Kapitel dreiundsechzig

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Auch sie sagte zunächst kein Wort, aber ließ sich ebenso in die Knie sinken.

„Wie unfassbar schön wir sind, ich meine... es leuchtet... ich.." Wieder verstummte sie. Langsam erhob ich mich, hauchte beiden einen Kuss ins Haar und ging zum Tisch zurück. Beschwingt schnappte ich mir eine Brötchenhälfte mit Marmelade von meinem Teller und trat an Roland, um mich quer auf seinen Schoß fallen zu lassen. Er ließ es geschehen und aß unbeirrt weiter, legte seine Hand aber zwischendurch auf meinen Bauch.

„Ich muss gleich ein bisschen Büroarbeit erledigen, wirst Du solang über Jesper wachen?" Die Nase gekraust wiegte er den Kopf. „Ich muss nachher nach Deutschland, zur Anprobe und zum Barbier, obwohl vielleicht mache ich letzteres erst Mittwoch morgen. Wenn Dir das zu riskant ist, nehme ich ihn aber gerne mit.

„Ich würde gerne hier bleiben, mein Herr.", bat Jesper zurückhaltend. „Wenn ihr es mir gestattet. Ich würde gerne lesen. Einen Roman, kein mentalcoach Theorien, oder sonstige Sachbücher ein richtiges Buch. Ich habe noch nie ein normales Buch gelesen."

Verdattert sahen Roland und ich uns an.

„Natürlich kannst Du hier lesen. In der Bibliothek befinden sich unzählige Bücher." Nachdenklich erhob ich mich von Rolands Schoß und schüttelte vehement den Kopf. „Wenn Du noch nie ein Buch gelesen hast, dann suche ich Dir eines raus. Oder hast Du einen Wunsch?". Nun schüttelte er den Kopf und ging langsam zu seinem Teller zurück. „Dann warte, ich hole Dir eins, danach kannst Du lesen was immer dir ins Auge fällt, es ist auch nur ganz kurz."

Eilig flogen meine Finger über die Buchrücken, doch ich brauchte einen Moment um es zu finden, auch wenn ich es hier schon entdeckt und mich darüber gefreut hatte. Mit einem dünnen, weißen Buch, wie einen Schatz an die Brust gepresst, trat ich zurück und legte es ihm in die Hände. Er betrachtete es skeptisch.

„Ein Kinderbuch?" Aufmunternd sah ich zu ihm hinab und schüttelte den Kopf.

„Nein eigentlich ist es eine Sozialkritik aber, ja, es ist für ein Kind geschrieben. Trotzdem muss Du es gelesen haben, vertrau mir."


„Als ich sechs war,

sah ich einmal ein wunderbares Bild

in einem Buch über den Dschungel,

das »Wahre Geschichten« hieß.

Auf dem Bild war eine Königsschlange...",

begann er laut zu lesen und Annabelle sichtlich zu erschaudern, doch verstummte Jesper alsbald und Tränen füllten seine Augen. Er legte das Buch zur Seite und nickte. „Ich glaube ich verstehe.", sprach er leise. „Aber das ist etwas, das muss ich alleine erleben." Er hob den Blick. „Nein, wenn ich es mir recht überlege, fürchte ich Dich zu brauchen, Herrin, sofern mir mein Herr dies erlaubt." Roland betrachtete ihn lange, wog offensichtlich Gefahren ab und nickte. „Natürlich darf sie dabei sein, wenn es ihr Wille ist, aber ich habe eine Bedingung."

Neugierig sah ich zur Liebe meines Lebens auf. „Ich möchte, dass wenn Du es gelesen hast und bereit dazu fühlst, es mir vorliest. Es ist viel, viel zu lange her, als das ich mich daran erinnern könnte."

„Wenn sich hier jemals jemand wünscht das ich ihm ...Man sieht nur mit dem Herzen gut... steche, dann baue ich schlimme Rechtschreibfehler ein!" Ich grunzte erheitert auf.

„Soweit lässt es hier keiner kommen und nur weil Zitate missbraucht werden, macht es das Buch ja nicht schlechter."

„Das ist auch ein scheiß Zitat ich kenne nur eine von allen Menschen die mir je begegnet sind, die mit dem Herzen sieht und das ist Lena." Vehement schüttelte ich den Kopf. „Das stimmt nicht, ich kann nur auf Leinwand bannen, was auch alle andere sehen." Rolands Stimme erklang. „Da muss ich Annabelle recht geben, Du siehst die Menschen UND kannst es uns anderen zeigen, aber ohne Dich hätten wir uns vielleicht selber oder uns gegenseitig nicht so klar erkannt."

Wunsch & WilleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt