Folge 3 - Teil 6: Abschied von Leas Baby

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Auf dem Weg ins Ärztezimmer traf sie auf Dr. Brentano, der mit seiner kleinen Tochter Pauline ein paar Minuten Zeit verbrachte.

„Schau mal, da ist die liebe Dr. Peters... Sie ist meistens eine ganz nette Kollegin... Aber menschlich... hat sie noch ein paar Schwächen.", erklärte Philipp dem Baby auf seinem Arm, während Arzu spürte, dass Lea etwas bedrückte.
Sie gab ihrem Mann einen kurzen Seitenhieb und wandte sich dann Lea zu: „Ist alles in Ordnung, Frau Dr. Peters? Soll ich ihnen bei etwas helfen?"
„Sie können mir leider nicht helfen, Schwester Arzu. Sie nicht...", erklärte Lea mit trauriger Stimme und sie setzte, nachdem sie sich die letzten Tränen aus den Augen gewischt hatte, unbeirrt ihren Weg ins Ärztezimmer fort.

Dort angekommen merkte die Chirurgin, dass sie zum Glück alleine war und sie setzte sich an den Computer. In die Suchmaske des Internetbrowsers gab sie einen Begriff ein, den sie in ihrer Situation niemals hätte eingeben wollen.

„Schwangerschaftsberatung Abbruch Leipzig.", waren ihre Stichworte für die Suchanfrage und das Internet spukte ihr verschiedene Adressen aus, an die sie sich wenden konnte.

Die erste Nummer, die ihr angezeigt wurde, schrieb sie auf einen Zettel auf und steckte diesen schnell in ihre Kitteltasche, bevor Schwester Arzu in der Tür stand.
„Dr. Peters... Sie können mir nicht sagen, dass alles in Ordnung ist! Sie haben ein Problem. Und ich kann ihnen mit Sicherheit helfen... Wenn sie sich helfen lassen..." Einen Blick auf den Bildschirm des Computers werfend wusste Arzu, was Lea vorhatte.
„Sie wollen das Baby abtreiben?", fragte die frischgebackene dreifache Mutter und Lea nickte. „Ich kann dieses Baby einfach nicht behalten, Schwester Arzu... Es haben sich Dinge ergeben, die wichtiger sind, als dieses Kind... Ich werde gebraucht. Als Mutter... Als Ärztin... Und als Retter..."

„Sie werden als Mutter gebraucht, Frau Dr. Peters?", fragte Arzu erschrocken und Lea nickte. „Ja... Laura Falken... Ich bin die leibliche Mutter, meine ehemalige Freundin hat mir das Kind weggenommen, weil sie mir die Schuld am Tod ihres ersten Kindes gab. Und deswegen musste ich ihr mein Baby geben... Das war vor fast sechzehn Jahren. Und jetzt liegt mein Kind... mein großes Mädchen auf der Intensivstation... Leukämie... ein Rezidiv... Ich werde sie vielleicht verlieren, wenn ich dieses Kind bekomme... Ich muss meine Laura retten, das bin ich meinem Kind schuldig..."
„Sie sind in erster Linie ihrer Laura schuldig, sie nicht im Stich zu lassen. ... Wie lange wissen sie schon, dass Laura hier liegt und ihre Tochter ist? Und wie lange steht die Diagnose fest?"

Lea schüttelte entschieden den Kopf. „Schwester Arzu, bitte. Ich brauche von ihnen keine sicherlich sehr gut gemeinten Ratschläge... Von frischgebackener Mutter zu werdender Mutter... Ich weiß doch selbst am besten, was es bedeuten kann, sein Kind abzutreiben. Ich bin schließlich Ärztin. Aber im ersten Moment bin ich Mutter. Und als Mutter einer schwer kranken Tochter muss ich sämtliche Versuche unternehmen, mein Kind zu retten..."
„Indem sie ihr zweites Kind... abtreiben? Kommen sie denn überhaupt für Laura als Knochenmarkspender in Betracht? Ich meine, das ist zwar nicht auszuschließen, wenn sie Lauras leibliche Mutter sind. Aber was machen wir denn, wenn sie ihr Kind abgetrieben haben und beim Test herauskommt, dass... Dass sie gar nicht spenden können? Haben sie denn schon einmal den Vater von Laura angerufen? Ich meine, als Vater müsste er doch auch... helfen können..."

„Ich habe meinen Ex-Freund einmal gesehen, als Laura schon auf der Welt war. Er hat durch mich durchgeschaut. Ich habe gedacht, er würde sich noch einmal melden. Aber... Ich war wohl für ihn doch nur ein billiges Betthäschen, das er bestellen und dann sitzen lassen konnte. Ich habe nie wieder auch nur ein Sterbenswörtchen von ihm gehört.", erklärte Lea. „Meinen sie, so ein Vater... würde Laura auch nur eine Sekunde besuchen wollen? Geschweige dann... retten? Er interessiert sich auf keinen Fall für Laura. Ich kenne meinen Ex-Freund... Für ihn zählt nur die Karriere."
„Aber wenn er sich geändert hat... Hat er denn vielleicht eine Frau... Die ihn vielleicht ein wenig in die richtige Richtung stoßen könnte?"
„Er hat eine Frau und eine kleine Tochter...", gab Lea als Antwort und Arzu nickte. „Na, sehen sie, Frau Dr. Peters. Da haben wir doch schon den richtigen Kandidaten... Rufen sie ihn an. Und wenn sie nicht auf die Einigung kommen, dass er seine Tochter... wenigstens einmal besuchen kommt, dann fahre ich höchstpersönlich bei dem Herren vorbei und zerre ihn an den Haaren hierher. Das wäre doch gelacht, wenn wir Lauras Vater nicht herbekämen..."

„Aber vorher muss ich mich drum kümmern, dass ich mein Kind nicht verliere. Sie entschuldigen mich, Schwester Arzu. Ich muss telefonieren.", gab Lea als Erklärung und schnappte sich den Zettel mit der Telefonnummer der Beratungsstelle.
„Frau Dr. Peters... Ich bitte sie... Sie können das nicht tun! Es ist doch ihr Baby!" „Ganz recht, Schwester Arzu. Es ist mein Baby. Und ich entscheide, was damit passiert. Ich will Laura nicht verlieren. Nicht zum zweiten Mal. Ich kann das nicht noch einmal durchstehen...", gab Lea als Antwort und verschwand aus dem Ärztezimmer.



Sehr schnell hatte Lea einen Termin bei der Schwangerenberatung bekommen und nahm diesen auch selbstverständlich sofort wahr; wie sollte sie sonst diese Patientin, die ihr so viel bedeutete, retten können?

„Und sie sind sich wirklich hundertprozentig sicher, dass... Dass sie ihr Baby in ihrem Bauch wirklich abtreiben wollen? Können sie das denn eigentlich? Als Ärztin? Haben sie da keine moralischen Einwände deswegen?" „Nein... Ich kann das sehr gut. Ich muss es tun. Es geht um Leben und Tod...", erklärte Lea mit fester Stimme und die Frau, die ihr gegenüber saß, nickte mitfühlend.
„Frau Dr. Peters... Sie wissen schon, dass ich ihnen den Schein nicht so ohne weiteres aushändigen kann. Zumal sie schon weit über die zwölfte Woche ihrer Schwangerschaft..." Eine ältere Frau, um die 50 oder 60 Jahre, trat mit einem Fragebogen an das Sofa heran, auf dem Lea saß. „Frau Peters. Sie sind mit den größten Geschenk des Himmels hierher in dieses Gespräch unterwegs, ein Baby ist nicht einfach nur ein zusammengewürfelter Zellhaufen."

„Aber ich... Ich habe keine andere Wahl! Es geht einfach nicht, dass ich dieses Baby hier in meinem Bauch noch länger behalte. Ich habe keine andere Wahl, als dieses Kind abzutreiben. Aus Gründen, die ich hier nicht ausführen kann. Es sind private Gründe, die keinem etwas angehen. Ganz umsonst werde ich bestimmt nicht mein Kind töten wollen...", bestimmte Lea und die Frau ihr gegenüber nickte.

„Warum haben sie denn keine andere Wahl, als das Baby abzutreiben? Gibt es einen speziellen Grund? Oder wollen sie wirklich diesen Grund nicht sagen?"
„Ich will diesen Grund nicht sagen. Es hat etwas mit meiner Vergangenheit zu tun. Ich kann dieses Baby nicht kriegen...", erklärte Lea mit fester Stimme und die Beraterin zuckte kurz mit den Schultern.

„Was sagt denn eigentlich der werdende Vater des Babys zu der ganzen Sache?" „Der weiß doch noch gar nichts. Und er wird auch nichts davon erfahren... Ich habe meine Gründe, diese Schwangerschaft zu beenden. Sie braucht meine Hilfe!", brüllte Lea. „Ich darf dieses Kind nicht behalten, sonst muss sie sterben."

„Wer braucht ihre Hilfe? Wer wird sterben, wenn sie dieses Baby behalten?", wollte die ältere Frau wissen, doch Lea nahm ihr den Zettel wortlos aus der Hand und erklärte: „Bekomme ich einen Kuli von ihnen? Dann fülle ich ihnen den Wisch hier schnell aus."

„Können sie es sich denn nicht noch einmal überlegen?" „Was gibt es denn da groß zu überlegen, wenn ich mein Kind verliere? Ich will meine Tochter nicht auf dem Gewissen haben. Nur, weil ich dieses Baby hier unbedingt austragen will... Oder weil die Bürokratie mir verbietet, dieses Kind..."
„Ihre Tochter? Sie haben schon ein älteres Kind?" Mitfühlend legte die Beraterin ihre Hand auf Leas Knie und die Neurochirurgin, die noch einmal auf das Ultraschallbild sah, begann leise zu schluchzen.

„Ja, natürlich. Denken sie, das ist mein erstes Kind hier... Ich habe zu Weihnachten vor fast 16 Jahren schon einmal ein Baby auf die Welt gebracht, damals war ich gerade noch im Studium. Ich wusste nicht, wie ich mit einem Kind alleine... Ich war schließlich noch eine arme, mittellose Studentin, die sich das Geld fürs Studium durch Arbeit an der Bar finanziert hat. ... Ich habe meine kleine Tochter damals kurz nach der Geburt zur Adoption freigegeben, weil... Weil ich mich nicht um das Kind kümmern konnte. Ich konnte es nicht. Ich hätte sie nicht ernähren können, ihr nichts bieten können..."
„Aber sie hätten ihrer Tochter eine Mutter sein können, Frau Dr. Peters... Sie hätten ihr vielleicht nicht die allerneusten Markenklamotten kaufen können. Aber sie hätten diesem Kind Liebe und Zuneigung geben können. Etwas, das ein Kind viel mehr braucht, als irgendwelche reichen Eltern."

„Ich konnte die Kleine nicht behalten. Aber... Ich bin für meine Entscheidung von damals jetzt gestraft wurden... Meine Kleine liegt bei uns in der Klinik und... Und stirbt vielleicht. Nur wegen diesem verdammten... Krebs... Mein Kind hat Leukämie. Sie braucht dringend meine Hilfe..."

„Ihre Tochter hat Krebs? Aber das ist doch überhaupt kein Grund, ein Baby abzutreiben. Sehen sie es doch einmal aus der Sichtweise ihrer größeren Tochter. ... Wenn sie ihr Baby behalten..." „Wird Laura sterben! Meinen sie, das es für mich als Ärztin so einfach ist, ein Leben, das mir lieb ist, zu beenden. Besonders, wenn es sich um das Leben eines Kindes in meinem eigenen Bauch handelt... Ich kann dieses Baby nicht behalten.", meinte Lea. „Ich kann einfach meine Tochter nicht diesem Kind zuliebe... sterben lassen. Sie braucht mich jetzt..."
„Ich kann sehr gut verstehen, dass sie sich wohl sehr große Sorgen um ihre Tochter machen. Aber... Wollen sie wirklich nur deswegen... das Leben eines Babys, das die Welt noch kennen lernen will... Wollen sie das Leben dieses Babys einfach so beenden? Sie haben die Chance, ein gesundes Kind..."
„Und dafür meine Tochter sterben zu lassen!", brüllte Lea und ihr liefen die Tränen aus den Augen. „Ich kann das meiner Tochter nicht antun. Ich liebe Laura; sie ist alles für mich."

„Und sie würden also auch ihr zweites Kind für ihre Tochter opfern? ... Frau Dr. Peters, sie sind selber Ärztin, bestimmt eine sehr gute. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie wirklich ihr ungeborenes Baby einem Kind opfern wollen, das sie nicht einmal kennen. Wann haben sie ihre große Tochter weggegeben?"
„Das ist doch völlig egal. Sie ist meine Tochter. Und ich lasse sie nicht einfach sterben.", fuhr Lea die Beraterin an und sprang vom Sofa auf. „Und wenn sie mir nicht sofort diesen Schein geben, dann werde ich dieses Kind in meinem Bauch wohl selbst..."

„Damit machen sie sich strafbar, Frau Dr. Peters. Und das wissen sie genauso gut, wie ich. ... Sie können ihr Kind nicht selbst töten... Und ich gehe auch davon aus, dass sie mir nicht alles gesagt haben. ... Was ist zwischen ihnen und dem Vater des Babys vorgefallen?"
„Was hat das denn damit zu tun, dass ich mein Kind retten muss?", fuhr Lea die Beraterin an und die schluckte kurz.
„Ich habe schon oft solche Gespräche geführt. Und viele Frauen haben mich dann einige Monate später als glückliche Mütter besucht. Sie haben mir gesagt, wie froh sie sind, sich nach dem Gespräch gegen die Abtreibung entschieden zu haben." Die Frau holte eine Informationsbroschüre heraus, doch Lea lehnte es kategorisch ab, auch nur einen kurzen Blick hineinzuwerfen.

„Sie brauchen mir hier keine Informationsbroschüren andrehen zu wollen. Ich bin Ärztin, ich kenne die Risiken, die während einer Abtreibung auf mich zukommen können. Aber ich muss mein Kind retten. Das ist das einzige, wofür ich das Baby in meinem Bauch abtreiben würde... Ich habe mich in Frieden von dem Vater meines Kindes getrennt. Jenne und ich... Wir haben keinen Kontakt mehr zueinander..."

„Frau Dr. Peters, sie können das nicht alleine durchstehen. Eine Abtreibung... Wissen sie, wie schlecht man sich danach fühlt? Ich habe selbst eine Fehlgeburt gehabt... Im dritten Monat. Sie können sich nicht vorstellen, wie geschockt man danach durchs Leben geht, wenn einem gesagt wird, dass das kleine Herzchen in ihrem Bauch nicht mehr schlägt. Wissen sie, wie schrecklich das ist?"
„Ich kann es mir vorstellen. Aber noch schlimmer ist es, sein Kind vor sich liegen zu sehen und zu wissen, dass man es vielleicht retten könnte. Aber durch ein Baby daran gehindert wird. Ich hätte einfach zu dieser Zeit nicht schwanger werden dürfen. Dann gäbe es dieses Problem auch nicht mehr.", gab Lea von sich und sah die Frau vor ihr an. „Ich habe mich entschieden, ich werde dieses Baby nicht mehr lange unter meinem Herzen mit mir herumtragen. Und wenn sie mir diesen Zettel nicht geben wollen, dann finde ich Mittel und Wege, das Baby trotzdem..."

Entschieden schob Lea der Frau den Fragebogen zu, den sie ausgefüllt hatte und erhob sich dann von dem Sofa, auf dem sie saß. „Ich gehe davon aus, dass ich morgen diesen Schriebs abholen kann. Ansonsten haben wir ein großes Problem miteinander. Dann sind sie nämlich am Tod eines Menschen schuld..."

Leas BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt