Kapitel 97 - Geheimnisse

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Die ersten Tage des neues Schuljahres verliefen ruhig. Ruhig, wenn man von dem Schulstress, der in ihrem letzten Schuljahr zweifellos seinen Höhepunkt erreichte, absah und nur die außerschulischen Ereignisse betrachtete, für die Lily und ihre Freunde schlichtweg keine Zeit hatten. Zumindest hatte Lily dadurch etwas Ablenkung, die ihr sehr gelegen kam, um nicht ständig über Severus und den Vorfall in der Nokturngasse nachdenken zu müssen. Wenn sie ehrlich zu sich war, hatte sie einfach Angst davor was sie herausfinden würde, wenn sie der Sache nachgehen würde, auch wenn die Ungewissheit ihrem Seelenleben nicht gerade zuträglich war. „Du bist so still." Bemerkte Amber, mit der sie gerade zusammen im Gemeinschaftsraum auf einem Sofa saß. „Ich lese." Antwortete Lily verwundert und ließ ihr Buch „Geschichte über die Zauberei" sinken. Amber schüttelte nachdenklich den Kopf. „Nein, ich meine nicht unbedingt jetzt, sondern eher generell. Seit das Schuljahr begonnen hat." Sagte sie und das schlechte Gewissen begann nun wieder an Lily zu nagen. Sie hatte Niemandem von Severus Rolle in dem Geschehen in der Nokturngasse erzählt und sie schämte sich, dass sie Amber so etwas wichtiges vorenthielt. „Ist es noch wegen der Sache in der Winkelgasse?" Fragte Amber sanft und traf den Nagel erstaunlich gut auf den Kopf, wenn auch nicht ganz so wie sie vermutete. Lily seufzte. „Ja. Schon irgendwie." Antwortete sie wage und klappte ihr Buch zu. „Irgendwie?" Fragte Amber interessiert und musterte ihre Freundin aufmerksam. Lily lächelte. „Das ganze liegt mir noch schwer im Magen." Erklärte sie ausweichend, bevor sie aufstand und sich streckte. „Ich glaube ich werde jetzt ins Bett gehen." Sagte sie und untermalte ihr Vorhaben mit einem unterdrückten Gähnen. Amber runzelte leicht die Stirn, sagte jedoch nichts weiter zu dem Themenwechsel und Lilys offensichtlicher Flucht vor ihren Fragen. „Okay. Ich warte noch auf die Jungs, dann komme ich auch." Sagte Amber und lächelte Lily zum Abschied zu. Auf dem Weg zum Schlafsaal überlegte Lily, ob es nicht sogar eine Erleichterung wäre Amber in ihr Geheimnis einzuweihen. Bei ihr konnte Lily sich sicher sein, dass sie Severus nicht verraten würde, wenn sie sie darum bat. Aber wollte sie Amber in die Sache mit hineinziehen? Was war wenn das Ganze viel größere Ausmaße hatte als sie sich vorstellen konnte? Würde sie Amber dadurch in Gefahr bringen? Lily ließ sich auf ihr Bett plumpsen und betrachtete nachdenklich ihre Hände, die sie nervös ineinander schlang. Was waren das bloß für Gedanken? Was sollte solch eine Gefahr darstellen, dass sie mit Amber nicht darüber sprechen konnte? Frustriert ließ sie sich nach hinten fallen und streifte ihre Schuhe ab, bevor sie unter ihre Decke krabbelte und sich unter ihr zusammenrollte. Traurig dachte sie plötzlich an die Nachmittage am Fluss in Cokeworth, als Severus und sie noch Kinder waren. Als alles noch in Ordnung war und sie niemals gedacht hätten, dass ihre Freundschaft jemals so kompliziert werden würde. Wieso dachte sie ausgerechnet jetzt daran? Lily fühlte sich auf einmal unendlich einsam, auch wenn sie es nicht war. Severus hinterließ eine Leere in ihr, die niemand füllen konnte. Niedergeschlagen schlang sie die Arme um ihr Kissen und vergrub ihr Gesicht darin, spürte den weichen Baumwollstoff auf ihrer Haut und merkte nach einer Weile, wie die Müdigkeit über sie hinein brach, und sie erleichtert in einen tiefen Schlaf fallen ließ.  

Währenddessen grübelte Severus in den Kerkern von Hogwarts darüber nach, wie er an Horace Slughorn herankommen sollte. Das neue Schuljahr hatte vor Wochen begonnen und er hatte immer noch keine Einladung zu einem der Slugclub-Treffen erhalten. Was die Frage in ihm aufwarf, ob tatsächlich noch keines der Treffen stattgefunden hatte, oder ob er einfach nicht mehr eingeladen worden war. Das letzte Jahr hatte er sich Slughorn und seinem Club zurückhaltend gegenüber gezeigt, weil er keinen Sinn darin gesehen hatte zu den Treffen zu gehen und sich selbst zu quälen, indem er Lily dort begegnete. Zumal er ohne sie auch keine große Lust verspürt hatte seine Zeit dort zu verschwenden. Anders als früher, als er glücklich war diese Abende in ihrer Gesellschaft verbringen zu können, wäre es jetzt die reinste Folter für ihn. Genau das stellte auch eines seiner gegenwärtigen Probleme dar, wenn er einfach wieder zu diesen langweiligen Treffen gehen würde. Er würde Lily sehen, an nichts anderes denken können und leiden. Alleine bei dem Gedanken daran, sie so nah bei sich zu haben und nicht mit ihr sprechen zu können, durchzuckte ihn ein stechender Schmerz. Er ballte die Fäuste und schloss die Augen, um seine Gefühle unter Kontrolle zu bringen, aber es brachte nichts. Wenn er seine Augen schloss, sah er Lilys Gesicht vor sich. Egal wie sehr er sich anstrengte, es wollte nicht verschwinden. Sie verschwand einfach nie ganz aus seinem Bewusstsein. Resigniert schlug er seine Augen wieder auf und blickte gedankenverloren zur großen Fensterfront, die den Gemeinschaftsraum der Slytherins von dem großen See trennte. Es war etwas ganz anderes Lily im Unterricht zu begegnen, als bei einem Abendessen in ihrer unmittelbaren Nähe zu sitzen, sie lachen zu hören und ertragen zu müssen, wie sie mit anderen sprach und ihn dabei völlig ignorierte. Vor nicht allzu langer Zeit war er ein großer Teil ihres Lebens gewesen, selbst wenn es nicht der Teil war, der er hätte sein wollen, dachte er bekümmert. Er verlor sich kurz wieder in seinen Gefühlen, bis er einen Entschluss fasste. Er hatte einen Auftrag zu erfüllen, und das würde er tun. Lily durfte nicht mehr das leitende Motiv für seine wichtigen Entscheidungen sein, er musste endlich handeln. Suchend ließ er seinen Blick durch den Raum schweifen und entdeckte fast augenblicklich denjenigen, nachdem er Ausschau gehalten hatte. Dann stand er auf, ging zu einem der Sessel und beugte sich ein wenig über die Person, die gerade in ein Buch vertieft war. „Black." Raunte Snape und Regulus zuckte erschrocken zusammen, bevor er hektisch sein Buch zu schlug und verdrossen zu ihm hoch sah. „Snape." Brummte er missmutig und Snape grinste spöttisch. „Du siehst aus wie jemand der ein ziemlich schlechtes Gewissen, oder etwas zu verbergen hat." Bemerkte Snape, während er sich in den Sessel neben Black setzte, und sich dem Anschein nach entspannt darin zurück lehnte. Black schnaufte verächtlich und schob unauffällig das Buch zwischen sich und die Armlehne seines Sessels. „Was willst du, Snape?" Fragte Black mürrisch. „Eigentlich wollte ich dich nur etwas fragen. Jetzt hast du allerdings meine Neugierde geweckt." Sagte Snape und musterte Black mit dem Anflug eines höhnischen Lächelns auf dem Gesicht. „Dann frag." Erwiderte Regulus unwirsch und sah Snape genervt an, der eine Augenbraue hob und gelassen die Beine übereinander schlug. „Gab es dieses Schuljahr schon eines von diesen schleimigen Slugclub treffen?" Stellte Snape ohne Umschweife seine Frage, die Black sichtlich verwirrte. „Was? Wieso willst du das wissen?" Entgegnete er, aber Snape ignorierte ihn. „Und? War eines?" Regulus zuckte die Schultern. „Keine Ahnung, ich glaube nicht. Ich war zumindest zu keinem eingeladen. Aber warum interessiert dich das?" Fragte Regulus erneut und legte die Stirn in Falten. „Aus keinem bestimmten Grund. Reines Interesse." Antwortete Snape knapp und nickte in Richtung des Buches, mit dem er vom Thema ablenken wollte. „Was ist das für ein Buch?" Fragte Snape und beobachtete interessiert Blacks Reaktion, die anders ausfiel als er erwartet hatte. Black verdrehte die Augen, zog das Buch aus der Sesselspalte hervor und warf es ihm hinüber, ohne zu protestieren. Snape fing das Buch und starrte ungläubig auf den alten Einband, der aus einem groben Gewebe bestand, welches an den Ecken bereits leicht aufgeribbelt war. „Schlag es ruhig auf." Bot Regulus grinsend an und Snape musterte ihn misstrauisch, bis die Neugierige schließlich siegte und er das kleine Buch vorsichtig aufschlug. Langsam und mit Bedacht blätterte er darin und wurde mit jeder Seite die er umschlug ungeduldiger. „Was soll das sein?" Fauchte er Regulus an, der leise lachte. „Ein äußerst wertvolles Exemplar aus der privaten Bibliothek der Blacks." Erklärte er mit arrogantem Grinsen und nahm Snape das Buch wieder ab. „In diesem Buch steht nichts." Sagte Snape und spürte Wut in sich auflodern. Wollte dieser kleine Troll ihn etwa zum Narren halten? Wieder lachte Regulus. „Nicht für dich." Antwortete er fröhlich und steckte das Buch in seine Tasche. „Wie meinst du das?" Fragte Snape und Regulus senkte verschwörerisch seine Stimme. „Das ist ein Exemplar von ›schwarze Seelenmagie‹. Handelt von angeblichen Unsterblichkeitszaubern und solchen Sachen. Du kannst es nicht lesen, weil ein Zauber auf ihm liegt." Erklärte er und Snape sah ihn ungläubig an. „Was für ein Zauber?" Fragte er und Black zuckte wieder die Schultern. „Keine Ahnung, um ehrlich zu sein. Aber ich glaube nur Blacks können es lesen oder so." Snape kniff die Augen zusammen. „Und was genau steht in dem Buch?" Fragte er, aber Black winkte ab. „Alles mögliche über Zauber und Tränke, die angeblich unsterblich machen oder einen länger leben lassen. Ist ganz interessant, aber geht schon ziemlich weit in die schwarzen Magie." Sagte Regulus leise und in seiner Stimme schwang deutlich eine gewisse Ehrfurcht mit. „Klingt so." Bemerkte Snape und bedauerte, dass er das Buch nicht selbst lesen konnte. Nicht weil er ewig leben wollte, viel mehr weil ihn seit jeher die dunkle Magie in seinen Bann zog und er jedes Wissen darüber förmlich in sich aufsog. Ob der Zauber der auf dem Buch lag irgendwie aufgehoben werden konnte? Fragte er sich und beobachtete wie Regulus nach seiner Tasche griff und aufstand. „Ja dann. Gute Nacht." Sagte er und nickte Severus kurz zum Abschied zu. „Gute Nacht." Antwortete Snape abwesend und ging bereits im Kopf sämtliche Zauber und Gegenzauber durch, die er kannte und die ihm möglich machen könnten, das Buch doch noch zu lesen. Aber ihm fiel nichts ein, was hier zutreffen könnte und somit verwarf er die Idee bald wieder und widmete sich seinen restlichen Hausaufgaben, die bis morgen erledigt sein mussten.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt