Kapitel 94 - Müdigkeit und Misstrauen

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Müde ließ Lily sich in einen alten Sessel in dem staubigen Raum fallen und wartete darauf, was als Nächstes geschehen würde. Sie hätte vermutlich Angst verspüren sollen, schließlich wusste sie nicht ob sie dem vermeintlichen Wirt überhaupt trauen konnte, und sie dachte sogar kurz darüber nach, ob es vielleicht besser wäre zu fliehen. Aber sie war zu müde und in ihrem Kopf pochte ein stechender Schmerz. Ihre Beine brannten immer noch höllisch von dem ganzen Rennen an diesem Abend und sie war sich sicher, dass sie nicht weit kommen würde, selbst wenn sie wollte. Missmutig massierte sie ein wenig ihre Waden und kam zu dem ernüchternden Ergebnis, dass sie dem Wirt wohl vertrauen musste, denn er war ihre einzige Chance nach Hogwarts zu kommen. Seufzend lehnte sie sich wieder zurück und wartete angespannt, bis sie plötzlich jemanden die Treppe heraufkommen hörte. Ihr war bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal bewusst gewesen, dass sie sich in einem Raum im Obergeschoss aufhielt und auch erst jetzt fiel ihr auf, dass es draußen bereits stockfinster war, weswegen selbst ein Blick aus dem Fenster keinen Aufschluss über ihren Aufenthaltsort gegeben hätte. Wenn sie recht darüber nachdachte, war sie sich ja noch nicht einmal sicher, dass sie überhaupt im Eberkopf gelandet war. Eine leise Angst kroch in ihr hoch, aber sie beruhigte sich mit dem Gedanken, dass sie ihre Zieladresse deutlich ausgesprochen hatte und der Wirt sich ansonsten wohl kaum auf den Weg gemacht hätte um jemanden aus dem Schloss zu holen. Und wenn der Wirt mit den Todessern unter eine Decke steckte und sie bloß in Sicherheit wiegen wollte? Dachte sie mit plötzlich aufkeimendem Misstrauen, als auch schon die Tür aufgeschlagen wurde. Überrascht blickte Lily erneut in ein bekanntes Gesicht und sprang auf, während ein überaus besorgt aussehender Dumbledore mit großen Schritten auf sie zugelaufen kam. „Miss Evans." Sagte er mit mitfühlend, ergriff ihre Hand und umschloss sie kurz mit seiner anderen. „Professor Dumbledore." Erwiderte sie mit brüchiger Stimme und spürte eine unvorstellbare Erleichterung. Jetzt konnte ihr nichts mehr geschehen. Sie war in Sicherheit. „Sind sie verletzt?" Fragte er und musterte Lily rasch von Kopf bis Fuß. „Nein. Es geht schon." Flüsterte sie und bemühte sich aufrecht stehen zu bleiben, obwohl ihre Beine sich wie Pudding anfühlten und immer wieder nachgeben wollten. „Ich denke ich bringe Sie besser erst einmal nach Hogwarts. Dort wird sich später auch Madam Pomfrey um sie kümmern." Sagte er beflissen und hakte ihren Arm unvermittelt, und für einen Mann seines Alters erstaunlich kraftvoll unter seinen eigenen, um sie zu stützen und ihr somit den benötigten Halt beim Laufen zu geben. Gemeinsam stiegen sie die Treppen hinab in den Gastraum, wo der Wirt wieder hinter seiner Theke stand und ihnen zum Abschied nur kurz zu nickte. Sie durchquerten den düsteren Pub und im nächsten Moment standen sie auch schon auf der schwach von Laternen beleuchteten Hauptstraße von Hogsmeade. Lily atmete in großen Zügen die warme Nachtluft ein und sah sich um. Auch hier war es menschenleer und Unbehagen breitete sich in ihr aus, was Dumbledore zu bemerken schien. „Es ist alles in Ordnung." Sagte er besänftigend und lächelte milde. „Jedoch haben sich die Geschehnisse aus der Winkelgasse bereits herumgesprochen, und die meisten sind so klug heute Nacht in ihren Häusern zu bleiben." Erklärte er und sah sich ebenfalls kurz um, bevor er sich wieder an Lily wandte. „Miss Evans, erlauben Sie mir die Frage, ob sie auf einem Besen fliegen können?" Durchbrach Dumbledore die Stille der Nacht und Lily blickte überrascht zu ihm auf. „Ähm, ja. Ein wenig, schätze ich." Antwortete sie unsicher und Dumbledore nickte zufrieden. Tatsächlich war sie noch nicht oft einem Besen geflogen, aber sie wollte einfach nur in ihr Bett und es war ihr gerade vollkommen egal wie sie dort hin kommen würde. Im Notfall würde sie auch auf einem Troll zum Schloss reiten, dachte sie mürrisch und zog ihren Umhang fester um ihre Schultern. „Das sollte genügen um das kurze Stück nach Hogwarts zu gelangen." Sagte Dumbledore und ehe Lily es sich versah, saß sie auch schon auf einem Besen, den Dumbledore offenbar mit nach Hogsmeade gebracht hatte und flog Seite an Seite mit ihm durch die Dunkelheit in Richtung Hogwarts.

Als sie kurze Zeit später in seinem Büro saßen spürte Lily wieder diese bleierne Müdigkeit, die sie während des Fluges mit dem Besen kaum noch gespürt hatte. In diesem Moment wünschte sie sich nichts sehnlicher als endlich schlafen zu dürfen, aber sie wusste, dass sie Dumbledore eine Erklärung schuldig war. Zunächst jedoch beschäftigte sie noch ein ganz anderes Thema. „Sir, Amber Prewett ist vielleicht noch in der Winkelgasse. Wir müssen sie suchen." Platzte es aus Lily heraus und Dumbledore nickte verständnisvoll. „Ich habe bereits jemanden zu den Prewetts geschickt um nachsehen zu lassen, ob alles in Ordnung ist. Der Wirt des Erberkopfes war so freundlich mich über einige Ihrer Schilderungen des heutigen Abends in Kenntnis zu setzen als er mich rief." Erklärte Dumbledore und Lily entspannte sich etwas. „Ich verstehe, dass sie besorgt und mit Sicherheit auch erschöpft sind. Aber ich muss Sie bitten mir alles was Sie heute Abend erlebt haben zu erzählen. Jedes noch so kleine Detail könnte dabei wichtig sein." Sagte er eindringlich und blickte sie dabei ernst über seine halbmondförmige Brille an. Lily schloss kurz die Augen um sich zu sammeln, dann erzählte sie auch Dumbledore was in London geschehen war. Sie schilderte ihm jede noch so kleine Einzelheit, mit einer Ausnahme. Sie ließ aus, dass sie wusste wer sie das Gebäude hinab gestoßen hatte und fügte hinzu, dass sie selbst sich mit dem „Arresto Momentum" gerettet hatte. Aus einem untrüglichen Bauchgefühl heraus wusste sie, dass es besser war Severus nicht mit in die Sache hinein zu ziehen. Sie konnte sich lebhaft vorstellen, wie sein Handeln für einen Außenstehenden wie Dumbledore wirken musste, und das hätte zweifellos Severus Schulverweis nach sich gezogen. Es gab keine andere Möglichkeit als selbst herauszufinden, was Severus dort zu suchen gehabt hatte und vor wem er sie hatte beschützen wollen. Ein kleiner Teil von ihr haderte jedoch mit dem Widerspruch, dass er sie erst gerettet und dann einen Schockzauber auf sie los gefeuert hatte. Aber auch darum würde sie sich später kümmern, wenn sie ihre Gedanken wieder ein wenig geordnet hatte. Gerade als sie zum Ende ihrer Erzählung kam, zog ein silberner Nebel durch das Fenster in das Büro des Schulleiters und sie beobachteten beide gespannt, wie er sich unmittelbar zu einer kleinen Gestalt formte. Lily erkannte, dass es sich um eine Katze handelte, die sich jetzt geradewegs an Dumbledore wandte. „Alles in Ordnung. Die Prewetts sind gerade erst aus Frankreich zurück gekehrt und in Sicherheit." Sagte die Katze und löste sich langsam vor ihren Augen im Nichts auf. Dumbledore lächelte zufrieden und sah in Lilys überraschtes Gesicht. „War das..." Begann Lily. „Ein Patronus?" Beendete Dumbledore ihre Frage und nickte zustimmend. „Ja. Das war der Patronus von Professor McGonagall." Sagte er und Lily blickte ihn mit großen Augen an. „Wie ist das möglich?" Fragte sie und Dumbledore winkte lächelnd ab. „Das erkläre ich Ihnen vielleicht ein anderes Mal, Miss Evans." Lily rutschte nervös in ihrem Sessel hin und her. „Sir, bei allem Respekt. Ich habe einen Brief von Amber erhalten, dass sie und ihre Mutter früher Nachhause kommen und dass Amber mich in der Winkelgasse treffen möchte. Der Brief war ganz sicher von ihr." Erklärte sie unbehaglich und wartete auf eine Reaktion von Dumbledore, der sich langsam in seinem Sessel zurück lehnte und offenbar über ihre Worte nachdachte. „Haben Sie den Brief von Miss Prewett dabei?" Fragte er plötzlich und Lily tastete suchend ihren Umhang ab, während sie sich zu erinnern versuchte wo sie den Brief hingelegt hatte. „Der Brief muss in meinem Koffer sein. Aber der ist noch im tropfenden Kessel." Stellte Lily bestürzt fest und sah ihn mit erschrockenem  Gesichtsausdruck an. „Ich werde Ihr Gepäck holen lassen." Erklärte er ruhig, hob seinen Zauberstab und richtete ihn auf das Fenster. Der gleiche silbrige Nebel, der gerade dem Katzen-Patronus vorangegangen war, trat hervor und formte sich zu einem imposanten Phönix, der seine großen Flügel ausbreitete und zügig in die Nacht verschwand. Fasziniert sah Lily dem wunderschönen Patronus nach und fragte sich insgeheim, an wen dieser Patronus seine Nachricht überbringen würde. „Es gibt kaum etwas faszinierenderes als Patroni, finden Sie nicht auch Miss Evans?" Fragte Dumbledore plötzlich und Lily sah überrascht zu ihm hinüber. „Was ist ihre Patronus-Gestalt?" Fragte er neugierig und zum ersten Mal an diesem Abend lächelte Lily sogar ein wenig. „Eine Hirschkuh." Antwortete sie mit unverkennbarem Stolz in der Stimme und Dumbledore schwieg einen Moment, während er nachdenklich aus dem Fenster sah. „Ein sanftes und anmutiges Geschöpf, das genau durch diesen Eindruck seinen Betrachter vergessen lässt, wie kraftvoll und Willensstark es ist." Sagte er und tippte dabei gedankenverloren seine Fingerspitzen aneinander. Er schwieg wieder einen Augenblick, dann stand er auf einmal auf. „Sie gehören jetzt in die Hände von Madam Pomfrey und dann ins Bett." Bestimmte er sanft und lächelte Lily freundlich an. Lily war über den plötzlichen Abbruch des Gesprächs verwundert und im gleichen Maße dankbar. Sie würde sich jetzt sowieso auf nichts mehr konzentrieren können und empfand es als große Erleichterung, dass Dumbledore und sie einfach schweigend nebeneinander hergingen, während er sie zum Krankenflügel begleitete. Die Aussicht auf ein warmes Bett und einige Stunden Schlaf stimmten sie fast fröhlich, und beinahe vergaß sie den Stress und die Aufregung der letzten Stunden. „Sie schlafen sich jetzt erst einmal richtig aus, und sobald ihr Gepäck morgen angekommen ist, nehmen wir den Brief von Miss Prewett etwas genauer unter die Lupe." Versprach Dumbledore als er Lily an Madam Pomfrey übergab, die schon auf sie gewartet zu haben schien. „Ein Glück, dass die meisten Lehrer und auch Madam Pomfrey immer ein paar Tage früher anreisen." Bemerkte er noch, bevor er ihnen beiden eine gute Nacht wünschte und den Krankenflügel eiligen Schrittes wieder verließ.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt