Folge 5 - Teil 3: „Wo ist meine Tochter?"

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In der Zwischenzeit hatte sich Jenne, als seine Liebste durch ihre Tochter abgelenkt war, vorsichtig das Handy von Lea geschnappt und telefonierte mit dem leiblichen Vater von Laura.

„Ich bin Jenne Derbeck... Der Stiefvater ihrer Tochter Laura... Ich möchte ihnen nur eines ganz genau sagen, Herr Dr. Blankenburg... Sie mögen ja Lauras leiblicher Vater sein, aber ihr todkrankes Kind hier im Krankenhaus alleine zu lassen und sich nicht um Laura zu kümmern, wenn es ihr schlecht geht, das ist ein starkes Stück... Jetzt... Jetzt hören sie mir doch mal zu!"
Jenne fuhr durch das Telefon den leiblichen Vater von Laura immer mehr an.
„Sie können doch nicht einfach... mit ihrem Verhalten dafür sorgen, dass Lea... Meine Lebensgefährtin will ihr Baby abtreiben; unser gemeinsames Kind, auf das sich Lea und ich... so sehr freuen... Sie sind dafür verantwortlich, dass eine Mutter... vielleicht ihr Kind verliert, das sie über 15 Jahre lang nicht bei sich haben durfte... Dass sie vermisst hat... Was sind sie denn nur für ein Mensch, der zulässt, dass eine schwangere Frau... Dass eine Frau in der 19. Woche verbotenerweise ein Kind abtreibt..."

‚Sie muss ihr Kind ja auch nicht abtreiben, Herr Derbeck.', erklärte Markus dem Stiefvater seiner sechzehnjährigen Tochter und fügte an: ‚Solange Laura auf die Behandlung mit Medikamenten gut anspricht, kann sie die Schwangerschaft beruhigt bis zur Geburt der Zwillinge fortführen. Die meisten Zwillingsschwangerschaften werden sowieso früher beendet, als nach Ablauf der 40 Wochen...'

„Aber sie können trotzdem nicht von Lea verlangen, dass sie unsere... Dass sie zwischen Laura und den Babys entscheiden muss. Was, um Gottes Willen, machen wir, wenn... Wenn sich der Zustand von Laura in den nächsten Tagen oder sogar schon Stunden verschlechtert? Selbst sie als Arzt können nicht in die Zukunft sehen. ... Ich bitte Sie, Dr. Blankenburg. Springen sie über ihren Schatten und kommen sie bitte hierher. Laura und Lea brauchen Sie... Wollen sie sich später Vorwürfe machen müssen, dass sie ihr Kind haben sterben lassen?"
‚Nein, natürlich nicht, Herr Derbeck. Aber ich kann auch nicht einfach hier aus Hamburg weg. Meine kleine Tochter Lilly braucht mich; sie ist gerade erst fünf Jahre alt... Und meine Patienten hier in der Klinik brauchen mich auch...', meinte Markus, während Jenne tief durchatmete und zu einem letzten Überredungsversuch ansetzte: „Sie können aber nicht von Lea verlangen, dass... Dass sie Laura sterben lässt. Außerdem... Ich bin gerne bereit, mich um Lilly zu kümmern, während sie sich um ihre große Tochter hier im Krankenhaus sorgen. ... Was kann ihre große Tochter denn dafür, dass sie auch noch Krebs hat? Dass sie an Leukämie erkrankt ist?"

‚Ich gebe Laura auch nicht die Schuld daran, dass... Dass sie Krebs hat. Um Gottes Willen. Aber... Sie können sich nicht vorstellen, wie schlimm es für einen Vater ist, wenn das eigene Kind leidet. Ihre Kinder sind ja noch nicht geboren. Aber wenn ich meine todkranke Laura in ihrem Bett liegen sehe... und ganz genau weiß, dass mein Kind Schmerzen hat und ich ihr.. nicht helfen kann.'

„Doch! Sie können Laura helfen! Sie können sich um Laura kümmern, solange sie hier im Krankenhaus liegt und ans Bett gefesselt ist. Seien sie verdammt noch mal für ihre große Tochter da, Herr Dr. Blankenburg. Das sind sie nicht nur Lea schuldig, sondern auch und vor allem sind sie es ihrer Tochter Laura schuldig. Ich weiß, dass ich zu dem Thema noch nichts sagen kann. Dass ich selbst noch keine Kinder habe. Aber wenn meine Zwillinge auf die Welt kommen, dann werde ich den Kleinen niemals von der Seite weichen. Zeigen sie ihrer Laura, dass sie sie lieben und bei ihr sind, wenn sie ihren Vater braucht."



Nach dem Telefonat mit Jenne hatte sich Markus in die Cafeteria der Klinik gesetzt und schaute durch das Fenster nach draußen. Dabei war er von den vielen Patienten, die spazieren gingen oder nach Hause entlassen wurden waren, so abgelenkt, dass er nicht bemerkte, wie seine Kollegin Soraya sich an den Tisch setzte.

„Hallo Markus... Wie war denn das Treffen mit deiner Ex-Freundin?", fragte die Freundin von Lauras Vater ihren Kollegen, der erschrocken zu der gebürtigen Perserin sah und kurz überlegte, was er jetzt antworten solle.
„Ich... Lea hat mir erzählt, dass... Laura ist... Meine Tochter Laura hat Leukämie; schon zum zweiten Mal in ihrem Leben. Dabei ist sie doch erst 15 Jahre alt...", berichtete Markus seiner Kollegin und Soraya schüttelte den Kopf. „Und da bist du nicht gleich zu deiner Tochter gefahren, sondern sitzt noch hier? ... Markus! Deine Tochter braucht dich jetzt."

„Das weiß ich selbst!", fuhr Markus seine Kollegin an. „Aber ich kann Laura nicht besuchen. Was soll ich meiner Tochter denn erzählen, warum ich sie noch nicht besucht habe? Wie soll ich meiner Tochter überhaupt unter die Augen treten können, wenn... Wenn sie im Krankenhaus liegt und... Und dem Tode näher ist, als dem Leben?"
„Sie ist deine leibliche Tochter, Markus! Du hast neben deiner kleinen Lilly noch ein großes Kind! Pack' verdammt noch mal auf der Stelle deine Sachen und verschwinde zu Laura! Sie braucht dich jetzt. Vor allem, weil es bei ihr wohl um Leben und Tod geht. ... Hat Lea denn erzählt, warum sie selbst eurer Tochter nicht helfen kann?" „Sie ist schwanger, wohl in der neunzehnten Woche... Sollte sie Laura helfen wollen, müsste sie die Schwangerschaft beenden. ... Aber was soll ich Laura denn sagen, warum ich sie jetzt erst besuchen komme? Was soll ich ihr sagen, wenn sie fragt, warum ich nicht schon vorher mit ihr Kontakt aufgenommen habe? Warum ich mich in den ersten 15 JAHREN nicht um meine eigene Tochter gekümmert habe?"

„Sie wird dir verzeihen, Markus. Wenn du nur jetzt über deinen Schatten springst, dir deine kleine Lilly schnappst und nach Leipzig... Ja, Leipzig... zu deiner Tochter fährst. Lilly würde sich bestimmt auch freuen, ihre große Schwester kennen zu lernen. Ansonsten kannst du deine Kleine auch bei uns lassen; Navad würde sich genauso sehr freuen, wenn seine beste Freundin bei uns ist."

„Mein Bruder hat mir schon angeboten, dass Lilly bei ihm bleiben kann, solange ich bei Laura in Leipzig bin.", widersprach Markus und atmete tief durch.
„Aber was mache ich denn, wenn Laura mich gar nicht sehen will? Wenn Lea ihr erzählt hat, dass... Dass ich nichts mit ihr zu tun haben will und... Und sie im Stich lassen werde? Ich kann doch nicht einfach... nach Leipzig fahren und... Und bei Lea vielleicht darum betteln müssen, mein Kind sehen zu dürfen. Mein todkrankes Kind... zu unterstützen.", fiel Markus seiner Freundin ins Wort, bevor sie etwas sagen konnte.

„Du hast für Laura... Verantwortung. Auch, wenn sie nicht bei dir aufgewachsen ist. Und auch, wenn du bisher keinen Kontakt zu deiner Tochter haben durftest. Aber... Du bist ihr leiblicher Vater, Markus. Und deswegen hast du ihr gegenüber eine Verantwortung. Kümmere dich um deine Tochter, wenn sie dich braucht. Eine Beziehung kannst du auch später noch zu Laura aufbauen. Wenn sie es schafft..."
„Ja... WENN sie es schafft. Ich darf dich mal an die Sterbequote bei Leukämieerkrankungen erinnern; besonders, wenn die Krankheit erneut auftritt. ... Ich muss wieder auf die Station; der kleine Paul von Zimmer 1.092 macht mir noch ein wenig Sorgen.", wollte sich Markus vor einem weiteren Gespräch mit Soraya drücken, doch die Ärztin schüttelte kurz den Kopf.

„Markus!", rief sie ihrem guten Freund noch hinterher. „Du kannst Laura nicht im Stich lassen. Sie braucht dich jetzt besonders. ... Du wirst es dir in deinem Leben niemals verzeihen können, wenn du erfährst, dass deine große Tochter gestorben ist und du sie hättest retten können. Aber vielleicht hast du einfach nur Angst; Angst davor, deine Tochter dich abweisen könnte."

„Ich habe keine Angst vor Lauras Abweisung. Sie wird sich freuen, wenn ich bei ihr wäre. Aber du weißt genau, was... warum Lilly eigentlich einen großen Bruder hätte...", erinnerte Markus seine Kollegin an seinen heute zwölfjährigen Sohn, der vor zwei Jahren an den Folgen eines schweren Fahrradunfalls gestorben war. „Wir haben damals auch alles versucht, um Joel zu retten. Und? Es hat nichts gebracht; er ist einfach... in meinen Armen..."
„Willst du, dass Laura genauso leiden muss? Willst du es zulassen, dass Laura mit noch nicht einmal 20 Jahren sterben muss? Fahr jetzt auf der Stelle nach Leipzig, setz dich zu deiner Tochter ans Bett und halte ihre Hand, solange dich deine große Tochter braucht. ... Eine Vollmacht, Lilly von der Kita abzuholen, haben dein Bruder und ich ja. ... Mach, dass du nach Leipzig kommst."

„Und was passiert mit dem kleinen Paul?" „Um den kümmere ich mich. ... Mach dich auf der Stelle auf den Weg zu deiner Tochter; sie braucht dich jetzt am meisten, Markus.", schickte Soraya ihren Kollegen nach Hause, schnappte sich die Krankenakte, die auf dem Tisch lag und machte sich auf den Weg zu dem kleinen Patienten, um den sich Markus so große Sorgen machte.

„Das mache ich am Montag. Da habe ich doch sowieso ein Gespräch in Leipzig... Du weißt doch, dass ich die Klinik wechseln will...", erinnerte Markus seine Freundin an sein Vorstellungsgespräch.
Doch Soraya, die Lea und Lauras Adoptivmutter Stefanie noch aus dem Studium kannte, allerdings von Lauras Geschichte nichts mitbekommen hatte, schüttelte den Kopf und ermahnte ihren Kollegen: „Dann kann es schon zu spät sein, Markus. Du fährst jetzt auf der Stelle nach Hause, packst deine Sachen und fährst nach Leipzig zu deinem Kind. ... Mach, dass du nach Leipzig zu deiner großen Tochter kommst."



In der Zwischenzeit war der bewusstlose Paul auf der Straße gefunden und vom Notarzt in die Klinik eingeliefert wurden. Dort übernahm Dr. Philipp Brentano die Versorgung von Leas Schwiegersohn.
Noch immer bewusstlos von Stefanies hartem Schlag lag Paul vor Philipp, der momentan die Kopfplatzwunde mit wenigen Stichen nähte.

„Wir machen zur Sicherheit dann gleich noch ein Schädel-CT. Und ruf' Dr. Peters dazu, Hans-Peter. Sie sollte sich die Aufnahmen zur Sicherheit auch gleich mit anschauen.", befahl Dr. Brentano dem angehenden Arzt, der auf den Patienten sah und Philipp fragte: „Bist du dir sicher, dass wir Dr. Peters ausgerechnet bei dem Fall hinzuziehen sollten?"

„Wieso?", wollte Philipp wissen, da er nicht wusste, dass Paul der Freund von Laura und somit auch der Schwiegersohn von Lea war.
„Dr. Peters ist die Schwiegermutter von Paul; er ist der Vater von Laura Falkens Tochter Nina... Aber ich sage der Kollegin natürlich Bescheid.", erklärte Hans-Peter Brenner und verließ den Behandlungsraum, in dem sich sein Kollege Philipp Brentano noch um Paul kümmerte.

Der Lebensgefährte von Laura war inzwischen schon ein wenig zu sich gekommen und öffnete in dem Augenblick seine Augen. „Ich... Was... Was ist passiert? Wo... Wo bin ich?", wollte er völlig verwirrt wissen und suchte dabei mit seinem Blick nach einem Anhaltspunkt, wo er sich befand.
„Sie sind hier in der Sachsenklinik, ich bin ihr behandelnder Arzt Dr. Brentano. ... Können sie sich daran erinnern, was passiert ist? Man hat sie bewusstlos in der Nähe der Klinik gefunden..."

„Ich... Ich war... mit meiner kleinen Tochter unterwegs. Mit meiner kleinen Emily... Was... was ist denn nur passiert? Und wo... Wo ist meine kleine Emily? Was ist mit meinem Kind? Ist die Kleine... Ist die Kleine bei Lea?", fragte Paul, als er merkte, dass seine Tochter nicht zu sehen war.

Um seinen Patienten nicht zu beunruhigen, versuchte Philipp eine plausible Antwort zu finden und er erklärte: „Ihre kleine Tochter... ist auf der Kinderstation untergebracht, bis Dr. Peters Feierabend hat. Sie wird ihre kleine Maus dann mit nach Hause nehmen, wenn sie nach Hause fährt. ... Wir werden sie heute nicht mehr entlassen können; sie waren mehrere Minuten bewusstlos."

„Ich... Ich muss zu meiner kleinen Tochter... Wie geht es ihr? Was ist mit meinem Kind?" Angestrengt versuchte Paul, sich aufzurichten, doch es klappte nicht und er musste immer wieder nach einem Versuch, sich hinzusetzen, aufgeben. „Ich will zu meiner kleinen Tochter... Stefanie... Stefanie hat die Kleine... Sie wollte das Baby... Sie wollte mir mein Baby..."

„Machen sie sich keine Sorgen, ihr Baby ist in Sicherheit. Frau Dr. Peters wird sich höchstpersönlich nach Feierabend um die süße Maus kümmern. ... Ich habe mir ihre kleine Tochter angesehen; Emily geht es gut. Sie hat alles gut überstanden.", log Philipp, ohne mit der Wimper zu zucken, als Lea ins Zimmer kam und auf ihren Schwiegersohn zulief.

„Oh, mein Gott... Paul, was ist denn passiert? Wo ist Nina...? Wo ist das Baby?", erkundigte sich Lea bei ihrem Schwiegersohn und versuchte, aus ihm eine Antwort heraus zu bekommen.
Doch der völlig verwirrte Vater von Leas Enkelkind war viel zu erschöpft, um der Ärztin zu antworten.

Philipp deutete seiner Kollegin, sich ein Stück mit ihm zu entfernen und erklärte dann: „Lea... Es gibt ein Problem. Es wurde nur dein Schwiegersohn hier eingeliefert; von dem Säugling fehlt jede Spur. Ich werde auf jeden Fall die Polizei einschalten. ... Damit wir uns nicht gegenseitig verraten: Ich habe die Kleine untersucht; sie liegt auf der Kinderstation. OK?"
Lea nickte und sah dann wieder auf Paul, der seinen behandelnden Arzt und seine Schwiegermutter mit den Augen verfolgt hatte.

„Wie geht es eigentlich deiner Tochter?", erkundigte sich Philipp, als er die besorgte Miene seiner Kollegin zu deuten versuchte. Durch den Blick von Lea wusste Philipp gleich, dass Laura noch immer auf der Intensivstation lag und sich der Zustand der Schülerin wohl noch nicht gebessert hatte. „Hat sich der Zustand von deiner Laura wieder verbessert?", fragte er und hoffte auf eine positive Antwort.
Lea sah enttäuscht wieder auf ihren langjährigen Kollegen und Studienkollegen, bevor sie mit ihrem Kopf schüttelte.
„Nein... Nein, bisher geht es meiner tapferen Laura immer noch nicht wieder besser. Ich habe ja gehofft, dass mein Ex-Freund... dass Lauras Vater mit mir hierher nach Leipzig kommt und sich auch um unser gemeinsames Kind kümmert. Er ist ja schließlich auch Arzt. Und hat Verantwortung für Laura. Aber... Ihm sind seine Patientin und seine zweite Tochter... wichtiger, als unser gemeinsames Kind.", erklärte Lea.

„Vielleicht... Vielleicht ist er auch einfach nur von der Diagnose überfordert wurden, Lea. Versetz dich doch bitte auch in die Lage von deinem Ex-Freund... Kenne ich den Kollegen eigentlich?" „Weiß ich nicht... Wenn dir der Name Markus Blankenburg noch etwas sagt..."

„Markus? Ausgerechnet Markus ist der Vater von Laura? Unser Markus? Aus dem Studium?", wollte Philipp ungläubig wissen und Lea nickte. „Ja, er ist der Vater von meiner Laura. ... Ich habe ihn gebeten, dass er mit nach Leipzig kommt. Aber... Ihm ist es wichtiger, dass... Dass seine kleine Tochter Lilly versorgt ist und er sich um seine Patienten in der Klinik kümmern kann."
„Das hätte ich nicht gedacht. Ich hab Markus im Studium immer für einen absoluten Familienmensch gehalten. Er hätte doch damals im Traum nicht daran gedacht, seine Tochter, wenn sie im Krankenhaus liegt, alleine zu lassen.", wusste Philipp, der selbst mit Markus kurz vor dessen Beziehung mit Lea einige Monate zusammen in einer WG gewohnt hatte.
„Tja, so kann man sich in einem Menschen täuschen, Philipp.", äußerte sich Lea, bevor sie sich wieder ihrem Schwiegersohn Paul widmete.

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