Folge 4 - Teil 11: Streitgespräche

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Der nächste Tag brach wenige Stunden später schon wieder an und Laura, die die ganze Nacht von ihrem über die Diagnose immer noch geschockten Großvater bewacht wurde, bekam an diesem Morgen von Roland Besuch.

„Guten Morgen, Herr Professor Peters. Sie sind wohl auch schon eine ganze Weile wieder bei ihrer Enkelin zu Besuch?", erkannte Roland und blickte auf die Geräte, die noch immer Lauras Zustand überwachten.
„Ja... Ich habe die ganze Nacht bei Laura am Bett gesessen. Sie durfte doch nicht alleine sein. Wo sie doch bestimmt ihre Mutter sehr vermisst..."

„Sie wird wahrscheinlich gar nichts davon mitbekommen haben, dass ihre Mutter nicht an ihrem Bett sitzt...", wusste Roland, bevor er ganz vorsichtig auf Lauras Stirn griff und sich selbst zuflüsterte: „Laura, was machst du schon wieder mit uns? Dein Fieber ist schon wieder so hoch. Das werden wir gleich kontrollieren müssen..."

Mit besorgtem Blick auf die Patientin trat der Klinikchef, der sich der Behandlung von Laura persönlich angenommen hatte, zu dem Tisch an der Wand und öffnete die darauf liegende Krankenakte seiner Patientin. „Vor einer halben Stunde hat Schwester Ulrike bei Laura die Temperatur gemessen?", wandte sich der Klinikchef an Professor Peters und der Großvater von Laura nickte bestätigend.
„Ja... Ja, so ungefähr vor einer halben Stunde... Genau kann ich ihnen das nicht sagen. Aber ich verstehe nicht ganz..."

„Laura scheint schon wieder sehr hohes Fieber zu haben... Der Herzschlag gefällt mir auch nicht. Ich möchte kurz ihre Enkelin abhören..."
Behutsam schlug Dr. Heilmann die Bettdecke von Laura von deren Oberkörper und wollte gerade das Stethoskop auf ihrer Brust aufsetzen, als ihm einige Verletzungen auf der Haut der Fünfzehnjährigen in die Augen sprangen.
Roland wich erschrocken kurz zurück und wollte seine Vermutungen nicht öffentlich machen, denn noch war es viel zu früh für Beschuldigungen.
„Die Herztöne gefallen mir gar nicht. Hatte ihre Enkelin heute Nacht schon einmal Probleme mit dem Herzen? Gab es Komplikationen?" „Nein... Nein, gab es nicht. Aber die Adoptivmutter von Laura war vorhin hier. Sie meinte, sie würde Laura eine Spritze geben müssen, damit das Fieber endlich für immer runter gehen wird..."

Gut, Roland hatte mit seiner Vermutung nicht ganz Recht und doch wusste er, von was die Komplikationen bei Laura kamen.

„Und sie hat ihrer Enkelin... eine Spritze gegeben? Ist ihnen das denn nicht komisch vorgekommen?" Die Stimme von Roland erzürnte sich und er prüfte mit dem Ohrthermometer Lauras Temperatur, die mittlerweile wieder bei knapp 40 Grad stand.
„Was soll das denn heißen? Hat... Hat diese... Hat Stefanie etwas damit zu tun, dass es Laura so schlecht geht? Hat sie ihr etwa... irgendwas gegeben, was... Was Laura nicht bekommen darf?"
Roland zuckte kurz mit den Schultern und erklärte, er wüsste noch nicht, was passiert sei. „Wir nehmen jetzt erst einmal eine Blutprobe und machen ein komplettes Labor... Wahrscheinlich hat Laura von dieser Stefanie Medikamente bekommen, die das Fieber noch angestachelt haben..." Roland wurde leiser, als er sich Lauras Arm genau betrachtete. „Sehen sie, Herr Peters... Hier, da ist ein Einstich... Der hat sich sogar schon entzündet... Wir müssen sofort raus bekommen, was Laura für ein Medikament gegeben wurde. ... Laura... Was machst du denn nur mit uns?", flüsterte Roland und strich vorsichtig über die Einstichstelle. „Die Stelle ist sehr heiß... Herr Peters, ich kann ihnen momentan nicht versprechen, dass wir ihre Enkelin..."

„Laura könnte sterben?! Das... Das ist es doch, was sie... Das wollen sie mir doch jetzt sagen, oder?", fuhr Ludwig Peters hoch, doch Roland gab ihm darauf leider keine Antwort mehr, als er Laura ein klein wenig Blut abnahm und die Sechzehnjährige anschließend wieder zudeckte.



Im 350 Kilometer entfernten Hamburg wiederum wusste weder Lea, noch Markus von dem schlechten Zustand ihrer gemeinsamen Tochter. Die beiden saßen am Esstisch und während Lea der fünfjährigen Lilly beim Schmieren des Brötchens half, schien Markus noch immer in den Gedanken um seine Tochter gefangen zu sein.
Natürlich, er machte sich die allergrößten Sorgen um seine Laura und hätte die Schülerin sicherlich liebend gern im Krankenhaus besucht. Aber die Verantwortung für seine kleine Lilly; die Wahrheit, plötzlich zwei Kinder zu haben, und die Frage, ob er der todkranken Laura überhaupt noch helfen könnte, ließen den leiblichen Vater des Teenagers lange mit sich selbst streiten.

„An was denkst du denn gerade, Markus?", wollte Lea wissen und reichte der neben ihr sitzenden Lilly die mit Nougat bestrichene Brötchenhälfte.
Markus zuckte kurz mit den Schultern und sah zwischen Lea und seiner Tochter hin und her.
„Ich... Lea, ich weiß nicht, ob ich wirklich... ob ich wirklich mit dir nach Leipzig fahren kann...", flüsterte er und Lea fuhr erschrocken in sich zusammen. Klar, nach der Reaktion von Markus gestern Abend war ihr vor Augen geführt worden, dass ihr Plan eventuell nicht funktionieren könnte. Aber von Markus wirklich eine Abfuhr erteilt zu bekommen, das war für Lea die schrecklichste Vorstellung ihres ganzen Lebens. Selbst der Weggang ihrer eigenen Mutter war für die Ärztin nicht so schlimm, wie diese Äußerung ihres Ex-Freundes.

„Das... Das soll heißen, dass... Aber du kannst doch nicht... Laura braucht dich! Vor allem jetzt! Sie hat... Markus, sie hat nicht einfach nur einen Schnupfen oder einen eingerissenen Fingernagel, weswegen sie bei uns im Krankenhaus liegt! Laura hat Krebs! Unser Kind wird sterben, wenn du ihr nicht helfen willst!"

„Lea... Es tut mir leid; ich habe die ganze Nacht lang mit mir und meiner Entscheidung gehadert. Denkst du, Lea, für mich ist es angenehm, unsere Tochter... sterben lassen zu müssen?!", fuhr Markus die Ärztin an. „Aber ich habe nicht nur für Laura die volle Verantwortung, sondern auch für Lilly und meine Patienten hier in Hamburg! Ich kann meine kleine Tochter nicht... im Stich lassen!"
„Dafür lässt du aber Laura im Stich! Markus! Sie braucht dringend deine Hilfe! Willst du als Arzt dafür verantwortlich sein, dass dein eigenes Kind... Dass dein eigenes Kind sterben wird? Laura ist todkrank, sie wird sich quälen, wenn..."

„Lea, ich kann nur immer wieder wiederholen... Es tut mir leid. Aber ich kann unserer Tochter nicht beim Sterben zusehen. Das schaffe ich nicht..."
„Du weißt genau, dass ich wegen der Schwangerschaft nicht spenden kann... Markus! Ich... Laura ist unser gemeinsames Kind. Du... Wir... haben uns doch einmal geliebt! Du kannst doch nicht jetzt von mir verlangen, dass... Dass ich unsere gemeinsame Tochter... sterben lasse... Ich... Markus, ich hätte, wenn du unserer Tochter nicht hilfst, keine andere Wahl, als meine Schwangerschaft abzubrechen..."

„Du bist doch mit Sicherheit schon über die zwölfte Woche hinaus, oder?", vermutete Markus bei genauerer Betrachtung von Leas Bauch und die Ärztin nickte. „Ja... Zwillingsschwangerschaft; 19. Woche. Die beiden Kinder sind schon sehr gut entwickelt. ... Markus, bitte... Du musst unserem Kind helfen. Ich kann es nicht. Auch, wenn ich die Schwangerschaft abbreche... Wird Laura sterben müssen..."



„Ja, meine Kleine... Schau mal, hier liegt deine Mami im Krankenhaus. Aber jetzt geht es ihr gar nicht gut. Und da können wir gerade nicht zu ihr...", flüsterte Paul seiner kleinen Tochter zu und drückte das Baby, das er auf seinem linken Arm trug, fest an sich. „Wir müssen jetzt ganz doll dran denken, dass deine Mama wieder ganz gesund wird."
„Sie wird nicht wieder gesund." Die Stimme von Stefanie tauchte ganz plötzlich hinter Paul auf und er drehte sich erschrocken um. „Sie wird in wenigen Stunden an einem Herzversagen sterben... Ich hoffe, das Medikament, was ich ihr gegeben habe, war richtig dosiert..."

„Sie haben... Sie haben Laura?! Sind sie verrückt? Sie können doch nicht einfach..." Paul fiel im ersten Moment in eine tiefe Schockstarre und war anschließend, als er wieder denken konnte, außer sich vor Zorn. „Sie können doch Laura nicht in Gefahr bringen! Sie haben schon die kleine Maja... die Kleine einfach aus dem Krankenhaus geholt, obwohl sie von ihrer behandelnden Ärztin noch gar nicht offiziell entlassen wurden ist..."
„Maja geht es aber gut, mein lieber Paul. Aber... Wie ich sehe... Du hast ja auch die Kleine mit. Meine kleine Tochter! Gibst du mir sie?" „Nein, sie ist meine Tochter. Sie haben sich der Kleinen gar nicht mehr zu nähern. Sobald Laura wieder aufgewacht ist, werden wir beide darüber sprechen, ob wir der Maus nicht sogar einen anderen Namen geben."

„Das braucht ihr euch gar nicht überlegen. ... Komm mal her, du kleine Maus... Ja, du kleines Mädchen. Ich bin es, die Mama..." Stefanie riss Paul das Baby aus dem Arm und schaukelte die erschrocken weinende und brüllende Nina ein wenig zur Beruhigung auf ihrem Arm. „Du kommst jetzt wieder mit mir nach Hause. Dort kannst du in deinem wunderschönen Bettchen schlafen, meine kleine Motte... Ja, meine Süße. Siehst du, der böse Onkel Paul... Der ist ganz böse."
„Ich bin nicht der böse Onkel Paul, Frau Falken! Ich bin ihr leiblicher Vater. Und deswegen... werde ich mich auch um die Kleine kümmern, bis Laura wieder so gesund ist, dass sie ihre Kleine aufziehen kann. ... Ihnen wurde doch durch das Jugendamt das Sorgerecht für die Kleine entzogen. Also... geben sie mir mein Baby wieder heraus! Ich warne sie! Treiben sie es nicht zu weit!"
„Es ist nicht ihr Baby, Herr... Herr... Ach, wie auch immer sie heißen mögen. ... Sie müssen sich bei der Vaterschaft täuschen... Die kleine Nina ist mein Kind; Laura hat ihr gemeinsames Baby damals bei einem sehr schweren Autounfall verloren. Das war für meine kleine Laura so schrecklich... Ich sehe sie heute noch... in dieser riesen Blutlache liegen..."

Stefanie tat so, als würden ihr Tränen über das Gesicht kullern, doch in Wahrheit war sie nur glücklich, die kleine Nina wieder in ihrem Arm zu haben und Paul abwehren zu können. „Sie können mir vieles erzählen, dass sie der leibliche Vater der kleinen Nina sind. Das wird ihnen vor Gericht nichts bringen! Nina Falken ist meine kleine Tochter; laut ihrer Geburtsurkunde bin ich die Mutter. Und nicht dieses... dieses nervende Weib da drinnen."

Abwertend zeigte Stefanie in Richtung des Eingangs der Sachsenklinik und Paul schüttelte den Kopf, bevor er fragte: „Was sind sie bloß für ein Mensch, Frau Falken? Laura hat ihnen nichts getan; im Gegenteil. Sie hat immer alles gemacht, was sie von ihr wollten. Und dann... Dann haben sie meiner Freundin auch noch jedes Mal, wenn sie doch nicht das getan hat, was sie von ihr wollten, Prügel gegeben. Laura hat sich manchmal mit einer gebrochenen Nase an mich gewandt... Ich habe ihr schon so oft meine Hilfe angeboten; habe ihr gesagt, dass sie mit mir zur Polizei gehen soll und sie anzeigen sollte. Aber Laura war zu stolz dafür. Ihre Angst vor ihrer Reaktion... Laura hat sich einfach nicht getraut, ihnen unter die Augen zu treten... Ich bin sehr froh, dass sie endlich wieder zu ihrer leiblichen Mutter darf."
„Das ist ja rührend. ... Aber jetzt werde ich erst einmal mein Kind wieder nach Hause bringen. Lauras Sachen hole ich dann später hier ab... Wenn sie endlich...", erklärte Stefanie herzlos und wollte gerade umkehren, als Jenne hinter Paul auftauchte.

„Frau Falken! Nina ist MEIN Kind. Sie ist meine Tochter. Meine Laura hat die Kleine auf die Welt gebracht; sie haben damals ihr Baby verloren. Aber das ist ihnen ja komplett egal... GEBEN SIE MIR SOFORT MEIN KIND ZURÜCK!"
„Sie haben gehört, was mein Schwiegersohn gesagt hat, Frau Falken? Geben sie ihm auf der Stelle das Baby wieder zurück. Sie sind nicht die leibliche Mutter der Kleinen; sie sind gar keine Mutter. Wie können sie nur Laura so etwas antun?! Laura hat wegen ihnen gelitten..."

„Ach... Bin ich jetzt vielleicht auch noch dran schuld, dass... Dass diese Laura... Leukämie hat? Hab ich ihr vielleicht... die Krebszellen in den Körper gespritzt?" „Zuzutrauen wäre es ihnen.", fiel Paul ihr unfreundlich ins Wort und Jenne nahm der aufgebrachten Frau in einem unbeobachteten Moment die kleine Nina wieder aus dem Arm.
„Sie ist die gemeinsame Tochter von Paul und meiner Stieftochter. Und dabei bleibt es auch. ... Wenn sie etwas daran ändern wollen, dann müssen sie dem Jugendamt irgendeine Lüge erzählen. Aber selbst damit werden sie nicht durchkommen. Meine Stieftochter und ihr Freund haben durch Lea und mich genügend Unterstützung..."

Leas BabyWo Geschichten leben. Entdecke jetzt