Inzwischen war es bis zu Sarah Marquardt vorgedrungen, dass Lea wohl die nächsten Tage ausfiel.
„Und wie geht es Dr. Peters?", wollte die Verwaltungschefin der Sachsenklinik wissen, als sie ins Ärztezimmer kam und dort nicht nur auf Kathrin und Martin, sondern auch auf Dr. Kaminski traf.
„Darüber können wir ihnen keine Auskunft geben, Frau Marquardt. Das wissen sie doch. Wir haben unsere ärztliche Schweigepflicht.", wies Kathrin die Verwaltungschefin auf die geltenden Gesetze hin. „Und besonders, weil sie die Chefin von Frau Dr. Peters sind. Wir dürfen ihnen somit gleich gar nichts sagen. Oder sind sie vielleicht mit Dr. Peters verwandt, wovon wir nichts wissen?"
„Nein... Nein, ich bin nicht mit Frau Dr. Peters verwandt. Es geht mir nur um die Planung. Wenn Frau Dr. Peters jetzt vielleicht länger, als geplant ausfällt."
„Das werden sie schon sehen... Aber ich gehe davon aus, dass sie in den nächsten Tagen besser nicht mit der Kollegin rechnen sollten.", erklärte Kathrin der Verwaltungschefin, bevor sich auch Dr. Kaminski zu Wort meldete.
„Ich gehe davon aus, damit wären alle ihre Fragen beantwortet.", erkannte der Urologe und Sarah atmete tief durch und verschwand aus dem Ärztezimmer, bevor sich Dr. Kaminski wieder seinen Patientenakten widmete.
„Meinen sie, dass sich Dr. Peters für das Baby entscheidet?", wandte sich Kaminski plötzlich mit beunruhigter Stimme an Kathrin. „Können sie sich Dr. Peters mit einem Baby vorstellen?"
„Ich weiß es nicht. Aber bei Frau Marquardt... als sie damals mit ihrem Sohn schwanger war... bei ihr konnte man sich auch nie vorstellen, dass sie einmal Mutter sein würde. Und plötzlich hatte sie ihren Bastian. Und sie ist eine wunderbare Mutter. Auch, wenn sie schon immer eine echte Karrierefrau war und es auch für den Rest ihres Lebens bleiben wird..."
„Ich kann mir Dr. Peters, wenn ich ehrlich bin, nicht als Mutter vorstellen. Sie ist für ein Kind viel zu rational. Und außerdem liebt sie ihren Job hier mehr als alles andere...", wies Martin den Urologen auf Leas Arbeit hin, als sich die Tür zum Ärztezimmer öffnete und die Ärzte erschrocken herumfuhren...
„Roland... Was machst du denn hier? Wolltest du nicht zu Frau Dr. Peters auf die Station und nach ihr schauen?", fragte Martin, als der erste Schreck vergangen war und er statt Dr. Peters, die alle drei in der Tür stehend vermutet hatten, „nur" Klinikchef Roland Heilmann in der Tür stehen sah.
„Ich war gerade schon bei der Kollegin. Sie ist noch ein wenig verwirrt von der Narkose.", berichtete Roland und Anästhesistin Kathrin bot an, noch einmal nach der Kollegin zu sehen.
„Das brauchst du nicht machen, Kathrin. Sie schläft im Moment. ... Aber sie hat ihren Ex-Freund Herrn Derbeck gebeten, nicht mehr zu Besuch zu kommen."
„Vielleicht hat das ja einen Grund...", erklärte Martin, doch Roland schüttelte den Kopf und erklärte: „Ich glaube nicht, dass es einen bestimmten Grund hat. Sie macht mir momentan große Sorgen, unsere Kollegin. Seit der OP kommt sie mir sehr verwirrt vor."
„Verwirrt? Bist du dir sicher?", fragte Kathrin besorgt und sie bot dem Klinikchef an, einmal nach der Neurochirurgin zu sehen.
„Das brauchst du nicht machen, Kathrin. Ich habe die Kollegin schon gründlich durchgecheckt. Allerdings kann ich nicht sagen, was mit ihr los ist."
„Ich schaue mal nach der Kollegin.", meinte Kathrin und verließ sogleich das Ärztezimmer.
Als Martin und Roland nur noch zu zweit im Ärztezimmer saßen, wandte sich der Oberarzt besorgt an den Klinikchef: „Sag mal, Roland. Kathrin wollte mir schon keine Information dazu geben. Aber ich bin doch Arzt. Kann es sein, dass ihr mir irgendwas verheimlicht? ... Kann es sein, dass Kathrin und du etwas wisst, was ich wissen sollte? Ist Dr. Peters etwa schwanger?"
„Woher... Dr. Peters ist... OK, Martin. Du weißt es nicht von mir. ... Ja, Dr. Peters ist schwanger. Aber sie will ihr Baby abtreiben... Ich möchte sie allerdings krampfhaft davon abbekommen. Sie sollte das Baby nicht abtreiben. Irgendwann wird sie es bereuen, wenn sie es tun würde...", wusste Roland, als plötzlich eine Stimme durch das Ärztezimmer klang.
„Zerbrechen sie sich bitte nicht meinen Kopf, Dr. Heilmann. Ich bin erwachsen und kann selbst entscheiden, ob ich dieses Baby wirklich behalte oder ob ich abtreibe. ... Ja, ich bin schwanger, Dr. Stein. Aber nicht mehr lange."
„Frau Dr. Peters..." Erschrocken fuhr Roland herum. „Was machen sie denn hier? Sie haben immer noch Bettruhe einzuhalten. Wir haben sie erst vor ein paar Stunden operiert. Sie brauchen noch ihre Ruhe..."
„Ich brauche meine Ruhe nicht mehr, Herr Dr. Heilmann... Sie können natürlich auch weiterhin meine Geheimnisse ausplaudern. Aber heben sie das bitte auf, bis nach meinem Weggang. Sie dürfen gerne über mich reden, wenn ich nicht mehr da bin."
„Was hat das denn plötzlich zu bedeuten, Frau Dr. Peters?", fragte Roland und erst jetzt fiel dem Chefarzt auf, dass die Neurochirurgin ihre Alltagskleidung trug. „Was haben sie vor?"
„Ich habe gar nichts vor... Ich muss mir nur über mein Leben klar werden. Sie entschuldigen mich, Herr Kollege. Ich möchte jetzt gerne alleine sein.", lehnte Lea jegliche Fragen von Roland im Vornherein ab und sie verließ genauso leise, wie sie zuvor gekommen war, das Ärztezimmer wieder.
Roland und Martin sahen sich verwirrt an und der Chefarzt wusste erst nach ein paar Minuten, dass er seiner Kollegin jetzt unbedingt folgen musste.
„Frau Dr. Peters... Frau Dr. Peters. Warten sie bitte kurz...", rief der Klinikchef der Neurochirurgin hinterher und Lea drehte sich nach ihrem Chef um.
„Was wollen sie denn noch von mir, Dr. Heilmann? Ich möchte jetzt gerne in Ruhe über mein Leben nachdenken können... Sie haben ja ihre Familie. Ich habe niemanden mehr. Mein Vater ist in seiner eigenen Welt gefangen; seit er diese verfluchten Medikamente nimmt, ist er nur noch geistig abwesend. Sie haben ja zum Glück noch ihre Freunde und ihre Familie."
Unbewusst stach Lea Roland damit einen Dolch ins Herz.
„Ich habe nur noch meine Kinder, Frau Dr. Peters.", erinnerte der Klinikchef die Chirurgin an den Tod seiner Frau.
Auch, wenn er bereits im letzten Jahr von ihr Abschied nehmen musste – Pia fehlte ihm noch immer und er wusste ab und an nicht mehr, was er noch machen sollte, um mit dem Schmerz fertig zu werden.
Mit dem Schmerz, den ihm die Gedanken an seine Pia immer wieder zufügten.
In der italienischen Stadt Siena war es gewesen – ein Erdrutsch, der für Roland mit einer Tragödie endete. Noch am Tag vor dem schrecklichen Unfall hatte ihm Pia eine SMS geschickt – eine SMS, die in ihrem Wortlaut für ihn jetzt wie eine versteckte Nachricht klang.
>>Wir sehen uns bald wieder. Ich liebe dich jeden Tag mehr. Meine Sehnsucht steigt nach dem Tag, an dem wir uns wiedersehen. Grüße aus dem sonnigen Siena. ILD Pia.<<, hatte sie ihm geschrieben. Roland hatte sich über die SMS so sehr gefreut, dass er seine Liebste sofort angerufen hatte. Doch es war besetzt.
Wieder und wieder war die Verbindung nach Italien nicht möglich, erst nach zehn Minuten, als er es schon fast aufgegeben hatte, hatte Pia ihn angerufen.
„Ich habe dich gerade anrufen wollen.", lächelte Roland, als er es sich damals in seinem Bett bequem gemacht hatte, um mit seiner Liebsten zu telefonieren.
„Das ist aber ein Zufall... Ich wollte dich auch seit geschlagenen zehn Minuten erreichen. Aber ich dachte, du würdest wieder mit deiner geliebten Klinik telefonieren." Die Sätze aus Pias Mund hörte Roland immer wieder; noch heute ärgerte sich der Klinikchef darüber, seine Pia nicht einfach nach Hause geholt zu haben.
Bestimmt – so war er sich sicher – könnte Pia noch leben, wenn er sie einfach viel früher wieder nach Hause geholt hatte.
Dr. Kaminski, der plötzlich mit seinen Händen vor dem weggetretenen Chefarzt herumfuchtelte, brachte Roland wieder in die Gegenwart zurück und erschrocken sah sich der Klinikchef um. „WO ist denn Frau Dr. Peters?", fragte er erschüttert, dass seine Kollegin nicht mehr vor ihm stand, sondern nur noch der Urologe.
„Ich weiß es nicht, wo die Kollegin gerade herumspringt. Eben ist sie an mir vorbei gerannt... Aber sollte sie nicht eigentlich nach der OP, die sie hinter sich hatte, lieber im Bett liegen bleiben?", wusste Kaminski, doch auf eine Antwort von Roland wartete er vergebens.
Zu groß war die Sorge des Klinikchefs um die Kollegin, die ihn mit ihrer Aussage gerade eben einen mächtigen Schrecken eingejagt hatte.
Wollte sie etwa ihr Baby töten? Ein Baby, das sie bestimmt bekommen wollte, wenn sie es nur annahm...
Zuflucht fand Lea ausgerechnet an diesem verregneten Tag auf dem Dach der Sachsenklinik. Dort, wo sonst nur Patienten standen, die ihrem Leben ein Ende bereiten wollten, stand nun Lea – am Abgrund...
Unter ihr rannten Menschen von einer Ecke in die andere; Krankenwagen rasten in die Klinik und lieferten Patienten, denen es wohl weit schlechter ging, als der schwangeren Neurochirurgin, ein.
Mitten in die Gedanken um die neuen Patienten mischte sich plötzlich bei Lea ein Gefühl der Einsamkeit und des Schmerzes. Den allerdings tat die Chirurgin als Wundschmerz ab, sie zog scharf die Luft ein und setzte sich ganz leise an die Dachkante.
Ihre Beine baumelten über der Klinik in der Luft. Komisch, warum hatte sie hier oben noch keiner bemerkt, dachte sich die Chirurgin.
In ihrer Verzweiflung über die letzten Tage und Wochen und über ihren Mitbewohner in ihrem Bauch holte Lea aus ihrer Trainingsjacke, die sie sich angezogen hatte, ein Ultraschallbild. Die Ränder schon etwas abgegriffen und wohl nicht mehr ganz neu.
„Warum nur? Warum?", flüsterte sie leise und strich über das Bild.
Sie hatte es immer bei sich; egal, was auch immer passierte. Dieses Bild war bei ihr, beschützte sie und vielleicht – ja, vielleicht – hatte dieses kleine Wesen auf dem Bild auch für ihre aktuellen Gefühle gesorgt. „Ich wusste, warum ich damals so entschieden hab, meine Kleine. Es war das beste für dich... Ja, ich weiß, es war ein Fehler. Und du willst es mir jetzt heimzahlen. Aber... Sagen wir einfach, wir sind quitt. Entlass mich doch jetzt bitte... endlich aus diesen Schuldgefühlen... Bitte...", bettelte Lea und steckte das Ultraschallbild wieder weg.
Ein kalter Windhauch ließ die Ärztin in ihrer Jacke zusammenzucken und sie atmete tief durch. „Ich habe es doch nicht anders verdient, ich weiß. Aber irgendwann müssen diese Schuldgefühle doch einmal aufhören. Ich habe doch genug gelitten. Unter der Entscheidung... Muss ich das alles jetzt noch einmal durchmachen? Ausgerechnet jetzt?"
„Frau Dr. Peters... Was soll das hier oben? Kommen sie von der Kante weg. Sind sie denn völlig übergeschnappt?" Roland lief auf die Kollegin zu und erschreckte die gerade aufgestandene Lea damit so sehr, dass sie die Balance verlor...
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Leas Baby
FanfictionSchwanger - für Lea Peters die schockierendste Nachricht, die sie jemals bekommen konnte. Wo sie sich doch erst vor einigen Wochen von ihrem Lebensgefährten getrennt hatte. Nun steht sie vor einem Rätsel... Soll sie das Baby bekommen? Und dann tauch...