Folge 1 - Teil 8: erneute Komplikationen?

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Am nächsten Morgen saß Jenne Derbeck, Leas Ex-Freund und Vater des Babys, schon sehr früh an Leas Bett und beobachtete die schlafende Ärztin, bevor er sich das aktuelle Ultraschallbild des Babys ansah. Sollte er wirklich nicht der Vater dieses Zwerges in Leas Bauch sein? Sollte er vielleicht trotzdem der Ärztin beistehen, wenn sie in den Wehen lag?

„Oh... Au..." Mit erschöpften und müden Stöhnen drehte sich Lea auf die Seite, erblickte mit halb geöffneten Augen ihren Ex-Freund, der abwechselnd auf das Foto und Lea blickte, und sah dann wieder auf ihren Bauch.

„Guten Morgen, Lea.", begrüßte Jenne die Ärztin und streichelte ihr vorsichtig über den Kopf. „Wie geht es dir denn?"
„Mir... Mir geht es um einiges besser... Aber... Ich habe dir gesagt, dass ich nicht will, dass du bei mir herum sitzt. Ich habe dich gestern gebeten, mich in Ruhe zu lassen. Aber du hörst ja nicht auf mich.", forderte Lea von ihrem Ex-Lebensgefährten, sie alleine zu lassen. „Ich wünschte, du würdest auf mich hören und endlich verschwinden. Ich will alleine sein. Ich brauche immer noch viel Ruhe."

„Aber Lea... Du bist hier komplett alleine im Krankenhaus. Ich will doch nur, dass... Dass du nicht völlig alleine bist. Dein Vater ist nicht da; deine Mutter weiß nicht einmal, wo du wohnst. Mensch, Mädchen. Mach es mir doch nicht so verdammt schwer.", brüllte Jenne seine Ex-Freundin an, doch Lea schüttelte den Kopf und erwiderte: „Ich mache es dir nicht schwer, Jenne. Es... Es ist wichtig, dass du dich... Dass du dich an meine Regeln hältst. Ich bin noch immer in den kritischen ersten Monaten, in denen es jeden verdammten Tag, jede verdammte Stunde zu einer Fehlgeburt kommen kann. Ich will dieses Kind nicht verlieren.", schrie Lea ihrem Ex-Freund entgegen, bevor sie ganz leise flüsterte: „Nicht auch noch dieses Kind... Ich will dieses Baby in meinem Bauch nicht verlieren. Es ist doch mein Baby..."

„Wie meinst du das, Lea? Du willst nicht auch noch dieses Baby verlieren?", wollte Jenne wissen, doch Lea drehte sich völlig von ihm weg. „Ich will mit dir darüber nicht sprechen müssen. Ich will dieses Baby behalten. Und wenn ich mich jetzt aufrege... AAA...", brüllte Lea plötzlich und Jenne erschrak. „Lea, was ist denn?", fragte er erschrocken. „Das... Es ist das Baby... Das Baby...", schrie Lea und brach bewusstlos zusammen.

Jenne rannte erschrocken aus dem Zimmer. „EINEN ARZT! EINEN ARZT SCHNELL... LEA STIRBT!"

Roland und Kaminski hörten die verzweifelten Schreie von Jenne sofort und die beiden Ärzte rannten in Richtung des Zimmers der Neurochirurgin.
„Was ist passiert?", fragte Roland, während sich Kaminski bereits um die erschüttert auf ihren Bauch schauende Ärztin sah.
„Sie... Sie hat sich aufgeregt. Ich solle sie in Ruhe lassen und verschwinden. Und dann... Dann plötzlich hat sie aufgeschrien und sich an den Bauch gefasst. Ich... Ich bin doch selber erschrocken, als sie... Was ist denn mit Lea?" „Herr Derbeck, gehen sie raus!", forderte Kaminski, als er vorsichtig Leas Bauch abtastete.

„Ich muss doch bei Lea bleiben. Es ist doch auch mein Baby!", wehrte sich Jenne gegen die Trennung, doch der erfahrene Klinikchef schob den Ex-Freund der Patientin aus dem Zimmer und wandte sich dann an den vorbeieilenden Kris Haas: „Wir brauchen schnellstens das Sonogerät hier. Tempo, Herr Haas."
Sofort rannte Kris los und schob nach nur wenigen Augenblicken das Ultraschallgerät, an Jenne, der vor der Tür stand, vorbei, in Leas Zimmer.

„Wir machen jetzt bei ihnen einen Ultraschall, Frau Kollegin. Sie brauchen keine Angst zu haben, wir sind ganz vorsichtig.", beruhigte Kaminski, der sich an Leas Seite setzte und den Ultraschallkopf vom Gerät nahm, die aufgebrachte Patientin.

„Ich... Das ist das Baby... Ich spüre das. Mein Baby... Ich will mein Kind nicht verlieren. Nicht auch noch dieses Baby... Ich... Ich werde auch die Adresse der Adoptiveltern meines ersten Babys heraus finden... Aber ich will dieses Kind behalten. Ich liebe meine... Ich will meine Tochter behalten."

„Woher wissen sie denn, dass es ein Mädchen wird, Frau Kollegin?", wollte Dr. Kaminski wissen und Lea, die sich verkrampft die Hände an den Bauch hielt, schrie aus voller Kehle: „Weil ich ihre Mutter bin! Ich spüre doch, dass... Dass ich ein Mädchen bekomme. Sie... Sie soll... Ich will mein Kind nicht verlieren. Ich will meine kleine Angel nicht verlieren."
„Angel? Der Engel?", fragte Roland lächelnd und versuchte, Lea ein wenig abzulenken, um zu verhindern, dass sie auf den Monitor des Ultraschallgerätes sah. „Das ist ein wunderschöner Name für ihre kleine Prinzessin..."

„Ich will sie nicht verlieren. Bitte, Dr. Heilmann. Sagen sie mir bitte nicht, dass mein Baby tot ist. Ich will mein Baby behalten...", zitterte Lea und warf ihren Kopf zur Seite, wo sie auf den Monitor des Ultraschallgerätes sah. „Ich will... Das... Das ist mein Baby...", erkannte die Neurochirurgin und lächelte.
Der aufgeregte Zappeln dieses kleine Wesens auf dem Monitor brachte Leas Herz zum Klopfen und sie musste mehrmals schlucken, um nicht vor ihrem Chef und ihrem Kollegen in Tränen auszubrechen.

„Das Baby ist kerngesund. Ihre Kleine wollte ein wenig Sport treiben, deswegen hatten sie diese Beschwerden.", erklärte Kaminski und drückte Lea ein ausgedrucktes Ultraschallbild des Fötus in die Hand. „Mein Baby... Meine süße, kleine Kämpferin. Du wirst einmal genauso stark, wie deine Mama. Versprochen, mein kleiner Engel.", versprach Lea und küsste das Ultraschallbild, das sie sich anschließend auf die Brust, genau auf ihr kräftig schlagendes Herz, drückte.
„Wir können in einer Stunde noch einmal nach ihrem kleinen Engel sehen. Aber... Ich muss ihnen noch etwas sagen." Kaminski nahm noch einmal das Ultraschallbild in die Hand. „Ist ihnen schon diese kleine Stelle hier aufgefallen?"

Erschrocken sah Lea auf das Ultraschallbild und schlug die Hände vor dem Mund zusammen. „Das ist... Das ist bestimmt nichts gravierendes. Mein... Das ist sicherlich nichts schlimmes. Sehen sie... Das..."
Leas Blick fiel genau auf die kleine Stelle, die Kaminski vorher beim Ultraschall aufgefallen war. „Ich habe doch..."
„Wir sollten die Aufnahme noch einmal unserem Kollegen von der Gynäkologie zeigen. Es kann zwar eine ganz harmlose Einblutung sein, aber wir wollen bei ihnen kein Risiko eingehen, Frau Kollegin.", erklärte Kaminski und nahm die Kopie des Ultraschallbildes an sich.

Lea brach in Tränen aus und flüsterte sich selber beruhigende Worte zu: „Schatz, ich... Ich werde dich nicht in Gefahr bringen. Glaub mir, ich werde dich nicht in Gefahr bringen. Du bist doch mein Kind. Ich liebe dich jetzt schon über alles auf der Welt. Und ich werde nichts tun, was dich gefährden könnte..."

„Soll ich Herrn Derbeck nach Hause schicken?", bot Roland an und Lea überlegte kurz und nickte.
„Ich will jetzt alleine sein. Alleine mit meinem Baby... Ich... Wenn sie jetzt doch... stirbt, dann brauche ich nicht noch ihren geschockten Vater an meiner Seite.", flüsterte Lea und hielt ihre Hand auf ihren Bauch, während sie an ihr Baby gewandt, flüsterte: „Schatz... Hey, mein Kleines... Ich bin es, deine Mama... Du bleibst schön bei mir, OK? Du wirst mich jetzt nicht für die Entscheidung von damals... quälen. ... Es war nicht ganz alleine meine Entscheidung, Kleines. Ich habe doch deine große Schwester seit damals niemals aus meinem Gedächtnis löschen können. Was denkst du denn von mir, Süße? Denkst du, ich habe deine große Schwester damals aus freien Stücken weggegeben? Mir wurden damals weitreichende Konsequenzen angedroht wurden. Und das nicht nur von dem Papa deiner großen Schwester, sondern auch von meiner Mutter."

Leas Blick senkte sich und sie sah noch einmal aus dem Fenster, bevor sich Kaminski und Roland leise aus dem Zimmer der Neurochirurgin schlichen.

„Ich habe damals deine große Schwester behalten wollen. Sie war mein Leben; ich hätte alles dafür getan, meine kleine Maus behalten zu dürfen. Aber... eine Alleinerziehende Ärztin... mein Chef hat mir angedroht, eine Kündigung rechtlich prüfen zu lassen. Ich hätte deine große Schwester doch nie großziehen können, wenn ich meine Arbeit verloren hätte. Dann... Dann wäre deine Schwester in ärmlichen Verhältnissen groß geworden. Und deswegen... Damals war ich völlig anders, mein Schatz. Ich habe mich gefreut, mit anderen Menschen in Gesellschaft zu sein. Wenn mich Dr. Heilmann und die Kollegen damals schon gekannt hätten, sie würden erschrecken, was aus mir geworden ist.", erzählte Lea dem Fötus in ihrem Bauch.

Sie sah noch einmal aus dem Fenster und bemerkte auf dem großen Tisch neben dem Fenster einen Blumenstrauß. Auch wieder so eine Erfindung von Menschen, die eigentlich nur deswegen einem in der Klinik besuchen wollen, um nicht als unfreundlich, als herzlos zu gelten.

Mit einem erschöpften Stöhnen stand Lea aus ihrem Bett auf und hielt sich noch einmal den Bauch, bevor sie nach vorn zum Tisch schlich.

'Von wem kam wohl dieser Blumenstrauß?', fragte Lea innerlich und sie betrachtete den Strauß von allen Seiten. Eine Karte steckte mitten drin und mit einem verwunderten Gesicht las die Ärztin den kurzen Text darauf.

„Das Gute missfällt uns, wenn wir ihm nicht gewachsen sind. Das sagte schon Friedrich Nietzsche. Lassen sie ihre Gefühle weiterhin zu. Eines Tages werden sie merken, welche Freude ihnen Gott gebracht hat.", stand in der Karte zu lesen, die außer diesem Text keinen Anhalt auf den Absender gab. Doch auch ohne Unterschrift wusste Lea, von wem diese Blumen sein mussten.
„Kaminski...", flüsterte sie und sog den Duft der Blumen ein. Rote Rosen, ein Zeichen der Liebe.
Hatte sie vielleicht die ersten Zeichen von Kaminski nicht gesehen? Wollte sie es nicht wahrhaben, dass ausgerechnet Kaminski in die Neurochirurgin verliebt war?

Unschlüssig, wie sie nun mit dem Kollegen umgehen sollte, tippelte sie von einem Fuß auf den anderen, bis ihre Kraft plötzlich versagte.
Sie spürte wieder dieses aufgeregte Zappeln in ihrem Bauch, doch diesmal wusste sie, was es war. „Hey, Kleines... Ich brauche ein bisschen Zeit zum Überlegen.", flüsterte sie liebevoll ihrem ungeborenen Baby in ihrem Bauch zu und legte ihre Hand beruhigend auf ihren Unterleib.

Sofort wurde das Zappeln etwas weniger und Lea atmete tief durch. „Du bringst das Leben deiner Mama ganz schön durcheinander, weißt du das? Ich habe doch nicht geahnt, dass ich noch einmal... ein Baby bekommen kann. Wo ich doch deine große Schwester... weggegeben habe...", erklärte Lea und erinnerte sich an ihren Ex-Freund, an den Vater ihres ersten Kindes zurück.

Wenn er wüsste, was sie heute noch empfand, wenn sie sich in einem unbeobachteten Moment, fernab von Kollegen und Arbeitsstress, an ihn und ihr gemeinsames Baby dachte...
Aber als sie ihn damals sah – mit seiner Frau und seinen Kindern... Wäre er vielleicht doch bei ihr geblieben, wenn sie ihm von ihrem gemeinsamen Baby erzählt hätte?
Wie würde ihr Leben jetzt aussehen? Mit einem fast sechzehnjährigen Teenager? Wäre sie auch mit ihrem Baby eine erfolgreiche Ärztin geworden?
Ihrem Vater – klar, ihm hatte sie nie von ihrem ersten Baby erzählt. War das vielleicht ein Fehler? Hätte Ludwig seine Tochter bei der Erziehung ihres Kindes vielleicht unterstützt?
Natürlich hätte er sie unterstützt, da war sich Lea sicher. Sie hätte ihm einfach nur von ihrem Baby erzählen müssen.
Aber ihre Angst vor dem erschütterten Gesichtsausdruck ihres Vaters war in diesem Fall in der Übermacht gewesen und so hatte sie sich vorgenommen, die Schwangerschaft und deren Folgen alleine auf sich zu nehmen.

Wieder spürte Lea die Bewegungen in ihrem Bauch. Bewegungen des Kindes, von dem sie sich nicht sicher war, ob sie es behalten wollte und konnte oder ob sie es vielleicht doch abtreiben sollte. Was wäre das beste für dieses kleine Wesen unter ihrem Herzen?

Lea dachte immer wieder über ihre Entscheidung nach. Über eine Entscheidung, die sie immer weiter hinauszögern wollte. Eine Entscheidung, die ihr Leben für immer verändern würde.
Sie liebte dieses kleine Wesen in ihrem Bauch schon jetzt. Aber wie sollte sie diesem Baby denn gerecht werden. Wie sollte sie diesem kleinen Zwerg ein Zuhause bieten können, wo es sich wohl fühlt? Sie als erfolgreiche Neurochirurgin, die kaum einen Tag fand, an dem sie nicht bis um Acht oder um Neun abends im OP stand und für die Genesung ihrer Patienten kämpfte.
Ihre Gefühle für das Baby überwiegten natürlich und die Gedanken, dass sie – eine Ärztin, die Tag und Nacht für das Leben ihrer Patienten einstand – ihr eigenes Baby töten könnte, war für Lea keine Option. Dann eher für eine Adoption des Kleinen sorgen und vielleicht später zum Leben ihres Kindes hinzustoßen.

Wieder sah Lea ihre erste Tochter vor sich; wieder waren die Gedanken, diese Vorwürfe da, die sie sich selbst machte.
Hätte sie die Kleine damals doch nur behalten. Dann würde sie heute nicht noch von ihr träumen müssen.

Jede Nacht in den vergangenen Tagen träumte sie den gleichen Traum. Ihre Tochter stand vor ihr und machte ihr immer wieder die gleichen Vorhaltungen. 'Warum hast du mich weggegeben? Wolltest du mich denn von Anfang an nicht haben? Warum hast du mich dann nicht einfach abgetrieben? Das wäre doch das einfachste für dich gewesen.'

Wie sie jetzt wohl aussah, ihre kleine Tochter. Hatte sie die gleichen Augen, wie ihre Mutter? Oder kam sie vielleicht sogar mehr nach ihrem Vater?
War sie in der Schule ein Ass in Physik, wie ihr Opa? Oder interessierte sie sich vielleicht mehr für Medizin, wie Lea?

Der Ärztin gingen, seit sie wusste, dass sie ein Baby erwartete, so viele Gedanken an ihre erste Tochter durch den Kopf, dass sie ihr "großes" Kind am liebsten aus ihrer Adoptivfamilie holen würde. Aber wie würde ihre Tochter dann reagieren?
Wenn sie noch nicht einmal wusste, dass sie nicht die leibliche Tochter ihrer Eltern war.
Manchmal dachte Lea daran, wie sie sich gefühlt hätte, wenn Ludwig ihr die Wahrheit gesagt hätte. Wenn sie nicht die Tochter ihrer Eltern wäre...

„Kleines...", sprach Lea liebevoll mit dem Ultraschallbild ihres ersten Kindes, das sie immer öfter in die Hand nahm und an ihr Baby dachte.
Und mehr und mehr wurde sie sich in ihrer Entscheidung sicherer. Sie würde nicht nur ihre ältere Tochter zu sich holen, sondern auch - und das war die wichtigste Entscheidung - sie würde das Baby in ihrem Bauch auf die Welt bringen. Und später auch behalten. Nicht noch einmal würde sie diesen schrecklichen Fehler machen und sich von ihrem Kind trennen. Ein Kind, das sie über alles auf der weiten Welt liebte.

Natürlich würde es nicht einfach werden - für sie als berufstätige Frau, die ihren Job über alles auf der Welt liebte. Aber ihr Kind war es ihr wert.

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