Folge 1 - Teil 3: Angst um Leas Baby

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Leas Gedanken kreisten unentwegt um dieses kleine Wesen in ihrem Bauch und sie fragte sich erschrocken, wie schnell sie sich an den sich entwickelnden und wachsenden Menschen unter ihrem Herzen gewöhnen konnte.
„Verlass mich bitte nicht...", jammerte sie in sich hinein und nach außen brüllte sie schmerzerfüllt „Aaaua... Aauuuuu..."

Alle Patienten auf dem Gang drehten sich zu der Ärztin, die von Roland und Ulrike schlussendlich in den OP geschoben wurde, um.

„AAAUUU... AAAUUUUUA... DAS WÜNSCHE ICH NICHT EINMAL MEINEM ÄRGSTEN FEIND... DIESE... SCHM... AAAUA..."
„Ganz ruhig, Frau Dr. Peters. Wir bringen sie jetzt in den OP. Es wird alles gut. Machen sie sich keine Sorgen...", beruhigte Roland die Ärztin und Lea wimmerte vor Schmerzen, sie wolle jetzt nicht alleine sein.
„Sie sind nicht alleine, Frau Dr. Peters. Wir sind alle bei ihnen...", erklärte Schwester Ulrike der wimmernden Patientin behutsam und schob das Bett mit Lea darin bis vor den OP.

Just in dem Moment, als Roland das Bett von Lea vor dem OP anhielt, trat Jenne aus dem Fahrstuhl heraus. Erschrocken nahm er nach wenigen Augenblicken war, wer da vor ihm auf dem Bett lag und vor Schmerzen wimmerte.
„Oh mein Gott... Lea... Lea, was ist mit dir? HERR DR. HEILMANN... WAS IST MIT IHR?" „Ich darf ihnen keine Auskunft geben, Herr Derbeck. Sie sind nicht mit der Patientin verwandt oder verheiratet... Wir unterliegen der ärztlichen Schweigepflicht... Wir dürfen jetzt auch nicht mehr so lange warten, Dr. Peters muss in den OP."

„LEA! ICH WARTE HIER... HÖRST DU? ICH WARTE GENAU HIER AUF DICH... ICH LASSE DICH NICHT JETZT AUF KEINEN FALL ALLEINE... MACH DIR KEINE SORGEN, ICH BLEIBE HIER DRAUßEN STEHEN UND RÜHRE MICH NICHT VON DER STELLE, BIS ICH WEIß, WIE ES DIR GEHT...", rief Jenne seiner Ex-Freundin noch versprechend hinterher, bevor sich auch schon die große Tür hinter dem Bett der Neurochirurgin automatisch wieder schloss.

Lange blieb er ratlos vor der Tür stehen und wartete, bis endlich jemand heraustrat. Jenne erkannte diesen Jemand als Schwester Ulrike, die Lea in den OP geschoben hatte.
„Herr Derbeck? Was machen sie denn hier?" „Lea hat mich vorhin angerufen, dass ich herkommen soll. Ich habe schon vor einigen Tagen eine Nachricht von ihr auf meinem Handy gehabt. Und als sie mich vorhin so überstürzt angerufen hat, da bin ich sofort hergekommen.", berichtete Jenne und sah auf die automatische Tür des OPs. „Wie... Wie lange ist sie jetzt da drinnen?"
„Das kann ich ihnen noch nicht sagen. Aber setzen sie sich ruhig hierher und warten sie. Die OP kann nicht lange dauern.", beruhigte Ulrike den Ex-Freund von Lea und wies ihn auf die Stuhlreihe hinter sich.



„Was machen sie denn für Sachen, Frau Kollegin?, fragte Kathrin beruhigend, als Leas Bett vor ihr stand und die Kollegin auf den silbernglänzenden OP-Tisch gehoben wurde.
„Der Appendix ist in einer halben Stunde draußen. Sie brauchen keine Angst vor der OP zu haben. Wir sind alle bei ihnen und passen auf sie auf..."

Roland deutete auf eine Eintragung in Leas Krankenakte und Kathrin sah zuerst auf die Kollegin, dann wieder auf Roland. Nickend zeigte sie, dass sie die Nachricht verstanden hatte.
„Frau Kollegin, wann haben sie zuletzt gegessen?" „Gestern Abend..."

„Haben sie irgendwelche Medikamente, die sie regelmäßig einnehmen müssen? Oder sind sie in den letzten Wochen krank gewesen? Eine Erkältung? Grippe?" „Nein, nein und nein..."

„Sind sie schwanger?" Patsch – diese Frage hatte gesessen! Lea? Schwanger?
„Nein... nein, natürlich nicht. Von wem sollte ich denn auch schwanger sein? Ich habe doch dafür gar keine Zeit... Ich und ein Kind?! Das ist unvorstellbar.", erklärte die Ärztin, doch Kathrin wusste es besser und stellte die Narkose auf die bestehende Schwangerschaft der Kollegin um.

Während die Neurochirurgin dabei zusah, wie Anästhesistin Kathrin die Narkosespritze aufzog und die Geräte vorbereitete, lief Lea eine Träne aus dem linken Auge. „Haben sie Angst vor der Operation? Oder vor der Spritze? ... Sie werden von der Spritze nichts spüren, der Zugang liegt ja auch schon. Und von der OP spüren sie auch gar nichts..." „Nein... nein. Ich habe doch keine Angst vor der OP. Und erst recht nicht vor der Spritze... Ich doch nicht. Bringen wir es hinter uns.", bat Lea und verabschiedete sich innerlich bereits von ihrem Baby, als Kathrin ihr die Narkosespritze gab und Lea langsam ins Reich der Träume kippte.

„Roland, wir sind soweit. Die Narkose steht, sie hat mir noch nichts von ihrem Zustand gesagt...", gab Kathrin ihrem Freund und Kollegen eine versteckte Nachricht und Roland nickte. „Dann werde ich nach der Operation mal mit der Kollegin unterhalten müssen...", wusste der erfahrene Chefarzt und sah noch einmal auf seine Patientin, die er schon seit einigen Jahren kannte.



Schon oft hatte der Chef der Sachsenklinik Patienten operieren müssen, die wegen einer Blinddarmentzündung oder sogar eines Durchbruchs vor ihm auf dem OP-Tisch landeten. Aber diesmal war es etwas anderes. Diesmal war es nicht irgendein unbekannter Patient, diesmal handelte es sich um Dr. Lea Peters, eine Kollegin, die er einmal gerettet hatte.
Roland sah die Szene noch immer vor sich; als wäre es erst vorige Woche gewesen; als hätte er erst heute Morgen dieses Messer in seinen Körper gerammt bekommen.

Es war eigentlich ein ganz normaler Arbeitstag für die Ärzte und Schwestern der Sachsenklinik; und obwohl erst in der letzten Woche ein Patient unter Leas Händen gestorben war und die Neurochirurgin noch sehr daran zu knabbern hatte.
Aber Roland hatte von Anfang an zu seiner Kollegin gehalten; hatte ihr den Rücken gestärkt.
Als allerdings dann die Witwe des Verstorbenen von der Todesursache ihres Mannes erfahren hatte und sich aufgrund dessen sicher war, dass Lea daran die größte Schuld trug – Roland wusste noch wie er sich gefühlt hatte, als er die Frau vor Lea stehen sah.
Mit einem großen Messer war die Witwe auf die Neurochirurgin losgegangen und erst im letzten Moment konnte Roland, der die Klinge abfing, seine Kollegin retten.

„Roland..." Die Stimme von Kathrin holte den Chef der Klinik aus seinen Gedanken zurück. „An was denkst du gerade?"
„Ich... An nichts... Nein, an nichts... Wie geht es der Patientin?", erkundigte sich der Klinikchef, als er wie automatisiert die ersten Schnitte setzte und dabei auf seine Kollegin sah.
„Sie hält sich ganz wacker... Aber ich möchte sie trotzdem wegen ihrem Zustand nicht so lange auf dem OP-Tisch liegen haben.", forderte Kathrin ihren Kollegen an, ein wenig schneller zu operieren.

„Ja, ich bin ja schon dabei... Hat sie dir von ihrem Zustand... etwas gesagt?", wollte der Klinikchef wissen, doch Chefärztin Kathrin Globisch, die die Anästhesie übernommen hatte, schüttelte den Kopf. „Nein, mir hat sie davon nichts gesagt. Offiziell weiß ich nichts von dem veränderten Zustand der Kollegin. Nach dem OP sollten wir noch einmal mit ihr reden."



In der Zwischenzeit saß Jenne Derbeck, Leas ehemaliger Freund, vor dem OP und wartete auf eine Nachricht.
„Wie lange dauert das denn noch?", fragte er in allergrößter Sorge um Lea. „Das kann doch nicht so... so lange dauern. Lea ist doch mindestens schon zwei Stunden da drinnen."

„Sie mögen Frau Dr. Peters wohl noch sehr gern?", vermutete Kris Haas, der dem aufgebrachten Jenne einen Kaffee brachte.
„Ja... Natürlich mag ich Lea immer noch. Sie ist nicht nur eine wunderbare Ärztin, wir haben auch eine sehr schöne Zeit zusammen gehabt. Das vergisst man nicht so gerne...", wusste Jenne besorgt und er sprang, mit der Kaffeetasse in der Hand, vom Stuhl auf.

„Machen sie sich keine Sorgen, Herr Derbeck. Frau Dr. Peters ist erst 10 Minuten im OP. Und sobald sich etwas an ihrem Zustand ändert, dann wären wir die ersten, die davon etwas erfahren. ... So eine OP am Blinddarm kann schon mal eine halbe Stunde dauern. Das hat noch nichts zu sagen.", beruhigte der Pflegeazubi den aufgebrachten Jenne.
„Es kann... Aber ich habe doch gesehen, wie schlecht es Lea ging. Irgendwas ist doch da nicht in Ordnung. ... Sie können mich nicht für blöd verkaufen, Herr Haas. Sie nicht!"

„Ich will sie doch auch gar nicht für blöd verkaufen, Herr Derbeck. Das liegt mir fern. ... Ich sage ihnen nur die Wahrheit. So eine Blinddarm-Operation dauert im Regelfall zwischen 20 und 30 Minuten. Sie werden garantiert bald wieder zu Frau Dr. Peters können."

„Ich will nicht irgendwann zu Lea, ich will sofort zu ihr!", zickte der Ex-Freund von Lea und lief von einer Ecke in die andere.
„Herr Derbeck. Beruhigen sie sich jetzt bitte, sie werden wirklich gleich zu Frau Dr. Peters dürfen. Lassen sie erst einmal unsere Ärzte operieren. Und nach der OP kommt Frau Dr. Peters in den Aufwachraum, wo sie dann sofort zu ihr können.", versprach Kris Haas, als sich Dr. Kaminski den beiden näherte und Jenne sofort erkannte.

„Herr Derbeck. Sie wollen sicherlich zu unserer geschätzten Kollegin, Frau Dr. Peters. Oder sehe ich das falsch?"
„Ja. Aber dieser Pfleger hier... lässt mich einfach nicht zu Lea. Ich will doch auch nur wissen, wie es ihr geht. Und vor allem, was wirklich mit ihr los ist. Sie hat mir vorige Woche auf die Mailbox gesprochen, dass ich schnellstens herkommen soll. Und jetzt komme ich hier an. Und..."
„Herr Derbeck. Ich bitte sie. Ich werde mich jetzt für sie erkundigen, wie es um Frau Dr. Peters steht. Und sie bleiben hier. Verstanden?"

Kaminski wies Jenne auf die leere Stuhlreihe hinter ihm und der Handwerker setzte sich nickend. Währenddessen stürmte der Urologe, nicht ganz so uneigennützig, in den OP und wollte sich nach Lea erkundigen.

„Wissen sie schon, wie es Dr. Peters geht?", wollte der Urologe von einer Krankenschwester, die aus dem OP gelaufen kam, um irgendetwas zu holen, wissen.
„Ich kann ihnen noch nichts sagen. Es..." Kaum hatte die Krankenschwester ihre Erklärung beendet, sah Kaminski durch die große Scheibe zwischen Vorbereitungsraum und OP-Saal, was drinnen vor sich ging.

„Nein... Nein, bitte nicht...", stotterte der Urologe, als er sah, wie Roland die Neurochirurgin unter sich auf dem OP-Tisch wieder beleben musste. „Lea, bitte nicht. Bitte, du musst jetzt kämpfen..."

Ihn hielt nichts mehr vor dem OP. Schnell warf er sich einen Kittel über, wusch sich seine Hände mit Desinfektionsmittel und sah noch einmal durch die Scheibe auf Lea.

„Herr Dr. Heilmann! Was ist mit Dr. Peters?", wollte der Urologe, nachdem er in den OP gestürmt kam, von dem Chef der Klinik wissen. „Was hat sie?"
„Es kam plötzlich zu einem Herzstillstand, Herr Kollege. Wir mussten die Dosis für die Narkose gering halten. Aber trotzdem hat sie einen lebensbedrohlichen Kreislaufabfall... Kollege, kommen sie her und übernehmen sie!", brüllte Roland den Urologen an und ließ Kaminski die Herzdruckmassage weiterführen.

„Lea, bitte... Du musst es schaffen. Frau Dr. Peters, sie können jetzt nicht einfach aufgeben. So haben wir zwei nicht gewettet.", sprach der Urologe auf die Kollegin ein, doch seine Wiederbelebungsversuche blieben lange erfolglos.

„Lea, du kannst nicht aufgeben. So haben wir das doch vorhin nicht miteinander abgesprochen. Ich bleibe auch immer an ihrem Bett sitzen, bis sie wieder im Team sind. Aber lassen sie uns jetzt bitte nicht alleine, Frau Kollegin. Wir brauchen sie doch... Kommen sie, Frau Dr. Peters. Das geht so nicht... Kommen sie jetzt bitte. Es geht so einfach nicht. Geben sie ihr Leben nicht auf. Was soll denn Herr Derbeck von ihnen denken, wenn er erfährt, dass sie sich einfach so aus dem Leben verabschieden? Sie bleiben jetzt schön hier. Ich lasse sie nicht weg."


Lange blieb der Zustand der Patientin auf dem OP-Tisch vor Kaminski und Roland unverändert kritisch, doch plötzlich – ein Lichtblick.

„Kaminski, kurz aufhören... Wir haben sie wieder! Sie ist wieder da!", hörte die ganze OP-Crew von Anästhesistin Dr. Kathrin Globisch und sie atmete tief durch, bevor sie sich an ihre Patientin wandte: „Was machen sie denn für Sachen, Frau Kollegin? Sie können doch nicht einfach ihr Leben beenden wollen... Gerade jetzt, wo wir sie so sehr in unser Herz geschlossen haben."

Allen stand die Sorge und der Schock über den plötzlichen Kreislaufabfall von Lea ins Gesicht geschrieben. Umso glücklicher waren alle, dass sich Leas Zustand langsam wieder besserte.
„Wir können wieder weitermachen. ... Vielen Dank für Ihre Unterstützung, Kaminski. Sie haben etwas gut bei mir."

„Ich wäre ihnen und Frau Dr. Globisch dankbar, wenn diese zwischenzeitliche Hilfe von mir nicht in der Akte auftauchen würde. Und wenn sie Lea... ich meine natürlich Dr. Peters... in den nächsten Minuten sicher durch die OP bringen. Dann wäre mein verkorkster Tag schon gerettet.", erklärte Kaminski und sah noch einmal auf Lea. „Und du machst nicht mehr so ein riesiges Theater hier, Lea. Ich zähle auf dich... In einer halben Stunde sehe ich dich draußen auf dem Gang herumlaufen."
„Das nimmt unsere Kollegin jetzt sicherlich wörtlich.", grinste Roland und sah wieder auf Lea. Noch immer stand ihm die große Besorgnis um die Kollegin in jede Zelle seiner Haut geschrieben; und der Schreck ließen seine Beine noch immer wie Pudding wirken.

Hatte Lea jetzt wirklich vor seinen Augen einen Herzstillstand? War sie wirklich während der OP kollabiert? Stand es jetzt wirklich so ernst um die Neurochirurgin, die ein zweites Leben in ihrem Bauch trug?

'Was soll denn dein Baby nur von dir denken, Lea?', sprach Roland mit seiner Patientin in Gedanken und hörte innerlich Leas Antwort: 'Das Baby wird sterben'

Was meinte die Kollegin damit? Bildete sich Roland diese Worte nur ein? Oder wusste er jetzt schon, was die Chirurgin vorhatte?
Wollte sie das Leben ihres Babys wirklich beenden? Noch bevor es die große weite Welt kennen lernen konnte?
Wollte eine Ärztin, die tagtäglich um das Leben von hunderten Patienten kämpfte, das Leben ihres eigenen Babys beenden?

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