Folge 2 - Teil 2: "Gibt es Hoffnung?"

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Den Weg zum Jugendamt fand Lea ziemlich schnell und schon nach wenigen Augenblicken saß sie im Wartebereich und blickte der Frau, die ihr gegenüber saß, genau in die Augen.
Die junge Frau hatte ein ehrliches Gesicht; ein freundliches Lächeln umspielte ihre Lippen und sie setzte sich vorsichtig neben Lea.

„Wann ist es denn bei ihnen soweit?", wollte sie neugierig wissen. Lea fühlte sich erneut ertappt und eine Hand ging schützend in Richtung ihres Bauches.
„In einem halben Jahr.", antwortete die Chirurgin und die junge Frau, deren grüne Augen beim Anblick des kleinen Bäuchleins von Lea zu leuchten begannen, lächelte noch einmal, als einer der Mitarbeiter des Jugendamtes aus seinem Büro kam.
„Frau Dr. Lea Peters...", rief er in den Wartebereich und Lea erhob sich, nachdem sie sich freundlich von der jungen Frau verabschiedet hatte.


Das Büro des Jugendamtsmitarbeiters war groß und sehr hell; an den Wänden stand ein hellbrauner Aktenschrank und auf dem Schreibtisch lag eine aufgeschlagene Unterschriftenmappe, die er jetzt schloss.

„Guten Tag... Worum geht es denn?" „Es geht um die Adoption meines Kindes...", erklärte Lea, als sie sich dem Jugendamtsmitarbeiter gegenüber setzte.
„OK... Wann ist es denn bei ihnen soweit? Ich meine, so eine Entscheidung muss schließlich wohl überlegt sein und die Adoptiveltern sollten auch vorher darauf vorbereitet werden..."
„Ach, sie denken... Nein, es geht um die Adoption meines anderen Kindes...", wehrte Lea das Missverständnis sofort aus dem Weg und sie legte ihre Hand auf ihren Bauch, bevor sie von Lauras Geschichte erzählte.

„Sie haben ihr erstes Kind also zur Adoption freigegeben und wollen ihre Tochter nun doch wieder aus der Familie holen... Frau Dr. Peters, wie alt ist ihre Tochter denn jetzt?" „Sie ist am 24. Dezember 2001 geboren wurden.", erklärte Lea und fügte an: „Aber das ist doch für sie sicherlich kein Problem, die heutige Adresse meiner Tochter heraus zu finden, oder?"
„Frau Dr. Peters, so leid es mir tut... Aber nach knapp sechzehn Jahren, die ihre Tochter schon in ihrer neuen Familie lebt, kann ich unmöglich ihnen die Adresse der Adoptivfamilie geben... Haben sie sich einmal überlegt, was es für ihre Tochter bedeutet, wenn sie sich vor ihr hinstellen und ihr sagen, dass sie ihre leibliche Mutter sind? Dass ihre Tochter gar nicht die Tochter der Eltern ist, die sie großgezogen haben?"
„Ich will doch nur mein Kind einmal sehen... Lassen sie es doch wenigstens zu, dass ich meine Tochter einmal sehen darf... Ich... Ich möchte... Ich würde ihr doch auch gar nicht sagen, dass sie mein Kind ist. Ich würde mich als... langjährige Nachbarin vorstellen. Als gute Bekannte der..."

„Frau Dr. Peters. Sie können eine Adoption nur rückgängig machen, wenn wichtige Gründe vorliegen, die nicht berücksichtigt wurden. ... Etwa, wenn das Kind bei der Adoption noch keine acht Wochen alt war..."

„Meine Tochter war drei Wochen alt, als sie von ihrer Adoptivfamilie weggeholt wurde. Und der... Die Adoptivmutter... Ich kannte die Adoptivmutter. Sie war eine ehemalige Kommilitonin von mir. Sie hat mich unter Druck gesetzt. Ich würde als alleinstehende Ärztin keine Zeit für ein Kind haben. Sie wollte meine Tochter unbedingt selbst großziehen und hat mich dazu genötigt... Ich habe damals einen handgeschriebenen Brief von ihr bekommen... In dem sie mich dazu auffordert, das Kind zur Adoption freizugeben.", erzählte Lea die volle Wahrheit und der Sachbearbeiter nickte.
„Haben sie den Brief heute noch?" „Ja, ich... Ich habe den Brief die ganzen Jahre aufgehoben. Ich wollte damals schon mein Kind zurückholen. Aber... Meine Lebensverhältnisse waren mehr als schlecht für ein Kind. Ich hatte wirklich kaum Zeit für meine Tochter..."

„Haben sie den Brief damals bei dem Verfahren, in dem es um die Adoption ging, denn beim Gericht eingereicht? Ich meine, wenn sie damals ihr Kind behalten wollten, dann hätte ich an ihrer Stelle ja alles getan, damit sie ihr Kind behalten können.", meinte der Mitarbeiter des Jugendamtes, doch Lea schüttelte den Kopf und erklärte, sie habe sich nicht getraut, die Adoption platzen zu lassen.
„Natürlich wollte ich meine Tochter damals so lange wie möglich bei mir behalten. Aber... Als dann die Adoptiveltern... meine Kommilitonin kam und mein Kind geholt hat... Ich habe alles gesehen. Ich habe meine Tochter in den Armen dieser Frau gesehen, ich habe die Kleine schreien hören..."

„Das sind natürlich Vorzeichen, die mich positiv in ihrem Sinne stimmen lassen. Mit dem Vorgehen der Kollegen, ihre Tochter schon vor der Achten Lebenswoche an die anderen Eltern zu übergeben, bin ich nicht einverstanden. ... Hat der leibliche Vater der Adoption damals auch zugestimmt?"
„Der leibliche Vater meiner Tochter hat nicht zugestimmt... Er war für mich und meine Tochter nach der Geburt der Kleinen nicht mehr existent. Ich wusste zwar, wer es ist. Aber heute hat er selbst Familie und ist glücklich. Ich will nicht unbedingt, dass er sich jetzt durch diese Problematik... an mich gekettet fühlt. Unser Verhältnis war nicht allzu rosig; dass die Kleine entstanden ist, war ein Unfall...", erklärte Lea und der Jugendamtsmitarbeiter nickte erneut.
„Ich werde mich noch einmal mit dem Leiter des Jugendamtes in Verbindung setzen. Warten sie kurz hier, ich komme sofort wieder..."


Minuten, die Lea wie Stunden vorkamen, zogen ins Land und endlich öffnete sich die Tür des Büros erneut.

„Frau Dr. Peters... Das ist der Amtsleiter Herr Finsterbuch. Ich habe ihn gebeten, zu dem Gespräch hinzuzukommen.", stellte Herr Ölfeld den Amtsleiter vor und Lea reichte dem fast glatzköpfigen Mann freundlich die Hand.
„Der Kollege Ölfeld hat mich schon über ihr Problem in Kenntnis gesetzt. Ich habe selbst schon einmal die Adoption eines Kindes betreut, das nach wenigen Wochen wieder zu ihrer Familie zurückkam. Dieses Kind war damals zwar erst knapp eineinhalb, aber ich sehe in ihrem Fall gewisse Parallelen. Ich werde mir die Unterlagen zu dem Adoptionsverfahren ihrer Tochter zukommen lassen."

„Und... Gibt es in meinem Fall... Erfolgsaussichten?", fragte Lea und der Amtsleiter zuckte mit den Schultern. „Ich kann ihnen natürlich nichts versprechen. Aber ich werde mich mit den Kollegen, die die Adoption damals betreut haben, in Verbindung setzen. Und die Akte ihrer Tochter durchgehen. Wenn ihr Kind bei der Adoption aber noch nicht einmal einen Monat alt war und die Adoptivmutter sie unter Druck gesetzt hat, damit sie ihr Kind freigeben, dann haben sie gute Chancen, ihr Kind wieder zu bekommen. Drohungen sind in solchen Fällen ein No-Go und der Schlüssel zu einem erfolgreichen Rückgängigmachen der Adoption."
„Ich... Das heißt also, wenn ich den Brief... meiner ehemaligen Kommilitonin vorbeibringe, dann... Dann können sie sich dafür stark machen, mein Kind ausfindig zu machen..." Leas Augen leuchteten und der Amtsleiter nickte.
„Ich werde mich dafür stark machen, dass sie ihr Kind wenigstens einmal zu Gesicht bekommen können. Aber ihnen muss auch bekannt sein, dass ihre Tochter in diesem Jahr schon sechzehn Jahre alt wird. Sie ist ihr ganzes Leben in einer Familie groß geworden, die sie als ihre leibliche Familie ansieht. Es wird für alle Beteiligten sehr schwer werden, sich mit den gegebenen Fakten auseinander zu setzen. Wenn ihre Tochter keinen Kontakt zu ihnen will, dann sollten sie das akzeptieren."

„Ich werde alles akzeptieren. Aber ich will mein Kind wenigstens einmal in ihrem Leben zu Gesicht bekommen. Ich will wissen, wie und vor allem wo mein Kind lebt. Wie es ihr geht. Was sie interessiert. Und vor allem, ob es ihr gut ergangen ist. Ob sie von ihrer Adoptivfamilie geliebt wurde...", erklärte Lea und streichelte sich über ihren Bauch. „Hörst du das, mein kleiner Liebling... Wir werden vielleicht deine große Schwester bald wiedersehen. Freust du dich schon?"

Kurze Bewegungen in ihrem Bauch zeigten Lea, dass ihr Baby anscheinend gerade wieder wach geworden war und jetzt Frühsport betrieb.
„Hey, Süße... Du brauchst jetzt kein Frühsport machen. Ich merke, dass du noch da bist... Und deine große Schwester wird auch bald wieder da sein, Spatz. Versprochen...", versprach Lea, doch sie verließ das Jugendamt mit gemischten Gefühlen...



Mittlerweile waren seit der Entlassung von Lea aus der Klinik zwei Wochen vergangen und an diesem heutigen Montag stand die Neurochirurgin wieder im Dienstplan.
Vor dem Eingang traf die Neurochirurgin auf Dr. Heilmann, der seine Kollegin schon von weitem erkannt hatte und sich über das Wiedersehen mit ihr sehr zu freuen schien.

„Guten Morgen, Dr. Heilmann.", grüßte die Ärztin ihren langjährigen Chef. „Ist das nicht ein wunderschöner Tag heute?"
„Na, heu... So gute Laune. Was ist denn mit ihnen los? Freuen sie sich schon wieder auf den Stress in der Klinik?", fragte Roland erstaunt, als er erkannte, wer ihn zu dieser frühen Zeit so nett begrüßte.
„Im Vergleich zu der einen Woche, die ich zu Hause verbringen musste, ist doch so ein 24 Stunden-Dienst der reinste Urlaub... Ich bin froh, endlich wieder raus zu kommen.", erwiderte Lea und hielt dem Chef der Sachsenklink sogar freundlich lächelnd die Tür auf.

„Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Dr. Globisch.", grüßte Lea auch die Chefärztin pfeifend und nahm ihre Post entgegen, während Kathrin sie nur verdattert ansah und ihre Kollegin ebenfalls freundlich grüßte.
„Was hast du denn heute mit unserer Kollegin gemacht? Sie wirkt irgendwie... verändert. Hat das etwas mit dem Zwerg in ihrem Bauch zu tun?", witzelte Kathrin, als sie Lea hinterher schaute, während die Neurochirurgin bereits auf dem Weg ins Ärztezimmer war.

„Ich hab gar nichts mit der Kollegin gemacht. Mich hat sie vorhin auch schon so... fröhlich begrüßt. Keine Ahnung, was los ist. Vielleicht hat sie am Mittwoch im Lotto gewonnen und hat es erst gestern Abend oder heute Früh erfahren. Oder sie... Hat unsere Kollegin endlich ihren Mann wieder an ihrer Seite? Oder freut sie sich auf ihren Nachwuchs?"
„Keine Ahnung. Aber... Anscheinend wissen wir so einiges von unserer lieben Kollegin Dr. Peters nicht." Achselzuckend gingen Kathrin und Roland der Kollegin hinterher.



Zur gleichen Zeit spielte ein kleines Mädchen im Garten ihrer Eltern. Die fast sechsjährige Maja rannte von einer Ecke in die andere und warf ihren bunten Ball immer wieder in die Luft, bevor sie ihn lachend wieder auffing.
„Maja, mach bitte nicht so laut. Ich gehe gleich wieder mit dir rein, wenn du hier um diese Zeit so laut rum kreischst.", herrschte Stefanie ihre fünfjährige Tochter an, während sie die erst zwei Monate alte Nina auf dem Arm hielt und mit der Flasche fütterte.

„Stefanie, denk doch bitte daran, wie alt unsere Tochter ist... Maja ist noch ein Kind. Du musst sie nicht so streng maßregeln. Und du könntest dich auch eigentlich mal wieder um unsere Große kümmern. Laura ist auch noch da. Sie braucht ihre Mutter auch noch...", war das Kommentar von Stefanies Ehemann Bernd zu dem Verhalten der Vierzigjährigen.

„Aber... Ich muss mich eben um noch ein bisschen mehr um Nina, als um Laura und Maja kümmern. Nina ist zwei Monate alt, Maja ist fünf. Und Laura ist fast sechzehn. Laura und Maja sind also alt genug, um auch..."
„Maja ist fünf Jahre alt, in ein paar Monaten wird sie sechs. Im Sommer nächstes Jahr kommt Maja dann mit Sicherheit in die Schule, denkst du bitte auch mal daran. Und Laura hat wohl kaum noch Zeit, sich neben der Ausbildung auch noch um ihre kleine Schwester zu kümmern... Außerdem ist sie über die ersten drei Wochen der Ferien sowieso bei meiner Mutter. Da musst du dich auch mal um Maja kümmern! ... Stefanie, ich glaube, du hast dir mit den zwei kleinen Kindern ein bisschen viel..."

Ein lauter und greller Kinderschrei durchdrang das angestrengte Gespräch der streitenden Eltern und erschrocken blickte Bernd zu seiner Tochter, die eben noch fröhlich im Garten mit ihrem Ball gespielt hatte und nun neben dem großen Baum, den Bernd und Stefanie extra wegen der Schaukel für die kleine Maja gepflanzt hatten, lag.

Sofort stürzten Bernd und Stefanie auf die fünfjährige Maja zu und sahen, dass sich das Mädchen wohl bei ihrem Sturz am Kopf verletzt hatte.
Bewusstlos lag das fünfjährige Mädchen unter dem Baum liegen und ließ sich auch durch die liebevolle Stimme ihres Vaters nicht aufwecken.
„Maja... Oh, mein Gott. Kleines... Maja... Meine Maus, kannst du mich hören? Maja, Süße. Hallo?", fragte Bernd seine Tochter, doch die Fünfjährige, die beim Klettern auf den etwa drei Meter hohen Baum hinunter gestürzt war, lag nicht ansprechbar vor ihm und rührte sich keinen Zentimeter.

Auch die Mutter, die mit der kleinen Nina im Arm, geschockt neben ihrem Mann stand und auf ihre Tochter sah, fand keinen Ausweg aus dieser Situation und sie flüsterte nur durchgängig den Namen ihrer kleinen Tochter.

„Stefanie... Stefanie, ich kann Maja jetzt nicht alleine lassen. Die Kleine muss sofort ins Krankenhaus. Ruf' sofort den Notarzt! Sie ist bewusstlos; vermutlich hat sie eine Blutung im Gehirn.", herrschte Bernd seine Frau an und endlich lief Stefanie in Richtung ihres ehelichen Hauses.

Während die Mutter der kleinen Maja in Richtung Haus rannte, traf die älteste Tochter der Frau, die an diesem Montag frei hatte und deswegen bei einer Freundin übernachtet hatte, zu Hause ein.

„Was ist denn passiert? Was hat Maja denn gemacht?", erkundigte sich die fast Sechzehnjährige, die ihre Schwester bewusstlos neben dem großen Baum liegen sah.
„Maja ist beim Spielen vom Baum gefallen. Ich habe deiner Mutter gesagt, sie solle den Notarzt alarmieren. Maja muss in die Klinik, sie hat sich bestimmt bei ihrem Sturz ernsthaft am Kopf verletzt.", berichtete der besorgte Vater seiner fast sechzehnjährigen Tochter und kümmerte sich dann wieder um Maja.

Die fast Sechsjährige lag immer noch ohnmächtig vor ihrem Vater, doch langsam öffnete sie ihre Augen wieder.
„Maja... Maja, Kleines. Da bist du ja endlich wieder... Wie geht es dir, Kleines? Hast du Schmerzen? Tut dir was weh?" „Mein Kopf... Und mein Arm. Wo ist Mama?", fragte Maja, doch ihre große Schwester, die sich neben die Fünfjährige hockte, streichelte ihr vorsichtig über den Kopf und versprach: „Wir fahren gleich mit dir ins Krankenhaus und dann wird sich dort ein Doktor um dich kümmern. Keine Angst, du wirst wieder gesund."

Maja allerdings sah das komplett anders, als ihre große Schwester und bat sie, nicht ins Krankenhaus zu müssen. „Mama macht mich wieder gesund. Und Papa... Und du... Laura, ich möchte nicht ins Krankenhaus.", bat die Fünfjährige und Laura nahm die Hand ihrer kleinen Schwester, bevor sie erzählte: „Weißt du, Maja. Es ist alles gar kein Problem. Papa, Mama und ich besuchen dich regelmäßig im Krankenhaus. Und es sind auch ganz viele andere Kinder dort, die mit dir spielen können, wenn es dir wieder besser geht. Und weißt du, was das tollste im Krankenhaus ist?"
Maja sah ihre große Schwester neugierig an und schüttelte den Kopf, weswegen Laura fortfuhr: „Du brauchst, wenn du etwas haben möchtest, nicht erst aus dem Bett aufstehen, sondern musst nur auf ein kleines Knöpfchen drücken und dann bringt dir eine Krankenschwester alles, was du haben möchtest..."

„Auch ein eigenes Pony?" „Naja... Ein eigenes Pony? Das wird ein bisschen schwierig im Krankenhaus. Aber die Krankenschwestern bringen dir ein Buch zum Beispiel. Oder spielen mit dir dein Lieblingsspiel. Oder sie lesen dir etwas vor. Oder du darfst auch mal ein Stückchen Schokolade naschen...", lächelte Laura und legte die Hand ihrer kleinen Schwester wieder neben den Körper der Fünfjährigen.
„Dann möchte ich doch ins Krankenhaus, Laura...", flüsterte die knapp Sechsjährige und ihre große Schwester nickte.

Leas BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt