warum nicht." Antwortete sie unerwartet und er verspürte ein aufgeregtes Kribbeln im Bauch. Seine Hände wurden feucht, fühlten sich eiskalt und seltsam fremd an, als würden sie nicht zu ihm gehören, aber er achtete nicht weiter darauf. Er bedeutete Lily mit einem Kopfnicken vorzugehen und sie verließen hintereinander den Raum, um dann nebeneinander durch die Gänge der Kerker zu laufen, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen. Beide kämpften mit der gleichen Angst zu viel zu sagen und den anderen zu verschrecken, und gleichzeitig zu wenig zu sagen um der Beschreibung ihrer Gefühle gerecht zu werden. Somit begnügten sie sich mit der vertrauten und doch so fremd gewordenen Nähe des anderen, gingen Seite an Seite durch die Flure von Hogwarts und warfen sich nur hier und da einen verstohlenen Seitenblick zu, in der Hoffnung der andere würde diesen nicht bemerken. Sie waren bereits die großen marmornen Treppenstufen in den ersten Stock hinauf gelaufen, als Lily stehen blieb und ihn verlegen ansah. „Du musst mich nicht nach ganz oben begleiten." Sagte sie, obwohl ein Teil von ihr hoffte, dass die gemeinsame Zeit nicht schon hier und jetzt endete. Jedoch wollte sie ihm keine Umstände bereiten, den langen Weg hinauf zum Gryffindor Turm auf sich zu nehmen, wenn er hinterher den ganzen Weg wieder zurück laufen musste. Aber zu ihrer Erleichterung schüttelte Severus leicht aber bestimmt den Kopf. „Das ist kein Problem für mich." Sagte er und fügte hastig hinzu: „Nur wenn du willst natürlich." Lily lächelte. „Na dann, mal los." Sagte sie fröhlich und sie gingen wieder nebeneinander her. Sie musste an James denken und daran, dass Severus so viel zurückhaltender war als er. James war niemals zu aufdringlich gewesen, trotzdem empfand sie Severus Ernsthaftigkeit und seine bedächtige Art als angenehm und sogar wohltuend. Sie brauchten nie viele Worte, hatten sie nie gebraucht, und doch wussten sie alles voneinander. Oder hatten es einmal gewusst, dachte Lily voller Traurigkeit und ahnte, dass sie einiges aufzuarbeiten hätten, wenn sie sich wieder anfreundeten. Wäre Severus dazu bereit? Wäre er bereit ihr zu erklären was geschehen war? „Sev, ich glaube wir müssen reden." Begann sie und er blieb abrupt stehen. Unsicher, ja sogar fast ängstlich sah er sie an. „Nicht heute." Fügte sie schnell hinzu und Severus entspannte sich merklich. Sie nahm seine Hand und blickte ihm direkt in seine schwarzen Augen. „Versprich mir, dass du, wenn es soweit ist mit mir redest und nicht wieder weg läufst." Flüsterte sie und Severus verlor fast den Verstand bei dem Gefühl von Vertrautheit, das wieder zwischen ihnen aufkeimte. Wenn auch nur zart, war es deutlich zu spüren und es war wie eine Sucht für ihn. Er wollte mehr, würde ihr alles versprechen, wenn er nur bei ihr sein konnte. „Ja." Antwortete er mit brüchiger Stimme. „Ich verspreche es." Sagte er, obwohl er nicht wusste, wie um alles in der Welt er ihr die Wahrheit erklären sollte. Lily lächelte sanft und ließ seine Hand langsam los, was sofort den Impuls in ihm auslöste wieder nach ihr zu greifen und sie fest umschlossen zu halten. Aber er hielt sich zurück und ging wieder schweigend neben ihr her, genoss die wenige Zeit die ihnen noch gemeinsam blieb und versuchte nicht an den Moment zu denken, wenn er ihr die Wahrheit über sich erzählen musste. Das Porträt, das den Eingang zum Turm der Gryffindors bewachte, war bereits zu sehen und in wenigen Schritten hatten sie es erreicht. Sie blieben davor stehen und keiner von ihnen wusste was er sagen sollte, weswegen sie sich unsicher ansahen. „Gute Nacht." Begann Severus und lächelte leicht. Auch Lilys Mundwinkel umspielte ein Lächeln und sie wollte gerade etwas erwidern, als das Porträt aufschwang und jemand den Kopf herausstreckte. „Lily." Sagte Sirius überrascht und grinste. Sein Grinsen erstarb allerdings unmittelbar nachdem er Severus erblickte. „Schniefelus." Rief er überrascht aus. „Welch Ehre dich hier zu sehen." Fügte er sarkastisch hinzu, bevor er komplett aus dem Porträtloch kletterte und sich an Lily wandte. „Alles in Ordnung?" Fragte er sie und Lily runzelte die Stirn. „Warum nicht?" Fragte sie verwirrt und Sirius blickte sie mit hochgezogenen Augenbrauen an, als müsste sie wissen, warum nicht alles in Ordnung sein könnte. „Nur so." Sagte er bloß und musterte Severus, der ihn schmallippig anlächelte. „Ich wollte sowieso gerade gehen. Gute Nacht, Lily." Sagte Severus ruhig, sah ihr noch kurz in die Augen und ging. „Gute Nacht." Rief sie ihm nach, aber er war bereits um die Ecke verschwunden. Sirius blickte ihm ebenfalls nach, dann sah er wieder zu Lily. „Was sollte das denn? Hat er dir wieder nachgestellt?" Fragte er und betrachtete sie argwöhnisch. „Nein, hat er nicht. Und ich denke, dass ich ganz gut alleine auf mich aufpassen kann." Antwortete sie, ruppiger als sie beabsichtigt hatte, und fügte etwas sanfter hinzu: „Aber danke." Dann murmelte sie der fetten Dame das Passwort für den Durchlass zu und kletterte in den Gemeinschaftsraum, wo sie fast mit Amber zusammen stieß, die offenbar auf dem Weg nach draußen war. „Lily." Rief sie fröhlich. „Da bist du ja wieder." – „Ja." Antwortete Lily lächelnd und Amber drängte sich an ihr vorbei. „Ich bin noch mit Sirius unterwegs. Wir sehen uns später." Lily warf einen Blick auf die große goldene Uhr über dem Kamin und sah dann wieder zu Amber, die lachend die Schultern zuckte und im nächsten Moment schon nicht mehr zu sehen war. Lily schüttelte amüsiert den Kopf. Es war bereits kurz vor 10, und eigentlich mussten die volljährigen Schüler um Punkt 10 in ihren Gemeinschaftsräumen sein, aber Amber und Sirius liebten das Abenteuer.

Suchend sah Lily sich um und entdeckte James, Peter und Remus in eine Sesselgruppe nahe an den Aufgängen zum Schlafsaal. Sie ging hinüber und setzte sich neben Remus auf das Sofa. „Und? Weißt du jetzt wieder was du an den Slugclub Treffen so geliebt hast?" Fragte Remus ironisch und blickte dabei auf das Zauberschachspiel vor ihm. Lily lachte leise, dachte aber insgeheim, dass er irgendwie recht hatte. „Das habe ich nie wirklich vergessen." Antwortete sie zweideutig und lächelte. James blickte auf und sah sie forschend an, bevor er sich ebenfalls wieder dem Schachbrett widmete. „Du siehst ziemlich glücklich aus, Evans." Bemerkte er und tat seinen nächsten Zug, der Remus einen leisen Seufzer entlockte. „Ich schätze das ist die Vorfreude." Sagte James grinsend und Lily fiel ihre Verabredung wieder ein. „Das mit morgen steht doch noch, oder?" Fragte er als er ihren Blick bemerkte. „Klar." Sagte Lily und hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie die letzten Stunden überhaupt nicht mehr daran gedacht hatte. Als sie James zugesagt hatte, waren die Umstände noch etwas anders gewesen und sie hatte jetzt das Gefühl Severus zu hintergehen, wenn sie morgen etwas mit James unternahm. Andererseits war sie Severus nichts schuldig. Das heute Abend war lediglich eine kleine Annäherung, von der keiner wusste, was daraus werden würde. Denn noch gab es einiges, was Severus ihr erklären musste, bevor sie überhaupt den Anflug eines schlechten Gewissens haben musste, weil sie mit einem Freund ein Butterbier trinken ging, dachte sie und entspannte sich etwas. Eigentlich freute sich sogar auf den morgigen Ausflug. Immer noch war jede Abwechslung von ihrem trostlosen Schulalltag ein Segen für sie und sie genoss diese wenigen Stunden der Freiheit in vollen Zügen. Nachdenklich beobachtete sie, wie Remus einen Zug machte und James damit Schach Matt setzte, der leise zu fluchen begann. Sie achtete nicht wirklich auf die beiden. Immer wieder drifteten ihrer Gedanken ab und nicht zum ersten Mal an diesem Abend fragte sie sich, was geschehen war, dass Severus plötzlich wieder mit ihr sprach, und sie wusste jetzt schon, dass diese Gedanken sie die halbe Nacht wach halten würde. Ohne es sich selbst einzugestehen, verspürte sie seit so langer Zeit wieder so etwas wie Hoffnung und war fest entschlossen nach dem Strohhalm den Severus ihr heute Abend gereicht hatte zu greifen und ihn nicht so schnell wieder los zu lassen.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt