Folge 5 - Teil 9: „Ich bin Lauras Großmutter"

58 0 0
                                    

Nachdem Lea der Idee von Jenne nicht zugestimmt hatte, fuhren sie und ihr Lebensgefährte gemeinsam mit der kleinen Emily zum Kinderarzt, der seine Praxis gerade einmal zehn Minuten von der Wohnung der Ärztin eröffnet hatte.

Die Anmeldung ging sehr schnell vonstatten und Lea und Jenne brachten die kleine Emily ins Wartezimmer, wo bisher kaum Leute saßen. Auf der Wickelmöglichkeit an der Wand zog Lea ihre Enkelin bis auf den Body aus und packte das kleine Mädchen dann in ihre Decke ein, bevor sie sich mit Emily auf dem Arm wieder zu Jenne setzte.
„Sie haben aber eine ganz süße kleine Tochter bekommen... Oder ist das da auf ihrem Arm doch ein kleiner Junge?", erkundigte sich eine ältere Frau, die ihre knapp sechsjährige, hustende Enkelin zum Kinderarzt begleitete.
„Das ist Emily, unsere... meine kleine Enkelin.", flüsterte Lea mit einem liebevollen Blick auf Emily und die Frau musterte die Neurochirurgin erschrocken.

„Sie sind doch in ihrem jungen Alter noch keine Oma...", fragte sie erstaunt, doch Lea enttäuschte die etwa Siebzigjährige noch einmal.

„Ich bin die Oma von der kleinen Maus... Meine Tochter Laura ist sehr früh Mutter geworden; sie ist jetzt erst 15 Jahre alt.", erklärte die Ärztin und schaukelte Emily liebevoll auf dem Arm.
Jenne, der sich schon mit der sechsjährigen Paula angefreundet hatte, baute gemeinsam mit dem kleinen Mädchen auf dem Tisch einen großen Holzturm und Lea lächelte.
„Mein Lebensgefährte und ich werden erst in ein paar Wochen Eltern... Von Zwillingen...", eröffnete Lea das Gespräch mit der älteren Frau von Neuem und blickte zu dem verspielten Tischler.

„Jenne... Hier spielt die Musik. Wir sind bestimmt dann gleich dran. ... Emily, dein Opa... Der hat dich schon ganz vergessen. Wenn ich nicht dabei wäre, dann müsstest du jetzt bestimmt in deinem Autositz sitzen und würdest weinen..."
„Ich habe die Kleine nicht vergessen, Lea. Ich spiele nur mit dem kleinen Mädchen Hausbauer... Die Hersteller von den Bauklötzen haben gutes Material benutzt.", fand der Tischler und Lea lächelte. „Ja, Jenne. Du bist vom Fach, ich weiß. ... Aber für unsere Zwerge kannst du ja dann später noch etwas bauen...", schlug die Ärztin vor.

„Die kleine Emily Peters kann kommen...", rief der Kinderarzt die Enkelin von Lea auf, während ein circa zehnjähriger Junge und sein Vater aus dem Sprechzimmer kamen.
Lea schnappte sich die Wickeltasche ihrer Enkelin und Jenne nahm den leeren Autositz des kleinen Mädchens, bevor die zwei gemeinsam das Zimmer von Kinderarzt Dr. Junckert betraten.

„Einen wunderschönen guten Morgen, Frau Dr. Peters.", begrüßte der Kinderarzt die ihm gut bekannte Ärztin und Lea tat es ihm gleich. „Guten Morgen, Dr Junckert. ... Wie geht es unserem gemeinsamen Patienten Philipp?" „Dem geht es zum Glück dank ihres schnellen Eingriffs wieder sehr viel besser. Seine Kopfschmerzen sind abgeklungen und die Schmerzmittel braucht er seit der Operation vor einem Monat auch nicht mehr..."
„Das hört man als behandelnde Ärztin gerne...", lobte sich Lea unterschwellig und klopfte sich auf die Schulter, während der Blick des Kinderarztes schon auf die kranke Emily ging, die den Mediziner mit groß aufgerissenen Augen ansah und bei dem Blick von Dr. Junckert ängstlich quietschte.

„Und welchen kleinen Engel bringen sie uns heute hier mit, Frau Kollegin?", wendete der Kinderarzt das Gespräch mit Lea auf die kleine Emily, die inzwischen wieder zu schreien anfing und von ihrer Oma Lea ganz vorsichtig auf dem Arm geschaukelt wurde.
„Das ist meine kleine Enkelin Emily Aline; sie ist vor 21 Wochen per Notkaiserschnitt auf die Welt gekommen. Ich habe die Kleine seit gestern bei mir zu Hause und kümmere mich um sie... Seitdem brüllt sie unaufhörlich. Mein Lebensgefährte und ich haben die ganze Nacht nicht geschlafen. ... Ihr Nuckel bringt der Kleinen keine Beruhigung, Herumtragen oder ins Bett legen hat auch nicht funktioniert. ... Ich habe mir gestern Abend den Hals der Kleinen angesehen, der war hochgradig knallrot entzündet. Ich vermute, die Kleine hat sich einen Infekt oder eine Angina eingefangen.", berichtete die besorgte Großmutter ihrem Kollegen, während sie das in einer Decke eingewickelte, halbnackte Baby auf die Liege legte.

Bestätigend nickte der Kinderarzt und streichelte über Emilys hellrote Gesichtshaut, die nach dem kräftigen Schreien der Kleinen noch viel röter geworden war. „Na, du arme, kleine Maus... Machst du deiner Oma und deinem Opa Sorgen?", fragte Dr. Junckert und er fühlte an Emilys Köpfchen die aktuelle Temperatur des Säuglings.
„Ich werde mir unsere kleine Patientin mal genau ansehen. ... Na, dann komm mal her, du kleiner Spatz. Ich bin der liebe Onkel Doktor... Ich tue dir doch gar nichts Schlimmes. Es ist gleich wieder gut... Komm, ich höre nur dein kleines Herzchen ab. Das kennst du bestimmt schon... Nein, ich tue dir nicht weh. Deine Oma und dein Opa sind ja auch da. ... Was ist eigentlich mit den Eltern des Mädchens?"
„Meine Tochter Laura... die Mutter von Emily... liegt bei uns im Krankenhaus; sie ist an Leukämie erkrankt. Und Emilys Vater... wurde von Lauras Adoptivmutter zusammengeschlagen, weil sie sich sicher ist, die kleine Emily wäre ihre Tochter..."

Der Kinderarzt nickte kurz, nahm sein Stethoskop vom Tisch und hörte ganz vorsichtig, nachdem Lea auch den hellgelben Body des Mädchens geöffnet hatte, die Brust des Babys ab.
Mit einem sehr besorgten Blick wandte sich der Kinderarzt anschließend leise flüsternd an seine Kollegin, um den am Schreibtisch sitzenden und in einem Babybuch, das er aus Leas Wohnung mitgenommen hatte, lesenden Jenne nicht zu erschrecken: „Das klingt aber hier alles gar nicht so gut, wie das Herz in der Brust der Kleinen klopft. Wissen sie, ob ihre kleine Enkelin mit einem Herzfehler auf die Welt gekommen ist?"

Lea zuckte ganz kurz mit ihren Schultern, bevor sie sich beim Streicheln der kleinen Emily erinnerte, dass Bernd ihr etwas dazu gesagt hatte.
„Ein guter Freund von mir... hat mir erzählt, dass sie wegen eines Unfalls wohl etwas zu früh auf die Welt gekommen ist... Und dann hätte sie wohl schon nach der Geburt Probleme mit dem Herzen gehabt.", erzählte Lea und ihr Kollege sah sie etwas verwirrt an.

Warum wusste die Kollegin nicht, ob ihre eigene Enkelin krank auf die Welt gekommen ist oder nicht? So etwas muss man doch als Großmutter erfahren, dachte Dr. Junckert und er fragte, während er Emily auf den Bauch drehte und den Rücken des Säuglings abhörte: „Aber unsere kleine Patientin ist schon ihre Enkelin, oder?"
Lea nickte bestätigend und erzählte anschließend von der Geschichte, die sie, ihre Tochter Laura und die kleine Maus in den letzten Jahren erlebt hatten.
„Die kleine Emily Aline ist natürlich meine Enkelin. Aber die Geschichte dahinter... ist ein wenig lang. ... Ich habe selbst vor knapp sechzehn Jahren meine Tochter Laura, die leibliche Mutter der Kleinen, auf die Welt gebracht, musste sie aber meiner damaligen Freundin Stefanie geben, weil vorher ihre kleine Tochter verstorben war, sie mir die Schuld am Tod des Babys gegeben hatte und ich meine Laura sozusagen als Buße zu Stefanie geben sollte. Und als Laura ihr Baby... bekam, hat sich die Geschichte wiederholt. Sie musste die Maus auch Stefanie geben, weil die kurz vorher eine Fehlgeburt erlitten hatte... Erst, als Laura vor ein paar Tagen zu uns in die Klinik eingeliefert wurde, kam die ganze Geschichte ans Licht. Stefanie wurde jetzt von der Polizei abgeholt und ist wegen Entziehung Minderjähriger, Körperverletzung und falscher Verdächtigung in Untersuchungshaft genommen wurden."

„Das ist ja eine Geschichte... Mir gefällt der aktuelle Zustand der armen kleinen Motte allerdings momentan überhaupt nicht. ... Haben sie bei Emily mal im Laufe des heutigen Morgens die Temperatur gemessen?", erkundigte sich der Arzt, was Lea kopfschüttelnd beantwortete: „Nein, haben wir nicht... Mein Freund Jenne und ich wollten Emily heute Früh nicht mit dem Thermometer stressen..."
Der Arzt nickte, bevor er Emily noch einmal über den Kopf streichelte und dabei merkte, dass das kleine Mädchen wohl Fieber hatte.
„Sie scheint momentan allerdings Fieber zu haben; ihre kleine Enkelin. ... Ich würde bei der kleinen Maus jetzt gerne die Temperatur messen. ... Emily, das wird dir nicht gefallen, ich weiß. Aber das muss leider sein. Deine Oma tröstet dich aber bestimmt beim Fiebermessen..."

Entschieden griff der Kinderarzt, nachdem er beruhigend auf die kleine Patientin eingeredet hatte und ihr kurz seine Hand auf ihre nackten Oberschenkel legte, zum Fieberthermometer, das im Schrank neben der Liege lag.
„Deine Oma tröstet dich ganz bestimmt, wenn du weinst. ... Ja, du kleine Maus. DU brauchst gar keine Angst zu haben. Ich bin doch bei dir und kümmere mich um dich. Und da ist deine Oma...", tröstete der Kinderarzt das aufgeregt weinende Mädchen, das strampelnd auf sich aufmerksam machte und ihre kleinen Ärmchen immer wieder nach oben warf, während er auf Lea deutete. „Deine Oma ist eine ganz Liebe. Die passt ganz doll auf dich auf, dass dir nichts passiert..."

Lea hob die dicke Tränen weinende Emily auf ihren Arm und schaukelte das kleine Mädchen zur Beruhigung ein wenig, bevor der erfahrene Kinderarzt die Kollegin bat, sie solle das weinende Kind ruhig auf ihrem Arm liegen lassen.
„Die arme Kleine wird ganz bestimmt viel weniger weinen, wenn sie merkt, dass sie bei ihr sind und ihr ein bisschen Sicherheit geben.", meinte der Kinderarzt zu der Kollegin, die nickte und ihrer kleinen Enkelin einen Kuss auf die Stirn gab.

„Süße, das wird jetzt gleich ein ganz kleines bisschen schlimm. Aber wir sind alle bei dir.", sprach Lea ganz vorsichtig auf das Mädchen ein, während der Kinderarzt bei der weinenden kleinen Emily ganz vorsichtig das Fieber maß.
Emily schlug mit ihren kleinen Ärmchen um sich, doch als sie merkte, dass sie immer noch, von ihrer Oma beschützt, auf dem Arm von Lea lag, beruhigte sich die Kleine ziemlich schnell wieder.
„Sie fühlt sich auf meinem Arm sehr wohl.", erkannte die Neurochirurgin, auf deren Arm sich ihre kranke, kleine Enkeltochter so geborgen und sicher fühlte, dass sie während der Temperaturkontrolle ganz ruhig liegen blieb und keinen Mucks von sich gab.

„Das macht die Süße ja ganz lieb... So ist das eine ganz liebe kleine Maus. ... Es ist ja schon vorbei. Siehst du, Emily. Ein tolles Mädchen. ... 38,4... Das ist schon für so ein kleines Mäuschen ganz schön hoch.", meinte Dr. Junckert und wandte sich an die Oma des Säuglings: „Ich würde die Kleine lieber ins Krankenhaus einweisen. Mir gefällt der Zustand von ihrer kleinen Enkelin gar nicht. Die Herztöne sind sehr auffällig. Und die Halsentzündung ist auch nicht ganz so problemlos."

Lea nickte zustimmend und streichelte ihrer kleinen Enkelin über den Kopf. „Süße, das kriegen wir auch wieder hin. ... Da bist du sogar in der Nähe von deiner Mama. Das hat doch auch etwas Gutes..."



In der gleichen Zeit war Roland Heilmann in der Klinik angekommen und wollte zu aller erst Leas Tochter Laura einen Krankenbesuch abstatten, als er bemerkte, dass die Patientin gerade Besuch von ihrer Großmutter hatte.
Christiane Peters, die ihre Tochter vor 30 Jahren völlig im Stich gelassen hatte und nun bei ihrer Enkelin alles wieder gut machen wollte, saß am Bett der Sechzehnjährigen und versuchte, ihre beim Anblick von Laura aufkommenden Tränen zu unterdrücken.

„Laura, meine Kleine...", flüsterte die ältere Frau und strich Laura ganz vorsichtig über den Kopf. „Ich bin bei dir. Und bald kommt auch deine Mama wieder zu dir. Hab keine Angst, wir lassen dich nicht im Stich... So, wie es dein Papa macht..."

„Guten Morgen..." Fragend stand Roland hinter Lauras Großmutter und betrachtete die ältere Frau, die mit ihrer Enkelin ganz vorsichtig umging. „Was machen sie denn hier?"
„Ich... Ich wollte meine Enkeltochter besuchen. ... Ich bin die Mutter von Frau Dr. Peters...", stellte sich Christiane bei dem Klinikchef vor und reichte Roland freundlich die Hand. „Dr. Christiane Peters, freut mich, sie kennen zu lernen, Herr..."

„Ich bin hier der Klinikchef, Dr. Roland Heilmann. Zusammen mit Dr. Globisch bin ich der behandelnde Arzt von Laura. Ich wollte auch nur nach meiner Patientin sehen. ... Momentan sollte ihre Enkeltochter allerdings eigentlich nicht so viel Besuch bekommen. Weiß denn ihre Tochter darüber Bescheid, dass sie hier sind?" „Nein... Nein, ich habe Lea nicht gesagt, dass ich zu meiner Enkelin fahre. Aber es ist mir auch... gleichgültig, was meine Tochter dazu sagt. Sie würde mich sowieso aus dem Zimmer werfen. Weil ich sie damals im Stich gelassen habe. Deswegen habe ich jetzt in Leas Augen auch kein Recht, bei meiner Enkeltochter zu sein, wenn sie mich braucht.", wusste Christiane Peters und sah wieder auf Laura, die sich immer noch nicht besser zu fühlen schien.
„Laura geht es nicht besonders gut; sie sollten sie nicht so lange besuchen. Ihre Enkelin braucht sehr viel Ruhe, sie hat eine Gebärmutterentzündung. Deswegen hat sie momentan wohl auch... ein wenig erhöhte Temperatur.", erkannte Roland, als er seine Hand ganz vorsichtig auf Lauras Stirn legte.

„Aber ich kann doch wenigstens... meiner Enkelin beistehen, wenn sie sich so schlecht fühlt, wie jetzt... Auch, wenn ich Lea in ihrer Kindheit im Stich gelassen habe. Aber ich kann bei meiner Enkelin das wieder gut machen, was ich bei Lea falsch gemacht habe."

Roland tat es beim Anblick von Lauras Großmutter in der Seele weh, die so zerbrechlich auf ihn wirkende Frau aus dem Zimmer ihrer Enkelin zu schicken, doch Laura brauchte nun mal im Moment sehr viel Ruhe und Erholung, um ihre so schwere Krankheit zu überstehen.

„Frau Peters, ich kann mir sehr gut vorstellen, dass es für sie wohl momentan gar nicht so leicht ist, ihre Enkelin im Stich zu lassen. Aber Laura braucht noch eine Menge Ruhe, dass sie schnell wieder gesund wird und wir mit der Behandlung der Grunderkrankung beginnen können. Ihre Enkelin ist sehr schwer krank, das muss ihnen klar sein, Frau Peters. ... Sie können natürlich selbstverständlich auch gerne hier in der Klinik bleiben, um bei Laura zu sein. Aber dazu würde ich sie bitten, in der Cafeteria zu warten. Wenigstens bis die Visite bei ihrer Enkelin durch ist. Dann können sie sich noch einmal ans Bett von Laura setzen."

Gerade fühlte Roland den holprigen und sehr schnellen Puls seiner Patientin, als sich die gläserne Tür zum Zimmer der Sechzehnjährigen öffnete, doch statt der erwarteten Neurochirurgin Dr. Lea Peters betrat deren Vater mit einem erschrocken wirkenden Blick auf seine Ex-Frau das Zimmer der Sechzehnjährigen.

Leas BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt