Kapitel 90 - Der Auftrag

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Die nächsten Tage hatte Lily wie in einer Art Trance-Zustand verbracht. Sie war unfähig einen klaren Gedanken zu fassen und hatte in manchen Momenten das Gefühl gehabt, sie würde an ihrem Liebeskummer ersticken oder gänzlich von ihm zerfressen werden. In der Nacht auf dem Spielplatz hatte sie noch stundenlang auf der Schaukel gesessen und versucht das Erlebte zu verarbeiten. Und auch jetzt, zwei Wochen später wusste sie immer noch nicht was sie mit Severus Verhalten und ihren eigenen Gefühlen anfangen sollte. Es war verrückt, dass er sich so verhielt. Wieso sollte sie ihm nicht helfen können? Auch von Amber kam keine hilfreiche Nachricht zurück, als sie ihr von den Erlebnissen am Abend der Hochzeit geschrieben hatte. Ihre Freundin war ebenfalls ratlos und hatte lediglich ein paar gut gemeinte, tröstende Worte für sie gehabt, die Lily zwar gut taten, sie bei ihrem Problem aber nicht weiter brachten. Jeden Tag saß sie, so wie jetzt, unter der Weide am Fluss und wartete darauf, dass Severus vielleicht hier her kam oder sich auf irgendeine andere Art bei ihr meldete. Aber nichts dergleichen geschah und mit jedem vergangenen Tag, den Severus nicht erschien, schwand auch ihre Hoffnung, dass er es jemals tun würde. Sie hatte schon überlegt zu ihm Nachhause zu gehen, traute sich jedoch nicht weil sie Angst vor seiner Reaktion hatte und ihn auch nicht zwingen wollte mit ihr zu sprechen, wenn er es nicht wollte. Mit leeren Blick sah sie auf die Oberfläche des kleinen Flusses, die in der Sonne glitzerte und strich abwesend mit ihrer Hand durch das hohe Gras in dem sie saß. Das kitzelnde Gefühl der langen Halme an ihren Handinnenflächen beruhigte sie und die wohltuende Ruhe breitete sich in ihr aus. Es war gut noch ein wenig zu sich zu kommen und etwas durchzuatmen, bevor sie sich auf den Weg Nachhause machte. Ihre Eltern vermuteten immer noch, dass sie wegen Petunias Auszugs so niedergeschlagen und in sich gekehrt war, und Lily schwieg beharrlich über den wahren Grund. Es auszusprechen hätte das ganze nur zu real werden lassen, und das könnte sie nicht ertragen. Sie musste herausfinden was mit Severus los war und wie sie ihm helfen konnte. Denn eines war sicher, er steckte in Schwierigkeiten aus denen er aus eigener Kraft nicht mehr heraus kam.

Severus stand in einem Schatten in der schmalen Gasse im Spinners End und starrte wie gebannt in die Dunkelheit, als würde er auf etwas warten. Und tatsächlich tauchte plötzlich und wie aus dem nichts eine große, schlanke Gestalt direkt vor ihm auf. Die Gestalt packte ihn unvermittelt am Arm und im nächsten Moment waren beide verschwunden. „Ich kann das selbst." Fauchte Snape als sie wieder auftauchten und die Gestalt ließ ein leises Schnauben verlauten. „Glaubst du wirklich, dass jeder einfach hier her apparieren kann?" Sagte Malfoy mit eisiger Stimme und nickte in Richtung des Anwesens ein Stück oberhalb von ihnen. „Der dunkle Lord ist durch mehr schwarze Zauber geschützt als irgendetwas anderes in unserer Welt." Fügte Malfoy mit einer Mischung aus Angst und Ehrfurcht in seiner Stimme hinzu und Severus sah beklommen zu dem großen, zerfallenen Herrenhaus, in dem er bereits einige Male gewesen war. Malfoy setzte sich in Gang und Severus folgte ihm schweigend. Natürlich konnte nicht jeder den dunklen Lord aufspüren, das hätte er sich denken können. Malfoy würde ihn sonst wohl kaum jedes Mal wie einen kleinen Schuljungen aus Cokeworth abholen, dachte er voller Wut auf sich selbst und ging gedankenverloren neben Malfoy her. Während sie zum Haus gingen und dieses eilig durchquerten, war Severus noch so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass er erst im letzten Moment bemerkte, dass sie bereits vor dem Raum standen, in dem sie den dunklen Lord auch schon die letzten Male getroffen hatten. Sie traten ein und warteten geduldig bis Voldemort sich ihnen zu wandte. „Lucius, Severus. Welch Freude euch zu sehen." Zischte Voldemort und kam langsam näher. „Nun, ich habe nicht viel Zeit und mache es deswegen kurz. Ich habe einen Auftrag und ich denke, dass du..." Er deutete mit einem seiner langen, spindeldürren Finger auf Severus. „...genau der Richtige dafür bist." Severus durchfuhr ein eisiges Schaudern, was er nach außen hin zu verbergen versuchte, während er pflichtbewusst nickte. Voldemort hielt kurz inne und tat, als würde er sich seine folgenden Worte sorgfältig überlegen. „Es gibt da jemanden, der von großem Nutzen für mich sein könnte." Sinnierte Voldemort und blickte scheinbar gedankenverloren hinauf zu der rissigen Decke mit dem abgebröckelten Stuck, bevor er seinen bohrenden Blick wieder auf Severus richtete. Severus überkam erneut ein kalter Schauer, aber er blieb auch dieses Mal erhobenen Hauptes stehen und sah Voldemort mit entschlossenem Gesichtsausdruck entgegen. „Mein Lord, wie kann ich Ihnen dabei helfen?" Fragte er mit einer Ruhe in der Stimme, vor der er selbst fast erschrak und Voldemort verzog den Mund zu einem grotesken Lächeln. „Du entwickelst dich zu einem wahrhaft treuen Diener, Severus." Sagte Voldemort zufrieden und ging nun mit langsamen Schritten in dem großen Raum umher. Severus deutete eine Verbeugung an und warf einen kurzen Blick zu Malfoy, der starr geradeaus sah. „Es ist mir eine Ehre, mein Lord." Bestätigte Severus und war erneut entsetzt darüber, wie leicht ihm diese Worte über die Lippen gekommen waren. Voldemort blieb stehen und kam ein Stück auf ihn zu. „Horace Slughorn. Ich möchte, dass du ihn im Auge behältst und zu gegebener Zeit sogar versuchst, ihn auf unsere Seite zu holen. Je nachdem wie das Ergebnis deiner Beobachtungen ausfällt." Erklärte Voldemort und Severus hielt den Atem an. Was wollte der dunkle Lord, der mächtigste Zauberer ihrer Zeit, mit einem alten Zaubertrankmeister, dessen größte Stärke schlicht darin bestand, die richtigen Leute um sich scharen und zu umschmeicheln? Vermutlich war es ja auch gerade das, was Voldemort zu schätzen wusste, überlegte Severus, bevor Voldemort weiter sprach. „Ich weiß, dass Slughorn eine erlesene Auswahl von Schülern regelmäßig in seinen Räumlichkeiten zu kleineren Veranstaltungen einlädt. Diese Treffen scheinen mir einige Gelegenheiten zu bieten näher an Slughorn heranzukommen, und ist mir zu Ohren gekommen, dass auch du, lieber Severus, zu diesen ausgewählten Schülern gehörst. Ist das korrekt?" Fragte Voldemort und Severus wusste, dass es sich hierbei lediglich um eine rhetorische Frage handelte. „Ja, mein Lord." Antwortete er trotzdem und gab dadurch Malfoy den Anlass, sich ebenfalls zu Wort zu melden. „Mein Lord." Begann Malfoy in einem schmeichelnden Tonfall. „Ich gehöre ebenfalls zu diesen erlesenen Schülern." Erklärte er säuselnd, aber Voldemort winkte ungeduldig ab. „Ich brauche jemand unscheinbareren. Jemanden, dessen Familie nicht fast vollständig zu meinen ältesten und treusten Anhängern gehört." Sagte Voldemort zischend, woraufhin Malfoy ebenfalls ergeben eine Verbeugung andeutete, bevor er Snape einen verachtenden Seitenblick zuwarf. „Lucius, mit dir habe ich anderes vor." Ergänzte Voldemort und sah wieder zu Severus. „Ich muss mit Lucius unter vier Augen sprechen. Warte unten auf ihn." Befahl Voldemort und Severus verließ den Raum mit klopfendem Herzen und einem Kopf voller Fragen. Wie in Merlins Namen sollte er einen Lehrer von Hogwarts ausspionieren und dann auch noch auf die Seite des Bösen ziehen? Wieso beauftragte der dunkle Lord einen einfachen Schüler mit einem scheinbar so wichtigen Auftrag? Aber wenn Severus ehrlich zu sich war, kannte er tief in seinem Inneren bereits die Antwort. Voldemort hatte keine andere Möglichkeit an Slughorn heran zu kommen, so lange dieser in Hogwarts weilte. Severus hielt Slughorn für klug genug zu wissen, dass der dunkle Lord hinter ihm her war und für noch klüger, sich nicht außerhalb der Mauern von Hogwarts irgendwo blicken zu lassen. Severus spielte in Gedanken mehrere Szenarien durch, wie er an dienliche Informationen über Slughorn herankommen könnte, als diese Überlegungen unsanft von Malfoy unterbrochen wurden, der gerade mit wehendem Umhang an ihm vorbei gerauscht kam. Ohne ein Wort zu sagen verließen sie das Anwesen. Erst als sie an der Stelle standen, an der sie vorhin appariert waren, wandte Malfoy sich zu ihm um. Sein Gesicht war blass, aber der gewohnt arrogante Ausdruck auf ihm stach immer noch besonders hervor. „Der dunkle Lord hat noch einen Auftrag für dich. Ich werde dich früh genug über Ort und Zeit informieren." Sagte er mit rauer Stimme und ein ungutes Gefühl machte sich in Severus breit. „Um was für ein Auftrag handelt es sich dabei?" Fragte er und bemerkte sofort die Feindseligkeit auf Malfoys Gesicht. „Das wirst du früh genug erfahren." Erklärte er knapp. „Und jetzt entschuldige mich. Ich denke zurück in diese Gosse findest du allein." Und mit einem leisen plöpp war Malfoy verschwunden.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt