Folge 5 - Teil 11: ungeplantes Wiedersehen zwischen Lea und Markus

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Gegen halb Drei am Nachmittag war in der Sachsenklinik die Operation von Herrn Bergmann, dem Herzpatienten, der am gestrigen Abend eingeliefert wurden war, abgeschlossen und Roland und Kathrin saßen bei Sarah Marquardt im Büro.

„War es eine schwere OP, die ihr hattet?", erkundigte sich die Verwaltungschefin bei dem Klinikchef und der Chefärztin, um sich ein wenig die Zeit zu vertreiben, bis der eventuell neue Kollege in die Klinik kam.
„Wir hatten gestern einen Herzinfarktpatienten rein bekommen. Den haben wir bis gerade operiert. Aber es ist trotz kleinerer Komplikationen während der OP alles gut gegangen; seine Kinder sind jetzt bei ihm, bis er aufwacht.", antwortete Roland, als es wenige Minuten vor dem Termin an der Tür der Verwaltungschefin klopfte.

„Herein...", bat Sarah den Besucher und sogleich öffnete sich ihre Bürotür, während die Verwaltungschefin von ihrem Platz aufstand und den Gast freundlich ins Zimmer bat.
Ein Mann in einem dunklen Anzug trat ins Zimmer und Sarah begrüßte den Besucher mit einem freundlichen Lächeln. „Dr. Blankenburg.", begrüßte Verwaltungschefin Sarah den Arzt und reichte ihm die Hand. „Einen schönen guten Tag. Sarah Marquardt, ich bin die Verwaltungschefin der Klinik. Wir haben miteinander telefoniert. ... Es freut mich sehr, dass es so kurzfristig mit einem Termin geklappt hat."

„Einen schönen guten Tag, Frau Marquardt...", begrüßte Markus die Verwaltungschefin und sah sich anschließend kurz im Raum um, wobei er Roland sofort erkannte und ihn freundlich begrüßte.

„Dr. Heilmann. Schön, dass wir uns hier wieder sehen. Es muss schon eine ganze Weile her sein, als wir zwei uns auf der Fortbildung kennen gelernt haben.", erzählte Markus dem Klinikchef, bis auch ihm die Idee kam, wo er den Kollegen schon einmal gesehen hatte.
„Ach... Jetzt erinnere ich mich wieder an sie, Herr Kollege. Das muss vor ungefähr fünf Jahren gewesen sein... In Berlin.", begrüßte Roland den neuen Kollegen mit einem freundlichen Händedruck, als sich auch Kathrin von ihrem Stuhl erhob und auf den Kollegen zuging.

„Dr. Kathrin Globisch, ich bin hier in der Klinik die Chefärztin... Fachbereich Anästhesie und Chirurgie... Wobei ich eher als Anästhesistin im Dienst bin...", stellte sich die erfahrene Ärztin vor und reichte Markus ihre Hand.
„Dann werden wir beide sicherlich im OP-Saal häufiger miteinander zu tun haben; hoffentlich nur als Kollegen...", fiel Dr. Blankenburg auf und Kathrin nickte freundlich lächelnd. „Nun... Ja... Ja, ganz bestimmt... Aber wirklich nur als Kollegen..."

„Bitte... Setzen sie sich doch, Dr. Blankenburg... Ich kann mir vorstellen, dass sie wieder zu ihrer kleinen Tochter nach Hause zurück wollen.", bot Sarah dem Arzt den freien Platz zwischen Roland und Kathrin an.
„Mein älterer Bruder passt auf Lilly auf. Sie ist momentan im Kindergarten; heute Abend holt mein Bruder die Kleine ab. Ich wollte in den nächsten Tagen noch etwas anderes in Leipzig erledigen...", erklärte Markus, während er an seine große Tochter dachte, die sich, ohne, dass er etwas davon wusste, ganz in seiner Nähe befand.
„Das ist gut... Herr Dr. Blankenburg. Um hier gleich zur Sache zu kommen... Durch die fristlose Kündigung unseres Kollegen, der sich lieber um seine Tochter kümmern will..." Sarahs Blick ging unmerklich zu Roland, da auch er an Martins Kündigung nicht ganz unschuldig war. „ist die Stelle ziemlich schnell frei geworden; unser Kollege hatte gestern seinen letzten Tag bei uns... Sie können sich sicher vorstellen, dass ich die Kollegen nicht mit zusätzlichen Diensten überhäufen will. Wäre es ihnen denn möglich, wenn sie hier schon morgen..."

„Ich soll morgen schon... hier bei ihnen anfangen? Ja... Ja, natürlich. Ich kann gerne morgen anfangen. Solange meine Tochter... Solange meine kleine Tochter gut versorgt ist... Ich muss allerdings vorher noch mit einer guten Freundin klären, ob sie noch ein wenig auf die Kleine aufpassen kann, bis ich meine neue Wohnung hier in Leipzig eingerichtet habe..."

„Machen sie das, Herr Doktor Blankenburg...", antwortete Sarah und sah zu Roland, der den neuen Arzt interessiert musterte, allerdings anscheinend nicht wirklich glücklich zu sein schien, dass ausgerechnet dieser die Nachfolge von Martin übernahm.
„Gut, dann rufe ich erst mal bei meiner Freundin an und kläre das mit ihr, ob es möglich wäre, dass sie sich noch ein bisschen um meine Kleine kümmern könnte. Zum Glück kennen sich Lilly und Susanne noch von meinem letzten Geburtstag... Ansonsten müsste ich mit einer anderen Kollegin sprechen.", wusste der Kollege und erhob sich wieder, was Roland, Sarah und Kathrin ihm gleich taten.

„Dann freue ich mich sehr auf unsere Zusammenarbeit..." Kathrin gab dem neuen Kollegen die Hand und Dr. Blankenburg, ein ca. 50jähriger Arzt, nahm sie freundlich lächelnd an. „Danke, Frau Dr. Globisch. Ich freue mich auch auf unsere Zusammenarbeit... Frau Marquardt... Dr. Heilmann..."

Reihum verabschiedete sich Dr. Blankenburg von Sarah, Kathrin und Roland und verließ dann auch schon das Büro der Verwaltungschefin.

„Und... Roland? Was hältst du von dem neuen Kollegen?", wandte sich Sarah, nachdem eine Weile vergangen war, an den Klinikchef, der noch immer etwas durcheinander zu sein schien.
Ganz kurz überlegte Roland und antwortete dann auf die Frage der Verwaltungschefin: „Er ist Kinderarzt und Chirurg... Fachgebiet Neonatologie. ... Ja... Ja, natürlich könnte ich mir vorstellen, dass er wohl gut in unser Team passen würde... Aber... Ich mache mir gerade Gedanken, was... Was wohl Martin dazu sagen würde, dass es schon einen Nachfolger für ihn gibt."
„Das muss uns ja nicht belasten, Roland... Er wollte nach Köln zu seiner Tochter ziehen; es war seine eigene Entscheidung. Und bevor ihr hier zusätzliche Dienste schieben müsst, weil sich unser werter Dr. Stein nicht mehr in Leipzig wohl fühlt... Dann können wir es nicht ändern. Was meint unsere Chefärztin?", wandte sich Sarah an die verträumte Kathrin, die während des Gesprächs kaum etwas gesagt und nur den neuen Kollegen betrachtet hatte.
„Ja... Ja, mir gefällt er gut. Er ist sehr nett... Ich denke, sie haben die richtige Wahl getroffen, Frau Marquardt..." Noch immer sah Kathrin verträumt in Richtung Bürotür und Roland erkannte, dass sich seine Freundin wohl auf den ersten Blick in den neuen Kollegen verliebt hatte.

„Du findest den neuen Kollegen wohl sehr gut...", raunte Roland seiner Freundin zu und Kathrin nickte. „Er ist in fachlicher Hinsicht bestimmt eine sehr gute Nachfolge von Martin... Und vielleicht könnte sich auch in freundschaftlicher und kollegialer Hinsicht etwas entwickeln. ... Roland, du entschuldigst mich kurz. Ich muss... Ich muss jetzt wieder in den OP... Die Nephrektomie bei der Patientin Müller... Doktor Kaminski wird schon im OP auf mich warten..."
Roland nickte bestätigend und sah seiner langjährigen Freundin und Kollegin noch sehr lange hinterher, bis auch er sich erhob und Sarah ihn vor dem Verlassen des Büros fragte: „Roland? Hast du eigentlich noch mal über meine Idee nachgedacht? Die kleine Zusammenkunft zu Pias Geburtstag... Damit wir alle noch einmal an sie denken..." „Ich... Ich hab jetzt gerade gar keine Zeit für solche Dinge. Du entschuldigst mich, ich muss nach dem Patienten Bergmann schauen; der dürfte gerade aufgewacht sein. Er muss jetzt die Sicherheit haben, dass alles in Ordnung ist...", erwiderte Roland, der wusste, dass der Patient jetzt eine lange Zeit der Reha bräuchte, seufzend und verließ dann ebenfalls das Büro der Verwaltungschefin in Richtung Intensivstation.



Lea hatte in der Zwischenzeit ihre kleine Enkelin Nina in die Klinik auf die Säuglingsstation gebracht und sich mit einem Glas Orangensaft in die Cafeteria gesetzt, als sie im Hintergrund ihren Ex-Freund Markus erkannte.

„Markus... Markus...", flüsterte die Chirurgin wiederholend, traute sich aber leider nicht, einfach aufzustehen und zu ihm zu gehen. Zu groß war die Sorge der Ärztin, sie könnte mit ihrer Vermutung falsch liegen.
Woher sollte Markus auch wissen, dass ihre gemeinsame Tochter ausgerechnet hier in der Sachsenklinik lag?
Lange überlegte die Ärztin, ob sie Markus vielleicht etwas in dieser Richtung gesagt hatte, doch ihr wollte keine Sekunde einfallen, in der in Gesprächen mit Markus der Name „Sachsenklinik" in Beziehung zu Laura oder Lea gefallen wäre.

„Haben sie noch einen Wunsch, Dr. Peters?", erkundigte sich Jakob, der neben Leas Tisch stand, wo ihm auffiel: „Sie sehen ja aus, als hätten sie einen Geist gesehen..."
„Nein... Nein.", widersprach Lea und betrachtete weiterhin den Empfangsbereich der Sachsenklinik, den ihr Ex-Mann schon längst passiert hatte. „Ich habe nur... Ich mache mir Sorgen um meine Enkelin."

„Sie meinen das Baby, was sie vorhin mitgebracht haben?", erkundigte sich Jakob und setzte sich zu der Ärztin an den Tisch.
Lea nickte kurz und erklärte: „Die kleine Emily... die eigentlich Nina heißt... ist sehr schwer krank. Sie kam wohl mit einem Herzfehler auf die Welt... Und jetzt liegt sie mit einem Infekt auf der Kinderstation; der Kinderarzt hat sie eingewiesen. ... Und ihre Mutter weiß nichts davon..."

„Ihre Tochter hat schon ein Kind, Dr. Peters?", fragte Jakob, als ihm einfiel, dass sein Vater ihm erzählt hatte, Leas Tochter sei doch gerade erst so alt wie seine Halbschwester Lisa.
„Sie... Sie hat einmal nicht aufgepasst, ja... Aber ich bin trotzdem für mein Kind da.", erklärte Lea und nahm noch einmal einen kräftigen Schluck aus dem Saftglas. „Möchten sie noch etwas trinken? Oder haben sie Hunger? Charlotte hat für die Cafeteria ihren berühmten Kuchen gebacken..."

„Ich bin schon dick genug." Lea legte lächelnd ihre Hand auf ihren Bauch und fühlte zum ersten Mal, wie es sich anfühlte, sich unbeschwert auf sein Kind zu freuen. Sie spürte, wie schön das Gefühl sein konnte, ein Kind zu bekommen, ohne zu wissen, dass man es weggeben musste.

„Ich... Ich muss gerade zu meiner Tochter... Du entschuldigst mich, Jakob...", wollte Lea schon aufspringen, doch da setzte sich eine Person an ihren Tisch, mit der die Ärztin nicht gerechnet hatte...
„Hallo Lea... Schön, dass ich dich gerade hier treffe. ... Setzt du dich bitte noch einmal kurz mit mir hierher. Ich bin auch gleich wieder weg...", grüßte Leas Mutter ihre Tochter und die von Christiane genervt scheinende Ärztin setzte sich wieder.

„Was machst du hier?", fragte Lea und versuchte, einem Gespräch mit ihrer Mutter aus dem Wege zu gehen.
„Lea... Ich weiß, du bist nicht besonders überzeugt davon, dass wir beide wieder eine Familie werden könnten..." „Das werden wir auch nie wieder, Mutter!", wusste die Neurochirurgin und schüttelte den Kopf. „Du bist meine Erzeugerin; die Bezeichnung 'Mutter' finde ich im Zusammenhang mit dir ein wenig... zu weit gegriffen."

„Lea... Lass mich dir doch erklären..." „Es gibt nichts mehr zu erklären, Mutter. Du hast mich im Stich gelassen, als ich dich gebraucht habe. Du wolltest mich nicht mehr... Ich hätte dich damals gebraucht. Als es nicht so gut in der Schule lief; als mich mein erster Freund verlassen hat, als ich gemerkt habe, dass ich schwanger bin und mich dann von Markus getrennt habe. ... Es war alles nicht einfach für mich. Besonders, dass ich... meine Tochter nicht aufziehen konnte, wie ich es wollte. Und wie es meine Große auch verdient hat. Und jetzt... Jetzt kommst du daher und willst wieder einen auf Familie machen?! Das Prädikat 'Familienmitglied' kannst du dir in dem Zusammenhang abschminken.", erklärte Lea mit strenger Stimme, stand wieder vom Tisch auf und verschwand in Richtung Station.

„Lea... Lea, warte doch bitte. Ich... Ich muss mit dir reden. Es ist wichtig.", rief Christiane ihrer Tochter hinterher und Lea drehte sich noch einmal zu ihrer Mutter um.

„Was willst du denn von mir? Mich um Erlaubnis bitten, dass du wieder jedem erzählen kannst, du hättest eine Tochter? Willst du etwa meine Tochter jetzt auch noch mit deinen Geschichten komplett aus dem Konzept bringen? Da muss ich dich leider enttäuschen; wir können Laura immer noch nicht aus dem Koma rausholen. Und das musst du verstehen. Sie braucht ihre Ruhe. ... Also, was willst du von mir und meiner Familie?"
„Ich will... Ich wollte dir sagen, dass... Lea, ich habe dich dein ganzes Leben lang geliebt. Aber dass ich damals weggegangen bin... Das war nicht geplant. Ich wollte dich damals nicht im Stich lassen... Das musst du mir bitte glauben, Lea. Du bist doch mein Kind; das einzige, was ich habe..."

„Spar dir deine Heucheleien, Mutter. Wir beide sind fertig miteinander.", knurrte Lea und ließ ihre verzweifelte Mutter einfach stehen.



Mit einem sehr erschöpft klingendem Stöhnen trat Oberarzt Dr. Philipp Brentano nach einer ziemlich anstrengenden Operation ins Ärztezimmer, in das sich auch Lea nach dem plötzlichen Wiedersehen mit ihrem Ex-Freund und dem anschließenden Treffen mit ihrer Mutter wieder zurück gezogen hatte.

„Hallo Lea... Man, war das jetzt eine Operation. Ich habe jetzt für einen Moment wirklich gedacht, wir schaffen es nicht mehr und der Patient bleibt uns auf dem Tisch. ... Ist alles in Ordnung?", erkundigte sich der Chirurg bei seiner Kollegin, zu der er sich setzte, doch er hörte nur ein tiefes Seufzen von Lea als Antwort.
„Ich... Ich muss gleich noch einmal hoch auf die Kinderstation. Meine kleine Enkelin... Ich musste meine arme, kleine Enkeltochter heute Vormittag in die Klinik einliefern. Sie war wohl wegen dem Stress in den letzten Tagen und den Wochen nach ihrer Geburt so erschöpft, dass sie sich jetzt einen grippalen Infekt eingefangen hat. Und wäre das nicht schon anstrengend genug für die Maus, muss sie sich zusätzlich mit einem Herzfehler durchs Leben schlagen. ... Der Kollege Doktor Dietrichs ist momentan der behandelnde Arzt von Emily Aline..."

„Emily Aline? Ich dachte, die kleine Tochter von deiner Laura hieße seit ihrer Geburt Nina.", stutzte Philipp über den plötzlich anders lautenden Namen des Babys und Lea erklärte: „Meine Große wollte ihre Tochter eigentlich Emily Aline nennen. Das hat mir mein Schwiegersohn erzählt, als wir über die Kleine gesprochen haben. ... Und da meine Tochter jetzt endlich wieder die richtige Mutter meiner süßen Enkelin sein darf, hat sie es auch verdient, dass ihr kleines Mädchen so heißt, wie es meine Laura ursprünglich auch wollte."

„Bekommt ihr dann eigentlich eine neue Geburtsurkunde für den Zwerg ausgestellt?", wollte Philipp interessiert wissen und Lea zuckte mit den Schultern.
„Ich weiß es nicht. Bisher wissen die Ämter offiziell ja noch nichts von der Lüge, die meine ehemalig beste Freundin ausgeheckt hat. ... Aber ich gehe morgen oder übermorgen mal beim Jugendamt vorbei und erkläre denen, dass meine Tochter eine sehr gute Mutter für ihr Baby ist und sie unbedingt ihr Kleines wieder zurück bekommen muss. Stefanie hat sich doch wohl kaum um Emily gekümmert...", wusste die zugleich um ihre sechzehnjährige Tochter Laura und ihre kleine Enkeltochter Emily Aline besorgte Ärztin und sie sah kurz durch das große Fenster nach draußen, wo die Vögel auf den Bäumen saßen und ein Liedchen nach dem anderen zwitscherten.

Wieder und wieder spürte Lea, was sie damals mit ihrer Entscheidung, den Zwängen von Stefanie nachzugeben und ihr Mädchen an ihre Freundin abzugeben, angerichtet hatte. Heute könnte sich die erfahrene Neurochirurgin dafür selbst ohrfeigen und verprügeln, doch damals wusste sie einfach keinen anderen Ausweg, als ihr Kleines wegzugeben.

„Laura... Es tut mir so leid.", flüsterte Lea innerlich und atmete tief durch, als Philipp das Wort wieder erhob und fragte: „Warum hat deine Freundin... Stefanie eigentlich deine Kleine haben wollen? War es nur, weil sie... damals ihr Kind verloren hatte?"
„Ich weiß es nicht, Philipp. Ich hab mit Stefanie seit der Sache damals nicht mehr ordentlich sprechen können; sie hat in den letzten Tagen nur noch gemauert und mir die Schuld an Hannas Tod gegeben. Ich weiß es nicht, ob sie es mir wirklich immer noch vorwirft, dass ich zu spät gehandelt hätte. Aber ich war damals mitten im Studium; ich hätte Hanna nicht helfen können. Genauso wenig, wie sie selbst..."

„Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände. ... Aber dass deiner Tochter jetzt das gleiche passieren muss. Ich meine die Sache mit der kleinen Emily... Das ist schon ziemlich auffällig... Weiß das Jugendamt eigentlich darüber Bescheid, dass die kleine Nina eigentlich das Kind von deiner Tochter ist?" „Ich weiß es nicht, Philipp. Und das ist jetzt auch erst mal zweitrangig. Ich muss wissen, wie es mit meiner Laura jetzt weiter geht. ... Hat sich Dr. Ahrend mal wieder zu Wort gemeldet, was mit Laura los ist? Oder Dr. Lindner?"
„Dr. Lindner und Dr. Koshka mussten wegen eines Notfalls wieder nach Erfurt zurück; haben aber versprochen, dass sie noch einmal vorbei schauen, wenn es die Zeit erlaubt.", erklärte Philipp, bevor er anfügte: „Und Niklas... Dr. Ahrend ist gerade bei deiner Tochter und untersucht Laura genau. Aber ich denke, er kommt gleich her."

„Das ist gut... Das ist sogar sehr gut. Dann kann ich vielleicht bald auch endlich erfahren, wie es mit meiner tapferen Großen weitergeht.", atmete Lea tief durch, bevor sie wieder auf ihre ehemalige Freundin und Kommilitonin zu sprechen kam: „Ich könnte mir das bei Stefanie übrigens auch sehr gut vorstellen, dass sie nicht nur wegen der Fehlgeburt meiner Kleinen ihr Baby weggenommen hat. Dass sie sich nämlich eigentlich selbst bereichern wollte, in zweierlei Hinsicht. Es ging ihr ganz sicher nicht nur um das Kind...", seufzte die Ärztin und stellte sich vor, wie ihre Tochter unter der Situation, die sie selbst nur zu gut kannte, gelitten haben musste.

Doch Philipp, der Stefanie durch das Studium auch gut kannte, war sich von Leas Verdacht gar nicht mal so sicher. Er wusste, wie sehr Stefanie zu Studienzeiten Kinder geliebt hatte; sie hatte sich damals schon vorgenommen, später neben ihrer kleinen Hanna noch mindestens 10 weitere Kinder zu haben.
„Du meinst, sie hat einen finanziellen Nutzen aus den Kindern geschlagen und wollte Laura deswegen bei sich behalten?", fragte der Oberarzt seine Kollegin ungläubig und versuchte, sich zu vergegenwärtigen, ob es wirklich so gewesen sein könnte.

Doch er konnte sich nur schwer darauf konzentrieren; zu groß waren seine Bedenken, Lea könnte mit ihrer Vermutung wirklich recht haben.
„Das kann ich mir bei Stefanie gar nicht vorstellen. Dass sie deiner Tochter einfach so ihr Kind wegnimmt. Nur, um sich einen finanziellen Puffer zu verschaffen. ... Und deine Laura ist doch ganz bestimmt nicht der Typ, der sich einfach das Baby wegnehmen lässt, weil ihre Adoptivmutter nur an Geld kommen will..."

„Sie hat meine arme kleine Laura für die Fehlgeburt, die sie wohl nach einem Verkehrsunfall gehabt hätte, verantwortlich gemacht. Und deswegen wollte sie einfach meiner tapferen großen Maus... ihr kleines Mädchen wegnehmen. ... Laura durfte ja nicht einmal mit dem kleinen Mäuschen alleine zum Kinderarzt gehen...", berichtete Lea ihrem Kollegen von den letzten Wochen, was ihr ihre Tochter erzählt hatte.

„Und außerdem hat Frau Falken ihre Tochter auch nicht zum Arzt gehen lassen...", erklärte Niklas Ahrend, der plötzlich ins Zimmer kam und die Krankenakte von Laura auf den Tisch legte, bevor er sich an den Rand setzte. „Ich habe eben mit dem Hausarzt von Laura telefoniert. Und der wusste weder etwas von den blutverdünnenden Tabletten, die Laura laut der Anamnese nimmt, noch hatte er Laura in den letzten Jahren überhaupt einmal gesehen. ... Das letzte Mal hätte Stefanie ihre Tochter wohl zum Kinderarzt gebracht, als sie 12 Jahre alt war und sich wegen einer Lungenentzündung schon eineinhalb Wochen gequält hatte. Der Kinderarzt von Laura hat ihre Tochter dann zwar in die Klinik eingewiesen, aber Laura ist dort nie angekommen... Selbst zu Impfterminen ist Laura nie erschienen..."

Lea sah ihren Erfurter Kollegen erschrocken an und hatte sofort einen schlimmen Verdacht, wer Laura die Medikamente gegeben hatte – Stefanie. Sie musste Laura die Blutverdünner gegeben haben; jemand anderes käme sicher nicht dafür in Frage!

Leas BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt