Folge 2 - Teil 14: Hilfe von Zyniker Kaminski

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~~ Leas Sicht: ~~
Während Schwester Ulrike mir meine Tränen und die Angst um mein Kind auszureden versuchte, stand meine Kleine aus ihrem Rollstuhl auf und ließ sich neben mir auf dem Boden nieder.
„Mama... Es... Es ist wirklich die Krankheit, die ihr bei mir... Die ihr bei mir vermutet?", wusste meine Große und Tränen liefen ihr aus den Augen.
Ich konnte kaum noch klar denken, doch das Nicken funktionierte noch und vorsichtig versuchte ich, meine Tochter zu beruhigen.

„Süße, wir kriegen das hin. Du wirst wieder gesund. ... Komm, ich bringe dich wieder in dein Bett. Und dann werde ich mich sofort mit meinen Kollegen zusammen setzen. Wir finden eine Lösung, um dir zu helfen. Ich bin immer für dich da. ... Auf jeden Fall setze ich mich mit dem Kollegen Dr. Lindner aus dem Johannes-Thal-Klinikum in Erfurt zusammen. Wir müssen jetzt jede Hilfe annehmen, die wir bekommen können.", versuchte ich, bei dem Zustand von Laura, einen einigermaßen normalen Gedanken zu fassen.

Doch beim Anblick von Laura dachte ich wieder an Patienten, die ich an diese schreckliche Krankheit schon verloren hatte.
Die Überlebenschance für Laura sah zwar im Moment nicht schlecht aus; der Zustand meiner Tochter war seit ihrem Herzstillstand durchweg stabil. Doch ich wusste genau, dass die Behandlung für Laura nicht einfach werden würde.
Meine Tochter brauchte jetzt in den nächsten Tagen und Wochen wohl sehr viel Kraft, um alles zu überstehen.

„Laura, komm... Ich bringe dich jetzt erst mal wieder in dein Zimmer. Dr. Peters wird sich jetzt mit den Kollegen in Verbindung setzen. Wir lassen dich nicht so einfach sterben... Leukämie ist doch heutzutage kein Todesurteil mehr, Laura...", versuchte Schwester Ulrike meine Tochter ein wenig aufzuheitern, doch Laura schüttelte den Kopf und erklärte mit lauter Stimme: „Ich werde sterben. Ich werde ganz einfach sterben. ... Das ist doch nicht das erste Mal, dass... Dass ich diese schreckliche Krankheit habe. Ich werde es nicht schaffen... Noch einmal mache ich das alles nicht durch. ... Mama, ich möchte endlich hier aus der Klinik raus. Bevor ich es nicht mehr schaffe, möchte ich noch einiges klären, was ich... Was ich noch zu regeln habe. Ich muss mich darum kümmern, dass für meine kleine Tochter gesorgt ist. Und dass ich meine kleine Tochter... nicht bei Stefanie und Bernd lassen muss, wie sie es sich vielleicht schon ausmalen. DU... und nur du... sollst für deine Enkeltochter da sein. Kein anderer... Du bist doch die beste Mutter, die ich mir für meine Tochter vorstellen könnte..."
Ich schüttelte energisch den Kopf und versuchte, den Gedanken meiner Tochter an ihren baldigen Tod nicht so nah an mich heran zu lassen.
„Laura, ich... Ich lasse nicht zu, dass du stirbst. Du wirst nicht sterben... Ich weiß, dass es für dich und für mich nicht einfach wird, aber... Ich lasse mir dich nicht noch einmal wegnehmen. Du wirst für die nächsten Jahre bei mir wohnen. Laura, ich werde es einfach nicht zulassen, dass ich dich verlieren muss... Du wirst überleben, dafür sorge ich... Und wenn ich dafür mein Baby abtreiben muss, das ist mir dann auch egal... DU bist alles für mich..."

„Mama, ich... Ich werde... Ich glaube, du bist dir nicht im Klaren, was es bedeutet, wenn... Ich weiß, was es bedeutet, dass ich diese scheiß Krankheit jetzt zum ZWEITEN MAL habe. Es ist nicht das erste Mal, dass ich... einfach mal...", erklärte mir meine Tochter und ich glaubte im Moment nicht mit meiner fünfzehnjährigen Laura zu sprechen, sondern mit meinem Kollegen Dr. Lindner aus dem Erfurter Klinikum.

Schnell stand ich vom Boden auf und ließ Laura einfach, ohne eine Antwort stehen. Ich musste jetzt einfach hier weg; für immer. Meine Tochter hinter mir lassen, mein eigenes Kind einfach...
Auch, wenn es viele für das Verhalten einer Rabenmutter halten könnten, ich konnte jetzt in diesem Moment einfach nicht mehr bei meinem Kind stehen bleiben.
Jeglicher Blick zu meiner noch nicht einmal sechzehnjährigen Tochter, die sich in ihrem kurzen Leben jetzt schon zum zweiten Mal mit Leukämie herum quälen musste und dieses Mal vielleicht auch den Kampf endgültig verlieren könnte, trieb mir die Tränen in die Augen.

Schon kurze Zeit fand ich mich auf dem Dach der Klinik wieder, wo ich schon mit Dr. Heilmann über Laura gesprochen hatte.
Kleine Vögelchen, Sperlinge oder Meisen glaube ich, saßen auf dem Rand des Daches und pfiffen fröhlich ein Lied nach dem anderen. Auch, wenn es erst Anfang Februar war, waren die Temperaturen schon so mild, dass die Vögel in Kürze wohl schon mit dem Nestbautrieb anfangen würden.
„Ich kann doch deine große Schwester nicht einfach sterben lassen, Kleines. Was wäre ich denn dann für eine Mutter? Die ihr Kind einfach... alleine lässt, wenn... Wenn es für sie... Zeit wird...", schluchzte ich und legte meine Hand auf meinen Bauch.

Für die zwölfte Schwangerschaftswoche war schon eine beachtliche Kugel dran und jeder, der mich wohl in diesem Zustand sah, konnte denken, ich wäre wohl schon längst in der 20. oder 30. Woche, dachte ich mir.



Lange blieb Lea da oben auf dem Dach der Klinik stehen und versuchte, sich von ihren Sorgen um ihre Tochter nichts anmerken zu lassen. Doch je länger die erfahrene Fachärztin für Neurochirurgie darüber nachdachte, was ihrem Kind nun wohl bald bevorstand, desto mehr Tränen flossen ihr aus den Augen und sie ließ sich auf dem Dach nieder.

„Maus, ich... Ich glaube, ich muss eine Entscheidung treffen. Im Sinne von dir... und von deiner großen Schwester... Am liebsten würde ich ja den Vater von Laura... in die ganze Sache... Aber ich weiß gar nicht, wo er jetzt wohnt. Und ob ihn das überhaupt interessiert, wie es seiner Tochter geht oder dass ich jetzt von einem anderen Mann schwanger bin..."
„Der Vater von Laura wird es akzeptieren, wenn sie ihm sagen, was los ist...", erklang plötzlich hinter Lea eine ihr bekannte Stimme. Es war Kaminskis Stimme; der Urologe war Lea bei ihrer Flucht aus der Klinik gefolgt und stand nun hinter seiner Kollegin.

„Er wird es nicht akzeptieren; er wird mir Vorhaltungen machen... Vorhaltungen, die ich verstehen kann. Ich habe ihn damals verlassen. So, wie ich es mit Jenne gemacht habe. Ich... Ich kann einfach eine Beziehung nicht eingehen... Wenn ich nicht weiß, ob es der richtige Mann für mich ist.", erklärte Lea ihr Verhalten, bevor sie sich wieder hinstellte und vor Kaminski stehen blieb.
„Ich kann mir vorstellen, wie schwer es für sie sein muss... Wenn sie mit dem Vater ihrer Tochter in Kontakt treten sollten. Aber das ist die einzige Chance... Ihre Tochter zu retten..."

„Woher wissen sie eigentlich, was mit meinem Kind los ist?", schniefte Lea und Kaminski lächelte sie vorsichtig an. „Ich habe mitgehört, was sie... Was sie ihrer Tochter gesagt haben. Als sie mit Laura gesprochen haben, stand ich um die Ecke versteckt... Ich habe jeden Satz, jedes Wort mitgehört. Sie waren ja beide auch nicht zu überhören. ... Soll ich für sie Dr. Lindner aus dem Johannes-Thal-Klinikum anrufen? Damit er sich einmal mit ihnen bespricht, wie wir Laura am besten retten können? ... Ich kann mir vorstellen, wie schwer dieses Gespräch mit dem Kollegen für sie sein muss. Aber er ist eine Koryphäe auf dem Gebiet der Krebstherapie...", machte Kaminski der verzweifelten Ärztin Mut, doch Lea schüttelte energisch den Kopf und lehnte das Angebot ihres Kollegen sofort ab.

„Ich werde selbst mit Dr. Lindner sprechen. Sonst muss er ja denken, dass ich mich nicht trauen würde, mit ihm zu reden... Außerdem bin ich in ein paar Tagen sowieso in Erfurt... Dr. Ahrend hat mich zu seinem Geburtstag eingeladen...", erklärte Lea und Kaminski grinste.
„Nachtigall, ick hör dir trapsen, wa? Dr. Ahrend hat Sie zu seinem Geburtstag eingeladen? Wird denn Dr. Globisch auch nach Erfurt kommen? Oder sind nur Sie eingeladen?", fragte Kaminski und Lea zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht.", erwiderte die Ärztin und fügte anschließend noch hinzu: „Und das ist mir auch völlig egal. Ich weiß doch nicht einmal, ob ich überhaupt nach Erfurt fahren will. Wo meine Tochter mit LEUKÄMIE auf der Station liegt."

Betont unbeeindruckt davon ließ Kaminski die Information über Lauras Gesundheitszustand an sich vorbeiziehen, doch ihm machte es weit mehr etwas aus, als er jetzt im Moment zugeben wollte. Schließlich hatte Dr. Kaminski, seit Fabian nach Australien gezogen war, kaum noch Kontakt zu seinem Sohn. 'Ich muss unbedingt mal wieder mit Fabian telefonieren.', nahm sich der Urologe fest vor und schlang seine Arme vorsichtig um Lea.
„Wir werden das schon wieder hinkriegen, Frau Dr. Peters. Sie brauchen sich keine Gedanken um ihre Tochter zu machen. In ein paar Wochen steht ihre Tochter wieder gesund und munter vor ihnen und dann unternehmen sie beide so viel miteinander, wie sie schon lange nicht mehr unternommen haben.", erklärte Kaminski seiner Kollegin, um sie ein wenig aufzubauen.

Doch Lea schüttelte energisch den Kopf und erwiderte, sie wäre Ärztin und wisse doch ganz genau, wie hoch die Chancen waren, dass ihr Kind diese schwere Krankheit ein zweites Mal überleben könnte. „Ich habe meine Tochter vor Jahren von mir weggegeben. Soll das jetzt die Rache sein? Soll ich jetzt wirklich mein Kind verlieren, bloß, weil ich mich damals... gegen Laura entschieden habe. Dafür entschieden habe, meine Tochter meiner Freundin zu geben... Ich habe doch mein Kind nicht weggeben wollen. Ich habe sie weggeben müssen."

„Frau Dr. Peters, ihre Tochter hat Leukämie und daran sind nicht sie schuld... Nehmen sie doch nicht alle Schuld auf sich. Leukämie ist eine Krankheit, wie jede andere auch... Es ist nicht die Rache ihrer Tochter, dass sie sie damals weggegeben haben. Einfach so... Sie werden ihre Gründe gehabt haben, Laura nicht selbst aufgezogen zu haben...", wusste Kaminski, doch Lea schob den Kollegen von sich und flüsterte: „Ich will jetzt bitte alleine sein. Gehen sie bitte wieder rein und kümmern sich um ihre Patienten. ... Ich muss mich darum kümmern, mein Kind zu retten..."

Leas BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt