Folge 4 - Teil 8: Herzlich Willkommen in Hamburg

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An diesem heutigen Mittag nahmen sich Arzu und Philipp Brentano mal wieder Zeit für ihre Kinder Max und Oskar, die seit der Geburt der kleinen Pauline in Arzus Meinung wohl etwas zu kurz kamen. Deswegen hatten die beiden den Säugling ihrer Babysitterin Franzi, die sich heute wieder um Kathrins Tochter Hanna kümmerte, mitgegeben und holten Oskar und Max etwas früher aus der Kita, um mit den beiden Jungs ein wenig Zeit ohne den Säugling zu verbringen.

„Max, Oskar... Eure Eltern sind da... Kommt ihr mal bitte her.", rief die freundliche Erzieherin Frau Brettschneider nach den beiden Kindern, die fröhlich in der Spielecke saßen und mit ihren Freunden eine große Burg aus Holzklötzen bauten.

Oskar, der wohl noch in diesem Jahr in die Schule kommen würde und eigentlich in die Vorschulgruppe gehörte, seine Zeit aber lieber bei seinem kleinen Bruder Max in der Gruppe verbrachte, war der erste der beiden Brüder, der aufsah und seine Eltern erblickte.
„Mama... Papa...", freute sich der im Dezember Sieben Jahre alt werdende Junge und rannte fröhlich quiekend in die Richtung seiner Mutter, bevor er auf Philipps Arm sprang. „Holt ihr uns jetzt ab?"
„Ja, Oskar. Wir wollten mit dir und Max in den Zoo fahren. Was hältst du denn von der Idee?" „Jaa...", freute sich der Junge über die Idee seiner Mutter und holte seinen kleinen Bruder, der, anders wie Oskar, der Sohn von Arzu und Niklas war.

„Max... Max, wir fahren in den Zoo... Mama und Papa holen uns jetzt ab und dann fahren wir in den Zoo...", rief der Sechsjährige und schnappte sich schon seinen Rucksack, der im Schrank des Gruppenraumes stand.
Während sich auch Max von den Spielsachen weglocken ließ und zu seinen Eltern lief, wo er in Arzus Arme sprang, kam die Kindergärtnerin von Max näher.

„Sie wollen mit den Jungs in den Zoo fahren?" „Ja... Oskar und Max sollen ihre Eltern mal wieder für sich haben. Unsere Babysitterin hat Pauline heute bei sich und kümmert sich um die Kleine, damit wir uns ganz um Oskar und Max kümmern können.", erklärte Arzu der Kindergärtnerin und gab ihrem Sohn Max einen Kuss, während Philipp dem sechsjährigen Oskar zurief, er solle doch auch den Rucksack seines Bruders gleich mitbringen.

„Wussten die Jungs davon, dass sie mit den Beiden in den Zoo fahren wollten?" „Nein... Das haben Philipp und ich erst heute Vormittag miteinander besprochen. Wir wollten die beiden nicht enttäuschen müssen, wenn es doch nichts wird. Aber dank eines Kollegen, der den Dienst von Philipp übernommen hat, können wir den Ausflug mit den beiden Jungs machen.", berichtete Arzu und ließ den Dreijährigen zu seinem Bruder laufen. „Geh dich schon mal anziehen, Max. Papa und ich kommen gleich nach. ... Oskar, hilfst du deinem Bruder beim Anziehen...", bat die Krankenschwester ihre beiden Söhne und widmete sich dann wieder dem Gespräch mit der Kindergärtnerin ihrer beiden Söhne.
„Das ist also für die beiden Jungs eine Überraschung? ... Na, das freut die beiden natürlich sehr. ... Wir haben übrigens heute einen Elternbrief vorbereitet; wegen der diesjährigen Einschulung. Im August ist es für Oskar ja soweit..."
„Ja, stimmt. Wie schnell die Zeit vergeht." Verträumt blickte Arzu zu ihrem Sohn und deutete Philipp, die beiden Jungs zu beobachten. „Oskar ist auch schon ziemlich aufgeregt, dass er endlich zu den großen Kindern gehört."
„Da haben wir hier... für die Schulanfänger eine kleine Feier im Juli vorbereitet. Die Feinabstimmung machen wir dann Mitte Mai. Aber erst mal als Grundgerüst. Die Einladung... Max darf natürlich auch sehr gerne zu der Feier kommen, genauso wie ihre Babysitterin und die kleine Pauline. Das ist alles kein Problem. Es geht uns nur darum, dass die Kinder einen schönen Abschluss ihrer Kindergartenzeit haben..."
„Das ist eine schöne Idee... Wenn Oskar, Max oder Pauline nicht zu der Zeit gerade krank sind, dann nehmen wir selbstverständlich an der Feier teil. Aber bisher hatten wir ja kaum das Problem, dass die Kinder krank sind.", wusste Arzu und beobachtete ihre beiden Jungs, die schon fast fertig angezogen waren, mit einem lachenden, doch auch mit einem weinenden Auge.

'Wo ist denn nur diese ganze Zeit hin, als die beiden Jungs noch ihre kleinen Babys waren; als sie die beiden Zwerge noch in ihrem Bauch durch die Gegend und durch die Klinik getragen hatte?', dachte sich die liebende Mutter und erinnerte sich an die dramatische Geburt von Oskar zurück.
Sie als Krankenschwester hatte damals selbst nicht bemerkt, dass sie eine Blinddarmentzündung ausgebrütet hatte, bis sie zu Hause zusammenbrach. Ihre Angst, nach Stella ihr zweites Baby auch noch verlieren zu müssen, hatte sie eine Patientenverfügung aufgesetzt, die besagte, dass das Leben des Babys während der Operation völligen Vorrang hatte.
Zum Glück hatte sich der Zustand von Arzu während der Operation trotz der Patientenverfügung gut gehalten, doch kurz vor Ende der OP musste Roland den kleinen Oskar auf die Welt holen.

Die Angst von Philipp, die er um seine Frau und seinen Sohn hatte; sie war immer und immer wieder allgegenwärtig, wenn irgendwas nicht in Ordnung war. Zum Glück hatte der heute sechsjährige Junge ein sehr gutes Immunsystem und war noch nie ernsthaft krank. Arzu und Philipp waren darüber sehr froh und hofften inständig, dass es auch in Zukunft so bleiben würde...



Die Schule war inzwischen auch schon wieder aus und Lisa machte sich auf den Weg in die Sachsenklinik. Sie hatte sich heute den ganzen Tag gefragt, ob sie nicht wieder zu Laura ins Krankenhaus fahren sollte und hatte auch lange mit sich gerungen; doch im Endeffekt hatte sie sich dafür entschieden.

„Oh... Hallo Lisa.", wurde die Fünfzehnjährige am Empfang der Klinik von Dr. Lea Peters begrüßt. „Möchtest du zu deinem Vater?"
„Nein... Nein, ich wollte zu Laura... Darf ich denn zu ihr?", erkundigte sich Lisa besorgt bei der Neurochirurgin, die den Kopf schüttelte. „Es geht Laura momentan nicht besonders gut. Die Leukämie... macht ihr sehr schwer zu schaffen; außerdem hat sie wohl eine Entzündung... Ich kann aber nichts genaueres dazu sagen, Lisa. Du bist leider nicht mit Laura verwandt."

„Ich wollte Laura auch eigentlich nur ein bisschen Musik vorbeibringen. Sie hat mir die CD hier ausgeliehen. Als sie den letzten Tag in der Schule war... Und jetzt habe ich die CD noch nicht an Laura zurückgegeben.", erklärte Lisa und holte eine CD aus ihrer Jackentasche. „Und ich wollte ihr auch noch ein bisschen... Gesellschaft leisten. Aber wenn es Laura wirklich so schlecht geht, dann sollte ich sie vielleicht wirklich lieber in Ruhe lassen.", erkannte Lisa und bekam von Lea die Bestätigung. „Ja, das wäre keine so schlechte Idee, Lisa. Aber... Wenn du dich nützlich machen willst... Du könntest dich ein bisschen um Laura kümmern, wenn ich heute Abend nach Hamburg fahre."

„Eine Fortbildung?", erkannte Lisa, doch wieder schüttelte Lea zur Antwort entschieden mit dem Kopf und erklärte: „Nein, ich habe keine Fortbildung. Ich muss den Vater von Laura dazu bringen, hierher nach Leipzig zu kommen. Er hat sich bisher zwar dagegen gewehrt, aber... ohne ihn könnte Laura sterben. Ich komme durch die Schwangerschaft leider nicht als Knochenmarkspenderin in Frage. Aber mein Ex-Freund... Also Lauras Vater auf jeden Fall."

Da hatte Lisa eine ganz wunderbare Idee und sie erkundigte sich bei Lauras Mutter nach einer sehr wichtigen Frage.
„Kann denn nicht jeder, der die passenden Werte hat, eigentlich spenden?", fiel der Schülerin ein und Lea nickte bestätigend, woraufhin Lisa vorschlug: „Was halten sie denn davon, wenn ich in der Schule die Lehrer anspreche, dass... Dass Laura Hilfe braucht? Ich meine, die Lehrer würden ganz bestimmt sofort für eine Spende bereit sein; Laura ist bei uns sehr beliebt. Weil sie so freundlich und hilfsbereit ist. Und... Und weil die kleine Nina in der Schule auf die Welt gekommen ist..."

Lea überlegte kurz, als sie erfuhr, dass ihre Enkelin in der Schule auf die Welt gekommen war. Wie hatte dann ihre ehemals beste Freundin dafür sorgen können, dass nicht Laura als Ninas Mutter eingetragen wurde, sondern sie selbst? Wie konnte Stefanie ihrer „Adoptiv"tochter so einfach das Kind wegnehmen; ein Kind, das bezeugbarerweise das Kind von Laura war?
Fragen über Fragen, die Lea durch den Kopf schossen, während sie sich um die letzten organisatorischen Dinge vor ihrer Abfahrt nach Hamburg kümmerte.

„Am besten, du fragst noch mal deinen Vater wegen den ganzen Dingen. Vielleicht hat er auch noch Informationsmaterial in seinem Büro herumliegen. Ich muss mich jetzt wieder um meine Sachen kümmern. Mein Zug geht in ein paar Stunden..."
„Dann wünsche ich ihnen viel Erfolg, Frau Dr. Peters... Dass sie ihren Ex-Freund auch wirklich nach Leipzig holen können... Laura soll schließlich schnell wieder auf die Beine kommen. ... Ach, Frau Dr. Peters. Wie ist das eigentlich? Kann ich denn wenigstens während der Leukämiebehandlung bei Laura bleiben? Wir sind sehr gute Freunde; ich glaube, ich könnte Laura sehr gut helfen...", wusste Lisa, doch Lea erklärte ihr, dass sie nicht bei Laura bleiben könne, während ihre knapp sechzehnjährige Freundin ihre Leukämietherapie durchlief.

„Für Laura wird es eine Qual sein... Und ich will nicht, dass... Dass du vielleicht deswegen noch... Angst bekommst... Vor allem, weil es auch zu sehr schweren Komplikationen kommen kann, wenn Laura die Medikamente nicht verträgt. Wir haben schon oft solche Fälle gehabt..."



Am späten Nachmittag; gegen halb 5, fuhr auf dem Leipziger Hauptbahnhof der Intercityexpress in Richtung Hamburg, mit dem Lea zu ihrem Ex-Freund fahren wollte.
Zum Bahnhof begleitet wurde die Neurochirurgin von ihrem Lebensgefährten, der die Ärztin bat: „Melde dich aber bitte, wenn du später in Hamburg ankommst... Ich will wissen, wie es dir und unseren beiden Zwergen geht. Früher gehe ich nicht ins Bett; nicht bevor ich weiß, dass... Dass ihr drei gesund und munter in Hamburg angekommen seid."
„Ja, natürlich. Ich melde mich. Und du kümmerst dich heute Abend und morgen Früh bitte um Laura... Bleib am besten über Nacht bei ihr im Krankenhaus; sie braucht einen Menschen, der auf sie aufpasst. Besonders jetzt, wenn es ihr immer noch ab und an so schlecht geht. Und sollten Dr. Heilmann oder Dr. Globisch dich raus werfen wollen, dann sag ihnen viele Grüße und sie sollen sich bei mir melden."

„Deswegen werden dich die Ärzte bestimmt nicht anrufen... Wer weiß, ob sie dich überhaupt anrufen, wenn es Laura schlechter geht. Ich meine, sie wissen ja, dass du nicht so schnell in der Klinik sein kannst, wenn sich Lauras Zustand verschlechtert hat.", wusste Jenne, der Leas Koffer hinter sich herzog; denn er hatte sich durchgesetzt.
'Ich kann den Koffer auch tragen', hatte Lea beim Aussteigen aus dem Taxi mehrfach angegeben, doch da hatte Jenne schon den Koffer geschnappt und ließ den Henkel auch nicht mehr los. Damit musste sich die Ärztin nun zufrieden geben, was ihr gar nicht gefiel.

„Ich würde Laura am liebsten gleich mit nach Hamburg nehmen, damit Markus sieht, wie schlecht es seiner Tochter wirklich geht... Dann kann ich mir sicher sein, dass er auf jeden Fall in Hamburg alles stehen und liegen lässt und nach Leipzig mitkommt.", wusste die Neurochirurgin und zerrte an ihrem Koffer herum, bis Jenne ihn endlich seiner Lebensgefährtin gab.

„Meine Damen und Herren. Auf Gleis 12 fährt jetzt ein: Intercityexpress 1508 nach Hamburg-Altona über Bitterfeld, Berlin Südkreuz und Berlin Hauptbahnhof. Abfahrt 16:15 Uhr... Bitte Vorsicht bei der Einfahrt des Zuges...", tönte es aus den Lautsprechern oberhalb der Gleise und schon wenige Augenblicke später stand der ICE auf dem Gleis.

„Also... Lea. Pass auf dich auf. Und melde dich bitte wirklich, wenn... Wenn du in Hamburg angekommen bist. Ich will über jede noch so kleine Änderung in eurem Plan sofort in Kenntnis gesetzt werden. ... Ich freue mich schon auf deine Rückkehr...", flüsterte Jenne der Ärztin leise ins Ohr und gab ihr, bevor sie in den Zug stieg, einen liebevollen Kuss auf die Lippen.
„Ich liebe dich... Ich liebe euch...", seufzte der Tischler und winkte, als der rot-weiße Zug langsam aus dem Hauptbahnhof Leipzig rollte, diesem noch lange nach, bis er gar nicht mehr zu sehen war. Dann atmete Jenne noch einmal tief durch und verließ das Gleis.



Dank der Verspätung von ganzen 55 Minuten in Berlin, die der Zug auf der restlichen Fahrt bis Hamburg nicht mehr aufholen würde, kam Lea erst 20:19 Uhr in Hamburg an, wo sie schon von Markus und seiner Tochter Lilly erwartet wurde.
Erschöpft stieg die Ärztin auf dem Hauptbahnhof aus dem Zug und sah sich im großen Hauptbahnhof der Hansestadt um.

Mehrere Passagiere wurden von ihren Familien oder Freunden abgeholt, doch ihren Ex-Freund erkannte die Ärztin nicht. Erst, als sich das Gleis ein wenig leerte, fiel ihr das etwa sechsjährige Mädchen auf, das neben ihrem Vater stand und auf Lea zeigte.

Bei näherer Betrachtung des Mannes, der die etwa Sechsjährige fest an seiner Hand hielt, wurde es Lea zugleich kalt und heiß und sie hatte das Gefühl, gleich in Ohnmacht zu fallen. Er war es – Dr. Markus Blankenburg.

„Ma... Markus... Hallo...", begrüßte sie ihren Ex-Freund, der sie von oben bis unten musterte und am Schwangerschaftsbauch der Ärztin hängen blieb.
„Hallo Lea. Schön, dich zu sehen... Wie ich sehe, bist du nicht alleine." Der Mann deutete auf Leas Bauch und die Ärztin hielt ihre Hand schützend davor.
„Ja... Ja, ich... Ich bin schwanger...", bestätigte sie flüsternd, bevor Markus ihr anbot, ihren Koffer zu tragen. „Mein Auto steht auf dem Parkplatz... Wenn du willst, kann ich gerne deinen Koffer tragen... Schließlich hast du etwas mehr Gepäck..."

„Danke, Markus. Aber ich kann meinen Koffer schon ganz gut alleine tragen. Aber vielen Dank für dein Angebot. ... Und wer bist du?", wandte sich Lea an Lauras Halbschwester.
„Ich bin Lilly... Papas Tochter.", stellte sich Lilly vor und versteckte sich schüchtern hinter der Hand ihres Vaters.
„Sie ist knapp Sechs... Aber wir sollten langsam nach Hause fahren; Lilly muss jetzt ins Bett. Mein Bruder holt sie morgen ab, damit wir zusammen nach Leipzig fahren können. ... Hattest du eine angenehme Fahrt?", wollte Markus etwas schüchtern von seiner Ex-Freundin wissen.
„Ja... Ja, das kann man so sagen. Vielen Dank, Markus. Obwohl wir in Berlin schon unsere gute Stunde Verspätung hatten. Wir mussten auf offener Strecke eine ganze Weile stehen bleiben. Aber sonst ist alles glatt gelaufen.", wusste die Neurochirurgin, während sie Markus zu dessen Auto folgte.

Lilly hielt sich die ganze Zeit an der Hand ihres Vaters fest und Lea dachte daran, wie wohl ihre Tochter in deren Kindheit war. Hatte Laura sich auch damals an die Hand ihrer „Adoptivmutter" geklammert? Oder war sie ein selbstbewusstes und offenherziges Kind gewesen, die gerne mit allen in Kontakt trat?
Lea würde es mit Sicherheit niemals erfahren können, wenn sie ihre Tochter nicht fragte. Doch wie sollte sie jetzt ihr Kind fragen, wenn... Wenn es im Koma lag?

Lea wollte gar nicht dran denken, wie es ihrer Tochter wohl jetzt ging, wenn sie alleine in ihrem Bett auf der Intensivstation liegen musste. Vielleicht bekam sie es nicht mit, dass ihre Mutter momentan nicht in ihrer Nähe sein konnte, doch sicher war sich die Ärztin darüber nicht. Und so nahm sie sich vor, gleich nach der Ankunft in Markus' Wohnung in der Leipziger Sachsenklinik anzurufen und sich nach Lauras Zustand zu erkundigen.

Leas BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt