~~ Lauras Sicht: ~~
Auf dem Weg zu meiner kleinen Schwester konnte mich zum Glück jetzt endlich keiner mehr aufhalten, meine Maja brauchte mich schließlich in der Situation, in der sie steckte, mehr denn je. Gerade jetzt, wenn Mama und Papa andauernd miteinander stritten.
Klar, schon ziemlich lange hing der Haussegen bei meinen Adoptiveltern schief, was wohl allergrößter Wahrscheinlichkeit nach mit mir oder meiner Herkunft zu tun haben musste. Den Grund, warum meine Eltern immer wieder feindschaftlich miteinander umgingen, allerdings wusste ich bis heute nicht. Ob es wohl an meiner Adoption hing...
Das Zimmer meiner kleinen Schwester lag natürlich, wie sollte es auch anders sein, oben auf der Kinderstation; nur ein Stockwerk über der Station, auf der ich lag. Natürlich hätte ich auch die Treppe nehmen können, da mir allerdings immer noch ein wenig schlecht war und ich nicht wusste, ob ich mich auf meinen Beinen halten könnte, hatte ich mich doch lieber für den Aufzug entschieden.
Auf der Kinderstation herrschte ein großer Tumult, da einige Kinder draußen auf dem Gang mit einem Stoffball spielten.
Wie in einem hochmodernen Krankenhaus wirkte es hier oben auf der Kinderstation der Sachsenklinik nicht; ich fühlte mich eher wie in einem Kindergarten oder einem Schulhort.
Am Zimmer von Maja traf ich wieder auf Majas behandelnde Ärztin Frau Dr. Peters oder wie ich sie nannte, auf Mama. „Laura? Um Gottes Willen... Was machst du denn hier? Solltest du dich nicht ausruhen? Ich komme doch gleich wieder zu dir und schaue nach dir... Brauchst du irgendwas?", fragte sie mit ernstem, aber zugleich auch besorgtem Gesichtsausdruck, während sie eine Eintragung in einer der vielen Krankenakten vornahm.
„Ich... Ja, ich... Eigentlich... Mama, ich wollte doch nur meine Schwester besuchen. Darf ich denn nicht einmal das mehr? Ich war... Ich wollte nur noch mal nach meiner kleinen Schwester schauen. Wie geht es Maja denn?", erkundigte ich mich und sah besorgt durch die Scheibe in der Tür auf meine kleine Schwester.
„Wir wissen leider immer noch nicht, was genau mit deiner kleinen Schwester los ist... Wir denken zwar, dass sie momentan wohl eine Appendizitis ausbrütet, aber ihr Zustand macht uns trotzdem noch Sorgen. ... Du brauchst dir aber keinerlei Gedanken um deine Adoptivschwester zu machen, wir werden uns darum kümmern.", bestätigte mir Mama, die ziemlich in Eile zu sein schien. „Aber du solltest dich jetzt bitte ausruhen, Laura. Du bist heute Nacht schon wieder ohnmächtig in meinen Armen zusammen gebrochen, als du aufstehen wolltest... Und dann warst du einige Augenblicke nicht mehr bei Bewusstsein, wir haben dich erst nach gut zehn Minuten wieder wecken können. Damit sollte man nicht spaßen. Vor allem nicht mit deiner Krankengeschichte..."
„Ich... Ich spaße doch damit auch nicht, Mama.", versuchte ich, Mama ein wenig umzustimmen und vielleicht doch zu meiner kleinen Schwester zu dürfen. „Ich wollte doch nur... Darf ich denn nicht noch mal zu meiner... kleinen Schwester? Maja braucht mich doch gerade jetzt... Sie braucht mich gerade in dem Moment, wenn sie im Krankenhaus liegen muss. Sie kennt das doch alles noch nicht. Das letzte Mal war sie mit noch nicht einmal einem halben Jahr im Krankenhaus, weil sie vom Wickeltisch gestürzt ist. Da... Daran war ich damals schuld. Ich... Ich hatte...", erzählte ich meiner Mutter mit trauriger Stimme.
„Ach quatsch. Süße, ich kann mir nicht vorstellen, dass du wirklich Schuld daran gewesen bist, dass deine kleine Schwester einen Unfall hatte und im Krankenhaus liegen musste... Setzen wir uns kurz zusammen hier ins Schwesternzimmer, Laura?", bot mir Mama an, was ich dankend annahm.
Ich war froh, dass sich endlich jemand auch um mich kümmerte. Es tat so gut, nach dem ganzen Stress, endlich jemanden zu kennen, der sich wirklich nur um mich kümmerte und nicht, wie meine Adoptivmutter, nur um meine beiden kleinen Schwestern.
„Ja... Ich.. Natürlich war ich damals schuld. Ich hatte meine Mutter von ihrer Aufgabe abgelenkt. Und dann hat sie einfach vergessen, Maja ins Bettchen zu legen. Ich habe fast für einen Wohnungsbrand gesorgt. Aber... Ich war damals zehn Jahre alt. Ich... Ich war doch sonst... Ich hatte doch meine Mutter sonst immer für mich. Und als dann meine kleine Schwester auf die Welt kam. Dann... Dann war ich plötzlich uninteressant.", erzählte ich meiner Mutter und sie hörte mir aufmerksam dabei zu, bevor mir langsam die Kraft ausging und ich tief durchatmen musste, um nicht plötzlich in mich zusammen zu sacken.
„Du meinst, deine Adoptiveltern haben sich dann nur noch um deine kleine Schwester gekümmert?", wollte Mama wissen und ich nickte.
„Ja, sie haben sich dann nur noch um Maja gekümmert. Ich bin dann für ganze drei Jahre damals vom Jugendamt aus der Familie genommen wurden und in einem Heim untergekommen. Und dann war ich bei einer Pflegefamilie. Die haben mich aber ganz schnell wieder entsorgt. Mit dreizehn kam ich dann zu meinen Eltern... zu meinen Adoptiveltern zurück... Aber meine kleine Schwester war immer noch Priorität Nummer Eins."
~~ Leas Sicht: ~~
Tja, wie sich die Geschichten doch wiederholen konnten. Kein Wunder, dass ich heute nicht wirklich gerne Leute an mich heranlasse. Nach allem, was ich in meiner Kindheit alles erlebt hatte.
„Ich weiß, wie du dich fühlst, Laura.", seufzte ich kurz und stellte ihr eine Tasse Tee vor die Nase, woraufhin sie mir freundlich zunickte. „Ich habe fast das Gleiche... erlebt. Nur, dass meine Mutter mich nie wieder zu sich zurück geholt hat, sondern... ich mit meinem Vater... also deinem Opa alleine geblieben bin, bis ich achtzehn wurde. Ich habe mir immer vorgenommen, wenn ich selbst mal ein Kind haben sollte, dann... Dann würde ich für mein Kind selber sorgen..."
„Aber du hast doch dann ein Kind bekommen? Warum hast du mich weggeben? War ich dir nicht gut genug? War ich für dich dann doch nur eine Last? Oder hast du dir damals zwar ein Kind gewünscht, aber als du mich gesehen hast, dich doch noch mal umentschieden?", hörte ich Laura fragen, worauf ich erst mal kurz schlucken musste.
„Ich... Ich habe dich immer gewollt, Süße. Aber ich durfte dich nicht behalten, Maus. Stefanie... Ich habe dir doch erzählt, dass Stefanie mich unter Druck gesetzt hat... Sie ist... Aber... Ich... Ich durfte mein Kind nicht bei mir behalten. Ich hätte dich liebend gerne bei mir behalten. Aber ich musste dich vor Stefanie und Bernd schützen...", erzählte ich und griff kurz in meine Kitteltasche, in der mein Portmonee steckte.
Ganz vorne in meinem Portmonee steckte das einzige Foto meiner Tochter, das ich besaß. Das allererste Foto ihres Lebens.
Kleine Tränen bildeten sich in meinen Augen und meine kleine Laura nahm mich kurz in den Arm, rutschte dann aber verschüchtert wieder weg und entschuldigte sich für ihr Verhalten. „Das... Das ist wohl Berufskrankheit bei mir. Ich muss... Ich musste ja schließlich in meinem Praktikum im Kinderkrankenhaus schließlich auch immer die kleinen Kinder trösten, wenn sie sich einsam gefühlt haben. Da ist das irgendwie schon so bei mir drin..."
„Das ist doch kein Problem, Laura. Von meiner kleinen Maus lasse ich das doch immer zu. ... Du solltest jetzt aber trotzdem wieder in dein Bett gehen, Süße. Sonst wird der Kollege Stein... Laura? Du hast schon wieder Nasenbluten..."
Sofort war die Ärztin in mir geweckt, als ich das starke Nasenbluten bei Laura bemerkte. Ich reichte ihr ein Taschentuch und wartete auf eine Antwort der Fünfzehnjährigen, die allerdings nicht kam.
Als Laura merkte, dass sie wohl wieder Nasenbluten hatte, öffneten sich auch bei meiner Tochter die Schleusen und sie weinte. „Ich... Mama, ich werde an diesem... Ich werde sterben. Schau doch mal, Mama... Noch einmal schaffe ich das garantiert nicht. Vor allem nicht, wenn... Wenn ich alleine gelassen werde...", flüsterte sie tränenüberströmt, bevor sie sich wieder mir widmete: „Ich... Ich will wieder nach Hause. Bitte, Mama. Nimm mich doch bitte wenigstens... nach deinem Feierabend mit zu dir nach Hause. Ich bin auch ganz lieb und brav und lasse alles mit mir machen..."
„Ich kann dich unmöglich mit nach Hause nehmen, Laura. DU bist schwer krank. Das habe ich dir doch schon gestern gesagt. Aber ich bleibe jetzt für die nächsten Tage bei dir hier in der Klinik und passe auf dich auf. Dann brauchst du keine Angst mehr zu haben...", munterte ich meine Kleine auf, doch sie verfiel in einen noch schlimmeren Heulkrampf und ließ sich kaum noch beruhigen, weswegen ich sie in den Arm nahm und ihr vorsichtig den Rücken tätschelte.
„Ich... Als ich neun Jahre alt war... Da... Da war ich längere Zeit im Krankenhaus, im Marienhospital. Ich will einfach nicht noch länger im Krankenhaus liegen müssen. Nimm mich doch bitte wieder mit nach Hause. Ich mache auch nichts schlimmes... Ich lege mich bei dir zu Hause ins Bett und lasse mich verwöhnen..."
„Süße, ich nehme dich nicht mit nach Hause. Das wäre lebensgefährlich in deinem Zustand. Deine Blutwerte sind besorgniserregend. Ich kann nicht verantworten, dich wieder nach Hause zu holen. Auch, wenn ich dir als Ärztin im Notfall helfen könnte. Aber ich will dein Leben nicht unnötig gefährden. DU bist doch mein Kind..." Ich schloss meine Tochter fest in meine Arme, versprach, immer bei ihr zu bleiben und begleitete Laura anschließend wieder auf ihr Zimmer.
In ihrem Zimmer angekommen, legte sich Laura wieder in ihr Bett und wurde behutsam von ihrer Mutter zugedeckt, bevor sich Lea ans Bett ihres Kindes setzte.
„Du kannst nicht einfach draußen herum spazieren. Was soll denn deine Mutter von dir denken?", lächelte Lea und legte ihre Hand auf Lauras Schulter. „Sie würde es nicht für gut heißen, wenn du dich nicht an die Regeln deiner behandelnden Ärzte hältst..."
„Meinst du jetzt mit 'meine Mutter' dich oder... oder meine ADOPTIVmutter? Ich hoffe doch, du meinst dich, Mama... Von Stefanie will ich nichts mehr wissen."
Behutsam legte Lea ihre Hand auf Lauras blasse Finger und versuchte, sie zu beruhigen und zu trösten, was der Ärztin allerdings wohl nicht wirklich gelang.
Aufgebracht setzte sie sich erneut auf und griff zu ihrem Handy, das auf dem Nachttisch lag.
Als Hintergrund des Handydisplays war ein Foto von Laura und einem Jungen in ungefähr ihrem Alter eingestellt; Laura erzählte mir, dass das wohl ihr Freund Paul sei, mit dem sie heute seit drei Jahren zusammen wäre.
„Weiß dein Freund denn schon, dass du hier im Krankenhaus liegst?" „Nein, ich... Ich will ihn damit nicht auch noch belasten. Er... Er hat im Moment mit seiner Abschlussprüfung genug zu tun. Er macht nämlich eine Ausbildung zum Sanitäter. Da braucht er die ganze Konzentration für die Arbeit."
„Aber er wird dich doch bestimmt ganz schnell besuchen wollen, wenn er erfährt, dass du hier bei uns im Krankenhaus liegst, oder? Dafür sind doch Freunde da...", harkte ich noch einmal nach, doch Laura schüttelte den Kopf und legte sich wieder auf ihr Kissen.
„Ich... Ich weiß nicht, Mama. Ich... Ich habe damals, als meine kleine Nina auf die Welt kam... Meine kleine Nina. Da hat er mich zwar auch immer besucht, aber... Er hat mir immer gesagt, dass... Dass ihn das sehr belastet, wenn er jemanden im Krankenhaus besuchen muss... Ich solle ihn nicht anrufen, wenn ich im Krankenhaus liege, sondern erst, wenn ich wieder nach Hause darf..."
„Was ist das denn für eine Ausrede? Du liegst hier... Du bist doch nicht plötzlich ein anderer Mensch, nur, weil du hier im Krankenhaus liegst...", empört schlug Lea mit der freien Hand auf die Matratze des Krankenbettes ihrer Tochter. „Na, der kann was erleben. Hast du die Telefonnummer von deinem Paul?"
„Ich möchte nicht, dass du Paul anrufst, Mama... Er würde sowieso nicht herkommen..."
„Die Telefonnummer, Laura...", erhob Lea ihre Stimme und Laura reichte ihrer Mutter ihr Handy mit der Auskunft, Pauls Telefon- und Handynummer sei unter „Mein Paulchen" abgespeichert.
„Aber er wird nicht herkommen.", fügte Laura hinzu und sie ließ ein paar salzige Tränen aus den Augen laufen, bevor sie sich die übrigen Tränen wegwischte und tapfer lächelte.
Behutsam nahm Lea die vom in die Höhe geschossenen Fiebers heiße Hand ihrer Tochter und wollte nun die ganze Geschichte erfahren, was es mit Nina auf sich hatte.
„Laura... Du hast mir noch gar nicht erzählt, wie es mit deiner Tochter... Wie das mit deiner Tochter dazu kam, dass Stefanie sich um die Kleine kümmert? Hat sie dich... dazu genötigt, Nina wegzugeben?", wollte Lea von ihrer Tochter wissen und Laura nickte kurz schluchzend.
„Ich war damals schwanger... mit meiner kleinen Nina. Aber... meine Adoptivmutter... Stefanie... die wollte einfach nicht, dass ich meine Kleine selbst großziehe. Ich hätte schon genug zu tun. Mit meiner Schule und der Ausbildung später. Ich war noch nie eine gute Schülerin... In Mathe stehe ich momentan auf vier... Noch eine schlechtere Note, als drei... habe ich eine Fünf auf dem Halbjahreszeugnis... Stefanie... Sie hat mir kurz vor der Geburt von Nina gesagt, dass... Dass ich ihr mein Baby geben muss, sonst würde sie mir so lange in den Bauch prügeln, bis ich eine Fehlgeburt erleide. Ich... Ich habe immer alles getan, dass meine Adoptivmutter mit mir zufrieden ist. Aber irgendwann... Mir ist das alles zu viel geworden. Ich kann nicht damit umgehen, dass meine Mutter mir mein Baby weggenommen hat. Einfach so. Aus mir unerklärlichen Gründen. Ich... Ich vermisse meine Kleine so sehr. Ich möchte endlich wieder selbst die Mutter meines Kindes sein. Ich will mein Kind wieder aufziehen dürfen. Nina ist doch mein Baby..."
Laura fing zu weinen an und Lea nahm ihre Tochter tröstend in den Arm. „Pscht, es ist schon gut. Ich bin für dich da, meine große Maus. ... Hast du denn deiner Adoptivmutter mal gesagt, dass du deine Tochter bei dir haben willst. Dass du für die Kleine sorgen kannst und willst."
„Schon so oft habe ich es versucht. Aber... Sie hat immer abgeblockt. Ich wäre viel zu jung, um ein Kind großzuziehen. Ich wäre mit der Kleinen komplett überfordert, wenn ich mit Nina alleine wäre. Ich... Ich wollte meine Tochter Emily nennen. Aber... Mama hat mir vorgeschrieben, die Kleine Nina zu nennen. Sie hatte damals eine Fehlgeburt; kurz, bevor ich ihr gesagt habe, dass ich schwanger bin. Wir hätten unsere Babys zur gleichen Zeit bekommen. Aber jetzt hat sie ja mein Baby."
Resigniert legte sich Laura auf die andere Seite und schloss für einen kurzen Moment ihre mit Tränen gefüllten Augen, bis Ulrike ins Zimmer kam.
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Leas Baby
FanfictionSchwanger - für Lea Peters die schockierendste Nachricht, die sie jemals bekommen konnte. Wo sie sich doch erst vor einigen Wochen von ihrem Lebensgefährten getrennt hatte. Nun steht sie vor einem Rätsel... Soll sie das Baby bekommen? Und dann tauch...