Bei Markus' kleiner Patientin Lena zu Hause packte Michael, Lenas Vater, gerade die Tasche der knapp Siebenjährigen, als das Telefon klingelte. Michaels Vorgesetzter, Herr Böhm, ein strenger, aber doch verständnisvoller Chef, war am anderen Ende.
„Herr... Herr Böhm, es tut mir... Es tut mir sehr leid, dass ich heute Mittag so plötzlich gegangen bin. Aber... Die Mutter von Lenas bester Freundin hatte angerufen; mein Kind liegt seit einigen Stunden mit erhöhter Temperatur und Bauchschmerzen im Krankenhaus. ... In der Sachsenklinik; ich wollte auch gerade wieder zu ihr.... Ja, das kann ich machen... Aber ich würde auch eigentlich viel lieber... bei meinem Kind im Krankenhaus sein. Wenn... Wenn das ginge... Meine Kleine braucht mich jetzt einfach und... Ja, ich... Ich danke ihnen vielmals... Ja, vielen Dank, Herr Böhm. Ich... Ja, das ist wirklich sehr zuvorkommend von ihnen. ... Natürlich bespreche ich das alles mit Lenas behandelndem Arzt, das ist doch kein Problem. ... In Ordnung; ich rufe sie morgen wieder an, wenn... Wenn ich etwas genaueres weiß, wann Lena wieder aus dem Krankenhaus entlassen werden kann. ... Auf Wiederhören"
Herr Böhm, selbst liebevoller, alleinerziehender Vater eines fünfzehnjährigen Sohnes und einer elfjährigen Tochter, war ein toller Vorgesetzter. Auch, wenn ihn das plötzliche Verschwinden von Lenas Vater während der Arbeitszeit nicht gefiel, so konnte er als Vater sehr gut verstehen, dass Michael es seit vielen Jahren nicht einfach hatte.
Nachdem seine Frau bei dem tragischen Unfall gestorben war, musste er als alleinerziehender Vater plötzlich für zwei Kinder da sein – für die damals noch zweijährige Lena und die sieben Monate alte Kathy, Lenas kleine Schwester.
Wie sehr Michael bei dem Gedanken an die Kleine seine Kathy doch vermisste – sie war knapp ein Jahr nach dem Tod ihrer Mutter nach einem kleinen Unfall, bei der das Mädchen in den Teich vor dem Haus gefallen war, verstorben; Michael konnte damals kaum begreifen, dass innerhalb von so kurzer Zeit so viel schief gehen musste.
„Lena, meine liebe Kleine...", flüsterte Michael, als er an die vielen Fotos an der Wand sah. Sie alle zeigten das Mädchen in den unterschiedlichsten Lebenssituationen – mit vier beim Toben auf der Schaukel im Garten, das Foto der Kleinen bei der Schuleinführung im letzten Jahr, beim Spielen im Kindergarten mit ihren Freundinnen; Michael war seit dem tragischen Unfalltod seiner Frau der damals Zweidreivierteljährigen kaum von der Seite seiner Tochter gewichen.
Auch und vor allem, weil Lena sehr unter dem Tod ihrer Mutter gelitten hatte. Lena war zwar von Geburt an eher ein Papakind, was lieber Zeit mit ihrem Vater verbrachte, als mit ihrer Mutter; doch der Tod ihrer Mama ging trotzdem an dem Mädchen nicht spurlos vorbei.
Oft hatte Lenas Vater überlegt, ob er sich in eine neue Frau verlieben könnte; ob er eine andere Frau genauso sehr lieben könnte, wie Lenas Mutter Caro.
Lenas Eltern waren ein Herz und eine Seele, was man auch oft an den Familienfotos sehen konnte. Das schönste hing seit drei Jahren als großes Poster im Schlafzimmer.
Es zeigte Lena im Alter von wenigen Tagen, ihre Mutter, die ihre kleine überglücklich in den Armen hielt, und Lenas Vater, der stolz auf sein Töchterchen sah.
Immer und immer wieder überkamen Michael die Sehnsüchte nach seiner verstorbenen Frau. „Caro, ich... Ich vermisse dich so sehr... Warum musstest gerade du... Warum musstest du damals nur sterben? Ich... Ich hätte Lena von der Straße wegziehen müssen und nicht du... Dann hätte unsere kleine Lena ihre Mami noch...", flüsterte Michael und packte gerade den Lieblingsschlafanzug seiner Tochter in die Tasche, als er ein aufgeregtes, lautes Bellen aus dem Flur hörte, kurz darauf das Klingeln an der Tür.
„Ja, Rex, ich bin ja schon da... Rex, lass das... Aus. Geh' in dein Körbchen...", schickte Michael den Hund mit strenger Stimme zurück und mit hängenden Ohren lief der dreijährige Schäferhund zurück ins Wohnzimmer, bevor Michael die Tür öffnete.
„Guten Tag, Herr Köster..." Die geschwätzige Nachbarin Frau Uhlenmann stand vor der Tür und fragte gleich, was gestern Abend los gewesen sei. Das hatte Michael jetzt gerade noch gefehlt, dass ausgerechnet in dieser Situation auch noch die nervige Nachbarin vorbei schaute und sich nach Lena erkundigte. „Sie haben um kurz vor Halb Eins das Haus verlassen, obwohl der Hund die ganze Zeit gebellt hat. Hätten sie das Tier nicht wenigstens mitnehmen können? Was war denn um Gottes Willen los? War denn irgendwas mit ihrer Tochter?"
„Ich wüsste nicht, was sie das angeht, Frau Uhlenmann... Lena... Ich musste gestern Nacht... Ich musste mit meinem Kind gestern Nacht zum zweiten Mal in dieser Woche in die Uniklinik fahren, weil sie starke Bauchschmerzen hatte. Deswegen konnte ich unseren Hund auch leider nicht mitnehmen; in einem Krankenhaus sind Tiere nicht erlaubt. Aber... Ich bitte sie... Ich habe jetzt auch gar keine Zeit für einen kleinen Plausch mit ihnen; ich muss Lenas Sachen packen; sie liegt seit zwei Stunden im Krankenhaus. Lena... Lena ist beim Spielen mit ihren Freunden zusammen gebrochen. Also... Lassen sie mich jetzt bitte hier in Ruhe; ich muss die Tasche meiner Kleinen packen..."
„Das tut mir aber wirklich sehr... sehr leid für sie, dass... Dass ihre Lena ausgerechnet jetzt im Krankenhaus liegt. Aber... Sie sah ja schon gestern Nachmittag, als sie von der Feier kam, nicht gut aus. Da hätten sie schon mit der Kleinen zum Arzt gehen müssen...", wusste die Nachbarin, die selbst keine Kinder hatte, aber immer einen guten Rat hatte... Dachte sie jedenfalls...
„Ja, das werde ich auch das nächste Mal ganz bestimmt tun, Frau Uhlenmann. Ich würde dann jetzt gerne endlich weiter packen; meine Kleine soll nicht so lange alleine bleiben..."
„Wenn sie wollen... Ihr Rex kann gerne mit zu mir..." „Nein, danke. Mein jüngerer Bruder kommt gleich vorbei; ich habe ihn auf dem Weg von der Klinik nach Hause angerufen. Er kümmert sich um Rex. Bei ihnen fühlt sich unser Hund leider nicht sehr wohl...", lehnte Michael die Hilfe seiner Nachbarin, die sich immer häufiger über Rex' lautes Bellen beschwerte, ab.
„Ich habe es ihnen ja nur angeboten, dass ich mich um ihren Hund kümmere... Sie brauchen ja nicht ja zu sagen... Wenn sie nicht wollen... Ich werde ihnen meine Hilfe nicht aufdrängen. Sie müssen selber wissen, was sie mit dem Hund machen, wenn... Wenn ihre Tochter im Krankenhaus liegt. ... Der Hund gehört doch auch ihrer Tochter; vielleicht ist... Vielleicht ist das Vieh ja auch schuld, dass es Lena so schlecht geht. Man hört ja so einiges von Krankheiten, die ausgerechnet von Hunden auf den Menschen übertragen werden."
„Unser Rex ist kerngesund; wir waren erst vorige Woche mit ihm beim Tierarzt und der hat unseren Rex komplett durchgecheckt und danach gleich auch noch gegen alle wichtigen Krankheiten geimpft. Unser Hund ist also nicht schuld an Lenas aktuellen Zustand... Machen sie sich darum mal keine Gedanken. ... Ich möchte jetzt auch nicht weiter mit ihnen reden. Ich muss mich jetzt um mein Kind kümmern; Lena ist mir jetzt wichtiger, als... Als dieser unnötige Plausch mit ihnen.", lehnte Michael das weitere Gespräch ab, doch Frau Uhlenmann setzte noch einen drauf: „Aber... Wenn sie doch Hilfe brauchen... Wenn ihr Bruder doch keine Zeit für den Hund hat... Sie wissen ja, wo sie sich melden müssen..."
'Bestimmt nicht bei ihnen', dachte sich Michael und freundlich lächelnd schlug er vor der Nachbarin die Tür zu.
„Ich glaube nicht, dass sich diese Frau richtig um Rex kümmern würde. Die hat doch bestimmt irgend einen Plan... Rex, was hast du denn hier? ... Du meinst, dass Lena ihre Piepsi und ihre Kuscheldecke... Sie hat doch aber gesagt, dass sie nichts haben will... Aber du hast wohl Recht, Rex. Ich nehme Piepsi mit... Und die Decke kannst du in Lenas Tasche packen."
Der Schäferhund, der inzwischen die Kuscheldecke und die Stoffmaus aus dem geräumigen Wohnzimmer geholt hatte, bellte kurz und zeigte Michael, er solle den Hund begleiten.
Artig tippelte der Schäferhund, nachdem er die Anweisung bekommen hatte, er solle die Decke, die er noch im Maul hatte, ins Schlafzimmer bringen, zur Tür. Als er seine Vorderpfoten auf die Türklinke gelegt hatte, ging die weiß gestrichene Tür auf und Rex legte Lenas Kuscheldecke, die sie seit ihrem ersten Kindergartentag hatte und auf jeden Fall zum Einschlafen brauchte, aufs Bett neben die Tasche, bevor er sich kurz laut aufheulend und dann leise winselnd vor die Tür von Lena legte.
„Rex, was ist denn jetzt los? Ist irgendwas mit unserer kleinen Lena nicht in Ordnung? Hey, Rex... Soll ich vielleicht lieber mal in der Klinik anrufen, ob wirklich alles mit unserer lieben, kleinen Lena in Ordnung ist? ... Aber ich fahre doch sowieso gleich ins Krankenhaus zu der Kleinen, wenn mein Bruder da ist und auf dich aufpasst. ... Hey... Rex, du hast doch irgendwas... Was ist denn los, mein Großer?"
Lena war inzwischen knapp drei Stunden im Krankenhaus; ihr ging es allerdings um einiges schlechter, als noch vor ein paar Minuten.
Keuchend lag die Kleine in ihrem Bett und bekam vor Schmerzen kein Auge zu, als Schwester Ulrike zu ihr ins Zimmer kam und eigentlich nur bei Lena Fieber messen wollte, dabei aber sofort den verschlechterten Zustand der Patientin bemerkte.
„Lena... Hallo... Ist alles in Ordnung?", fragte sie die Patientin mit besorgter Stimme und griff Lena vorsichtig an die Stirn. „Lena, du hast ja plötzlich so hohes Fieber... Ich gehe deinem Doktor schnell Bescheid sagen... Ah, Dr. Brentano. Können sie sich kurz Lena ansehen? Ihr geht es sehr viel schlechter; sie hat sehr hohes Fieber...", rief die Krankenschwester den Oberarzt, der gerade an Lenas Zimmer vorbei lief, herein.
„Hallo, Lena. Ich bin der Dr. Brentano. ... Was ist denn mit dir los?" „Sie wurde vor einer Stunde vom Notarzt mit dem Rettungswagen eingeliefert. Verdacht auf Appendizitis... Dr. Blankenburg hat sie untersucht, findet allerdings momentan keinen Anhaltspunkt für eine Blinddarmentzündung."
„Ich weiß, ich habe mir die Krankenakte der Kleinen gerade mit Dr. Blankenburg angesehen... Das macht mir jetzt aber ein bisschen Sorgen...", erklärte Philipp, bevor er sich an Lena wandte: „Lena, sag mal... Hast du Schmerzen? Tut dir irgendetwas ganz doll weh?"
Das Mädchen, das sich krampfend den Bauch hielt, sah den ihr unbekannten Arzt ängstlich an und wimmerte: „Ich... Mein Bauch... Papa... Mein Bauch... tut so weh... Mein Papi soll ganz schnell herkommen und mir helfen..."
Lena keuchte schwach und durch das hohe Fieber waren auch ihre Tränen, die ihr über die glühend roten Wangen liefen, sehr heiß, was die Erstklässlerin allerdings nicht mehr richtig mitzubekommen schien.
„Weiß der Vater der Patientin schon Bescheid, dass sie hier liegt?", erkundigte sich der Oberarzt bei Schwester Ulrike und die antwortete: „Er war schon bei Lena zu Besuch... Ich hab ihn aber nach Hause geschickt, damit er ein paar Sachen für Lena holt. ... Ich denke, er müsste jeden Moment wieder hierher zurückkommen. Er wohnt mit der Kleinen in der Nähe der Uniklinik..."
„OK... Lena, ich möchte kurz deinen Bauch abtasten... Wurde denn schon ein Blutbild bei der Kleinen gemacht?" „Ja, die letzte Probe habe ich bei Lena vor gut einer halben Stunde genommen; sie ist auch schon im Labor. Wir erwarten jeden Moment die Ergebnisse. ... Ich wollte gerade noch einmal Fieber bei der Kleinen messen, als ich Lena so stark krampfend vorgefunden habe."
„OK... Dann... Lena, ich bin ganz vorsichtig; keine Angst. Ich werde dir nicht wehtun. ... Ja, der Bauch ist stark verhärtet. Tut dir dein Bauch weh, wenn ich hier...?" Vorsichtig tastete Philipp die rechte Seite von Lenas Bauch ab, doch die Kleine schüttelte entgegen seinen Vermutungen den Kopf und zeigte auf ihren Oberbauch; ungefähr in der Mitte.
„Hier tut es dir weh, Lena? ... Momentan... kann ich hier nichts feststellen. Aber ich informiere den Kollegen... und wir verlegen Lena zur Sicherheit auf das Beobachtungszimmer. Dort kann zur Not auch der Vater von Lena mit übernachten... Er wird die Kleine nicht alleine lassen wollen. In dem Zustand.", wies Philipp der Schwester an, bevor er sich wieder an Lena wandte: „Lena? Hattest du schon einmal so doll Aua dort?"
Die Grundschülerin nickte und erzählte unter Tränen, dass sie erst in der vorigen Nacht und in der davor von ihrem Vater wegen starker Bauchschmerzen an dieser Stelle, die ihr auch heute wieder so große Beschwerden verursachte, ins Uniklinikum gebracht wurden war.
„Und der Doktor dort hat bestimmt auch in deinen Bauch geschaut?" „Nein, die Frau Doktor... hat mal kurz auf meinem Bauch gedrückt und dann hat sie Papa und mich mit Medizin nach Hause geschickt... Papi hat mir dann zu Hause noch mal meine Wärmflasche warm gemacht und... Und mir einen Tee gemacht.. Dann hab ich geschlafen..."
„Und die Schmerzen wurden, als du die Wärmflasche auf dem Bauch hattest, besser?" „Nein... Die wurden immer schlimmer. Deswegen hat mir Papa eine Tablette gegeben und wollte mich heute Früh nicht zu meiner besten Freundin zum Spielen gehen lassen. Aber... Ich wollte unbedingt zu Hanna gehen und... Und dann bin ich beim Spielen umgefallen...", erzählte Lena aufgeregt, während Philipp kurz an ihre Stirn griff.
„OK, ich sage Dr. Blankenburg Bescheid..." Philipp griff zum Telefon und rief im Ärztezimmer an. „Lea, hier ist Philipp. Ist Markus gerade bei dir in der Nähe? ... Es geht um seine Patientin Lena Köster... Der Kleinen geht es plötzlich sehr viel schlechter. Sie hat sehr hohes Fieber; Schwester Ulrike wollte gerade bei ihr die Temperatur kontrollieren. Außerdem hat das Mädchen starke Bauchschmerzen. Kannst du Markus bitte Bescheid geben... Er sollte so schnell, wie möglich herkommen."
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Leas Baby
Fiksi PenggemarSchwanger - für Lea Peters die schockierendste Nachricht, die sie jemals bekommen konnte. Wo sie sich doch erst vor einigen Wochen von ihrem Lebensgefährten getrennt hatte. Nun steht sie vor einem Rätsel... Soll sie das Baby bekommen? Und dann tauch...