Kapitel 10 - Die Trauerweide am Fluss

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Lily wurde durch ein leises Klopfen an ihrer Tür geweckt. Sie sah sich verschlafen um als ihre Mutter den Kopf zur Tür herein streckte. „Guten Morgen mein Schatz." Sie kam ins Zimmer, setzte sich auf die Bettkante und streichelte ihr mit dem Handrücken über die Wange. „Guten Morgen Mum." Murmelte Lily mit rauer Stimme. Ihre Mutter lächelte fröhlich. „Es ist eine Eule für dich gekommen. Also außer der Zeitungseule." Lily war schlagartig hellwach. Die Prüfungsergebnisse. Sie wickelte sich aus ihrer Decke und sprang aus dem Bett. „Nicht so stürmisch junge Dame!" lachte ihre Mutter und rief beim verlassen des Zimmers. „Zieh dich erstmal in Ruhe an und komm etwas frühstücken". Lily zog eilig etwas zum anziehen aus ihrem Kleiderschrank, schlüpfte hinein und hastete die Treppe hinunter. Unten im Esszimmer saß bereits ihr Vater mit seiner Zeitung am Frühstückstisch und strahlte sie an. „Guten Morgen Lil. Gut geschlafen?" Sie lächelte. „Guten Morgen Dad. Ja, danke. Ich bin nur noch etwas müde." Ihr Vater nahm einen Schluck aus seiner Kaffeetasse. „Das hier belebt die Geister." Er zwinkerte ihr zu und vertiefte sich wieder in seine Zeitung.

Ihre Mutter kam aus der Küche und drückte sie sanft auf einen Stuhl. „Nun setz dich und iss erstmal eine Kleinigkeit. Petunia müsste auch jeden Moment kommen." Lily nahm sich einen Toast. Sie hatte keinen Appetit. Sie war aufgeregt. „Mum? Wo ist denn mein...?" – „Das hat Zeit Lily. Lass uns erstmal gemeinsam frühstücken, du bist ganz blass um die Nase." Bevor sie etwas erwidern konnte betrat Petunia das Esszimmer und Lily fragte nicht weiter nach. Sie wollte vor Tunia nicht so eine große Sache aus ihren Prüfungsergebnissen machen, um ihre Schwester nicht zu verletzen. Ihr Verhältnis war distanziert seit Lily in Hogwarts aufgenommen worden war. Und das lag nicht nur an der räumlichen Entfernung die sie und ihre große Schwester seitdem trennten. Sie wusste damals bereits, als sie das erste mal in den Hogwartsexpress stieg, dass sie ab diesem Zeitpunkt in verschiedenen Welten leben würden und nichts wie vorher sein würde. Severus und sie hatten damals in Tunias Zimmer einen Brief von Dumbledore gefunden, der darauf schließen ließ, dass sie ihn gebeten hatte auch in Hogwarts aufgenommen zu werden. Lily wurde schwer ums Herz wenn sie daran dachte. Es tat ihr Leid, dass ihre Schwester so damit haderte. Lily riss sich aus ihren Gedanken und schlug den Tagespropheten auf, den sie seit einigen Monaten abonniert hatte. Zumindest lenkten die Nachrichten aus der Zaubererwelt sie etwas ab. Wenn auch nicht mit guten Nachrichten. Der, dessen Name nicht genannt werden durfte, wurde immer mächtiger und es geschahen immer mehr schreckliche Dinge in ihrer, und auch in der Muggelwelt. Für sie waren diese Nachrichten unerträglich. Sie fühlte sich hilflos und hatte Angst, dass du weißt schon wer immer mächtiger werden würde.Sie verabscheute die dunklen „Künste". Für sie war es unverständlich, dass manche Hexen und Zauberer ihre Magie missbrauchten um andere Menschen zu ängstigen, zu foltern und zu ermorden. Ihr fröstelte bei der Vorstellung, dass die dunkle Macht eines Tages ihre Welt bestimmen könnte. Sie schob diese düsteren Gedanken beiseite. „Ma, wo ist denn mein Brief?" - „Entschuldige Schatz, das hätte ich fast vergessen." Ihre Mutter stand auf, holte die Rolle Pergament aus der Küche und reichte sie ihr. Lily lächelte. Aufregung überkam sie. Sie schaute auf die Pergamentrolle mit dem dunkelroten Hogwartssiegel. Zu ihrer Aufregung mischte sich nun auch wieder diese Traurigkeit, die in den letzten Wochen zu ihrem ständigen Begleiter geworden war. Severus und sie wollten ihre ZAG-Ergebnisse gemeinsam öffnen. Sie starrte auf das Pergament in ihren Händen. Ihre Eltern und ihre Schwester beobachteten sie erwartungsvoll. Aber sie wusste in diesem Moment wo sie den Brief öffnen wollte. „Ich glaube, ich möchte ihn lieber alleine lesen." Sie sah im Augenwinkel wie sich ihre Eltern einen vielsagenden Blick zuwarfen. Petunia lachte freudlos auf. „Du hast wohl Angst, dass du es vermasselt hast." Sie grinste ihre kleine Schwester höhnisch an. Ihre Mutter warf Petunia einen warnenden Blick zu als sie antwortete. „Das verstehen wir Liebes." Ihr Vater hingegen schaute verdutzt. „Nein, um ehrlich zu sein verstehe ich das nicht. Glaubst du wirklich dass du schlecht abgeschnitten haben könntest?" fragte er besorgt. Ihre Mutter verdrehte die Augen und Lily musste schmunzeln. „Nein Dad, ich glaube ich bin eigentlich ziemlich gut." Sie zwinkerte ihm zu. „Dann stelle ich eine Flasche Sekt kalt, damit wir nachher anstoßen können." Rief er ihr fröhlich hinterher als sie aufstand und die Treppe hinauf ging. Sie musste lachen, obwohl ihr eigentlich nicht danach Zumute war. In ihrem Zimmer angekommen nahm sie ihren Zauberstab von ihrem Schreibtisch und steckte ihn zusammen mit der Pergamentrolle in ihrer lederne Schultasche. Sie eilte die Treppen wieder hinab und in den Flur.

Sie schlüpfte in ihre Turnschuhe und rief „bis später" in Richtung Esszimmer. Ohne eine Antwort abzuwarten war sie auch schon durch die Haustür nach draußen getreten. Es würde ein schöner Sommertag werden. Die Sonne schien bereits kräftig, und es roch nach frisch gemähtem Gras. Sie streckte ihr Gesicht in die Sonne und sog die warme Luft ein. Sie fühlte sich plötzlich ganz leicht. Sie ging die Straße hinunter bis sie zu dem Spielplatz kam auf dem sie in ihrer Kindheit so viel Zeit verbracht hatte. Sie bog hinter ihm auf einen Feldweg ein der am Fluss entlang führte. Sie spazierte eine Weile den Weg entlang und blieb an einer schönen Stelle am Ufer stehen an dem ein paar Kinder bereits im seichten Flussbett spielten. Sie ging weiter, der Bewegung an der frischen Luft tat ihr gut. Das Ufer war jetzt dicht von Büschen und Bäumen bewachsen, sodass man den Fluss zwar hören aber nicht mehr sehen konnte.

An einer Einmündung blieb sie erneut stehen. Sie schob ein paar Äste zur Seite und trat auf einen schmalen Trampelpfad. Wenn man nicht wusste, dass er existierte, war er vom Feldweg aus nicht zu sehen. Severus und sie hatten ihn vor einigen Jahren bei einer ihrer Erkundungstouren entdeckt. Sie ging weiter den Pfad entlang, bis sie eine die kleine Halbinsel betrat um die sich der Fluss schlängelte. Auf dieser Halbinsel stand eine riesige Trauerweide, die mit ihren tiefhängenden Ästen einen grünen Vorhang aus Blättern bildete. Die umliegenden Ufer waren so dicht bewachsen, dass man die kleine Halbinsel auch von dort aus nicht einsehen konnte. Sie setzte sich unter die Weide in das hohe Gras. Der Wind rauschte im Einklang mit dem Fluss in den Blättern der Weide. Sie legte sich hin und schaute nach oben. Die Sonne schien durch das Blätterdach und zauberte ein magisch grünes Licht unter den Baum. Ihre Strahlen tanzten mit den Schatten der Blätter umher. Lily fühlte sich ruhig, ihr Kopf war vollkommen leer und sie genoss einfach die Natur um sich herum. Nach einiger Zeit setzte sie sich auf, zog ihre Tasche zu sich heran und nahm das Pergament mit dem dunkelroten Siegel hervor. Sie öffnete den Brief und las ihn bedächtig. Sie hatte in jedem Fach ein „O" wie ohnegleichen. Sie strahlte. Damit standen ihr sämtliche Türen offen und sie konnte damit beginnen, ihre weitere Zukunft nach Hogwarts zu planen. Zufrieden legte sie sich zurück ins Gras und schaute wieder den wiegenden Blättern an ihren Ästen zu. Sie hatte es hinter sich gebracht. Allein. An diesem Ort an dem sie ihm so nah war. Wenn sie die Augen schloss, konnte sie fast spüren wie er neben ihr lag. So wie früher. Ihr ganzer Körper entspannte sich und zum ersten Mal seit drei Wochen, schlief sie ohne die düsteren Gedanken ein.

Severus hielt einen Moment inne als er an das Ende des Pfades trat. Dort unter der Trauerweide lag eine Gestalt auf dem Boden. Ihm stockte der Atem. Er erkannte sie sofort. Lily. Vorsichtig machte er einen Schritt auf sie zu. Trotz seiner Angst, dass sie ihn entdecken könnte, ging er immer weiter in ihre Richtung. Er war wie magisch von ihr angezogen. Sein Herz klopfte. Sie lag ganz still da und bewegte sich nicht. Sie schien zu schlafen, denn ihr Atem ging regelmäßig und ruhig. Eine unendliche Zärtlichkeit überkam ihn in diesem Moment. Wie gerne würde er sie jetzt berühren. Ihre weiche Haut streicheln. Einfach still neben ihr liegen und wissen, dass sie an seiner Seite war. Er stand einige Minuten regungslos da. Unfähig seine Augen von der friedlich schlafenden Lily abzuwenden. Sie strahlte so viel wohltuende Ruhe aus. Er spürte wie ein warmes Gefühl durch seinen Körper strömte. Doch was wäre, wenn sie jetzt aufwachen würde? Er könnte in ihre grünen Augen schauen die er so sehr vermisste. Aber was würde er in ihnen sehen? Wut, Hass? Das würde er nicht ertragen. Er wusste dass er gehen musste. Aber seine Beine wollten ihm nicht gehorchen. Die Ruhe die sie ausstrahlte bannte ihn und färbte auf ihn ab. Er wollte sich nicht wieder von diesem Gefühl verabschieden. Denn er wusste wenn er ginge, würde die Rastlosigkeit ihn wieder einholen. Alle dunklen Gedanken und Gefühle würden sein Herz wieder einnehmen. Aber er konnte nicht bleiben, Lily hatte ihn aus ihrer Welt verbannt, er war nicht länger ein Teil von ihr. Diese Erkenntnis holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Entgegen jeder Vernunft ging er zu der Stelle an der sie lag, hockte sich neben sie und nahm die Rolle Pergament hoch die im Gras lag. Er rollte sie auseinander und lächelte, die Ergebnisse überraschten ihn nicht. Auch er hatte in jedem Fach mit einem Ohnegleichen abgeschlossen. Er schaute Lily an und strich zärtlich mit den Fingerspitzen über ihr Gesicht. Er wollte sie ein letztes Mal berühren, diesen Moment in sich aufnehmen und fest in seinem Herzen verschließen. Lily lächelte bei seiner Berührung und er zog seine Hand langsam zurück, damit sie nicht aufwachte. Er stand auf, nahm all seine Willenskraft zusammen und verließ die Halbinsel ohne sich noch einmal nach ihr umzusehen. 

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt