Folge 4 - Teil 6: Erinnerungen an vergangene Zeiten

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Kaminski folgte seiner Kollegin und deren Vater und stoppte Lea vor der Intensivstation. „Geh doch schon mal vor, Papa... Schwester, bringen sie meinen Vater bitte zu meiner Tochter...", bat Lea ihren Vater und der folgte der Krankenschwester ins Zimmer von Laura.

„Wollen sie ihrem Vater denn nicht die Wahrheit sagen? Er wird doch mit Sicherheit erfahren, was mit ihrer Tochter nicht in Ordnung ist... Sie können ihm nicht noch länger aus dem Wege gehen...", erklärte Kaminski der besorgten Lea, die ihrem Vater hinterher sah, bis er in Lauras Zimmer verschwunden war.
„Sie geht es doch gar nichts an, was ich meinem Vater sage oder nicht! Laura hat KREBS! Sie wissen doch genauso gut, wie ich, dass... Dass meine Tochter sterben wird! UND ICH KANN IHR WEGEN DIESEN ZWEI QUÄLGEISTERN NICHT HELFEN!"
„Ich kann verstehen, dass für sie diese Schwangerschaft zu früh kam. Aber... Nehmen sie doch einmal an, dass... Dass es auch noch andere Menschen gibt, die ihnen und Laura helfen wollen... und können. Ihr Vater kann ihnen zur Seite stehen, Dr. Peters. Es gibt Menschen, die ihren Kindern nicht helfen können... Die ihre Kinder..." In Kaminskis Hals bildete sich ein riesiger Knoten und er musste seine Krawatte öffnen, bevor er weitersprach: „Sie haben die Möglichkeit, ihrer Tochter Unterstützung zu geben. Ihrem Vater zu erklären, was mit Laura nicht in Ordnung ist. Denken sie, ihr Vater bekommt es nicht selbst heraus, was mit ihrer Tochter nicht stimmt? Ich kenne ihren Vater zwar noch nicht so gut, aber..."

„Stimmt! Sie kennen meinen Vater noch nicht so gut. Also... Lassen sie mich und vor allem meinen Vater bitte mit ihren... Vermutungen und dem ganzen anderen Dreck in Ruhe.", fuhr Lea Kaminski an und machte sich auf den Weg zu ihrer Tochter, auf deren Bett schon Ludwig Platz genommen hatte.


„Was wollte Dr. Kaminski denn?", fragte Ludwig, doch Lea winkte ab und nahm sich vom an der Wand stehenden Tisch einen Stuhl weg. „Ich musste noch wegen einem Patienten etwas mit ihm besprechen... Wie geht es Laura? Ist das Fieber wieder runter?"
„Sie hat noch ein wenig Fieber...", erkannte Ludwig, als er Laura an den Kopf fasste. „Sie ist so ein tolles Mädchen. ... Warum habe ich eigentlich nie etwas davon erfahren, dass du eine Tochter hast?"
„Weil... Weil meine Tochter... bei meiner Freundin aufgewachsen ist!", fuhr Lea ihren Vater an, was sie eigentlich gar nicht wollte.

„Bei deiner Freundin?", fragte Ludwig und Lea nickte kurz, bevor sie die ganze Geschichte erzählte.
„Ich... Meine ehemalig beste Freundin aus dem Studium... Stefanie...", begann Lea stotternd von sich zu geben und sie versuchte, einigermaßen ordentlich von den Geschehnissen von vor 16 Jahren zu sprechen.
„Ich habe damals mit Stefanie einen Ausflug gemacht; sie hatte ihre kleine Tochter Hanna dabei, die sie über alles auf der Welt geliebt hat. Für die kleine Hanna hätte Stefanie alles getan. Du weißt ja, wie sie reagiert hat, wenn irgendwas mal nicht so lief, wie es Stefanie wollte. ... Als wir also diesen Ausflug gemacht haben, habe ich angeboten, mit meinem Auto zu fahren. Es war einfacher... Wir sind in eine Waldhütte gefahren, wo wir die nächsten Tage verbringen wollten. Stefanie... hat die Kleine ziemlich früh ins Bett gebracht und wir haben es uns am Kaminofen gemütlich gemacht; haben über dies und das gesprochen..."

„Aber warum ist denn dann deine Tochter bei dieser Stefanie aufgewachsen?", wollte Ludwig interessiert wissen und seine Tochter fuhr mit ihrer Erzählung fort.
„Ich habe Laura... Ich war damals schon in der dritten oder vierten Woche mit meiner kleinen Laura schwanger, als wir unterwegs waren. Selbst wusste ich noch nichts von der Schwangerschaft. ... Jedenfalls haben wir uns in dieser Hütte sehr wohl gefühlt. Und wir hätten bestimmt auch noch einige Tage länger dort bleiben können, wenn es nicht Hanna ganz plötzlich schlecht gegangen wäre."

„War die Kleine denn krank?", wollte Ludwig wissen und Lea nickte kurz. „Stefanie wusste allerdings davon nichts, obwohl wir beide damals... mitten im Medizinstudium waren. Wir haben es damals beide einfach nicht erkannt, dass die Kleine krank ist... Jedenfalls... Wir haben uns, weil es Hanna immer schlechter ging, dazu entschieden, wieder nach Hause zu fahren. ... Es kam allerdings auf der Strecke zu einem Unwetter; ich konnte das Auto nicht mehr auf der Straße halten und... wir sind mit 80 km/h in einen Baum gekracht. Stefanie und mir ist zum Glück nicht viel passiert, aber... Aber Hanna... Sie war zwar in ihrem Kindersitz, aber..."

Leas Stimme versagte und nur schwer konnte sie weitersprechen, als sie von dem plötzlichen Tod der kleinen Hanna und davon, dass Stefanie sie unter Druck gesetzt hatte, an Leas Kind zu kommen, erzählte. Immer noch fiel Lea der Verlust ihrer Tochter; die Möglichkeit, Lauras erste Worte, ihre ersten Schritte, ihre Einschulung und andere wichtige Tage der Kleinen mitzuerleben, schwer.
Wie gerne hätte sie damals der heute fast sechzehnjährigen Laura die Zuckertüte in die Hand gedrückt; wie gerne hätte sie auf dem Einschulungsfoto ihrer Kleinen neben ihrem Kind gestanden. Aber vielleicht konnte sie es nun bei den Zwillingen nachholen...



In der Zwischenzeit hatten sich Roland und Kathrin im Büro der Verwaltungschefin eingefunden.

„Habt ihr beide denn wirklich keine Idee, wie wir Dr. Stein... hier an der Klinik halten könnten? Es wäre ein herber Verlust für uns, wenn er gehen würde.", hatte Sarah eben gefragt und damit Roland und Kathrin ein wenig verdutzt.
„Ich weiß es nicht, Sarah. Aber... Vielleicht sollten wir damit anfangen, mal zu überlegen, warum Martin gekündigt hat." Damit ging ein strenger Blick zu der Verwaltungschefin, die sich keiner Schuld bewusst war.
„Ja, ich hab nichts dafür getan, Roland. Du hast damals Dr. Globisch zur Chefärztin gemacht, ohne an die Folgen zu denken. Als langjähriger Freund von Dr. Stein hättest du es besser wissen müssen, dass er sich nicht so einfach... in die zweite Reihe stellen lässt. Dir musste doch als sein langjähriger Freund bekannt sein, dass er liebend gern den Chefarztposten übernommen hätte."

„Ja, natürlich war mir das bekannt. Aber... Ich habe dir meine Entscheidung erklärt." Roland blieb ruhig; auch, wenn er Sarah am liebsten gesagt hätte, dass sie an dem Weggang des Oberarztes schuld wäre.

„Gut... Wollen wir uns mit diesen Problemen jetzt hier nicht belasten. Wenn Dr. Stein wirklich gehen will, dann soll er auch lieber gehen. Bevor er noch auf Kosten eines Patienten einen Fehler macht und uns in Teufels Küche bringt... Ich habe hier auch schon einen passenden Kandidaten für die Nachfolge von Dr. Stein."
Kathrin und Roland sahen sich mit vielsagenden Blicken an, während Verwaltungschefin Sarah dem Klinikleiter eine Mappe in die Hand gab.
„Ich habe mich gestern... nach den häufigen Streitereien in den letzten Tagen und Wochen zwischen dir und Dr. Stein schon mal umgehört und... diesen überaus netten Arzt kennen gelernt.", warb Sarah für ihren Kandidaten, während Roland sich schon die ersten Seiten der Mappe ansah.

„Aus Hamburg... Meinst du, er fährt jeden Tag hierher nach Leipzig? Was ist denn dann mit der Rufbereitschaft in Notfallsituationen? Bis der Kollege hier ankommt, ist der Patient gestorben...", fragte Roland und Sarah schüttelte den Kopf. „Nein, natürlich fährt er nicht jeden Tag von Hamburg hierher. Er wird nach Leipzig ziehen. Wenn du dir das Anschreiben mal durchlesen würdest..."
„Aus persönlichen Gründen... Naja... Und wie ich dich kenne, hast du schon mal ganz unverbindlich einen Termin mit dem Kollegen gemacht..." „Woher weißt du das nur, Roland? ... Ich muss sehen, die Karre, die du mit deinem Streit mit Dr. Stein in den Dreck gefahren hast, wieder raus zu ziehen."

„Wann kommt denn der neue Kollege hier in der Klinik vorbei, Sarah?", fragte Roland, doch genau in diesem Moment klopfte es an der Tür.
„Ich habe mit ihm abgesprochen, dass er morgen mal für ein kurzes Gespräch vorbeikommt. Wir beide haben gerade noch einmal miteinander telefoniert... Herein...", gab die Verwaltungschefin zu und bat den Gast ins Zimmer.

Martin Stein trat mit einem Briefumschlag in der Hand ins Büro der Verwaltungschefin und sah, dass sie gerade von Roland und Kathrin Besuch hatte.
„Oh... Störe ich gerade?" „Nein... Nein, Dr. Stein. Wir sind ja gerade fertig geworden... Roland, wir sprechen morgen Vormittag noch einmal miteinander. Du kannst dir die Mappe gerne noch einmal mitnehmen und dich auf das Gespräch vorbereiten."
„Gerne, Sarah.", meinte der Klinikchef und verließ, verfolgt von Kathrin das Büro von Verwaltungschefin Sarah Marquardt.



Lea und Ludwig hatten sich, nachdem sie noch eine ganze Weile bei Laura am Bett gesessen hatten, für eine viertel Stunde in die Cafeteria der Sachsenklinik gesetzt und sprachen über Leas Tochter.

„Meinst du wirklich, dass Laura wieder gesund wird? Ich meine, sie sieht sehr erschöpft aus. Und dann dieser meterlange Schlauch in ihrem Hals. Also ich hätte eine riesen große Panik, wenn ich dich so vor mir liegen sehen würde... Können deine Kollegen denn wirklich nicht herausfinden, was mit Laura nicht in Ordnung ist? Oder du könntest doch wenigstens... Ich meine, du bist doch Ärztin und kennst dich genauso gut mit Medizin aus, wie... deine Kollegen...", erkundigte sich Ludwig bei seiner Tochter, doch die schüttelte entschieden den Kopf und widersprach, sie könne momentan auch nicht herausbekommen, an was Laura litt.
„Vielleicht wissen Dr. Heilmann und Dr. Globisch ja morgen Bescheid, wie es Laura geht. Aber sie braucht auch momentan auch sehr viel Ruhe. Vor allem, weil... sie sich von der Nachricht, dass ich ihre Mutter bin... irgendwie erholen muss. Das hat ihr auch sehr zugesetzt, als ich ihr die Wahrheit gesagt habe. Sie braucht einfach momentan eine Menge... Erholung."

„Aber mit ihrem Herzen ist alles in Ordnung, oder?", wollte Ludwig bedrückt wissen, woraufhin Lea mit den Schultern zuckte. „Wie gesagt, Papa. Ich weiß nicht, was mit ihr nicht in Ordnung ist. Aber dadurch, dass zweimal ihr Herz still gestanden hatte... Müssen wir auch eine Herzerkrankung in Betracht ziehen..."
„Das... Das ist ja schrecklich. Ein so junges Mädchen... Sie ist doch noch nicht einmal zwanzig Jahre alt. Und hat vielleicht schon irgendwas mit ihrem Herzen?", wollte Ludwig erschrocken wissen und sah, wie sich Dr. Heilmann und Dr. Lindner plötzlich dem Tisch der Familie näherten.

„Dr. Heilmann... Wissen sie endlich etwas Genaueres, wie es... wie es mit meiner Enkeltochter weitergeht? Und was sie überhaupt hat?", wollte Ludwig, der noch immer nicht wusste, was genau mit seiner Enkeltochter Laura nicht in Ordnung war, wissen.

Lea sah erschrocken zwischen ihrem Vater und ihrem Chef hin und her und versuchte, ein Gespräch zwischen den Beiden zu verhindern.

„Dr. Heilmann... Können sie bitte kurz mitkommen?", bat sie deswegen ihren Chef schnell, während sich Dr. Lindner zu Ludwig an den Tisch setzte, von Lea allerdings leise zugeflüstert bekam: „Dr. Lindner, sie halten sich bitte bedeckt... Wegen Laura. Ich hab mit meinem Vater noch nicht drüber gesprochen, was genau mit Laura nicht in Ordnung ist..."
„Natürlich...", erklärte Dr. Lindner und Roland folgte Lea, die sich einige Schritte vom Tisch ihres Vaters entfernte.


„Dr. Heilmann... Ich wollte meinen Vater noch nicht mit dem schlechten Zustand von Laura und vor allem nicht mit der Diagnose meiner Kleinen schocken. Er weiß noch nicht, dass... Dass Laura an Krebs erkrankt ist und... Und diese schreckliche Krankheit zum zweiten Mal durchmachen muss. Und das sollte die nächsten Tage auch dabei bleiben...", bat Lea den Klinikchef, der kurz nickte und wieder zu Ludwig zurückblickte.

„Ich halte ihren Vater allerdings für so klug, dass... Dass er mit der Zeit selbst herausfindet, was mit Laura nicht in Ordnung ist. Außerdem wissen die Kollegen auch über den Zustand von Laura Bescheid. Es ist wirklich für alle besser, wenn sie ihrem Vater reinen Wein einschenken und ihm von den Problemen bei Laura erzählen.", meinte Roland, doch wieder wehrte Lea den Vorschlag ihres Kollegen ab.

„Ich kenne meinen Vater wohl um einiges besser, als sie. Und ich weiß, dass er nicht herausbekommen wird, was mit Laura los ist, wenn sie ihm nichts sagen. Ich werde ihn einfach von Laura fernhalten, so gut es nur irgendwie geht. Und das sollten sie auch machen."
„Ich persönlich halte es für einen Fehler, ihrem Vater nichts von Laura zu sagen. Sie ist seine Enkeltochter und er könnte ihr vielleicht helfen...", meinte Roland und wieder schüttelte Lea entschieden den Kopf.

„Ich will ihn nicht mit der Wahrheit schocken... Dafür... Dafür hat er wegen der Trennung von meiner Mutter schon viel zu sehr leiden müssen. Wenn er jetzt auch noch erfährt, dass seine Enkeltochter des Todes geweiht ist, weil sie... ihre Leukämie sicherlich nicht zum zweiten Mal besiegen kann... Dann wird er sich vielleicht das Leben nehmen wollen. Und ich denke nicht, dass sie..."
„Gut, es ist ihre Entscheidung, Dr. Peters... Ich halte es für einen Fehler, ihm nicht gleich alles zu sagen. Denken sie, es wird mit der Zeit für sie einfacher?", wollte Roland provozierend wissen.
„Nein, Dr. Heilmann. Es wird mit Sicherheit nicht einfacher. Aber ich habe meinem Ex-Freund... Ich meine, Lauras Vater auch noch nichts von der Diagnose seiner Tochter gesagt. Obwohl ich mehrfach in den letzten Tagen, seit Lauras Diagnose, mit ihm telefoniert habe. Da werde ich es doch wohl schaffen, meinem Vater die Wahrheit nicht zu sagen.", wusste Lea ganz genau und doch hatte sie innerlich Zweifel, ob sie die richtige Entscheidung gefällt hatte.

Klar, sie war Ärztin und wollte ihren Patienten unnötiges Leid ersparen. Aber weder Ludwig war ihr Patient, noch ihre Tochter. Die wurde in der Zwischenzeit von Roland und Dr. Lindner gemeinsam behandelt.

Aber es ging hier um Laura; um ihr Leben. Und um das Leben von Lauras Opa, der mit einem erneuten Schicksalsschlag wohl kaum zurecht käme, vermutete Lea.

Leas BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt