Kapitel vier

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Die Sandalen von meinen Füßen schleudernd ließ ich mich im Flur gegen die Wohnungstür sinken. In Gedanken hörte ich meine Mutter schimpfen, ich solle meine Schuhe gefälligst ordentlich ausziehen, aber ich wusste sie würde mir das erst in einigen Wochen vorhalten können.

Meine Eltern waren schon weg, ein Grund warum ich auch eilig nach hause wollte, denn ich wusste, sie waren heute Nachmittag zu ihrem Wohnwagen gefahren, den sie seit einigen Jahren als ihr Sommerdomizil betrachteten.

Zum Glück erst seit dem ich in einem Alter war, indem ich entscheiden konnte allein zuhause zu bleiben, denn mir lag wenig ferner als mir mit Menschen eine Nasszelle teilen zu müssen oder den Komfort von Spülmaschine und Internet zu verzichten.

Versteht mich nicht falsch, ich bin kein Stadtkind, das ohne dies nicht leben könnte, ich hatte schon einig Nächte im Wald verbracht, um in aufgehender Sonne Bilder auf Papier zu bannen, oder war einfach auf mein Fahrrad gestiegen, mit nichts als einer Isomatte und einem Schlafsack im Gepäck, um mich in ein kurzes Abenteuer aus meiner Komfortzone zu bewegen, aber ein Campingplatz mit Menschen die mir zuschauten wie ich aß oder wann ich duschte, lag mir mehr als fern.

Zudem freute ich mich auf die Ruhe im Haus, die Freiheit ungestört zu malen, zu zocken so viel ich wollte, bis in die Nacht zu lesen oder um 4 Uhr früh zu duschen ohne Rücksicht auf jemanden nehmen zu müssen.

Warum ich noch bei meinen Eltern lebte und mit einundzwanzig nicht in einer eigenen kleinen Wohnung oder im Studentenwohnheim?

Ich konnte es mir schlicht noch nicht leisten.

Meine Eltern brauchten das Geld welches mein Vater verdiente um unseren Lebensunterhalt zu bestreiten, das wenige Geld das ich neben dem Studium verdienen konnte wurde beinah gänzlich von den Studiengebühren aufgefressen und für Bafög waren meine Eltern gerade so ein bisschen zu wenig arm und ich ein wenig zu ungewillt, mir so eine Lebenslast ans Bein zu binden.

Und schlussendlich gab es da noch den kleinen aber sehr wichtigen Punkt, dass ich auf keinen Fall Bad und Kühlschrank mit irgendwelchen Kommilitonen teilen wollte. Mein hart verdientes Geld in einen Wohnheimplatz zu stecken, in dem ich früher oder später vermutlich durchdrehen würde, kam für mich also nicht in Frage.

So sparte ich das wenig übrig gebliebene, das ich nicht in Studiengebühren oder Zuschuss in den Haushalt meiner Eltern gab, um mir irgendwann eine eigene winzige Wohnung und Möbel leisten zu können und nahm das Familienleben in kauf, das unweigerlich kleine Streitereien und Konflikte mit sich brachte, wenn die Tochter schon lange in ihrer eigenen Welt lebte und sich nicht mehr wie die Zehnjährige ins Familienleben integrierte, sondern mit ihren Gedanke in chemischen Formeln, Anhäufung von Kenntnissen in Biochemie oder den Zusammenhängen von Körper und Leben im allgemeinen weilte. Und wenn es ihr dort zu monoton wurde in eine Welt voller selbstgemalter oder gecodeten Bildern versank.

Tief sog ich die Kühle der Fliesen unseres Flures in mich auf, trank die schattige Luft des Hauses um mich schließlich mit wackligen Knien von der Haustür abzustoßen und an den Kühlschrank zu taumeln.

Daran befestigt war ein DinA4 Umschlag mit meinem Namen darauf in der säuberlichen Schrift einer einstigen Lehrerin, die meine Mutter vor meinem und in ihrem anderen Leben einmal war. Ich wusste, dass er einen bestimmt liebenden/mahnenden/beratschlagenden Brief an mich, Auflistungen über Dinge die ich tun sollte oder essen konnte, Erinnerungen an Termine oder Mülltonnen-Abholungen enthielt, und ließ ihn wo er war. Ich griff mir eine Wasserflaschen, schraubte sie auf und nahm einen riesigen Schluck, mit den tadelnden Worten meiner Mutter im Ohr, ob ich nicht wüsste wo die Gläser stehen, direkt aus der Flasche.

Mir wurde schwummrig als die geballte Anspannung der letzten - was waren es Minuten? Stunden? Tage? - mit einem Schlag von mir abfiel und mir bewusst wurde wie unfassbar leichtsinnig ich gehandelt hatte und wie dankbar ich meinem Ritter sein konnte, mich vor dem Schlimmsten bewahrt zu haben. ‚Na gut, vielleicht nicht ganz so dankbar wie ich mich gezeigt hatte', aber irgendwie schien mir das, als hätte es gar nicht zur Situation dazu gehört, als hätte ein ..hmm .. Anderer Teil von mir.. die Kontrolle übernommen, den ich bis dato weder kannte, noch auch nur eine Ahnung von ihm/ihr hatte.

Wunsch & WilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt