Kapitel hundertachtunddreißig

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Als ich um die nächste Ecke bog sah ich Jacob auf dem Absatz der Treppe sitzen. Ich wusste nicht ob er mich schon vorher gesehen hatte, oder ob er deuten konnte, was meine versonnen Bewegungen aussagten. Mich vom Anblick des Hauses losreißend straffte ich mich, schenkte ihm ein Lächeln und trat zu ihm herauf. Er erwiderte es beinah schüchtern und ergriff meine Hand, als ich ihm diese reichte.

Schweigend betraten wir den lichtdurchfluteten Raum, dessen Helligkeit mir ein Gefühl von Heimat gab. Wie in unserem Schlafzimmer wurde der Raum von einem unfassbar großen Bett eingenommen, das vor der riesigen Fensterfront, in der Mitte des Raume stand. Was den Raum so hell machte war die Tatsache, dass es an allen möglichen Ecken Spiegel gab, sogar über dem Bett. Verkrampft lächelnd schüttelte ich den Kopf.

„Fühlst Du Dich hier wohl?" Fragte ich leise und nun war es an ihm den Kopf zu schütteln. „Im Bad auch nicht, darum habe ich auf der Treppe gewartet."

Abermals nahm ich seine Hand und ging mit ihm die Treppe hinab in den riesigen Raum, der das Wohnzimmer darstellte. Es gab einen Kamin der mit Gas betrieben wurde und obwohl es draußen um die achtzehn Grad waren, hatte ich das Bedürfnis ihn anzuschalten. Selbst das riesige Sofa schien mir zu steril, also nahm ich alle fein säuberlich gefalteten Decken die ich darauf fand und breitete sie vor dem Kamin aus, schmiss zwei dicke Kissen dazu und deutete auf mein Werk. „Besser?" Er nickte lächelnd und ließ sich darauf nieder und ich folgte ihm, setzte mich vor ihn, so das er meinen Rücken erreichte.

Scharf sog er die Luft ein. „Die Wundränder musst Du bitte desinfizieren, offenes Abd..." Er hauchte mir einen Kuss in den Nacken und unterbrach mich so. „Ich war Feldsanitäter." Meine Beine aufgestellt anwinkelnd, bettete ich die Arme auf den Knien und ließ den Kopf hängen.

„Wo bist Du aufgewachsen, ich höre bei Dir gar keinen Akzent bei Dir heraus?" Fachkundig glitten seine Finger über meinen Rücken. „Ich bin in einem kleinen Dorf an der Ostseeküste groß geworden, mit Mama, Papa einer kleinen Schwester und einem großen Bruder. Mein Vater ist Malermeister und hat sich gewünscht, dass ich in seinen Betrieb mit einsteige, so wie mein großer Bruder aber ich war auch da eine Enttäuschung für ihn." Nachdenklich legte ich den Kopf schief. „Wieso auch?"

Er seufzte. „Weil ich nie wie mein großer Bruder war. Ich hasse Fußball, ich bin handwerklich so begabt wie eine Kuh mit Huffäule, ich war immer Einzelgänger, war beschissen in der Schule und hab nie ein Mädchen mit nachhause gebracht. Maximilian, er ist vier Jahre Älter, hat seine Firma übernommen, ein Haus gebaut, geheiratet und sie zu Großeltern gemacht und ich... ich musste Krieg spielen, wie er es nannte." Er begann meine Striemen zu salben und befahl leise: „Leg Dich auf den Bauch!" Artig gehorchte ich seiner rauen Anweisung und bettete das Kinn auf meine Hände.

„Und Deine Mutter?"

„Sie ist letztes Jahr gestorben, seit dem habe ich kaum noch Kontakt zu meiner Familie, nur Marie schreibt mir regelmäßig oder ich ihr."

Den Kopf über die Schulter wendend versuchte ich ihn anzusehen, doch er salbte gewissenhaft meinen Hintern.

„Wie alt ist sie?" Er hauchte mir einen Kuss aufs Schulterblatt und schraubte die Tube wieder zu.

„Erst siebzehn, sie ist das Nesthäkchen und macht meinem Vater das Leben zur Hölle."

Vorsichtig drehte ich mich auf die Seite, stützte den Kopf in die Handfläche und betrachtete ihn eingehend.

„Womit hast Du Deine Freizeit verbracht, wenn Du auch ein Einsiedler warst?"

Er grinste. „Ich war schon immer gleich langweilig, ich habe gelesen. Ich kann mich tagelang in Büchern verkriechen und bin froh in einer Zeit zu leben, in der man nicht fünfzig Kilo mit sich schleppen muss, um genug Lesestoff dabei zu haben."

Wunsch & WilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt