Mit mehreren großen Pizzen im Arm betrat ich Marco folgend den Fahrstuhl, der in der Tiefgarage in welcher er soeben geparkt hatte auf uns zu warten schien. Gedankenversunken beobachtete ich Marco dabei, wie er eine Code ins Schaltfeld tippte, eh sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte. Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis wir unser Ziel erreichten, doch Marco schwieg wie immer, in angenehmer Weise.
Als sich die Fahrstuhltüren öffneten empfing mich ein prunkvolles Penthouse, wie ich es bei einem Mann von Witthoffs Stand erwartet hatte und wirklich alles war auch bis ins kleinste Detail, wie es zu erwarten war. Es gab die obligatorische, beleuchtete Bar, einen protzigen schwarzen Flügel, Teppiche in denen man sicher bis zum Knöchel versank auf blitzenden Marmorböden und alles war in kontrastreichem Schwarz und Weiß gehalten.
Mittlerweile überraschte es mich nicht mehr, warum jeder Kitschfilm die gleichen Klischees bediente, sie waren einfach wahr. Marco beförderte die Pizzen auf die Theke der offenen, riesigen Hochglanzküche, natürlich mit Kochinsel, stellte Teller bereit und ließ die Wärmelampen aufflammen, eh er mich mit einer einladenden Geste und den Worten: „Herr Witthoff wünscht, dass sie sich zuhause fühlen." verließ. Verdutzt sah ich ihm nach, zuckte dann aber die Schultern, stellte meinen Rucksack ab, nicht ohne die Blechdose zu entnehmen und sie auf einen der gläsernen Tischchen zu stellen, um mich an der köstlich duftenden Pizza bedienen zu können.
Neugierig sah ich mich in dem weitläufigen Raum genauer um und entdeckte die Galerie aus Fotos, die in einer solchen Umgebung einfach nicht fehlen durfte. Genüsslich kauend trat ich näher und sofort wurde mein Blick von einem großen Bild, in der Mitte des Arrangements gefangen. Herr Witthoff, Theo, Jules, Roland und eine mir nicht bekannte Frau, von atemberaubender Schönheit, lächelten mir glücklich entgegen. Das Foto war an einem Strand aufgenommen worden und konnte, Jules Aussehen nach, nicht älter als drei oder vier Jahre sein. Sie sahen aus wie eine Bilderbuch Familie aus der Werbemaschinerie, die glücklich um die Wette strahlend, der Welt ihre Perfektion präsentierten.
Einen Silberrahmen weiter sah ich die hübsche Blondine, die sicherlich Frau Witthoff war, erneut und ein schwarzer Balken zierte eine der oberen Ecken. Sie konnte also noch nicht allzu lange verstorben sein, wenn ich die Bilder miteinander verglich. ‚Ob Roland sie als seine wahre Mutter angesehen hatte?' Gedankenverloren ließ ich den Zeigefinger, der nicht vom Fett der Pizza triefte, über ein weiteres Portrait gleiten, welches Roland in einer Nahaufnahme zeigte. Der Blick seiner Kanoniers Augen hielt mich gefangen und ich unterdrückte nur schwer ein ersticktes Schluchzen. Mich in Gedanken eine Idiotin schimpfen, stellte ich den Rest meines Essens unangerührt unter die Wärmebrücke. Am Spülbecken wusch ich mir das Fett von den Händen, schnappte mir die Blechdose und ließ mich auf eines der riesigen, weißen Ledersofas sinken, das mich mit unfassbarer Bequemlichkeit willkommen hieß.
Der Brief fühlte sich seltsam lebendig? ... in meinen Händen an. Ich fand kein passendes Wort dafür. Nachdenklich betrachtete ich das Siegel, ließ meine Fingerspitzen darüber gleiten und erkannte letztendlich ein Wappen darin. Mein Handy zückend fotografierte es ab, um es im Netz suchen zu können. Der erste Treffer zeigte schon Familie von Binnenberg und ein Wiki Eintrag dazu. Nur flüchtig überflog ich diesen, denn er beschrieb lediglich das Wappen und die Herkunft der Familie, listete aber keine Mitglieder der Neuzeit auf.
Langsam drehte ich den Brief um, las in fein säuberlicher Kalligraphie meinen Vornamen in sehr großen Lettern darauf. Noch immer weigerte sich etwas in mir das Siegel zu brechen. Die Augen geschlossenen, holte ich tief Luft um Mut zu schöpfen und teilte mit einem leisen Knacken den Wachs in zwei Hälften. Mit zitternden Fingern entnahm ich den pergamentartigen Briefbogen, den der Umschlag enthielt. Auch er war handgeschrieben und es stand sehr viel mehr dort, als nur eine Nummer, oder die Aufforderung zu einem bestimmten Treffpunkt zu erscheinen.
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Wunsch & Wille
ChickLitWas geschieht wenn man, nur um einen Zug zu erreichen, kopflos in eine Horde rivalisierender Fußballfans stolpert? Richtig, man gerät in Gefahr. Doch, dass diese Gefahr nicht von den Fans ausgeht, merkt Lena erst, als es schon längst zu spät ist. (K...