Kapitel 123 - Abgründe

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Lily spürte wie Severus hinter ihr den Gemeinschaftsraum der Gryffindors betrat und sah sich lächelnd nach ihm um. Er stand mit sichtlichem Unbehagen am Eingang und schien darüber nachzudenken, ob er es wirklich wagen sollte weiter hinein zu gehen. Remus saß immer noch auf dem Boden, sein Buch aufgeschlagen auf dem Schoß, blickte er ihnen neugierig entgegen. „Komm schon.", ermunterte sie Severus und griff wieder nach seiner Hand, bevor sie ihn zu dem Sofa bugsierte, auf dem sie gerade auch schon gesessen hatte. Sanft zog sie Severus auf das dunkelrote Polster und er schien sich langsam etwas zu entspannen. „Wir haben dich schon vermisst.", bemerkte Remus, diesmal ohne von seinem Buch aufzusehen und Severus beäugte ihn misstrauisch. „Klar.", murmelte Severus und Remus lächelte amüsiert in sich hinein, was Lily keinesfalls entging. „Ich wollte natürlich nicht, dass du dich um mich sorgst, Lupin", fügte Severus sarkastisch hinzu und wieder grinste Remus ohne dabei aufzusehen. Stirnrunzelnd sah Lily zwischen den beiden jungen Männern hin und her, beschloss aber diese kleine Neckerei nicht zu kommentieren. „Es tut mir Leid, dass du dich gesorgt hast. Aber ich musste etwas dringendes erledigen.", erklärte Severus jetzt an Lily gewandt, schien jedoch nicht weiter ins Detail gehen zu wollen. Argwöhnisch sah er zu Lupin und Lily verstand plötzlich was seine Sorge war. „Er weiß Bescheid. Über alles.", sagte sie hastig und errötete leicht, als Severus sie daraufhin entgeistert anstarrte. „Nun... Wenn das so ist.", antwortete er tonlos und blickte zu Remus, der entschuldigend die Schultern hob. „Keine Sorge, Snape. Deine Geheimnisse sind auch meine.", erklärte Remus verschwörerisch und Lily wunderte sich über den Blick, den Severus und er daraufhin austauschten, und der einen Moment zu lange dauerte, um Remus Worte als Ironie zu betiteln. Lily beschlich das leise Gefühl, dass die beiden irgendetwas verband, von dem sie nichts wusste und überlegte, was das sein könnte. „Ich habe mit Dumbledore gesprochen.", unterbrach Severus ihre Gedanken und sie riss überrascht die Augen auf. „Was hat er gesagt?", fragte sie atemlos und Severus zögerte einen Moment. „Dass er sich überlegen wird wie er mir helfen kann.", erklärte er, woraufhin Lilys Miene sich etwas entspannte. „Das klingt doch gut.", sagte sie und lächelte glücklich. „Ich wusste, dass er uns helfen wird.", fügte sie hinzu und umarmte Severus, der über ihre Schulter hinweg Remus Blick auffing, der ihn mit besorgter Miene musterte.

Lupin hatte, genau wie er, schon viel zu viel erlebt und gesehen, um zu glauben, dass es so einfach war. Dass er sich einfach nur Dumbledore anvertraute und dann alles gut werden würde. Severus erkannte in Lupins Augen, dass er wusste, dass Severus dieser Gefallen von Dumbledore etwas kosten würde. Wieder einmal überkam Severus ein schlechtes Gewissen darüber, Lily mit in die ganze Sache hineingezogen zu haben. Und auch in gewisser Weise diesen Werwolf, dessen Schicksal sich immer wieder ungewollt mit seinem eigenen zu verknüpfen schien. Offenbar waren sie dazu verdammt gegenseitig die Wahrer der düstersten Geheimnisse des anderen zu sein, was sich auf eine verquere Weise sogar gut anfühlte. Es erzeugte ein Gefühl von Zugehörigkeit, Zeit mit jemandem zu verbringen, der die dunklen Abgründe einer einsamen Seele kannte. Jemand der wusste wie es sich anfühlte in einen dieser dunklen Abgründe zu stürzen, während man täglich versuchte diese zu umschiffen. Er kannte diese allumfassende Dunkelheit, die einen ständig zu verschlingen drohte. Severus hatte sie in ihm gesehen. Letztes Jahr im See, als er in Lupins Erinnerungen eingedrungen war. Der einzige Unterschied zwischen Severus und Lupin war, dass Lupin ebenso viele kostbare Erinnerungen an schöne Momente bewahrte, weil er eine liebende Familie und Freunde besaß, die sich um ihn sorgten. Anders als Severus, der erst langsam zu glauben begann, dass auch er so etwas wie Liebe erfahren konnte. Lily löste ihre Umarmung und somit verlor er auch den Augenkontakt zu Lupin. Sie lächelte und brachte das Licht zurück in die Dunkelheit, die für eine kurze Zeit wieder über ihn hereingebrochen war. Einen Moment sahen sie sich in die Augen und Severus wurde wieder bewusst, wofür sich jede Strapaze lohnen würde. Für Lily. Für ihr Leben und vielleicht sogar für ein Leben an ihrer Seite. Lupin räusperte sich und stand auf. „Mhm, ich habe noch ein paar Dinge zu erledigen.", sagte er eilig und verschwand in Richtung Schlafsäle. Lily sah ihm verwirrt hinterher, dann drehte sie sich wieder zu Severus. „Sieht aus, als hätten wir ein bisschen Zeit für uns.", erklärte sie grinsend und schmiegte sich unvermittelt an seine Seite. Noch immer überwältigt von dieser ungewohnten Nähe zwischen ihnen legte Severus zögerlich den Arm um sie und gab dem unwiderstehlichen Drang nach sie noch ein bisschen näher an sich heran zu ziehen. Kurz überlegte er, ob er zu weit gegangen war, aber Lily blickte strahlend zu ihm auf und gab ihm einen sanften Kuss auf den Mund, bevor sie ihre Hand auf seine Brust legte und ihren Kopf wieder wie selbstverständlich an seine Schulter lehnte. Severus konnte kaum begreifen, dass das hier wirklich geschah und er genoss jede Sekunde dieses Nachmittags, den sie einfach zusammen auf dem Sofa saßen und in den Kamin blickten, während sie sich unterhielten. Erst am Abend, als sie sich voneinander verabschieden mussten und er hinunter in seinen düsteren Kerker zurück ging, holte ihn die Realität wieder ein und er haderte die nächsten Stunden mit dem was noch kommen würde.

Auch Lily fiel der Abschied schwer, und auch sie beschäftigten ihre Zukunftsaussichten. Sie war zwar erleichtert, dass Severus sich Dumbledore anvertraut hatte, aber sie hatte auch Angst davor, wie die Hilfe des Schulleiters konkret aussehen würde. Sie sorgte sich um Severus und hoffte, dass er heile aus der Sache herauskommen würde. Dumbledore musste einfach einen Ausweg finden, dachte sie und versuchte die Gedanken an ihre Sorgen zu verdrängen. Morgen war Weihnachten, Severus und sie hatten endlich wieder zueinander gefunden und würden gemeinsam ihre Ferien hier in Hogwarts verbringen, ohne das störende Getümmel, das zu Schulzeiten hier herrschte. Sie sollte diese Zeit genießen, anstatt sich zu sorgen, doch sie konnte nicht anders. Lily lag in ihrem Bett, zog die Strickjacke, die sie heute getragen hatte enger an sich heran und hatte sofort wieder den Geruch von Severus in der Nase, der sie beruhigte und sie dann schnell in einen traumlosen Schlaf gleiten ließ.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt