Die ersten Schneeflocken in diesem Winter fielen exakt in der Nacht vor dem Heiligen Abend vom Himmel und ließen die Innenstadt von Hamburg am nächsten Morgen in einem wunderschönen Licht erstrahlen. Ein jeder freute sich auf die Weihnachtsfeiertage und die Zeit mit der Familie.
Jeder? – Nein, nicht jeder, denn inmitten der fröhlichen Menschen wanderte am Weihnachtstag eine hochschwangere Frau unglücklich durch ihre Heimatstadt.
Lea Peters, die in zwei Wochen ihre kleine Tochter auf die Welt bringen würde und sich eigentlich darauf freuen sollte, würde gerade in diesem Jahr keine Freude haben.
„Mein Kleines... Es tut mir so leid, dass ich dich eigentlich... Meine kleine Laura, du musst mich heute nicht so sehr treten. Ich dachte, wir machen einen schönen Weihnachtsspaziergang, mein Kleines. So kurz vor deinem geplanten Geburtstag. Bald können wir zusammen durch Hamburg spazieren gehen – du in deinem schönen Kinderwagen, den ich dir gekauft habe... und deine Mami schiebt dich und zeigt dir die Welt...", flüsterte Lea und sie fasste sich mit einem traurigen Seufzen kurz an den Bauch.
Heute machte ihre Tochter besonders viel Sport, obwohl gerade jetzt, in den letzten Wochen der Schwangerschaft für das Baby kaum noch Platz im Bauch ihrer Mutter war. Dennoch vollführte das kleine Mädchen, das seit der folgenreichen Nacht ihrer Eltern unter Leas Herzen zu einem kräftigen Baby heranwuchs und bald für viel Freude bei Lea sorgen würde, wahre Freudentänze, während sich die angehende Ärztin mit ihrem Kind unterhielt.
„Laura... Süße, mach doch nicht so eine riesen Turnstunde... Ich... Ich habe doch schon stundenlang Schmerzen gehabt. Du willst doch nicht deiner Mama Weihnachten vermiesen. Heute ist doch Heilig Abend... Da möchte deine Mama nicht mit solchen Schmerzen auf dem Sofa liegen müssen, mein kleines Mädchen..."
Während sie an den Landungsbrücken im Hamburger Hafen entlang schlenderte, wurden die Schmerzen in Leas Bauch, die sie seit gestern Vormittag... seit ungefähr fast 24 oder 25 Stunden hatte, plötzlich wieder stärker und sie spürte, dass es sogar bis in den Rücken ausstrahlte. Lea musste sich kurz hinsetzen und blieb in gebeugter Haltung auf einer Treppe sitzen.
Plötzlich hielt hinter ihr ein Polizeiwagen und ein Mann, der die Schwangere mit unverkennbaren Hamburger Dialekt ansprach und sich mit ‚Dirk Matthies' vorstellte, erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei. „Ja... Ja, danke... Ich wollte nur...", seufzte Lea und ihre Hand ging immer wieder beschützend an ihren Bauch, als eine erneute Schmerzattacke die junge Frau kräftig durchschüttelte. „Ich bin nur schwanger; in zwei Wochen ist der Termin. Ich wollte nur noch einmal spazieren gehen und den Tag genießen... Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen; ich mache eine kleine Pause..."
„Soll ich nicht doch lieber einen Krankenwagen rufen?", erkundigte sich nun auch die Kollegin des Polizisten, die sich mit dem Namen ‚Anna Bergmann' vorstellte. „Sie haben doch Schmerzen..."
„Ich... Es ist alles in Ordnung.", winkte Lea ab, doch plötzlich spürte sie einen heftigen Schmerz in ihrem Bauch und sie erkannte, dass diese Schmerzen nichts anderes, als Geburtswehen waren. „Ich... Ich hab Wehen... Meine kleine Tochter..."
„In welcher Woche sind sie denn?", erkundigte sich die Polizistin, während deren Kollege Matthies einen Krankenwagen alarmierte. „Ich... In der 38. Woche... Sie hat es wohl doch eiliger. Meine kleine Tochter. Ich habe schon eine ganze Weile Schmerzen; gestern Vormittag fing es schon an und heute Früh ging es weiter. Aber ich hab doch nicht geahnt, dass es heute zu Weihnachten losgeht..."
„Machen sie sich keine Sorgen, Frau..." „Peters... Lea Peters..." „Frau Peters, wir bleiben jetzt bei ihnen, bis der Krankenwagen kommt. Und dann werden sie ihr kleines Mädchen im Krankenhaus zur Welt bringen. Ein kleines Christkind... Wie soll das Mäuschen denn heißen?" „Ich... Ich will die Kleine Laura nennen. Sie soll... Laura Estelle heißen... Aaa..." Lea verkrampfte und atmete erschöpft in den Bauch, als Dirk Matthies erklärte: „Wir haben ein Problem... Der Krankenwagen kann erst in einer dreiviertel Stunde hier sein... Anna, wir bringen die Frau selbst ins Krankenhaus."
„Ich... AAA... Ich will... Meine kleine Tochter soll aber... auf keinen Fall in der Uniklinik zur Welt kommen. Dort... Dort arbeitet... meine Freundin und die will mein Baby haben. Sie... Sie will mir mein Kind wegnehmen."
„Machen sie sich keine Sorgen.", beruhigte noch einmal die Polizistin die werdende Mutter und gemeinsam mit Dirk Matthies brachte sie die Schwangere in den Polizeiwagen. „Keiner wird ihnen ihr Kind wegnehmen; keiner nimmt einer Mutter ihr Kind weg. ... Dirk, ich setze mich am besten zu Frau Peters nach hinten... Und gib Gas, Dirk. Wir haben keine Zeit zu verlieren. ... Die Fruchtblase ist auch schon geplatzt; das Baby wird nicht mehr lange brauchen.", fiel Annas Blick auf Leas Umstandsjeans, auf der ein großer nasser Fleck zu sehen war.
Noch einmal drehte sich Dirk zu Lea und Anna um und erwiderte: „Ai Ai, Kapitän Bergmann... Alle anschnallen bitte... Und los geht es." Innerhalb weniger Augenblicke hätten es die Polizisten eigentlich in die nächstgelegene Klinik geschafft, doch gerade jetzt war Stau und Lea wurde zunehmend schwächer, während die Wehen immer stärker wurden.
„Dirk... Dirk, fahr sofort rechts ran... Wir schaffen es nicht mehr ins Krankenhaus; FAHR RECHTS RAN, Dirk! Das Baby kommt schon; ich merke hier schon das Köpfchen.", rief Anna nach vorn und ihr Kollege drehte sich erschrocken um.
„Das Baby kommt?", fragte er und seine Kollegin nickte. „Es geht zu schnell, Dirk... Ruf' gleich den Babynotarzt... und den RTW... Und wir beide schaffen das hier zusammen."
„Ich... Ich will... Ich will das Kind... per Kaiserschnitt... Ich will das Kind per Kaiserschnitt im Krankenhaus...", wurde die werdende Mutter schon panisch, doch Anna sprach beruhigend auf Lea ein. „Sie werden ihr kleines Mädchen gleich in den Armen halten können. ... Machen sie sich keine Sorgen. Ich habe selbst ein Kind... Ich weiß, was zu tun ist... Sie müssen jetzt ganz ruhig bleiben; ich bin da."
„Hören sie mir nicht zu? Ich WILL mein Kind nicht hier auf der Straße auf die Welt bringen! Was machen wir denn, wenn irgendwas... Ich WILL mein Kind im Krankenhaus... Ich WILL bei meiner kleinen Tochter... bei der kleinen Laura unbedingt einen Kaiserschnitt...", widersprach Lea, doch Anna schüttelte den Kopf und widersetzte sich Leas Bitte.
„Wir schaffen es jetzt nicht mehr ins Krankenhaus, Frau Peters. Die Geburt ihres Kindes ist schon viel zu weit fortgeschritten... Machen sie sich keine Sorgen; ich bin bei ihnen. Ich werde ihnen jetzt helfen, ihr Baby auf die Welt zu bringen.", beruhigte die Polizistin und legte ihre Hand auf Leas Bauch. „Kommen sie, Frau Peters. Sie sind doch bis hierher gekommen. Jetzt werden wir den Rest auch noch schaffen."
„Aber wenn es zu Komplikationen kommt... Wenn irgendwas mit meinem Baby nicht in Ordnung ist und der Notarzt ist... zu spät hier... Sie sind keine Ärztin; sie können meinem Kind nicht helfen!", widersprach die Mutter, doch Dirk erwiderte: „Der Babynotarzt ist schon auf dem Weg. Machen sie sich keine Sorgen. Wir kriegen das hin."
„So, Frau Peters... Passen sie auf, das Köpfchen ihres Babys ist schon fast zu sehen. Sie sind schon sehr weit... Wenn ich es ihnen sage, dann pressen sie anständig. Sie brauchen wirklich gar keine Angst zu haben, wir sind alle bei ihnen. ... Sollen wir vielleicht den Vater ihrer... Fangen schon die Presswehen an? ... Gut, dann ordentlich pressen.", leitete Anna an und Dirk, der hinter Lea saß, hielt der Ärztin beruhigend die Hand.
„Sie machen das schon sehr gut... Und hecheln... Sehr schön; sie machen das ganz wunderbar. Schön hecheln. ... Dirk, unterstützt du sie kurz? ... Und wieder pressen. Ja... Ja, sehr gut. Ich sehe hier schon das Köpfchen ihres Kleinen... Ja, sehr gut machen sie das. ... Dirk, die Decke... Ja, und weiter. Sie haben es gleich geschafft, noch ein kleines Stück..."
Lea, die nur sehr widerwillig zu pressen begonnen hatte, kämpfte einige Minuten schon gegen die starken Wehen und mit einem letzten Pressen befreite sie ihr Baby aus ihrem Bauch, in dem es fast 10 Monate lang gewohnt hatte.
„Es ist da; ihre kleine Tochter ist da... Hier ist ihre kleine Maus..." Anna, die das Neugeborene sofort in die große, gräuliche Decke eingewickelt hatte, um es zu wärmen, zeigte Lea ihr Baby, das kräftig schrie und sich über das Winterwetter beschwerte.
Behutsam bekam die frischgebackene Mutter das Baby auf den Bauch gelegt und sie sah das erste Mal in die babyblauen Augen ihres kleinen Mädchens. „Laura... Laura Estelle, meine Kleine. Hallo... Hallo, mein kleiner Schatz. Herzlich Willkommen auf der großen Welt. Willkommen bei Mama... Hallo, mein Liebling. Da bist du endlich." Die frischgebackene Mutter drückte das zerbrechlich wirkende, aber kräftig schreiende Baby an ihren Körper und ihre kleine Laura Estelle hörte wieder den vertrauten Herzschlag ihrer Mutter, der den Säugling sofort beruhigte.
„Da wäre es schon geschafft... Sehr gut haben sie das gemacht. ... Und der Babynotarzt ist auch schon da. Da kommt der Arzt.", erklärte Anna, als sich der Rettungswagen näherte und ein Arzt sogleich auf den Polizeiwagen zugelaufen kam.
„Guten Tag, Dr. Locker, ich bin der Babynotarzt... Na, da haben sie aber ein süßes Mäuschen auf die Welt gebracht... Geht es ihnen gut?" „Ja... Mein... Das ist mein Kind! Sie ist mein Baby... NEHMEN SIE MIR DOCH BITTE BITTE JETZT MEIN KIND NICHT WEG! SIE IST MEIN BABY!", erklärte Lea, doch der Notarzt nahm ihr das kleine Mädchen vorsichtig aus dem Arm und die frischgebackene Mutter wurde behutsam vom Kollegen des Kinderarztes versorgt.
„Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen; keiner nimmt ihnen das Baby weg. Sie werden ihre kleine Maus sofort wieder bei sich haben. ... Geht es ihnen soweit gut, Frau..." „Peters... Meine Tochter! Ich will mein Kind sofort wieder zurück.", brüllte Lea besorgt, als sie schon auf der Trage des Krankenwagens lag, während sich der Kinderarzt um ihre kleine Tochter kümmerte.
„Sie ist doch mein Kind." „Es ist alles gut... Ihrer süßen Maus ist es nur ein bisschen kalt. ... Wir bringen sie beide jetzt gemeinsam ins Krankenhaus. ... Herr Kollege, sie kümmern sich um die Mutter; ich übernehme den Säugling. Stimmts, du kleine Maus? Wir schaffen das zusammen.", beruhigte der Kinderarzt die kleine Laura und er legte das Baby auf Leas Bauch, wo die schreiende Laura sofort friedlich einschlief.
„Meine kleine Maus... Du bist da. ... Mein süßes, kleines Mädchen, du bist endlich auf der Welt... Ich lasse dich auf keinen Fall mehr aus den Augen, mein Mädchen. Meine kleine Laura. Du bist endlich bei mir... Mein kleines Christkind...", seufzte Lea und ihr liefen bereits die Tränen aus den Augen.
Während der gesamten Fahrt ins Krankenhaus hielt Lea ihr Baby an ihr Herz gedrückt und sie flüsterte beruhigend auf ihr Kleines ein, als der Kinderarzt noch einmal nach den Vitalwerten des Säuglings schaute.
Mit seinem Stethoskop hörte er das Herz der Kleinen ab, doch Laura schien sich dagegen wehren zu wollen. Ihr leises Quietschen ließ Lea kurz aufschrecken und die Ärztin wollte ihr Kind beruhigen, doch das kleine Mädchen quietschte und quiekte ängstlich.
„Es ist gar nichts passiert, Spatz. Der Onkel Doktor ist ganz lieb.", beruhigte Lea ihre kleine Tochter und gab dem Baby einen Kuss auf den noch etwas blutverschmierten Kopf.
„Das Baby ist kerngesund, Frau Peters. Machen sie sich keine Sorgen; in maximal einer Woche sind sie mit ihrem kleinen Mäuslein schon zu Hause.", versprach der Kinderarzt, doch Lea wusste genau, dass dies wohl nicht so kommen würde.
Und die frischgebackene Mutter hatte auch Recht; knapp eine Woche nach der Geburt ihres kleinen Mädchens, Lea hatte ihr Kind gerade bei sich auf dem Arm und stillte den Säugling liebevoll, betrat eine strenge Frau das Zimmer.
„Frau Lea Peters?" „Ja... Ja, was gibt es? Was ist los?" „Mein Name ist Else Goldner, ich komme vom Jugendamt hier in Hamburg. Es liegt eine anonyme Anzeige gegen sie vor. ... Sie werden beschuldigt, ihr Kind misshandelt zu haben. ... Geben sie mir bitte den Säugling; ich werde das Baby jetzt zum Kindernotdienst bringen. Sie bekommen von uns eine Vorladung zum Gerichtstermin..."
„Mein... NEIN! Ich kann ihnen... MEINE Tochter! Laura ist mein Kind! Sie gehört zu mir.", brüllte Lea, doch die Frau nahm ihr einfach den Säugling aus dem Arm und legte Laura in einen Kinderwagen, den sie mitgebracht hatte. „Glauben sie mir, es ist besser so. Frau Peters, sie sind keine gute Mutter für ihr Kind. Machen sie es uns bitte nicht noch schwerer; ihr Kind kommt in eine bessere Familie. ... Vielleicht werden sie ihre Tochter... Frau Peters, lassen sie bitte das Kind liegen; ihnen wurde das Sorgerecht entzogen."
„Ich... MEIN BABY! Laura ist MEINE Tochter! Ich... Ich bin doch ihre Mutter; sie braucht mich! Ich habe...", wollte Lea noch widersprechen, doch die Beamtin schob den Kinderwagen aus dem Zimmer und Lea konnte nur noch hinterher schauen und hoffen, dass das alles nur ein böser Traum war.
Doch es war kein Traum und Lea wurde fast sechzehn Jahre lang von ihrem Kind getrennt, bis sie ihre Tochter durch Zufall in Leipzig wiedertraf.
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Leas Baby
FanfictionSchwanger - für Lea Peters die schockierendste Nachricht, die sie jemals bekommen konnte. Wo sie sich doch erst vor einigen Wochen von ihrem Lebensgefährten getrennt hatte. Nun steht sie vor einem Rätsel... Soll sie das Baby bekommen? Und dann tauch...