Folge 3 - Teil 10: „Ich werde mein Kind verlieren!"

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Lange hatte sich Lea, nachdem sie noch einmal mit ihrem Ex-Freund Markus telefoniert hatte, ans Krankenbett ihrer Tochter gesetzt, bis die Fünfzehnjährige endlich eingeschlafen war und ruhig atmend vor ihrer Mutter lag.
„Laura, ich werde deinen Vater schon nach Leipzig ordern können. Vertrau' mir jetzt einfach, Kleines.", versprach Lea ihrer Tochter leise flüsternd und gab Laura einen Kuss auf die Stirn. „Ich liebe dich so sehr, mein Mädchen. Du musst in den nächsten Tagen und Wochen ganz stark sein und es schaffen... Was soll ich denn ohne dich machen?"

„Frau Dr. Peters... Kommen sie jetzt bitte wieder auf ihr Zimmer.", bat Arzu, die ins Zimmer von Laura schaute, die Kollegin, während ihr Mann Philipp sich zu Laura ans Bett setzte. „Philipp wird sich die nächsten Stunden ganz besonders um Laura kümmern. Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, dass ihre Tochter jetzt auch noch alleine sein muss..."

„Ich werde mein Kind aber nicht im Stich lassen! Das kann ich Laura nicht antun. Gerade jetzt, wenn es ihr so schlecht geht. Sie hat immer noch weit über 40 Grad Fieber. Das ist nicht normal..."
„Philipp ist ein sehr guter Arzt; er wird sich um Laura kümmern, damit es ihr wieder besser geht.", versuchte Arzu, die Ärztin aus dem Zimmer zu holen, doch Lea weigerte sich weiterhin, wieder in ihr eigenes Krankenzimmer zu gehen und sich dort auszuruhen.

„Ich werde bei meinem Kind bleiben. Sie können sich gerne auf den Kopf stellen. Aber Laura ist für mich der momentan wichtigste Mensch auf der Welt; sie braucht mich jetzt mehr denn je... Ich kann ihnen gerne die Untersuchungsergebnisse meiner Tochter zeigen. Dann werden sie merken, dass damit nicht zu spaßen ist."
Leas besorgter Blick blieb auf ihrer erschöpften Tochter haften und energisch schüttelte die Ärztin noch einmal ihren Kopf, als Philipp ihr seine Hand auf die Schulter legte und Lea bat, in ihr Zimmer zu gehen und sich dort auszuruhen.

Doch so einfach ließ sich Lea einfach nicht von ihrem schwer kranken, knapp sechzehnjährigen Kind trennen. Mit all ihren zur Verfügung stehenden Mitteln versuchte es die Ärztin, ihrer Tochter weiter Gesellschaft leisten zu können. Laura war ihr jetzt einfach wichtig; wichtiger als ihre eigene Gesundheit.
„Ich werde jetzt bestimmt nicht mehr mit ihnen diskutieren, Dr. Brentano. Sie können sich auf die Hinterbeine stellen; ich bleibe bei meiner Tochter. Laura braucht jetzt vor allem ihre Mutter. Und damit ist bestimmt nicht meine ehemalige Kommilitonin Stefanie gemeint. Ich will verhindern, dass meine kleine Laura ihre Adoptivmutter weiterhin sehen muss. Und sich von ihr auch noch böse Worte sagen lassen müsste. Stefanie hat ihr Recht auf Umgang mit Laura verwirkt, als ich endlich wieder bei meiner Tochter sein konnte.", gab Lea entschieden von sich, als Arzu ihre Hand nahm und Lauras blasse Finger daraus befreite.
„Frau Dr. Peters, sie müssen jetzt vor allem auch an sich denken. Ihre Tochter braucht eine Mutter, auf die sie sich jetzt vollständig verlassen kann. Und dazu ist es besonders wichtig, dass sie sich ausruhen, wenn ihr Körper ihnen sagt, dass sie eine Pause brauchen. Ich bitte sie wirklich, Dr. Peters. Sie sind mehrfach einer Fehlgeburt gerade so entkommen. Aber irgendwann wird ihnen das Glück nicht mehr helfen und dann werden sie ihr Kind verlieren."

„Ich werde mein Kind verlieren! Wenn ich meine Laura im Stich gelassen habe und nicht bei ihr bin, wenn es ihr schlechter geht. Ich will einfach verhindern, dass meine Tochter leiden muss, wenn es ihr schlecht geht. Sie braucht mich doch!"
„Das wissen wir doch. Aber... Lea, du musst auf deinen Körper hören, wenn er dir zu einer Pause rät. Ich will nicht, dass deine Tochter mitansehen muss, wie ihre Mutter zusammen bricht und mit einer Fehlgeburt aus dem Zimmer gebracht wird.", ging Philipp, wie er es in Gegenwart von Lea immer wieder tat, im Gespräch mit der kaum noch denkenden Ärztin auf eine persönliche Ebene. „Glaubst du, das wäre für Laura einfach? Glaubst du wirklich, dass deine Tochter sehen will, wie ihre Mutter in den OP gebracht werden muss, weil ihr Geschwisterchen gestorben ist? ... Lea, bitte. Nimm doch jetzt endlich wenigstens ein kleines bisschen Vernunft an und leg' dich in dein Bett, wie es andere Patienten auch tun. Wenigstens bis morgen Früh. Wenn es dir dann wieder besser geht, dann kannst du gerne wieder zurück zu deiner Tochter..."
„Die dann vielleicht schon tot ist! Philipp... Sieh' dir meine Große doch mal an. Laura hat momentan weit über 40 Grad Fieber; sie liegt hier fast nur noch als Gerippe. Und dabei haben wir ihr noch nicht eine Dosis ihres Chemomedikamentes gegeben. Und außerdem... Ich habe das Gefühl, die Temperatur steigt immer wieder weiter."

Immer und immer wieder betrachtete Lea ihre Tochter und ließ das Mädchen nun kaum noch aus den Augen, als das Kind der Neurochirurgin ihre erschöpft klingende Stimme erhob.
„Ma... Ma... Mama.", winselte Leas Kind und die Neurochirurgin streichelte Laura über den Kopf. „Laura, ich bin bei dir, mein Liebling. Ich kümmere mich um dich. Du brauchst keine Angst zu haben; ich lasse dich jetzt nicht wieder im Stich.", versprach Lea und legte ihre Hand auf Lauras Kopf. Die heiße Luft, die aus Lauras Mund und Nase kam, glühte stark und Laura schwitzte sich sämtliches Wasser, das sie gerade erst unter großem Kraftaufwand getrunken hatte, wieder aus den Poren heraus.
„Ich habe so großen Durst, Mama... Ich möchte etwas trinken...", bat das Mädchen und Lea nahm Arzu den Becher, den die Oberschwester vom Tisch an der Wand geholt hatte, aus der Hand.

„Ich mache das hier mit Laura. Danke, Oberschwester.", wehrte Lea die Hilfe von Arzu ab und half ihrer Tochter, sich ein kleines bisschen aufzusetzen. „Pschscht... Ich bin bei dir. Du brauchst gar keine Angst zu haben, Laura. Ich helfe dir."
Lea, die ihre Hand stützend an Lauras Rücken hielt, half ihrer Tochter liebevoll, etwas zu trinken und Laura bedankte sich bei ihrer Mutter.
„Da... Danke, Mama. Ich... Ich bin so müde... Kannst du bei mir bleiben, bis ich..." „Natürlich bleibe ich bei dir, Laura. Ruh' dich noch ein wenig aus. Ich telefoniere noch einmal mit deinem Vater, wenn du schläfst.", erklärte Lea ihrer Tochter und half der erschöpften knapp Sechzehnjährigen, sich hinzulegen.

„Mama... Kannst du dir eigentlich vorstellen, wie sehr ich mich gefreut habe, als ich davon erfuhr, dass du meine Mama bist?", seufzte Laura und Lea wischte ihr vorsichtig mit einem Tuch den Schweiß aus dem Gesicht, während sie antwortete: „Ich kann es mir lebhaft vorstellen, Liebling. Aber es ist alles im Moment gar nicht so einfach für mich. Erst erfahre ich, dass ich schwanger bin... von einem Mann, der dich bestimmt nicht akzeptieren würde... Und dann sehe ich dich plötzlich wieder."
Lea dachte immer wieder kurz an ihre Vergangenheit zurück und sah ihren Ex-Freund vor sich. Markus, Lauras leiblicher Vater, war zu Zeiten ihrer damaligen Beziehung sehr liebevoll mit seiner Lebensgefährtin umgegangen und doch hatte sich Lea damals für eine Trennung entschieden, als sie von der Schwangerschaft erfuhr.

Auf keinen Fall hätte die Ärztin damals den Eindruck erwecken wollen, dass sie nur wegen des Babys bei Markus bleiben wollte.
Aber wenn sie damals zusammengeblieben wären... Hätten sie dann nicht gemeinsam dafür sorgen können, dass Laura bei ihren leiblichen Eltern aufwächst? Vielleicht wäre genau das das Leben gewesen, das sich Lea so gewünscht hatte...



Knappe zwei Stunden später, es war mittlerweile kurz vor um Neun am späten Abend, saß Lea im Ärztezimmer und hielt den Zettel mit der Telefonnummer ihres Ex-Freundes Markus in der Hand.

„Am besten wäre es wohl, wenn wir die Patientin auf die ITS verlegen würden...", hörte sie im Hintergrund die Stimme von Kaminski und mit einer schnellen Bewegung ließ Lea den Zettel in ihrer Kitteltasche verschwinden, ehe sie sich ein Buch aus dem Regal schnappte.
„Ah... Dr. Peters... Wie ich sehe, bereiten sie sich schon auf die Geburt ihres Babys vor...", fiel Kaminski auf, als er sah, dass Lea ausgerechnet in einem Buch über Gynäkologie etwas nachlas.
„Ich... Ja, wahrscheinlich haben sie recht, Kaminski.", tat Lea ganz kühl und stellte das Buch wieder ins Regal zurück.

„Wann ist es denn soweit, Frau Kollegin?" „In ein paar Monaten. Aber vielleicht werde ich das Kind gar nicht bekommen. Es gibt momentan auf der Intensivstation Patienten, die mich mehr brauchen, als dieses Baby... Ich muss mich um mein Kind kümmern...", gab Lea in ihrer gewohnt kühlen Art von sich, als Arzu ins Zimmer kam und völlig außer Atem zu sein schien.

„Frau Dr. Peters... Wir... Wir haben einen Notfall in der Notaufnahme... Ein junger Mann, der zusammengebrochen ist...", rief die Oberschwester die erfahrene Neurochirurgin und Lea folgte Arzu in die Notaufnahme.
Dort angekommen erkannte Lea, dass es sich keinesfalls um einen ihr unbekannten Patienten handelte – Jenne Derbeck saß auf der Liege und sah der Mutter seines Kindes mit festem Blick in die Augen.
„Jenne... Was ist passiert?" „Nichts, Lea.", gab der Handwerker von sich und Lea setzte sich ihm gegenüber.
„Was machst du dann hier?", wollte die Neurochirurgin wissen, bevor Jenne erklärte: „Ich wollte noch mal mit dir reden, Lea. Über unser Baby. Ich glaube nämlich nicht, dass du unser Kind wirklich bekommen willst. Aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen; wenn du es willst, dann werde ich das Baby alleine großziehen. Ich werde aber unser Kind nicht mit dem Wissen aufwachsen, dass seine Mutter tot sei. Das kann ich nicht."

„Ich habe auch nicht gesagt, dass ich dieses Kind bekommen werde. Es haben sich Dinge ergeben, die... Die eine Abtreibung gerecht fertigen würden.", gab Lea Jenne gegenüber kühl von sich und der Handwerker erschrak kurz, bevor er durchatmete und fragte, was los sei.

„Es gibt einfach Dinge in meinem Leben, die dich nichts angehen. Ich habe ein Kind! Und dieses Kind braucht mich!", brüllte Lea den Vater ihres Kindes an und Jenne zuckte zusammen.
„Du hast schon ein Kind? Warum weiß ich davon nichts? Und sag nicht, dass du nichts von deinem Kind wusstest! Du hast gewusst, dass..."
„Ich habe nicht gewusst, dass mein Kind Krebs hat!", brüllte Lea und gab Jenne eine schallende Ohrfeige, bevor sie aus dem Behandlungsraum flüchtete.

Doch Jenne ließ sich nicht so einfach abschütteln und er folgte Lea bis auf die Intensivstation, wo er eigentlich gar nicht rein durfte.
„Lea... Lea, ich lasse mich nicht einfach von dir abschütteln. Wir werden jetzt... Das ist deine Tochter?", fragte Jenne, als seine Freundin vor Lauras Zimmer stehen blieb und sein Blick auf die knapp Sechzehnjährige fiel.

Lea nickte kurz und legte ihre Hand auf die Scheibe, durch die sie ihren Blick auf ihr Kind fallen ließ.
„Laura... Laura ist fast sechzehn Jahre alt. Sie... Sie hat Heilig Abend... ihren sechzehnten Geburtstag. Und ich werde sie verlieren. Meine Kleine ist todkrank; sie hat Leukämie. Die Blutwerte werden von Tag zu Tag immer kritischer; momentan hat sie auch noch mit hohem Fieber zu kämpfen."

„Aber wenn deine Tochter... Leukämie hat... Kann man ihr da nicht mit Medikamenten das Leben erleichtern?", erkundigte sich Jenne und Lea schüttelte den Kopf. „Die Medikamente, die wir ihr geben, schlagen nicht an. Und stärkere Medikamente können wir ihr nicht geben; die würden sie sofort umbringen. ... Meine tapfere kleine Laura musste schon einmal eine Leukämieerkrankung hinter sich bringen. Kannst du dir vorstellen, wie das für mich ist? Dass ich Angst habe, mein Kind zu verlieren? Dass ich sogar das Leben..." Lea fasste sich an den Bauch und eine einzelne Träne floss ihr an der Wange herunter. „Dass ich sogar das Leben unseres Kindes beenden würde, wenn ich dafür meine Laura... retten könnte. Sie ist doch mein Kind!"
Jenne schloss Lea in seine beschützenden Arme und während sich die verzweifelte Neurochirurgin an seiner starken Brust ausheulte, sah der Handwerker auf die schwer kranke Laura, die noch immer schlief und von Hans-Peter Brenner, der ihr behutsam seine Hand auf die Stirn legte, versorgt wurde.
„Sie wird es schaffen, Lea. Glaub mir. Und dann wirst du mit unserem Kind und deiner großen Tochter zusammen durch Leipzig spazieren, als wäre nie etwas gewesen."

„Aber... So eine Leukämieerkrankung... Weißt du, was für eine große psychische Belastung da auf die Kleine zukommt? Was es für mich bedeutet, mein schwer krankes Kind... durch diese verfluchte Krankheit zu begleiten? ... Jeden Tag könnte ein Anruf aus der Klinik kommen, dass... Dass mein Kind tot ist...", schluchzte Lea und riss sich aus Jennes Arm los, als Hans-Peter aus Lauras Zimmer kam.

„Wie geht es Laura? Ist das Fieber endlich gesunken?", erkundigte sich die Ärztin sofort, doch Hans-Peter schüttelte den Kopf und deutete auf Lauras Krankenakte, die offen vor ihm lag.
„Wir sind bei... 41,2?! Das... Das ist doch... LAURA!", brüllte Lea und lief sofort, als das Herz ihrer Tochter aussetzte, zu der Fünfzehnjährigen ins Zimmer...

Leas BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt