Kapitel 54 - Atemlos

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Lilys Herz fühlte sich leicht und gleichzeitig unfassbar schwer an, während sie sich umdrehte und sich mit jedem Schritt weiter von Severus entfernte. Sie musste immer und immer wieder an seinen Gesichtsausdruck denken als sie ihm zum Geburtstag gratuliert hatte. Er hatte überrascht ausgesehen und seine Augen hatten für einen Augenblick die Traurigkeit offenbart, die er vor ihr und der Welt zu verbergen versuchte. Immer öfter dachte sie daran wie es wäre, wenn Severus sich von der dunklen Seite der Magie abwenden würde, und fragte sich, ob sie wieder Freunde sein könnten, oder sogar etwas mehr? Störte ihn plötzlich wirklich ihre Muggel-Abstammung? Nach all den Jahren? Sie konnte es nicht glauben, aber es spielte auch keine Rolle, so lange Severus sich weiterhin mit diesen Todessern abgab. Sie versuchte ihre Gedanken wieder auf ihr Vorhaben zu lenken und stellte überrascht fest, dass sie bereits an der Bibliothek angekommen war. Sie sah sich um, und als sie keinen ihrer Freunde entdeckte, die vermutlich alle direkt nach dem Unterricht in den Gryffindor-Turm gegangen waren, öffnete sie die Tür und ging hinein. Auch hier hielt sie zunächst Ausschau nach bekannten Gesichtern und ging schließlich, als sie keines entdecken konnte zu Madame Pince, zog das Buch aus ihrer Tasche und hielt es in die Höhe. „Guten Tag Madame Pince." Sagte sie freundlich. „Severus Snape hat mir das Buch gegeben, über das wir gestern gesprochen haben." Madame Pince musterte es mit einem zufriedenen Lächeln und tauchte ihre Feder in das Tintenfass, das neben ihrem dicken Lederbuch stand. „Danke Miss Evans. Ich trage es um." Lily nickte bloß und suchte sich einen abgelegenen Platz, an dem sie ungestört lesen konnte. Sie fand einen kleinen Tisch an einem der Fenster, steuerte darauf zu und warf einen kurzen Blick aus dem Fenster, bevor sie sich auf den alten Holzstuhl setzte. Es war an diesem späten Nachmittag im Januar bereits dunkel und es brannten überall Laternen, die die Bibliothek in ein schummriges Licht tauchten. Der dämmrige Schein machte sie schläfrig, denn sie war müde von dem anstrengenden Schultag der hinter ihr lag und eigentlich wünschte sie sich nichts sehnlicher als etwas zu Essen und sich in ihrem Bett zu verkriechen. Die Neugierde in ihr trieb sie jedoch an, und sie legte das Buch vor sich auf den Tisch und betrachtete es noch einmal, bevor sie es behutsam aufschlug. Mit ihrem Zeigefinger fuhr sie die Kapitelübersicht hinab, bis sie das fand wonach sie suchte. Aufgeregt schlug sie das entsprechende Kapitel über Animagi auf, als ihr ein kleines Stück Pergament auffiel, das zwischen den Seiten steckte. Vorsichtig nahm sie es hoch und erkannte sofort die schräge, gleichmäßige Handschrift von Severus. Erstaunt hielt sie einen Moment inne, bevor sie seine Worte las.

„Ein Zufall, wie es scheint,

Scheint es nicht zu sein.

Es fällt Dir zu,

Mit Erkenntnis und lässt keine Ruh',

Dann wäge gut ab,

Wie viel Wahrheit es hat.

Doch bedenke dabei,

Es ist oft mehr als das, was Du glaubst dass es sei."

Sie starrte auf die bekannten Zeilen, die aus einem Gedichtband stammten, aus dem Severus und sie sich immer gerne gegenseitig unter ihrer Weide am Fluss, oder an Weihnachten vorm Kamin vorgelesen hatten. Lily war sich sicher, dass diese Nachricht für sie bestimmt war und genauso sicher war sie sich jetzt, dass Severus ebenso Bescheid wusste wie sie. Hastig steckte das Zettelchen in ihre Tasche und strich mit dem Finger über die Überschrift des Kapitels, das sie aufgeschlagen hatte und dachte nach. Eigentlich brauchte sie das Buch nicht mehr, aber sie wollte es mit eigenen Augen lesen, und als sie begann, wusste sie nach den ersten paar Sätzen, dass sie mit James sprechen musste. Es faszinierte sie, dass die beiden es offenbar geschafft hatten, zu Animagi zu werden, was nur wenigen Zauberern gelang und wofür man eine außergewöhnlich starke Zauberkraft benötigte. Wie es sich wohl anfühlen mochte, wenn man sich in ein Tier verwandelte? Sie stand auf, Aufregung durchflutete sie und ließ ihren müden Körper wieder lebendig werden. Sie musste mit James reden, auf der Stelle. Eilig schulterte ihre Schultasche, nahm das Buch in die Hand und verließ mit großen Schritten die Bücherei. Wenn sie es schaffte, James vor dem Abendessen abzufangen, bot sich vielleicht noch die Gelegenheit unter vier Augen mit ihm zu sprechen. Sie lief zügig durch die Gänge in Richtung Gryffindor-Turm und war völlig in ihre Gedanken vertieft, als plötzlich jemand „tristis" flüsterte und es im gleichen Augenblick stockfinster um sie herum wurde. Jemand packte sie gewaltsam am Arm, hielt ihr die Hand vor den Mund, bevor sie überhaupt verstand was passiert war und drängte sie in einen der leeren Klassenräume. Eine unbeschreibliche Angst überkam sie, denn ihr Instinkt sagte ihr, dass es sich hier nicht um einen dummen Scherz von Potter oder Black handelte. Sie kannte die Stimme die jetzt sprach, konnte sie jedoch in ihrer Angst nicht zuordnen. „Mach schon, du Trottel. Sei kein Feigling." Sagte die Stimme gereizt zu jemandem, der nichts darauf antwortete. Sie wehrte sich mit aller Kraft, aber sie hatte keine Chance, denn jemand der offenbar um einiges größer und stärker war hielt sie an beiden Armen fest und lachte leise, als sie versuchte ihn zu treten und sich aus seiner Umklammerung zu befreien. „Halt still, Schlammblutmädchen, sonst muss ich dir weh tun." Flüsterte er, und Lily gefror das Blut in den Adern. Schlammblutmädchen hatte er sie genannt, und sie ahnte, dass dies nichts gutes bedeutete. Sie wollte schreien, aber es gelang ihr nicht. Eine der Personen schien sie direkt mit dem Langlock-Zauber belegt zu haben, der ihre Zunge an ihren Gaumen fest klebte. „Mach schon!" Forderte die erste Stimme. „Mach es selbst. Der bekommt es eh nicht hin." Murmelte die Stimme des Jungen, der sie fest hielt wütend. Jemand seufzte theatralisch und sagte mit fester Stimme „Praefoco", und augenblicklich schnürte es Lily die Kehle zu. Sie rang nach Atem, aber nichts geschah, ihre Lungen blieben leer und erneut stieg Panik in ihr hoch. Sie griff sich an die Kehle und keuchte nach Luft, doch alles was kam war ein unheimliches, pfeifendes und gurgelndes Geräusch und in ihren Ohren rauschte es. Ihr wurde gleichzeitig heiß und kalt. „NEIN! HÖRT AUF! Es ist genug!" Flehte eine dritte Stimme, doch Lily spürte nur das brennen in ihren Lungen und das pochen ihres eigenen Pulsschlages in ihrem Kopf. Sie schnappte ein letztes Mal vergeblich nach Luft, dann wurde es schwarz um sie. 

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt