Die Dämmerung brach bereits an, während Lily und Severus immer noch eng beieinander auf dem Boden des Glockenturms saßen und schweigend den Ausblick auf das Schlossgelände genossen. Der Sonnenuntergang hatte ihnen die schönsten Farben an den Horizont gemalt, die er an diesem friedlichen Abend zu bieten hatte. Mit prächtigen Orange-, Purpur- und Lilatönen, die sanft ineinander flossen und trotz des Widerspruchs, den ihr Kontrast bildete, ein wunderschönes Bild der Harmonie abgaben. Diese kräftigen und so gegensätzlichen Farben konkurrierten in keiner Weise miteinander, sondern brachten sich gegenseitig noch mehr zum leuchten und ließen sich förmlich strahlen. Langsam verschwand das Kunstwerk der Natur im Mantel der Dämmerung und erinnerte die Liebenden daran, dass jeder noch so schöne Tag irgendwann zur Neige ging.
Lily und Severus hatten seit Stunden kein einziges Wort miteinander gesprochen, weil keiner von ihnen diese kostbare Zweisamkeit durch irgendetwas unbedachtes zerstören wollte. Es genügte ihnen einfach beieinander zu sitzen, die Nähe des anderen zu spüren und endlich zu wissen, wohin sie gehörten. Mit einem zufriedenen Seufzer schmiegte Lily sich fester an Severus, der sie liebevoll auf den Scheitel küsste und seinen Arm noch enger um ihre Schultern schlang. „Ich glaube du solltest langsam etwas essen." flüsterte er ihr ins Ohr und sie blickte ihn erstaunt an. „Nur ich? Was ist mit dir?" fragte sie lachend, woraufhin ein Lächeln Severus Mund umspielte. „Das ist nicht so wichtig. Ich bin nicht hungrig." erklärte er und Lily wusste was er meinte. Auch sie verspürte keinen Hunger. Sie war so sehr von dem berauschenden Glücksgefühl einer so lang ersehnten Liebe erfüllt, dass in ihrem Empfindungen gerade einfach kein Platz mehr war für solche niederen Bedürfnisse wie Essen, Wärme oder Schlaf. Trotzdem konnte sie nicht leugnen, dass sich das schwummrige Gefühl in ihr immer weiter ausbreitete und mittlerweile sogar ein gewisses Unwohlsein verursachte. Severus löste sich von ihr, stand auf und reichte ihr seine Hand. „Meinst du dein reizender Freund hat die Tür wieder entriegelt?" fragte er sie mit hochgezogener Augenbraue und half ihr schwungvoll auf die Beine. Lily grinste. „Wäre es so schlimm wenn nicht?" fragte sie, stellte sich auf die Zehenspitzen und legte die Arme locker um seinen Nacken. „Keinesfalls." murmelte er, bevor sie ihre Lippen auf seine legte und sie sich küssten.
Jemand räusperte sich und sie fuhren erschrocken zur Tür herum, von der das unerwartete Geräusch gekommen war. Im Türrahmen zu dem kleinen Vorraum des Glockenturms stand Remus. Er hatte die Hände in seinen Hosentaschen vergraben und lächelte verlegen. „Ich dachte ich schaue mal nach euch." erklärte er. „Remus." rief Lily und ging einen Schritt auf ihn zu. „Was zum Merlin hast du für einen Zauber verwendet um uns hier einzusperren?" fragte sie und schüttelte ungläubig den Kopf. „Mhm, nun. Einen effektiven würde ich sagen. Von deinem Snape hätte ich fast gedacht, dass er ihn kennt. Grenzt nämlich schon fast an schwarze Magie." erklärte Remus leichthin und Lily erwartete, dass Severus protestieren würde, aber dieser schnaufte bloß verärgert. „Abendessen?" fragte Remus unbekümmert und ging bereits zur Tür, während Lily und Severus noch einen kurzen Blick tauschten. Es fühlte sich an, als wollten sie sich noch einmal von der Entschlossenheit des anderen überzeugen. Ganz so, als wollten sie ein letztes Mal prüfen, ob der andere sich nicht doch noch umentscheiden wollte. Beiden war klar, dass das zwischen ihnen real werden würde, sobald sie diesen Raum verließen. Das wiederum bedeutete aber auch, dass sie sich fortan mit den Problemen auseinander setzen mussten, die ihre Verbindung zweifelsohne mit sich bringen würde.
Mit entschlossenem Gesichtsausdruck streckte Lily ihre Hand nach Severus aus. Auf eine befriedigende Weise war es sogar ein erleichterndes und befreiendes Gefühl endlich diesen Schritt zu gehen, der auf einen Weg führte, auf dem sie irgendwann vielleicht all ihre Sorgen und dunklen Geheimnisse hinter sich lassen konnten, sobald sie die anfänglichen Hürden überwunden hatten.
Severus sah Lily fragend an und sie nickte fast unmerklich. Mit einem zögerlichen Lächeln griff er nach ihrer ausgestreckten Hand und drückte sie sanft. „Kommt ihr?" fragte Remus in ungeduldigem Tonfall vom Treppenabgang herauf und Lily spürte wie Severus Hand sich noch fester um ihre schloss, als sie gemeinsam den Glockenturm verließen.
Der Abschied am späteren Abend fiel beiden gleichermaßen schwer und sie trennten sich nur unwillig voneinander. Severus hatte Lily und Remus nach dem Abendessen noch hinauf zum Gryffindor Turm begleitet und war jetzt auf dem Weg zurück in seinen eigenen Gemeinschaftsraum. Er spürte eine wohlige Zufriedenheit über den Verlauf des Tages, auch wenn ihm immer noch unwohl bei dem Gedanken war, in welche Abgründe er Lily mit hineinzog. Dieses Gefühl wurde jedoch zu sehr von seinem überwältigendem Glücksgefühl verdrängt, um ernsthaft darüber nachdenken zu können, was noch auf sie zukommen würde. Er war immer noch wie berauscht von Lilys Nähe, ihrer Wärme und dem unfassbaren Gefühl, dass sie nun ein richtiger Teil von ihm war, und er von ihr. Unwillkürlich fragte er sich, ob sie jetzt ein Paar waren. Ein Liebespaar, und nicht nur zwei Menschen die eine enge Freundschaft und gemeinsame Vergangenheit miteinander teilten. Er war sich fast sicher, dass es das bedeutete, aber er konnte es nicht glauben. Es entzog sich schlicht seiner Vorstellungskraft, dass Lily wirklich solche Gefühle für ihn haben könnte. Und so sehr er sie auch jetzt schon vermisste und so gerne er jede Sekunde bei ihr sein wollte, brauchte er doch die Zeit allein. Zeit um über alles in Ruhe nachzudenken, um zu verarbeiten was heute geschehen war und um sich zu überlegen, wie seine nächsten Schritte aussehen würden.
„Mhm, wie es aussieht, konntet ihr eure Probleme klären?" fragte Remus schmunzelnd und musterte Lily forschend, während sie gemeinsam auf dem Boden vor dem Kamin saßen und ihre Füße den wärmenden Flammen entgegen streckten. Erst hier in dem gut geheizten Gemeinschaftsraum hatte Lily so richtig bemerkt, wie durchgefroren sie war, nachdem sie die vielen Stunden auf dem zugigen Glockenturm verbracht hatte. „Ja, wir waren irgendwie dazu gezwungen." sagte Lily, nicht ohne einen leichten Tadel in ihrer Stimme. Remus kratzte sich verlegen mit seiner Hand am Hinterkopf, sagte jedoch nichts. „Danke." fügte sie flüsternd hinzu. Jetzt in einem sanfteren Tonfall und mit einem herzlichen Lächeln auf dem Gesicht, woraufhin auch Remus zögerlich lächelte. „Manchmal braucht man eben nur einen kleinen Stupser." erklärte er, bevor sein Blick gedankenverloren zum Feuer schweifte. „Seid ihr jetzt zusammen?" fragte er neugierig und Lily dachte einen Moment darüber nach. „Ja." sagte sie schließlich. „Ja. Ich denke schon." Remus nickte langsam. „Konntet ihr alles aus der Welt schaffen?" fragte er, was Lily jedoch verneinen musste. „Wir haben noch viel aufzuarbeiten, fürchte ich." sagte sie seufzend und sah ebenfalls in die Flammen, als könnten diese ihr die Antworten auf ihre vielen Fragen liefern. Aber wie erwartet blieben sie ihr diese Antworten schuldig, sondern knisterten und prasselten bloß undeutlich vor sich hin, wie ein paar zärtlich geflüsterte Worte zwischen zwei Liebenden. Lilys Gedanken schweiften automatisch zu Severus und ein prickelndes Gefühl breitete sich in ihrem Bauch und auf ihrer Haut aus. Unversehens stieg ihr Severus Geruch in die Nase, der noch auf ihrem Umhang haftete und den Beweis für sie darstellte, dass sie das alles nicht nur geträumt hatte. Der vertraute Geruch nach warmen Zedernholz mit einer Spur Vanille löste eine Welle von unbeschreiblichen Gefühlen in ihr aus, von denen sie glaubte, diese nicht ertragen zu können, weil sie zu mächtig waren um von einer einzigen Person gefühlt zu werden. Zumindest heute Nacht, das wusste sie, würde sie zur Abwechslung mit glücklichen Gedanken einschlafen.
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Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und Licht
FanfictionDie Geschichte einer Liebe, die in einem Kampf zwischen Schatten und Licht ausgetragen wird. In einem stetigen Kampf zwischen den verschiedensten Gefühlen, Ängsten und Sorgen, müssen Lily und Severus Entscheidungen treffen, die ihr Leben für immer v...