Folge 1 - Teil 7: "Ich habe noch ein zweites Baby..."

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Inzwischen war es bis zu Sarah Marquardt vorgedrungen, dass Lea wohl die nächsten Tage ausfiel.

Gerade noch rechtzeitig hatte Roland mit einem beherzten Griff verhindern können, dass Lea in die Tiefe stürzte. Noch etwas benommen von dem Schreck sah Lea unter sich und atmete tief durch, bevor sie sich in die Arme ihres Chefs fallen ließ.

„Dr. Peters... Es ist ja alles gut... Hey, es ist alles OK. ... Was ist denn passiert? Warum sind sie denn jetzt so erschrocken?", beruhigte Roland die weinende Ärztin und tätschelte vorsichtig ihren Kopf.
„Ich... Ich habe... Ich habe gedacht, sie... Sie wären..." Lea konnte dank ihrer bebenden Stimme nicht verständlich sprechen, weswegen Roland sie vorsichtig in den Arm nahm. „Es ist ja alles gut. Kommen sie, ich bringe sie erst einmal wieder auf ihr Zimmer. Und dort erzählen sie mir, was passiert ist. Wer, haben sie gedacht, steht jetzt hinter ihnen?"
„Ich... Dr. Heilmann, ich... Ich möchte einfach... Nicht mit ihnen darüber sprechen. Sie würden es sowieso nicht verstehen. Gerade sie, als Chefarzt und... liebender Familienvater... Sie können es einfach nicht verstehen, wie sich ein Mensch fühlt, der alles verloren hat."

„Was haben sie verloren, Dr. Peters? Was ist denn passiert?", tröstete Roland die Neurochirurgin liebevoll und Lea ließ sich in seinen beschützenden Armen immer mehr fallen.
Es tat ihr einfach so gut, endlich jemanden zu haben, der sie wohl auch ohne diese mitleidige Masche verstehen würde. Das hoffte Lea zumindest und sie erzählte die ganze Geschichte.

„Dr. Heilmann... Ich weiß nicht, ob ich ihnen das alles wirklich erzählen sollte. Aber... Es zerreißt mich innerlich. ... Sie werden es am Anfang wohl für einen schlechten Scherz halten, was ich ihnen hier erzählen werden, aber ich... Ich... Ich habe... Ich habe einen Menschen auf dem Gewissen. Einen Menschen, der... der mir einmal viel bedeutet hat...", eröffnete Lea ihre Erzählung und sie und Roland gingen zusammen in Richtung Klinikgebäude zurück.

Neben der Tür zur Klinik hatten sich die beiden einen Stuhl genommen und sich gesetzt. Roland hörte der Kollegin die ganze Zeit geduldig bei ihrer Erzählung zu.

Lea begann ihre Erzählung mit dem Ultraschallbild, das ein Baby, ein kleines Mädchen, im letzten Schwangerschaftsdrittel zeigte. Das erkannte der geschulte Blick des Klinikchefs und dreifachen Familienvaters sehr genau.

„Ich war damals... fast fertig mit meinem Studium, als... Als ich erfuhr, dass ich nach nur einer Nacht mit einem... Bekannten aus dem Studium... ausgerechnet von ihm... schwanger geworden bin. Es war ein riesen Schock für mich. Ich wollte die Schwangerschaft zuerst nicht wahrhaben und... Und bin auch zu einem Beratungsgespräch bezüglich eines Schwangerschaftsabbruches gegangen. Auf keinen Fall wollte ich mein Studium wegen eines Kindes... Das ich gar nicht wollte... Das sich einfach so in mein Leben geschlichen hat... aufgeben. Ich habe also einen Termin zum Schwangerschaftsabbruch gemacht und... und wollte auch hingehen, aber... Dann..."
„Dann haben sie es nicht übers Herz gebracht, dieses unschuldige Baby..." Noch einmal sah Roland auf das Ultraschallbild in Leas Hand, doch die Neurochirurgin schüttelte den Kopf und erzählte weiter: „Eine Woche vor dem Termin wurde ich krank. Die Kollegen in der Klinik, in der ich damals mein praktisches Jahr machte, dachten zuerst an eine ganz triviale Erkältung... Sie schrieben mich wegen eines grippalen Infektes für eine Woche krank und... Und erwarteten mich in der nächsten Woche wieder zum Dienst. Aber es wurde und wurde nicht besser und am Tag vor meinem ersten Arbeitstag nach meiner Krankheit... wurde ich mit dem Rettungswagen in die Klinik eingeliefert."

Roland nickte bestätigend und wollte gar nicht näher auf die Geschichte eingehen, doch Lea erzählte von sich aus einfach weiter: „Ich habe den geplanten Abbruchstermin einfach nicht wahrnehmen können. Als ich damals... in die Klinik eingeliefert wurde... mit knapp 41 Grad Fieber... lag ich wegen einer schweren Lungenentzündung mehrere Wochen auf der Intensivstation; ich habe damals noch in Hamburg gewohnt."

„Und ihr Baby? Hat es... Hat es die Schwangerschaft... überlebt? Oder haben sie... es damals...", fragte Roland behutsam und legte seine Hand auf Leas blasse und zitternde Finger, bevor die Chirurgin lächelte und erklärte: „Ich... Ich hatte... Damals habe ich über der Angst um mein Baby in meinem Bauch endlich meine Schwangerschaft annehmen können. Ich habe mich sehr auf das Kleine gefreut... Am Weihnachtsabend vor fast 16 Jahren... erblickte mein kleines Christkind... mein kleines Wunder... endlich das Licht der Welt... Über 25 Stunden habe ich damals in den Wehen gelegen und habe immer wieder auf mein Baby eingeredet..."

„Sie haben ein kleines Christkind?", fragte Roland. „Ja... Ich habe ein kleines... Ich hatte ein kleines Christkind..."

„Was ist denn passiert, Frau Dr. Peters?" Mit beunruhigter Stimme, die dem Klinikchef ab und ab versagte, fragte Roland vorsichtig nach der Fortsetzung der Geschichte.
Lea schüttelte kurz den Kopf und überlegte innerlich, warum sie ausgerechnet ihrem Chef Dr. Roland Heilmann jetzt in dieser Situation alles erzählte. Sie war doch sonst nicht dafür bekannt, großartig über ihre Gefühle und ihre Geschichte zu sprechen.
Doch ihre Hormone, die in der Schwangerschaft für ihre Stimmungsschwankungen sorgten, hatten sie komplett aus der Bahn geworfen.

Tränen rannen über Leas Wange und sie wischte sie sich mit dem Ärmel aus den Augen, bevor sie fortfuhr: „Ich... Ich habe damals... mit dem Vater der Kleinen keinen Kontakt mehr gehabt. Völlig auf mich alleine gestellt... mit einem Baby... von einem Mann, der sich nicht mehr für mich interessierte... Ich wusste nicht mehr, was ich noch machen sollte. Also habe ich mich... damals dafür entschieden, mein Baby..."
„Sie haben das Baby weggegeben?" Lea nickte und sah in die Wolken, aus denen es nun wie aus Eimern goss.
„Ich habe das Baby damals... einer jungen Frau gegeben, die... die ihr Kind gerade verloren hatte. Kurz bevor ich von meiner Schwangerschaft... hatte diese Frau ihr Baby... verloren... Ich habe gedacht, sie würde mein Baby großziehen... Vielleicht hätte sie mir ab und an... Fotos von der Maus geschickt. Sie war glücklich, mein Baby zu haben... Ich wollte, dass die Kleine ein richtiges Zuhause bekam... Aber bis heute... Ich habe nie wieder etwas von meinem Baby gehört..."

„Haben sie denn einmal versucht, die Adresse der jungen Frau heraus zu bekommen? Oder einfach einmal..." „Ich habe irgendwann... gedacht, es wäre die Strafe für meine Entscheidung, die Kleine abtreiben zu wollen. Unter den Wehen während der Geburt habe ich noch mit der Entscheidung gehadert, mein Baby wegzugeben... vielleicht... Wenn ich damals den Rückhalt von meinem damaligen... Onenightstand gehabt hätte, dann wäre mein Baby mit Sicherheit noch bei mir...", gab sich Lea die Schuld an ihrer eigenen Entscheidung und ein merkbarer Kloß blieb in ihrem Hals stecken.

„Haben sie denn noch Kontakt zu ihrem damaligen... Freund? Oder wissen sie, wie er jetzt lebt? ... Ich meine, kennen sie den leiblichen Vater ihres Kindes noch?" „Ich habe... Ich habe nach vielen Jahren den Mann... einmal gesehen. Er ist jetzt glücklicher Vater dreier Kinder; zwei Jungen und ein kleines Mädchen..."
„Genau, wie Dr. Brentano.", fiel Roland unbewusst auf und Lea nickte. „Ja, genau wie Dr. Brentano... Aber ich kann sie beruhigen, er ist nicht der Vater meines Kindes... Weder von dem Baby in meinem Bauch, noch von meiner kleinen... Tochter..."

Leas Tränen wurden bei dem Gedanken an ihre kleine Tochter, die nun bestimmt schon mit der Schule fertig oder vielleicht noch gerade mitten im Schulstress für ihr Abitur war, immer mehr.

Roland reichte der Kollegin ein Taschentuch, Lea bedankte sich und fluchte leise lächelnd: „Scheiß Hormonumstellung in der Schwangerschaft... Muss das ausgerechnet mir passieren. Hier vor meinem Chef zu heulen... Ich habe doch dafür gar keinen Grund."

„Frau Dr. Peters... Sie haben einen Grund für ihre Traurigkeit... Ich... Sie waren jetzt sehr offen zu mir; jetzt möchte ich auch einmal ihnen gegenüber etwas offener werden. ... Ich habe vor über 10 Jahren... da war meine Frau noch einmal schwanger... Sie hat das Baby damals verloren. Aber... Noch heute besuche ich den Gedenkstein, den wir für unsere kleine Tochter... aufgestellt haben... und spreche mit meiner Kleinen... Allerdings habe ich ihr noch nichts vom Tod ihrer Mutter erzählt. Sie... Vielleicht weiß es die Kleine ja auch... Dass ihre Mama jetzt ganz nah bei ihr ist..."

„Ich... Ich habe in den letzten Jahren gar nicht gedacht, dass... wir beide... einmal so einträchtig nebeneinander auf dem Dach sitzen und einfach nur über unsere Kinder sprechen können... Ohne die Störung durch Kollegen oder unsere Patienten.", seufzte Lea leise und fing zu zittern an.

Der Wind war merklich aufgefrischt und die noch immer ziemlich erschöpfte Ärztin zitterte kurz.
„Ist ihnen kalt?", fragte Roland besorgt und Lea nickte kurz. Der Klinikchef zog die Ärztin etwas näher zu sich und wärmte sie mit seinem Körper, bevor sie beide in die Klinik gingen.


Auf ihrem gemeinsamen Weg in Leas Zimmer wurden Roland und die Chirurgin ausgerechnet von PJler Hans-Peter Brenner und Urologe Dr. Kaminski beobachtet.

„Eins zu null für Dr. Heilmann.", merkte der ehemalige Pfleger beobachtend an und Kaminski sah verwirrt in Brenners Richtung.
„Eins zu null... Was wollen sie mir denn ausgerechnet damit sagen? ... Dr. Heilmann will mit Sicherheit nichts von Frau Dr. Peters. Er ist ihr Vorgesetzter. Das geht nie und nimmer gut aus... Er wird sie verletzen und... Und sie wird sich in eine Ecke verkriechen, aus der sie nicht mehr wieder zurück kommen wird.", wusste Kaminski und Hans-Peter lächelte.

„Sprechen sie jetzt gerade von Dr. Peters oder von sich selbst?"

„Brennerchen... Kümmern sie sich lieber einmal mehr um die Patienten. Sie wissen, dass sie nicht mehr lange Zeit haben, um ihr praktisches Jahr erfolgreich abschließen zu können. Und ich möchte in ihre Beurteilung nicht nur schreiben müssen: Herr Brenner war während des Praktikums zu jeder Zeit stets redlich um das Wohl der Patienten bemüht."

„Es dürfte ihnen doch wohl nicht ganz unbekannt sein, dass außer ihnen noch andere Ärzte eine Bewertung abgeben werden, oder?", lächelte Brenner und Kaminski sah ihn an, grinste und ließ sein Lieblingswort hören. "Geschenkt."
Anschließend machte sich der Urologe wieder zurück auf den Weg zum Ärztezimmer.

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