Folge 2 - Teil 1: Endlich nach Hause

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Folge 2: Familie - oder doch nicht?

Notfall in der Sachsenklinik - die fünfjährige Maja Amélie Falken wird mit dem Notarztwagen in die Klinik eingeliefert und von Dr. Lea Peters, die nach ihrem Zusammenbruch wieder im Dienst ist, behandelt. Begleitet wird das Mädchen von ihrer großen Schwester Laura, die wenig später selbst zur Patientin wird, nachdem sie bei einem Krankenbesuch zusammenbricht. Die Untersuchungsergebnisse von Laura sind besorgniserregend und schon bald keimt in den Ärzten der Sachsenklinik ein schlimmer Verdacht auf... 

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Die Tage seit der Operation von Lea waren schneller vergangen, als die Ärztin zu Anfang dachte und Leas Zustand verbesserte sich mit jedem Tag mehr und mehr.

Eine gute Woche nach der Operation durfte die Ärztin heute endlich das Krankenhaus verlassen.
Mit Vorfreude auf Zuhause war sie gerade dabei, ihre Sachen, die ihr Dr. Kaminski von Zuhause geholt hatte, einzupacken, als Jenne ins Zimmer kam.
„Hallo Lea...", flüsterte er und gab der Ärztin einen liebevollen Kuss auf die Stirn, was Lea allerdings sofort abwehrte.
„Jenne? Ich habe doch schon gestern gesagt, dass ich momentan keinen Besuch von dir möchte. Ich muss mir selbst erst einmal über die ganze Situation einig werden. Das geht nicht von einer auf die andere Minute..."

„Lea... Ich liebe dich. Wirf doch bitte unsere Liebe zueinander nicht einfach so weg. Wir brauchen uns doch. Und das Baby braucht einen Vater. ... Ich liebe dich mehr, als mein eigenes Leben. Damals... Als ich mich für die Operation entschieden habe... Ich habe es nur für dich getan. Nicht für mich. Ich wollte mit dir mehr als eine Nacht verbringen; ich wollte dich hier und heute fragen..."

„Jenne, bitte. Mach es mir doch nicht so schwer.", wehrte Lea jegliche weitere Aussage ihres Freundes ab, sie schloss mit einem kurzen Ruck am Reißverschluss ihre Tasche und verließ das Zimmer.

„Ich... Lea! Warte doch bitte auf mich! Lea, ich liebe dich doch. Bitte wirf unsere Liebe nicht einfach weg. Ich möchte, dass... Ich möchte, dass du mir jetzt zuhörst. Wenigstens nur noch dieses eine Mal.", bettelte Jenne und Lea drehte sich noch einmal zu ihm um.

„Ich habe wenig Zeit, Jenne. Sonst kommt Dr. Heilmann auf die Idee, mich doch noch ein paar Tage länger in der Klinik zu behalten, als geplant."
„OK, Ok. Ich mache es schnell. ... Dr. Lea Peters, ich..." Jenne holte ein kleines Päckchen aus der Jackentasche und reichte es Lea. „Ich möchte dir eines sagen. Du bist, seit ich dich damals kennen gelernt habe, meine absolute Traumfrau. Ich möchte mit dir mein Leben teilen; ich möchte mit dir meine Liebe teilen. Ich möchte derjenige sein, der nachts für dich zur Tankstelle rast, weil du Heißhunger auf Saure Gurken oder Rollmops hast." „Ich hasse Rollmops, Jenne.", lächelte Lea und streichelte sich im Unterbewusstsein ganz vorsichtig über den Bauch.

Die Gefühle für ihr Baby waren in diesem Moment allgegenwärtiger, als sonst und doch wusste Lea, dass sie die Gefühle jetzt unterdrücken sollte. Keiner sollte sehen, wie es in Lea aussah. Dass ihr die Tränen langsam in die Augen stiegen und sie nur durch das Denken an medizinische Diagnosen verhindern konnte, zu weinen.

„Lea, ich will derjenige sein, der dir in wenigen Wochen... die Hand hält, wenn unser Baby auf die Welt kommt. Ich will derjenige sein, der den Kinderwagen schiebt, während du dich noch von der Geburt erholst. Ich will derjenige sein, der nachts aufsteht und das Baby wickelt. Ich... Lea, ich will für dieses Baby ein Vater sein; der Vater, den es sich auch verdient. ... Ich liebe dich, Lea. Und ich liebe auch dieses Baby in deinem Bauch. Auch, wenn es nicht von mir sein sollte...", erklärte Jenne und Lea öffnete vorsichtig das kleine Päckchen in ihrer Hand.
Zum Vorschein kamen nicht nur zwei kleine rosa Babyschuhe, sondern auch ein Schnuller mit der Aufschrift „Mama ist die beste" und ein kleiner Strampler, der die Aufschrift „Ich bin die Tochter einer wunderbaren Ärztin." trug.

„Jenne... Das... Das ist wunderschön. Ich habe... Aber woher weißt du denn, dass ich ein Mädchen bekomme? Ich kann doch auch mit einem kleinen Jungen schwanger sein...", erklärte Lea, doch Jenne schüttelte den Kopf und konterte: „Eine so wunderhübsche und wunderbare Mutter muss doch wohl ein kleines Mädchen auf die Welt bringen. Ein Mädchen, das genauso wunderschön und lieb wird, wie die Mama."
„Ich... Jenne, ich will nicht, dass du dir ein Kind ans Bein bindest, von dem du vielleicht nicht der Vater bist. Ich... Das wäre nicht ehrlich... Ich möchte erst einmal abwarten, bis meine Kleine auf der Welt ist. Und dann machen wir einen Vaterschaftstest. Mach dir bitte keine allzu großen Hoffnungen, dass du der Vater bist. Du bist vielleicht wirklich nur ein guter Freund von Mama, vielleicht nur der Stiefvater meines Kindes.", erklärte Lea und steckte die Geschenke von Jenne schnell in die Tasche, bevor sie die Klinik verließ.

Ihr Lebensgefährte blieb einfach tatenlos daneben stehen und sah ihr traurig hinterher. „Ich will dich und dieses Baby unterstützen, Lea. Ihr seid doch meine Familie. Eine Familie, die ich mir immer gewünscht habe...", flüsterte Jenne, was Lea nicht mehr hören konnte, als sie, zu Jenne blickend, in den Fahrstuhl stieg und die Klinik verließ.
Jenne zerbrach diese Szene das Herz, als er sah, wie sich hinter Lea die Tür des Fahrstuhls schloss. Hatte Lea recht und er war vielleicht wirklich nicht der Vater des Babys, das Lea unter ihrem Herzen trug?
Aber wer war es denn dann?

Wie durch Zufall kam genau in dem Moment Dr. Kaminski aus einem der Krankenzimmer und begrüßte Jenne mit einem freundlichen „Ah, der werdende Papa... Wollen sie ihre Lebensgefährtin abholen?"
„Lea und ich... Wir sind vielleicht gar nicht mehr zusammen.", antwortete Jenne und blickte weiterhin in Richtung Fahrstuhl. „Sie hat mir gesagt, dass ich vielleicht nicht der Vater von ihrem Baby bin. Vielleicht hat sie damit recht, vielleicht habe ich mit meiner Vermutung recht. Aber sie will ja sowieso ihr Baby alleine großziehen."
„Hat sie ihnen das so gesagt?", wollte Rolf wissen, doch Jenne schüttelte den Kopf und erwiderte: „Nein, hat sie nicht. Aber... Ich kann mir vorstellen, dass Lea nichts von Familie hält. Sie ist ja schließlich selbst auch nicht in einer typischen Papa-Mama-Kind-Familie aufgewachsen. Sie weiß, wie es ist, wenn plötzlich ein Elternteil verschwunden ist. Da wird sie es selbst auch nicht wollen, dass der Vater ihres Kindes die Familie eines Tages verlässt. Aber ich will Lea doch unterstützen."

„Dann kämpfen sie um ihre Liebe. ... Ich kenne Frau Dr. Peters länger als sie; wir haben uns zu Anfang oft gezankt. Aber ich kann mir vorstellen, dass ihr das Baby am Herzen liegt und sie auch nicht will, dass das Kind ohne Vater aufwächst.", erklärte Kaminski, doch Jenne zuckte nur kurz mit den Schultern und verließ anschließend wortlos das Gespräch mit dem Urologen, der wenig später den Weg ins Ärztezimmer antrat.



Den ersten Weg, den Lea nachdem sie das Krankenhaus verlassen hatte, führte sie zum Jugendamt Leipzig. Vielleicht, so hoffte sie, könnten die Mitarbeiter dort ihr wenigstens einen Tipp geben, wo ihre große Tochter heute wohnte.

„Ich werde dich finden, meine Große.", nahm sich die Neurochirurgin fest vor und zuckte kurz zusammen, als sie merkte, dass die Schwangerschaft und die Hormonumstellung bereits für mächtig Ärger in ihrem Körper gesorgt hatten.
„Du kleines Wesen bist schuld, dass ich jetzt deine Schwester suche...", lächelte Lea und streichelte sich selbst über den Bauch.

Immer wieder sah Lea ihre große Tochter neben sich laufen. Wie sie wohl heute, gut sechzehn Jahre nach ihrer Geburt aussah?
Aus dem kleinen Baby, das nach der Geburt auf Leas Arm lag und das die Ärztin liebevoll durch ihr Zimmer getragen hatte, musste wohl schon eine junge Frau geworden sein. Eine junge Frau, die vielleicht in einigen Jahren selbst schon ein Baby bekam.

Kopfschüttelnd wandte sich Lea wieder an ihr Ungeborenes: „Vielleicht hat deine große Schwester ja auch schon selbst ein Baby. Dann hast du einen Spielkameraden. ... Oder deine große Schwester hat noch andere Geschwister...", überlegte sich die Neurochirurgin und legte behutsam ihre Hand auf ihren Bauch.
Wenn man wusste, dass die Ärztin ein Kind erwartete, dann sah man bereits jetzt eine kleine Wölbung unter ihrem T-Shirt, das sie trug. Es war vielleicht eine Fügung des Schicksals, dass Lea gerade jetzt schwanger war. Jetzt, wo sie an ihre große Tochter dachte.

Wieder und wieder sah sich Lea als junge Frau, kurz vor Beendigung ihres Medizinstudiums, mit dickem Bauch in die Klinik watscheln. Das zunehmende Gewicht ihres Bauches und der wachsende Fötus machten es Lea damals immer schwerer, richtig zu laufen. Manchmal musste sie sogar Operationen an Kollegen abgeben, weil sie durch die Last ihres Bauches selbst nicht mehr auf ihren Füßen stehen konnte.
Aber sie liebte das Kind in ihrem Bauch mehr als ihr Leben. Das wusste Lea heute. Sie hätte, wenn sie heute in der Situation von damals gewesen wäre, ihr Baby niemals zur Adoption freigegeben.

Damals, als ihre Tochter von dieser Dame, die sich als Mitarbeiterin des Jugendamts vorgestellt hatte, einfach abgeholt wurde, hatte sie von weitem zugesehen. Sie hatte sich kurz vorher von ihrer kleinen Tochter verabschiedet, hatte ein letztes Mal ihren Geruch eingeatmet, sie zum letzten Mal an ihre Brust gedrückt.
Heute hätte sich Lea dafür verprügeln können. Warum hatte sie das getan? Warum hatte sie ihr Baby im Stich gelassen?

„Dich werde ich niemals im Stich lassen; dich nicht, mein kleiner Liebling.", erklärte die Neurochirurgin und setzte sich kurz auf eine Bank im Park.
Sie sah Familien, die mit ihren kleinen Kindern durch den Park spazierten, Mütter, die ihre Kinder auf dem Arm trugen. Sie sah die Kindergartengruppe von Arzus und Philipps Sohn Max, die wohl einen Ausflug machten.

Wie wohl ihr Kind, das sie geschützt in ihrem Bauch mit sich trug, in ein paar Jahren reagierte, wenn sie bei einem Ausflug aufeinander trafen? Würde die Kleine auf ihre Mutter zurennen und ihr in die Arme fallen? Oder wäre sie genauso zurückhaltend, wie Lea als sie noch ein Kind war? Würde die Kleine ihre Mama überhaupt auf der Straße erkennen wollen?
Lea sah weitere Familien in den Park stürmen, eine junge Familie hatte es ihr besonders angetan. Die Mutter hatte ein ungefähr fünfjähriges Mädchen an der Hand, das größere Mädchen, um die achtzehn, neunzehn Jahre lief hinterher und der Vater schob den Kinderwagen vor sich her.

So wäre es bei Lea auch, wenn ihr Kind noch bei ihr wohnen würde, wusste die Chirurgin und lächelte kurz, als sie die Familie weiter beobachtete.

„Deine große Schwester würde deinen Kinderwagen bestimmt auch so glücklich vor sich herschieben, wenn wir einen gemeinsamen Ausflug unternehmen.", stellte sich Lea jetzt schon die weitere Zeit vor und sie lehnte sich an die Rückenlehne der Bank.

Die Sonne schien der Chirurgin mitten ins Gesicht und eine ältere Frau setzte sich einige Zentimeter von Lea entfernt, ebenfalls auf die Bank.
„Huch...", erschrak Lea, als sie die ältere Frau, die ungefähr im Alter von Leas Vater war, bemerkte.

„Hab ich sie erschreckt?" Entschuldigend sah die ältere Frau die werdende Mutter an und lächelte freundlich, bevor Lea nickte, allerdings erwiderte: „Kein Problem. ... Ich habe mich nur kurz ausgeruht..."
„Das ist auch ein schönes Plätzchen hier... Genau richtig für sie... Wann ist es denn soweit?" Vermutlich hatte die ältere Frau sofort gesehen, dass Lea in anderen Umständen war. „Dritter, vierter Monat, oder?"
„Ja... Ende dritter Monat...", erklärte die Chirurgin lächelnd und legte ihre Hand auf ihren Bauch, der von der älteren Frau auffallend lange gemustert wurde.

„Woher haben sie denn erkannt, dass ich... schwanger bin? Ist es schon so auffällig?" Lea sah an sich herunter und ihr Blick fiel auf die kleine Wölbung ihres Bauches.
Die ältere Frau, die ihre dunkel gefärbten Haare zu einem kleinen Zopf gebunden hatte, lächelte. „Nein, so genau sieht man es nicht. Aber für eine erfahrene Mutter... Ich habe selbst eine Tochter, aber wir haben keinen Kontakt zueinander. Damals, als meine Kleine noch ein Kind war... Da habe ich einen riesen großen Fehler gemacht. Ich habe sie einfach im Stich gelassen. Von einem auf den anderen Tag bin ich einfach verschwunden. Das werfe ich mir heute noch vor. Ich würde am liebsten die Zeit zurück drehen und mein Kind einfach mitnehmen..."

Lea fühlte sich bei der Erzählung der älteren Frau an ihre eigene Geschichte zurückerinnert und sie überlegte, ob diese Frau vielleicht sogar ihre eigene Mutter war? So viele Frauen verließen ihre Kinder wohl nicht.
Aber wenn diese Frau doch ihre Mutter war, warum erkannte sie Lea nicht?

Die Neurochirurgin musterte die Frau nun selbst sehr auffallend, doch die Frage, die ihr Leben verändern könnte, kam der Chirurgin einfach nicht über die Lippen.
„Haben sie denn schon einmal versucht, zu ihrer Tochter Kontakt aufzunehmen? Wissen sie, wo ihre Tochter heute wohnt oder was sie beruflich macht?" „Nein, ich habe nicht versucht, Kontakt aufzunehmen. Meine Tochter... Meine Tochter würde... mich vermutlich gar nicht erkennen oder überhaupt Kontakt zu mir haben wollen. Sie ist sehr stur. Das hat sie aber von ihrem Vater. Ich habe so oft versucht, mit meinem Ex-Mann ins Reine zu kommen. Aber er wollte nichts mehr von mir wissen..."
„Vielleicht will aber ihre Tochter ihre Mutter wiedersehen. Versuchen sie doch wenigstens mit ihrem Kind ins Reine zu kommen. ... Ich spreche da aus eigener Erfahrung.", flüsterte Lea und dachte an ihre Tochter.

„Sie haben schon ein Kind?" „Ja, ich... Ich bin seit Weihnachten vor 16 Jahren schon Mutter eines Mädchens. Aber mein Kind ist adoptiert. Ich habe mich damals von ihr verabschiedet und heute... Heute will ich meine Tochter wieder zu mir zurückholen. Ich würde am liebsten die Zeit zurückdrehen. ... Kommen sie mit ihrer Tochter ins Reine."

„Das wird nicht funktionieren... Lea würde..."
„Lea würde..." Bei diesem Satz der Frau wurde Lea plötzlich kreidebleich im Gesicht. Das war ihre Mutter? Diese Frau neben ihr... war ihre Mutter?
Warum erkannten sich die beiden Frauen denn nicht? Warum wusste weder Lea, wer da neben ihr saß, noch die ältere Frau?
Alles um Lea herum fing an, sich zu drehen und die Neurochirurgin hielt sich krampfend an der Bank fest.

„Ich... Sie sind ja so blass... Ist alles mit ihnen in Ordnung?", fragte Leas Mutter und die Ärztin nickte, sprang auf und verabschiedete sich mit einem schnellen: „Ich habe noch einen wichtigen Termin... Ich muss jetzt los." von ihrer Mutter.

Plötzlich wurde es der Neurochirurgin noch wichtiger, ihr Kind wieder zu sehen. Das Gespräch mit ihrer Mutter hatte ihr gezeigt, dass es wohl das beste war, wenn sie das Mädchen aus ihrer Adoptivfamilie holte...

Leas BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt