„Ich werde immer für dich da sein, mein kleiner Liebling. Dein Papa wird sich auch um dich kümmern. Und deine große Schwester wird auch immer für dich da sein. Wir werden eine wundervolle Familie sein. Das verspreche ich dir hoch und heilig. Ich werde immer auf dich aufpassen..."
Für Lea selbst lief es alles in Zeitlupe ab. Sie sah sich als hochschwangere, junge Medizinstudentin in ihrem Zimmer auf und ablaufen. Spürte die kräftigen Tritte ihrer ersten Tochter in ihrem Bauch. Sie konnte sogar die kleinen Füßchen, die sich an ihrem Bauch abzeichneten, ganz genau sehen.
„Warum habe ich nur mein Kind weggegeben? Was bin ich denn für eine verdammt schlechte Mutter? Ich habe mein eigenes Kind... einfach in fremde Hände gegeben! Ich will mein Kind zurück!", nahm sich Lea fest vor und sie sah auf ihren Bauch, der sich kaum unter ihrem T-Shirt erhob.
„Deine Schwester wird bald wieder bei uns wohnen." Lea wusste, dass dies nicht möglich war, doch vielleicht schaffte sie es trotzdem, eine Bezugsperson für ihr erstes Baby zu werden. Sie liebte die Kleine doch noch immer und wünschte sich bei jeder Patientin, die im selben Alter war, wie ihre Tochter, sie wäre es.
Leas Gefühle für ihr erstes Kind - auch nach 16 Jahren waren sie immer noch da. Die Bilder der Geburt gingen Lea einfach nicht mehr aus dem Kopf.
Aber wie sollte sie sich sicher sein, dass ihr Kind noch lebte.
So oft hatte sie Eltern eine schlimme Nachricht überbringen müssen, ihr erster Einsatz als Notärztin während der Ausbildung hatte sie zu einem Baby geführt, das plötzlich nicht mehr aufgewacht war. Diagnose Plötzlicher Kindstod. Wer sagte Lea, dass ihre Tochter noch lebte?
In ihrem Zimmer hin und herwandernd sah sie plötzlich ein Kind vor sich stehen. Ein Kind, das sie schon einmal gesehen hatte.
War es real oder nur ein Traum, dass dieses Kind einfach Leas Hand nahm und sie mit sich zog?
„Komm mit", forderte das kleine Mädchen und wartete, bis Lea ihre Zimmertür hinter sich geschlossen hatte, auf die Ärztin.
Es fühlte sich alles so real an, aber sollte dieses Mädchen wirklich ihre Tochter sein?
Ihre Große war doch schon 16 Jahre alt und nicht mehr so ein kleines Würmchen von drei, vier Jahren, wie dieses kleine Mädchen vor Lea.
Die Neurochirurgin ging in die Hocke und sah sich das kleine Mädchen genau an.
Blonde, lange Haare, die schon bis zu den Schultern reichten, waren bei der Kleinen zu einem Pferdeschwanz gebunden wurden. In der Hand hielt das Mädchen eine Puppe, die einen rosa Strampler trug.
„Wer bist du?", fragte Lea und die Kleine antwortete ihr mit vollem Stolz: „Marie Sophie."
Marie Sophie... Jetzt wusste Lea wieder, wo sie dieses Mädchen schon einmal gesehen hatte. Vor einer Woche hatte sie die Mutter der Kleinen aufgenommen und sich anschließend, für Lea sehr ungewohnt, um das Kind gekümmert, bis der Vater der Kleinen da war.
Wie es der Mutter der Kleinen jetzt wohl ging? Lebte sie noch?
„Marie Sophie... Du kannst doch nicht einfach abhauen. Wir haben dich schon gesucht... Ah, Frau Dr. Peters. Wie geht es ihnen denn?", fragte der Vater der Kleinen die Ärztin und musterte anschließend für einige Augenblicke die junge Chirurgin. „Sind sie jetzt auch Patientin?"
„Ja... Ja, ich bin jetzt auch hier Patientin... Aber bald bin ich wieder draußen. Wie geht es denn ihrer Frau?"
Der Mann sah Lea mit traurigen Augen an und verdrückte eine kleine Träne, bevor er die kleine Marie bat, zu ihrer Oma, die am Fahrstuhl stand, zu gehen.
„Sie... Sie hatte plötzlich eine Lungenembolie. Die Ärzte hier... konnten nichts mehr tun. Sie... Meine Frau ist tot.", weinte der Mann und sah wieder zu seiner kleinen Tochter.
„Sie... Marie ist die einzige, die mir jetzt noch geblieben ist... und die kleine Lea..."
„Die kleine Lea?", fragte die Ärztin erschüttert und der Mann antwortete. „Ja. Sie haben meiner Frau doch bei der Geburt der Kleinen so gut geholfen, dass unsere Tochter jetzt ihren Vornamen trägt. Ich wollte die Maus gerade abholen. ... Sie sind wirklich eine tolle Frau und eine ebenso tolle Ärztin... Ich weiß nicht, was ohne sie passiert wäre. Vielleicht wäre meine Frau schon während der Geburt... gestorben..."
„Es gehört zu meinem Job, Menschen zu retten.", gab Lea kühl von sich und sie trat den Rückweg in ihr Zimmer an.
Vorher jedoch hörte sie den Mann rufen: „Vielleicht wollen sie die Patentante der Kleinen werden. Wir würden uns freuen... Wenn sie wollen, können sie uns besuchen, sobald es ihnen wieder besser geht."
Gedankenverloren setzte sich Lea wieder auf ihr Bett und hatte schon fast vergessen, dass sie sich noch immer im Krankenhaus befand, als sich ihre Zimmertür öffnete und Dr. Kaminski herein trat.
„Frau Dr. Peters. Ich... Ich wollte ihnen nur sagen, dass wir in ein paar Tagen daran denken können, sie hier aus dem Krankenhaus zu entlassen. Sie haben sich schon sehr gut von den Komplikationen während ihrer Operation erholt und das kleine Mäuschen in ihrem Bauch fühlt sich auch sehr wohl. Sie können also beruhigt sein, wir haben alles unter Beobachtung..."
Kaminski wusste selbst nicht mehr, was er jetzt sagte. Schließlich sah er Lea nun einmal mehr auch als Frau, nicht mehr nur als Kollegin.
„Das ist sehr gut. Dann kann ich ja auch bald wieder in den Dienst einsteigen. Was halten sie denn davon, mich heute schon hier aus der Klinik zu entlassen? Dann kann ich morgen bereits wieder im OP stehen und mich selbst um meine Patienten kümmern."
„Das ist in Anbetracht ihrer Situation eine noch ziemlich schlechte Idee. Sie sollten lieber... Sie sollten lieber noch einige Tage hier im Krankenhaus zur Beobachtung bleiben. Ansonsten kann es jederzeit noch zu Komplikationen kommen. Das wissen sie doch. Nach einer Operation lassen wir unsere Patienten doch immer noch mindestens eine Woche zur Beobachtung bei uns. Und in Anbetracht dessen, dass... Dass es während des Eingriffs bei ihnen zu schweren Komplikationen kam... und sie fast gestorben sind..."
Kaminski stotterte und sah deswegen lieber an Lea vorbei, anstatt sie sich genauer anzusehen. Wieso machte ihn der Anblick seiner Kollegin so fertig? Was war nur los?
Hatte er sich etwa wirklich in Lea verliebt? War ihm deswegen immer so flau im Magen, wenn die beiden miteinander alleine waren?
Angestrengt versuchte er, die Kontenance zu bewahren und nicht plötzlich rot anzulaufen. Doch mit jeder Minute, die er Lea ansah, merkte er, dass ihm das zunehmend nicht mehr gelang.
„Ich denke, ich sollte dann mal wieder... zum Dienst gehen. Meine Patienten warten schon auf ihren behandelnden Arzt.", erklärte Kaminski und er verließ Leas Zimmer wieder.
Nun war die Neurochirurgin wieder allein – allein in diesem in einem langweilig weiß tapezierten Zimmer.
Im Ärztezimmer war im Moment nichts los; Kaminski, der sich an den Tisch setzte, war einer der einzigen, die sich dort befanden.
Endlich fand er Zeit für sich, die er nun unbedingt gebrauchte.
'Ungefähr neunte Woche...', murmelte er unhörbar vor sich her, als er sich den Kalender schnappte. „Eins, zwei, drei, vier... fünf, sechs, sieben... acht, neun..." Ihm stockte der Atem. Ungläubig sah er auf die Eintragung.
„Ärzteball, 17:30 Uhr Beginn..." Der Ärzteball? Kaminski erinnerte sich nicht mehr genau daran, was dort passiert war. Doch ganz langsam dämmerte es ihm.
Lea und er hatten gemeinsam an der Bar gesessen und die Neurochirurgin, die eigentlich gar nicht zum Ärzteball gewollt hatte, schüttete sich schon den dritten Cocktail hinter, als Kaminski ihr anbot: ‚Was halten sie davon, wenn wir zu mir nach Hause fahren?'
‚Das ist eine gute Idee, Dr. Kaminski. Diese Pflichtveranstaltung wäre der erste Grund dafür gewesen, mein Medizinstudium zu beenden.', wusste Lea damals und Kaminski lachte. ‚Ich gehe auch nicht gern auf den Ärzteball... und ich glaube, Dr. Heilmann... wird auch nicht gerne hier sein.'
‚Das stimmt... Es ist der erste Ball ohne seine Frau. ... Eigentlich wollte er heute gar nicht kommen. Aber Frau Marquardt und Dr. Globisch haben ihm ein wenig Abwechslung verordnet.', wusste Lea und betrachtete Roland mit einem mitleidigen Blick.
Was weiter passierte – Kaminski wusste es heute nicht mehr. Nur noch, dass am nächsten Morgen... Kaminski an der Seite von Lea aufgewacht war. In ihrer Wohnung wohlgemerkt.
Wie er dorthin kam oder was in der Nacht passiert war – Kaminski hatte keine Ahnung davon.
„Wie geht es Dr. Peters?", erkundigte sich Roland, als er nach einer anstrengenden OP ebenfalls ins Ärztezimmer kam und Dr. Kaminski am Schreibtisch sitzen sah, die Akte von Lea aufgeschlagen vor sich liegend.
„Ich war gerade bei ihr. In ein paar Tagen können wir Dr. Peters wieder nach Hause entlassen, denke ich. Sie hat sich bereits sehr gut von allem erholt..."
„Gut... Dann werde ich unsere Kollegin sicherlich ab übernächster Woche bereits wieder langsam in den Dienstplan integrieren können. Ich schaue später selber noch einmal nach ihr.", wusste Roland und machte sich auf den Weg in sein Büro.
Nun war Kaminski wieder ganz alleine und konnte weiter über die Folgen dieser einen Nacht nachdenken.
Sollte er vielleicht wirklich der Vater dieses noch wachsenden Zwerges in Leas Bauch sein? Sollte er dafür zuständig sein, dass seine Kollegin in einen solchen Zwiespalt der Gefühle und der Entscheidung gefallen ist?
Sollte vielleicht Fabian noch einmal eine kleine Schwester bekommen? Oder würde es doch ein kleiner Junge werden, der unter Leas Herz heranwuchs und seiner Mutter immer wieder die Entscheidung abforderte, ob sie das kleine Würmchen auf die Welt bringen sollte oder lieber doch eine Abtreibung besser war?
„Ich kann es ihr nicht sagen...", murmelte Kaminski. „Sie hat es doch bestimmt wieder vergessen, was vorgefallen ist... Und sicherlich ist ihr Lebensgefährte... ihr Ex-Freund Herr Derbeck... der leibliche Vater von diesem kleinen Zwerg..."
Natürlich wäre es ein leichtes für Kaminski, nach der Geburt herauszufinden, wer der leibliche Vater des Babys von Dr. Peters war. Aber was würde er, Dr. Rolf Kaminski, denn machen, wenn er wirklich noch einmal Vater werden würde?
Wenn er nach dem tragischen Unfall, bei dem seine Frau und seine Tochter starben, eine zweite Chance auf eine richtige Familie bekam?
„Ich muss mit Dr. Peters sprechen.", nahm sich Kaminski fest vor und verließ, in Richtung von Leas Zimmer, das Ärztezimmer.
Da allerdings plötzlich ein Notfall eingeliefert wurde, der Kaminskis ganze Energie und Fürsorge gebrauchte, wurde der Urologe daran gehindert, mit Lea zu sprechen. So ging das eine ganze Weile, bis der Feierabend für Kaminski an die Tür klopfte.
„Guten Abend, Dr. Kaminski... Haben sie jetzt schon Feierabend? Wollen wir noch etwas trinken gehen?", wurde der Urologe beim Verlassen der Klinik von einer Stimme angesprochen, die er ganz genau kannte. Eine Stimme, von der er glaubte, sie niemals mehr zu hören.
„Elena... Dr. Eichhorn...", flüsterte Kaminski erschüttert und drehte sich zu der zurück gekehrten Kollegin um. „Was machen sie denn plötzlich hier?"
„Ich... Ich..." Elena sah betrübt zu Boden und Dr. Kaminski kam langsam auf sie zu. „Was ist denn los? Sind sie ganz alleine hierher nach Leipzig gekommen?"
„Ich... Sophie..." Tränen flossen über Elenas Wange und Kaminski hatte schon eine leichte Vorahnung, was geschehen sein musste. War der Tochter von Dr. Eichhorn etwas geschehen?
„Was ist denn mit Sophie? Ist ihr irgendetwas passiert?", fragte Kaminski erschüttert und Elena nickte. „Sie ist tot... Ich habe... Christoph war mit ihr über das Wochenende unterwegs... Es war ein... Sie hatten einen... Sie hatten bei einem Segelausflug einen Unfall... Das Boot ist... einfach gekentert und... Ich kann nicht mehr in Australien..."
„Oh, mein Gott... Mein Beileid. Sind sie wenigstens hier in Leipzig in einem guten Hotel untergekommen?", wollte Kaminski wissen, doch da fiel sein Blick auch schon auf die beiden Koffer, die hinter Elena standen.
„Ich habe gedacht, ich könnte bei Heilmanns unterkommen. Pia hat sicherlich einen Platz frei...", wusste die Chirurgin und Kaminski schüttelte den Kopf.
„Dr. Heilmanns Frau... Frau Heilmann... hatte in Italien... einen Unfall. Sie ist verstorben.", erzählte Kaminski mit vorsichtiger Stimme, als Roland in der Tür der Sachsenklinik stand. „Dr. Heilmann hat es bis jetzt noch nicht... verkraftet, dass sie nicht mehr da ist.", berichtete der Urologe.
Elena nickte und schlich langsam auf den Klinikchef zu. „Dr. Heilmann... Roland... Es tut mir so leid... Dr. Kaminski hat es mir gerade gesagt... Mein Beileid..."
Vorsichtig nahm Elena den Klinikchef in den Arm, doch Roland schüttelte nur den Kopf und erklärte, er wäre schon darüber hinweg. „Pia kommt nicht mehr zurück; auch, wenn ich hier um sie trauere.", wusste Roland genau, doch in seinen Augen sah Elena das Glitzern von mehreren Tränen genau.
„Roland... Ich... Ich weiß, wie du dich jetzt fühlst... Ich habe... Ich habe selber meine Familie verloren. Sophie... Sophie hatte einen Unfall in Australien... Sie..."
„Sie ist auch...", wollte Roland wissen und nahm Elena in den Arm, als sie sich einfach fallen ließ und beide um ihre Familien weinten.
DU LIEST GERADE
Leas Baby
FanfictionSchwanger - für Lea Peters die schockierendste Nachricht, die sie jemals bekommen konnte. Wo sie sich doch erst vor einigen Wochen von ihrem Lebensgefährten getrennt hatte. Nun steht sie vor einem Rätsel... Soll sie das Baby bekommen? Und dann tauch...