Folge 4 - Teil 9: Lilly, die Touristenführerin

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Währenddessen hatte sich Lauras Stiefvater Jenne, nachdem er Lea zum Hauptbahnhof Leipzig begleitet hatte und wusste, dass der Zug auf dem Weg nach Hamburg war, wieder in die Sachsenklinik begeben und saß nun schon wieder einige Stunden am Bett der Schülerin.

„Lea... Deine Mama... kommt bald wieder zu dir zurück. Und dann bringt sie dir deinen Papa mit. Du wirst sehen, bald ist dein Papa hier und kümmert sich genauso sehr um dich, wie ich und deine Mama. Du brauchst keine Angst zu haben, Laura. Wir sind alle für dich da.", beruhigte der Tischler die Sechzehnjährige und streichelte ihr vorsichtig über den Kopf. „Ich bin immer für dich da, wenn du mich brauchst..."

„Herr Derbeck? Was machen sie denn jetzt noch hier?", erkundigte sich Roland, als er Jenne an Lauras Bett erwischte und ermahnend auf die Uhr schaute. „Es ist bereits weit nach um Acht, die Besuchszeit ist schon lange überschritten. Laura braucht sehr viel Ruhe. Sie können sich morgen wieder an Lauras Bett setzen. Für heute ist her Schluss..."
„Aber Lea hat mir bei ihrer Abfahrt nach Hamburg aufgetragen, die Nacht hier bei Laura zu verbringen. Sie braucht besonders jetzt jemanden, der sich um sie kümmert..." Jenne betrachtete seine Stieftochter mit einem besorgten Blick und fügte anschließend noch hinzu: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass... Dass es ihnen egal ist, was mit Laura ist... Tief in ihrem Inneren... sind sie doch bestimmt froh, wenn sie sicher wissen können, dass Laura nicht alleine ist..."

„Herr Derbeck... Es ist ja wirklich sehr schön, dass sie sich solch große Sorgen um ihre Stieftochter machen. Aber sie können jetzt auf keinen Fall die ganze Nacht hier an Lauras Bett sitzen bleiben. Die Patientin braucht noch eine ganze Menge Ruhe. Und die sollten sie ihr auch gönnen, damit wir die Gebärmutterentzündung, die sie sicherlich noch von der Geburt ihrer kleinen Tochter davon getragen hat, schnell wieder in den Griff bekommen. Das wird ihnen Frau Dr. Peters bestimmt auch bei ihrer Abfahrt gesagt haben."
„Nein, das hat Lea heute Nachmittag nicht getan, als sie losgefahren ist.", widersprach Jenne und fügte an: „Sie hat mir aber gesagt, dass sie sicherlich nicht wollen, dass ich bei Laura bleibe. Und da hat sie mir weiter gesagt, dass ich sie bitten soll, sie mögen doch Lea selbst anrufen. Sie will, dass ich die Nacht bei Laura verbringe. Damit sie nicht alleine bleiben muss."
„Aber sie können nicht die ganze Zeit hier sitzen... Laura braucht heute Nacht ihre absolute Ruhe; wir haben die Dosis der Antibiotika um ein Vielfaches erhöhen müssen. Das muss der Körper von Laura auch erst mal verkraften können."

„Aber... Dr. Heilmann, verstehen sie mich doch bitte. ... Ich kann Laura jetzt nicht alleine lassen. Sie müssen es doch verstehen, dass wir... Sowohl ich, als auch Lea... uns große Sorgen um Laura machen. Sie ist wie ein Kind für mich. Und Leas Kind ist Laura ja sowieso schon von Anfang an. Sie können es nicht von mir verlangen, Laura ausgerechnet jetzt im Stich lassen zu müssen.", bettelte Jenne noch einmal und Roland überlegte kurz, während er sich die aktuellen Werte von Laura ansah.
„Es tut mir wirklich sehr leid, Herr Derbeck. Aber ich kann leider momentan kein Risiko eingehen, was Lauras Zustand betrifft. Ich muss sie bitten, die Klinik jetzt zu verlassen...", bat der Chefarzt noch einmal, um Lauras Stiefvater aus dem Zimmer zu schicken. Schließlich hatte sich, wie der erfahrene Arzt erkannte, die Werte von Laura um Vielfaches verschlechtert; die Patientin brauchte jetzt ihre Ruhe.

„Herr Derbeck, ich kann sie nur noch einmal bitten... Fahren sie jetzt nach Hause; wir rufen sie sofort an, wenn sich der Zustand von Laura ändert... Aber wir müssen jetzt dafür sorgen, dass... Dass Laura die Ruhe bekommt, die sie momentan so sehr braucht. Und deswegen können wir es nicht riskieren, dass... Dass sie durch Besucher gestört wird. ... Wer kümmert sich jetzt eigentlich um das Baby von Laura?"
„Ihr Freund... Der Vater der kleinen Nina... kümmert sich um die süße Maus. ... Er hat, nachdem Stefanie ihm die Polizei auf den Hals gehetzt hat und Herr Falken endlich die Wahrheit berichtet hatte, seine kleine Tochter zu sich nehmen dürfen. Bei ihm hat es die Maus auch weitaus besser, als bei dieser ominösen Stefanie und ihrem Mann. Wenn ich mir vorstellen müsste, dass... Dass ich meine Kinder... als meine Geschwister ansehen müsste... Das wäre schrecklich für mich."

Liebevoll streichelte Jenne seiner Stieftochter über den Kopf und versuchte die fast Sechzehnjährige mit seinen vorsichtigen Berührungen zu beruhigen, was auch zu funktionieren schien. Lauras Herzschlag wurde langsamer und sowohl ihr Blutdruck, wie auch der Puls der Schülerin sank.



Lilly, Markus und Lea hatten währenddessen die Wohnung von Lauras Vater erreicht und aufgeregt zeigte die Fünfjährige gerade dem Gast ihr Zuhause, während Markus einen kleinen Snack für Lea und sich vorbereitete.

„Und das hier... Das hier ist mein Zimmer... Hier steht mein Bett. Da hab ich schon drin geschlafen, als ich noch ein Baby war...", zeigte das Kindergartenkind dem Gast ihr Bett und Lea lächelte kurz.

„Du hast schon als Baby in so einem großen Bett geschlafen? Ohne Gitter? Haben das deine Mama und dein Papa denn wirklich so gemacht?", fragte Lea die Kleine und Lilly schüttelte den Kopf.
„Nein... Guck mal, da ist ein Foto von mir. Da liege ich in meinem Bett. Das hat Papa gemacht.", deutete die knapp Sechsjährige mit ihren Fingern auf das große Foto, das, als Poster ausgedruckt, an der Wand über dem Bett hing.

„Du warst ja ein ganz süßes Baby, Lilly...", fiel Lea auf und wieder stach ihr jemand einen scharfen Dolch ins Herz. Wie hat ihre Tochter in dem Alter ausgesehen? War sie auch so ein süßes Baby? Hatte sie eine schöne Babyzeit erlebt, ihre kleine Laura? Oder war Stefanie mit der Kleinen genauso schlecht umgegangen, wie heute?

„Und das hier..." Lillys Finger zeigte auf ein Familienfoto, das auf dem Schreibtisch stand. „Das ist meine Mama, mein Papa und... Und ich... Das war... an meinem ersten Tag im Kindergarten."
„Süß...", meinte Lea und gähnte kurz, was Lilly dazu brachte, Lea ins Wohnzimmer zu ziehen. Sie schnappte sich die Hand der Ärztin und führte sie ins geräumige und bequeme Wohnzimmer.

„Hier ist das Wohnzimmer... Da steht der große Fernseher. Aber ich darf nicht so oft Fernsehen gucken. Und nach dem Sandmännchen muss ich manchmal schon ins Bett. Weil dann Papa auf meinen Onkel wartet, damit er dann zur Arbeit fahren kann. Das finde ich nicht schön. ... Weil Papa dann früh immer schläft, wenn ich aufstehe und in den Kindergarten gehe..."
„Und am Wochenende?" „Darf ich bei Tante Soraya oder bei meinem Onkel schlafen, wenn ich das möchte. Aber manchmal hat mein Papa auch frei und kümmert sich um mich. ... Hat eigentlich meine große Schwester... Geht es meiner großen Schwester eigentlich wirklich ganz schlecht?"
„Das... Lilly... Ich kann dir nicht sagen, ob es deiner großen Schwester sehr schlecht geht. Weißt du, ich muss jetzt erst mal mit deinem Papa reden, wie es mit Laura weiter geht. Aber da solltest du nicht dabei sein. ... Und dann... Dann fahren dein Papa und ich morgen nach Leipzig und kümmern uns zusammen um deine große Schwester..."

„Aber... Ich möchte auch zu meiner großen Schwester mitkommen, Tante... Tante... Wie heißt du eigentlich?", fragte das Mädchen und Lea antwortete mit liebevoller Stimme: „Ich bin die Lea... Die Mama von deiner großen Schwester Laura."

„Und wie alt ist Laura? Wenn sie meine große Schwester ist... Kann ich denn mit ihr spielen, wenn sie wieder aus dem Krankenhaus raus darf?" „Ich glaube nicht, dass deine große Schwester mit dir spielen will, wenn sie aus dem Krankenhaus entlassen wird. Dann muss sie sich nämlich erst mal ganz doll ausruhen. Und dabei... dürfen wir sie auch gar nicht so anstrengen. Sonst geht es... Sonst geht es deiner großen Schwester immer schlechter. Und das willst du doch nicht, Lilly? Oder willst du das doch, dass... Dass es deiner großen Schwester ganz doll schlecht geht?"

Lilly schüttelte entschieden den Kopf und Lea nickte bestätigend. „Siehst du, Lilly. Und deswegen müssen dein Papa und ich jetzt auch ganz doll auf deine große Schwester aufpassen, damit sie wieder ganz gesund werden kann. ... Sag mal, bist du denn noch gar nicht müde?"
„Nein... Ich bin noch nicht müde. Heute darf ich noch ganz lange aufbleiben. Weil ich dich kennen lernen darf, Tante Lea...", meinte Lilly, doch ihr Vater, der die Aussage seiner Tochter genau gehört hatte, widersprach der Fünfjährigen schnell.

„Ich glaube nicht, dass du wirklich noch ganz lange wach bleiben darfst, Lilly. Du solltest jetzt endlich ins Bett gehen, Süße. ... Dein Onkel kommt dich morgen Früh hier abholen, damit ich mit Lea nach Leipzig fahren kann."

„Ist Leipzig weit weg, Papa?", fragte Lilly erschrocken und Markus nickte. „Das ist ganz weit weg von hier. ... Maus, weißt du denn noch, als wir... mal in Dresden waren? Wo wir im Zoo die großen Giraffen gesehen haben? ... Ein paar Kilometer vorher ist Leipzig..."
„Oooch, das ist ja ganz ganz weit weg, Papa.", erkannte Lilly geschockt und Lea lächelte kurz. „Aber dein Papa kommt ganz bald wieder zu dir nach Hause und kümmert sich dann wieder um dich. Das kannst du mir glauben.", erklärte die Ärztin der Kleinen und nahm Lilly anschließend an die Hand. „Komm, Lilly. Ich bringe dich heute ganz höchstpersönlich ins Bett. Dann kann ich dir noch eine Geschichte vorlesen, die du gerne hast. Oder du erzählst mir vom Kindergarten..."

„Ich will aber jetzt bitte noch nicht ins Bett gehen... Ooooch Papi... Ich will nicht ins Bett. Morgen ist kein Kindergarten, Papi..."
„Aber du musst morgen Früh trotzdem aufstehen. Gegen halb Neun kommt schon Onkel Ralf und holt dich ab. Und dann fahren Lea und ich auch schon nach Leipzig, damit deine große Schwester nicht so lange alleine sein muss. ... Also... Ab ins Bad; Zähneputzen und dann geht's für dich auch schon ins Bettchen.", schickte Markus seine Tochter schon mal zur Vorbereitung fürs Bett.



In der Sachsenklinik war schon längst Schlafenszeit für die vielen Patienten; nur noch vereinzelt huschten auf den Gängen vor den Krankenzimmern noch ein paar Krankenschwestern von einer Ecke in die andere, um nach den Patienten zu schauen.
Doch nicht überall in der Klinik war bereits Ruhe – in Roland Heilmanns Büro, zum Beispiel. Dort sprach der Klinikchef gerade noch mit dem Vater seiner Kollegin, Dr. Lea Peters, Ludwig. Der vermutete nach dem Gespräch mit Lea, dass seine Tochter ihn angelogen hatten, was den Zustand seiner sechzehnjährigen Enkelin Laura betraf.

„Dr. Heilmann. Ich habe einfach bei dem Gespräch mit meiner Tochter gestern... oder war es schon vorgestern... gemerkt, dass sie mir sicherlich noch lange nicht die ganze Wahrheit über Lauras Krankheit gesagt hat. Sie hat mir erzählt, dass sie und ihre Kollegen wohl noch nicht sicher wissen, was meiner Enkelin fehlt. Aber... Das stimmt doch nicht, oder? Ich meine, Laura liegt doch schon länger in der Klinik, stimmts?", erkundigte sich der Professor bei dem Klinikchef, der den Vater seiner Kollegin betroffen ansah.

Professor Ludwig Peters, Lauras Opa, saß Klinikleiter Roland Heilmann in dessen Büro gegenüber, als er ihn auf dem Weg zu Laura, getroffen hatte und nach einem Gespräch gefragt hatte.
Obwohl es schon weit nach 22 Uhr war, als Ludwig in der Klinik ankam, wollte er trotzdem noch einmal zu seiner Enkelin auf die Intensivstation und dabei hatte er bei einem Blick auf die Schülerin mitbekommen, dass es seiner Laura wieder um einiges schlechter ging. Der Zustand des Mädchens hatte sich um ein Vielfaches verschlechtert; sie schien wieder Fieber zu haben und der Herzschlag von Laura war ebenfalls sehr unregelmäßig.

„Herr Peters, ich kann mir vorstellen, dass es für sie nicht einfach sein kann, wenn... Wenn sie wissen, dass ihre Enkelin im Krankenhaus liegt. Wir hätten Laura auch lieber entlassen. Aber... Ihre Enkelin ist sehr schwer krank. Mehr kann ich ihnen momentan noch nicht sagen..."
„Meine Enkelin ist sehr schwer krank? Was bedeutet das, Dr. Heilmann? Was ist denn mit Laura nicht in Ordnung? Hat sie irgendeine schlimme Krankheit? Ist es vielleicht sogar... Hat mein Enkelkind Krebs?"
Roland sah den Großvater von Laura erschrocken an und nickte kurz, bevor er erklärte: „Ihre Enkelin ist an Leukämie erkrankt; die Blutwerte sprechen eine eindeutige Sprache. Aber machen sie sich jetzt bitte keine Sorgen um Laura; wir werden ihre Enkelin selbstverständlich mit allen möglichen Mitteln behandeln, damit sie sich schnell erholt..."
„Leukämie? Leukämie? Das... Das ist doch... Blutkrebs, habe ich Recht, Dr. Heilmann?", erkannte Ludwig erschrocken anhand von Rolands Äußerungen und er hielt sich entsetzt die Hand vor den Mund.

Roland sah den Vater von Dr. Peters mitfühlend an und nickte vorsichtig. Er wusste selbst, wie schrecklich so eine Nachricht für die Angehörigen von Patienten sein musste. Vor allem auch, weil er selbst an Leukämie erkrankt war und diese schwere Krankheit nur knapp überlebte.

„Ja, das heißt leider, dass... Dass Laura an Krebs erkrankt ist. Aber wir haben schon mit der Spenderdatei Kontakt aufgenommen... Allerdings... Herr Peters, ich muss sie enttäuschen; die Knochenmarkspenderdatei hat leider keinen passenden Spender in ihrer Kartei. Das heißt, wir müssen jetzt selbst aktiv werden. Ihre Tochter fällt durch die Schwangerschaft als Spenderin aus."
„Das heißt... Meine Enkelin...? Meine Enkelin hat... Krebs... Blutkrebs... meine kleine Enkelin hat Blutkrebs... Das heißt also, dass... dass meine kleine... Laura ausgerechnet... dass ausgerechnet meine liebe Laura wahrscheinlich sterben muss... Und dabei durfte ich sie doch noch nicht einmal kennen lernen... Ich habe... Laura doch noch gar nicht kennen gelernt... Dabei... Ich liebe Laura jetzt schon über alles... Sie darf nicht sterben..."

„Wir werden dagegen kämpfen, dass Laura nicht stirbt. Sie wird während der Behandlung zwar sehr leiden müssen, aber es ist die einzige Möglichkeit, Laura jetzt noch zu retten. Es steht momentan sehr schlecht um Laura; sie hat hohes Fieber."

„Ich kenne das von Lea sehr gut. Sie hat auch öfters Fieber gehabt, als sie noch ein Kind war. Da habe ich mich dann um sie gekümmert... Aber dass Laura jetzt so schlimm leiden muss... Das tut mir für Laura so leid... sie ist ganz bestimmt so ein liebes Mädchen; sie hat es nicht verdient, so qualvoll leben und kämpfen zu müssen... Es geht ihr zu schlecht, um zu leben und zu gut, um zu sterben..."
„Da haben sie nicht ganz unrecht, Herr Peters... Vor allem im Moment geht es ihrer Enkelin durch das hohe Fieber und die Gebärmutterentzündung sehr schlecht. Deswegen hat sich ihre Tochter auch heute auf den Weg gemacht, um den leiblichen Vater von Laura hierher nach Leipzig zu holen. Der weigert sich nämlich, seiner Tochter, der es wirklich sehr schlecht geht, zu helfen oder sie wenigstens hier in der Klinik zu besuchen... Aber ich glaube, bis es ihrer Tochter wohl gelingt, den Vater von Laura hierher zu holen, wird Laura sterben...", war sich Roland ziemlich sicher.

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